Unsere Vision: Vom Blended Learning zur Blended University
Unsere Vision: Vom Blended Learning zur Blended University
24.05.22Wie könnte die Hochschule der Zukunft aussehen? In der aktuellen Ausgabe des HFD-Strategie-Magazins entwickeln Jannica Budde, Julius-David Friedrich und Josephine Sames ihre Vorstellung einer “Blended University”, die digitale und Präsenzelemente in allen Teilbereichen der Hochschule miteinander verbindet. Sie wägen ab, welche Auswirkungen dies auf die Kultur einer Hochschule, auf die Servicestrukturen, die Raumgestaltung, das Rollenverständnis der Lehrenden und Lernenden und das alltägliche Miteinander aller Statusgruppen hätte. Für die Autor:innen steht fest: An dem holistischen Ansatz der “Blended University” kommt in der Zukunft niemand mehr vorbei!
Die “Blended University” als Paradigmenwechsel
Spinnt man die Gedanken vom Blended “Learning” zur “University” weiter, meint dies die Kombination von digitalen und Präsenzelementen in allen Teilbereichen einer Hochschule. Neben dem Lehren und Lernen (und damit auch Prüfen!) umfasst dies ebenso die Verwaltung und Governance-Strukturen, die Forschung, die Third Mission, etc. Die ganze Hochschule, mitsamt allen Institutionen und Teilbereichen, müsste sich danach ausrichten, den “Ort” Hochschule nicht nur in Präsenz zu denken und zu leben, sondern Präsenz- und digitale Möglichkeiten miteinander zu verbinden – strategisch und operativ. Die Idee der “Blended University” würde dann Auswirkungen auf die Kultur einer Hochschulen haben, auf die Servicestrukturen, die Raumgestaltung, das Rollenverständnis der Lehrenden und Lernenden und das alltägliche Miteinander aller Statusgruppen.
Die Hochschule der Zukunft sollte dabei im Kern nicht an der Frage ausgerichtet sein, wie viel Prozent der Lehre denn nun online oder am Campus stattfinden. Eine “Blended University” sollte sich insbesondere an den Bedarfen ihrer Stakeholder orientieren. So sollte beispielsweise in der Lehre die Leitfrage sein, wie Studierende bestmöglich auf eine digital geprägte Arbeitswelt vorbereitet werden können, in der Zukunftskompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation eine herausragende Bedeutung spielen (1). In der Verwaltung stellt sich unter anderem die Frage, wie Lehrende und Mitarbeitende befähigt werden können, am digitalen Wandel teilzuhaben bzw. diesen zu gestalten. In unserer Vision reagiert die “Blended University” somit nicht nur auf die digitale Transformation, sie gestaltet sie aktiv mit – ganz im Sinne einer Kultur der Digitalität (2).
Unsere Vision einer “Blended University”
Wenn wir uns nun – gemäß des Schwerpunkts des HFD – auf den Bereich des Studiums und der Lehre fokussieren: Wie sieht also die Hochschule der Zukunft für uns aus? Zeichnen wir das Bild von Lehren und Lernen an der “Blended University”, dann geht es uns, wie bereits erwähnt, gar nicht so sehr um online oder Präsenz vor Ort. Es geht uns um eine neue Kultur des Lehrens und Lernens, die durch digitale Elemente unterstützt und ermöglicht wird. In diesem Verständnis sehen wir die Zukunft in der Anwendung aktivierenden Lehr- und Lernmethoden, bei denen die Lehrenden Lernbegleiter:innen sind. Synchrone und asynchrone Lernphasen, eigenständiges und selbstgesteuertes Lernen und Projektarbeit in Gruppen, interdisziplinäre und internationale Erfahrungen sind nur einige Elemente, die das Studium der Zukunft prägen sollten. Die klassische Vorlesung, d.h. Frontalunterricht, hat nach unserem Verständnis weitgehend ausgedient, gibt es doch viel bessere digitale Methoden zur Wissensvermittlung, die sich dem individuellen Lerntempo der Studierenden anpassen können. Der Fokus von Studium und Lehre an der “Blended University” liegt demnach in der Interaktion, in praxis- und anwendungsnaher Lehre. Problem-Based Learning, Design Thinking und weitere Methoden ermöglichen dabei eine neue Kompetenzorientierung der Lehrinhalte. (Ein Beispiel ist der Case der “Universität Maastricht”, den wir im Magazin ab S. 38 porträtieren.)
Dieses neue Lehren und Lernen hat auch Auswirkungen auf die Gestaltung von Lernräumen und die Weiterentwicklung von Campus-Strukturen. Der Campus der “Blended University” ist für uns ein Ort der Begegnung: ein Ort, der einlädt, sich auszutauschen, kreativ zu werden und dort gerne Zeit zu verbringen und mit Lern- und Arbeitsräumen, die sich, beispielsweise mit flexiblen Elementen, an die Bedarfe der Studierenden und Lehrenden anpassen – und nicht anders herum. (Ein Beispiel ist der Case der “Hochschule Macromedia”, den wir im Magazin ab S. 32 porträtieren.)
Auch hinsichtlich der Prüfungen (mit Rechtsfolgen) sind wir der Meinung, dass ein Umdenken stattfinden muss. Klassische Szenarien wie Klausuren, ja gar Multiple-Choice- Prüfungen, sollten der Vergangenheit angehören. Stattdessen sollten Prüfungen in den Vordergrund rücken, die kompezentorienziert(er) sind. Mit einigen digitalen Szenarien in diese Richtung haben Hochschulen während der Pandemie bereits experimentiert. Das waren z.B. offene Prüfungsszenarien, wie digitale Open Book- und Take Home-Prüfungen (3), die durch digitale Medien unterstützt werden können – aber nicht überwacht werden müssen! Oder warum nicht gleich komplett auf Prüfungen (mit Rechtsfolgen) verzichten? Semesterbegleitende Tests oder Reflexionsaufgaben wie (E-)Portfolios begleiten und unterstützen an der “Blended University” Studierende in ihrem Lernprozess weitaus besser als die klassischen Massenklausuren. Projektarbeiten in Gruppen, klassische wissenschaftliche Seminararbeiten und mündliche Prüfungen ermöglichen es darüber hinaus, die Studierenden über realitätsnahe Settings auf die Arbeitswelt oder die Karriere in der Wissenschaft vorzubereiten.
Für die Hochschule der Zukunft bedarf es auch eines an die Zukunft und den digitalen Wandel angepassten Bildungsverständnisses. Denn der Umgang mit Wissen ändert sich. Grundlagenwissen ist natürlich weiterhin wichtig, aber Formen der Wissenserschließung treten immer mehr in den Vordergrund (4). Die “Blended University” befähigt ihre Studierenden, sich ein Leben lang neues und sich immer wieder wandelndes Wissen anzueignen. Sie bereitet die Studierenden dabei nicht nur auf den Arbeitsmarkt 4.0 vor, sondern fördert sie in ihren Selbstkompetenzen und eröffnet ihnen eine erfolgreiche, verantwortungsvolle Teilhabe an der Gesellschaft der Zukunft – Humboldt 2.0 – wenn man so will.
Wir sehen in der “Blended University” eine Hochschule der Zukunft, die auf alle diese Komponenten eingeht: ein ganzheitliches Modell, das die Vorteile und Möglichkeiten der Digitalisierung dort nutzt, wo sie aus dem Fall heraus nützen. Es geht nicht um die Diskussion, ob Präsenz-, Online- oder gar hybrides Angebot. Es geht um eine neue Lehr-, Lern- und Arbeitskultur. In Bezug auf die Lehre geht es insbesondere darum, Angebote passgenauer entlang der Bedarfe der Statusgruppen, den Anforderungen des digitalen Wandels und der Realität der Arbeits- und Lebenswelt zu entwickeln – und zwar in allen Teilbereichen der Hochschule. Um dies für die gesamte Institution Hochschule angehen zu können, bedarf es einer strategischen Herangehensweise und Zielsetzung, die partizipativ mit allen Statusgruppen erarbeitet wird.
Für die tatsächliche Umsetzung gibt es zwei förderliche Grundprinzipien, nach denen sich die Hochschulen richten können: 1) Die Hochschule kann sich als Ganzes auf Konzepte und Standards (z.B. Problem-Based Learning oder alle Frontal-Impulse erfolgen als Lernvideo) einigen, die Blended Learning realisieren. 2) Die Hochschule baut Servicestrukturen auf und aus, um Lehrenden im Rahmen einer strategischen Leitidee die Möglichkeiten zu geben, ihre Lehre nach eigenen Ideen (digital) zu gestalten. In diesem Sinne wird den Lehrenden ein kleiner Schubs gegeben und ein Anreiz gesetzt, Lehre im Sinne der Strategie zu gestalten. Soll die “Blended University” Realität werden, müssen sicherlich beide Prinzipien zum Tragen kommen. Fest steht: Macht es sich die Hochschulleitung zur Aufgabe, die Hochschule für das digitale Zeitalter aufzustellen, kommt sie an dem holistischen Ansatz der “Blended University” nicht vorbei.
Sie möchten den ganzen Artikel lesen? In der zweiten Ausgabe von strategie digital finden Sie ab Seite 12 den vollständigen Text, sowie weitere Beiträge, eine Studie, Fallbeispiele und Interviews rund um das Thema “Blended University”.
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Ansprechpartnerin für das Magazin ist Josephine Sames.
Verweise
(1) Siehe dazu 4K-Modell von Muuß-Merholz, J. (2017): Die 4K-Skills: Was meint Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration, Kommunikation? Hg. v. J&K – Jöran und Konsorten. https://www.joeran.de/die-4k-skills-was-meint-kreativitaet-kritisches-denken-kollaboration-kommunikation/ oder auch Modell der Future Skills von Ehlers, U.-D. (2019): Future Skills. Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Karlsruhe: Springer VS. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-29297-3.pdf
(2) Stalder, F. (2018): Herausforderungen der Digitalität jenseits der Technologie. In: Synergie – Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre (5). S. 8-15. https://www.synergie.uni-hamburg.de/de/media/ausgabe05/synergie05.pdf
(3) Zu Begriffsdefinitionen siehe Bandtel, M. et al. (Hg.) (2021). Digitale Prüfungen in der Hochschule. Whitepaper einer Community Working Group aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. S. 111ff. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_Whitepaper_Digitale_Pruefungen_Hochschule.pdf
(4) Vgl. Metzner, J. et al. (2019). Was bedeutet Hochschullehre im digitalen Zeitalter? Eine Betrachtung des Bildungsbegriffs vor den Herausforderungen der Digitalisierung. Arbeitspapier Nr. 50. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_Nr50_Hochschullehre_im_digitalen_Zeitalter_web.pdf