Future Work Skills – Ein Interview mit Prof. Dr. Tobias Seidl
Future Work Skills – Ein Interview mit Prof. Dr. Tobias Seidl
24.05.18Die Stichworte „Arbeit 4.0“ und „Industrie 4.0“ sind in aller Munde. Die sich verändernden Arbeits- und Lebenswelten verlangen von uns Anpassung und Weiterentwicklung. Für heutige und künftige Studierende sind veränderte Kompetenzen notwendig. Das Institute for the Future hat schon vor einigen Jahren Fähigkeiten herausgearbeitet und im Future Work Skills Report zusammengetragen. Wir haben uns mit Prof. Dr. Tobias Seidl von der Hochschule der Medien Stuttgart über den Report und seine Bedeutung für die Hochschullehre unterhalten. Tobias Seidl ist Mitglied der Arbeitsgruppe Curriculum 4.0 des Hochschulforums Digitalisierung. Er twittert als @drseidlt.
Warum braucht es Future Work Skills?
Unsere Gesellschaft und Wirtschaft ist einer großen Veränderungsdynamik unterworfen, die weiter zunimmt. Auf diesem Hintergrund stellt sich für uns individuell, aber auch als Gesellschaft und Bildungsinstitution die Frage, wie können wir junge Menschen, unsere Gesellschaft, aber auch uns persönlich, darauf vorbereiten mit dieser Dynamik umzugehen. Bereits jetzt können wir die Auswirkungen der Veränderungen wahrnehmen und darauf reagieren. Jedoch ist es aus meiner Sicht wichtig, nicht nur zu reagieren, sondern sich proaktiv zu fragen, wo diese Veränderungen hinführen werden. Denn dann ist es uns möglich, die Zukunft ein Stück weit strukturiert mitzugestalten. Also nicht bloß zu reagieren, sondern zu agieren und zu gestalten. Ich glaube, das ist eine wichtige Verantwortung, die wir als Hochschule haben. Zum einen im Hinblick auf die Ausbildung von jungen Menschen – sie zu Gestalter(innen) zu machen. Andererseits aber auch als Hochschule durch Forschung und Transfer dazu beizutragen, Gesellschaft zu gestalten. Daher ist es wichtig zu wissen, in welche Richtung wir uns bewegen und was die dringenden Themen und Entwicklung sind, die uns und unser Umfeld beeinflussen.
Wie werden neue Kompetenzen ausgearbeitet?
Mit der Frage – „wie sieht die Zukunft aus?“ – beschäftigt sich die Menschheit schon sehr lange. Das ist vermutlich eine Grundfrage unseres Lebens. In der Vergangenheit wurden verschiedene Herangehensweisen entwickelt, um uns eine Vorstellung der Zukunft zu verschaffen. Wissenschaftler haben ein umfangreiches Methodenrepertoire ganz unterschiedlicher Verfahren entwickelt, um die Zukunft zu explorieren. Es gibt beispielsweise Kolleg(innen), die sich Science-Fiction Literatur anschauen und überlegen, was dort an Ideen und Konzepten zu finden ist, die sich heute vielleicht technisch realisieren lassen. Durchgesetzt hat sich inzwischen das Arbeiten mit Trends und Szenarien. Also dass wir uns fragen: was sind maßgebliche, längerfristige Entwicklungen, die die Gesellschaft, unser Umfeld und die Wirtschaft prägen? Und welche Auswirkungen bringt das mit sich? Als Hochschule könnte man beispielsweise fragen: welche Rückwirkungen haben diese Trends auf die Anforderungen, die Absolvent(innen) in Zukunft gestellt werden? Die Kolleg(innen) vom Institute for the Future haben genau das gemacht. Sie haben eine Delphi-Befragung zu Zukunftstrends durchgeführt. Bei dieser Methode wird eine mehrstufige Expertenbefragung durchgeführt, mit der versucht wird herauszuarbeiten, was aus Sicht der Experten(innen) die maßgeblichen Trends sind, die für Veränderungen in unserem Leben und unserer Gesellschaft in den kommenden Jahren verantwortlich sind.
Welche Trends bestimmen unsere Zukunft?
Ein einfaches Beispiel ist die Verlängerung der Lebenszeit, die wir in den westlichen Industrienationen deutlich beobachten können. Das bringt verschiedene Rückwirkungen mit sich: etwa eine verlängerte Lebensarbeitszeit oder eine andere Altersstruktur in Betrieben. Deshalb müssen wir uns fragen: wie gehen wir mit der Ausgestaltung von Karrieren, dem Erhalt von eigenen Skills, Know-How und der eigenen Arbeitsfähigkeit um? Daneben haben die Kolleg(innen) weitere Trends identifiziert: unter anderem eine Etablierung von „Smart Machines and Systems“, also von intelligenten computergestützten Systemen, die unseren Arbeitsmarkt und unsere Gesellschaft stark verändern, indem sie uns zum Beispiel in repetitiven Tätigkeiten ersetzen. Unlängst hat etwa einer der größten deutschen Onlinehändler entschieden, massiv Stellen im Onlinemarketing zu streichen und dies durch intelligente Systeme zu ersetzen. Es ist als nichts, was nur in der Zukunft liegt, sondern wir spüren die Auswirkungen bereits jetzt.
Daneben stellen die Kolleg(innen) fest, dass unsere Welt zu einer „Computational World“ wird. Damit ist gemeint, dass wir immer stärker datengetrieben agieren, da wir mehr Daten produzieren und verarbeiten können. Der massive Anstieg und Einsatz von Sensoren und Rechenleistung macht die Welt zu einem ‚programmierbaren System’. Das stellt die Anforderung an uns, mit der Berechenbarkeit der Welt umzugehen: Daten zu interpretieren, zu kontrollieren und sinnvoll zu nutzen. Die Diskussion um Facebook und dessen Einfluss auf den amerikanischen Wahlkampf ist hier nur ein aktuelles Beispiel. Gleichzeitig ist es eine Aufforderung an jeden von uns, sich stärker mit Daten auseinanderzusetzen: was bedeuten sie für uns und wie muss ich sie interpretieren bzw. schützen?
Als weiteren Trend stellen die Kolleg(innen) die Entwicklung einer „New Media Ecology“ fest. Das heißt, dass sich neue Mediensysteme und -Angebote entwickeln, mit denen wir umzugehen lernen müssen. Unser Alltag ist stark durch digitale Medien und sich schnell entwickelnde (neue) Angebotsstrukturen geprägt. Zum einen müssen wir – zumindest zum Teil – an diesen Medien partizipieren, um am gesellschaftlichen Diskurs teilhaben zu können. Zum anderen brauchen wir in manchen Bereichen eine ganz neue Media Literacy, um diese Medieninhalte dekodieren, verstehen und interpretieren zu können.
Zwei weitere Trends ergänzen diese Zusammenstellung: Das Entstehen von „Superstructed Organizations“ bedeutet, dass wir es heute in der Wirtschaft und gesellschaftlich mit Organisationsformen zu tun haben, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar waren. Wir können das an neuen Diensten und Anbietern wie Uber sehen, die unsere bestehenden Vorstellungen von Arbeitsorganisation und abhängiger Arbeit völlig auf den Kopf gestellt haben. Wir sehen es aber auch an veränderten Kollaborationsformen. Mit Entwickler-Communities haben wir plötzlich weltweite Communities, in denen sich Leute bei der Arbeit unterstützen. Oder das Beispiel online Crowdfunding als neue Finanzierungsform, die vor wenigen Jahren in diesem Ausmaß unvorstellbar war.
Den letzten Trend, den die Studienautor(innen) feststellen, glauben wir schon sehr gut zu kennen: Die „Globally-Connected World“. Das ist die Weiterentwicklung der Globalisierung, da wir durch die fortschreitende Digitalisierung noch enger zusammenrücken. Bislang haben wir Globalisierung vor allem aus der Perspektive von Großunternehmen gedacht. Jetzt merken wir, dass die (digital getriebene) Globalisierung einzelne Menschen in Entwicklungsländern in neuem Ausmaß an Wissen und auch Märkten partizipieren lässt. Das ist einerseits eine Chance, andererseits ist es auch eine Herausforderung in der Zusammenarbeit, die über immer mehr Kultur- und Landesgrenzen erfolgt. Es entsteht natürlich eine andere Konkurrenzsituation, da die lokalen Märkte zum Teil aufgelöst werden.
Aus diesen Trends und den prognostizierten Auswirkungen leiten die Kolleg(innen) dann Kompetenzen ab, die aus ihrer Sicht in der Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Einige davon sind uns nicht völlig neu, aber es geht ggf. nochmal um eine andere Bewertung dieser Kompetenzen oder um eine Veränderung von deren Bedeutung. Zum Beispiel sollten wir uns viel intensiver mit der Frage auseinandersetzen, welche Vorteile wir gegenüber intelligenten Systemen haben. Also: was macht uns als Menschen aus und was sind unsere Vorteile gegenüber künstlicher Intelligenz und automatisierten Systemen. In diesem Zusammenhang wird etwa Empathiefähigkeit und die Möglichkeit kreative Lösungen – abseits vom vorgegeben Weg oder dem wiederholten Lösungsweg – zu finden genannt. Aber auch die Fähigkeit über verschiedene Kulturgrenzen zusammenzuarbeiten und Sinn zu stiften. Diese Diskussionen müssen wir in Zukunft proaktiv führen. Nicht nur: wo ersetzt uns der Computer? Sondern auch: wie können wir uns in der Auseinandersetzung mit den Entwicklungen neu positionieren, wo finden wir Mehrwerte und Synergien, was können wir, was die Maschine nicht (so gut) kann? Diese Perspektive gebe ich auch meinen Studierenden weiter. Wir bereiten Hochschulabsolventen(innen) nicht darauf vor repetitive Tätigkeiten auszuüben, sondern zu gestalten und Probleme kreativ und auf neue Art und Weise zu lösen.
Wie schnell verlieren diese Future Work Skills ihre Aktualität?
Der Vorteil von Trends ist ihre Längerfristigkeit. Wir müssen uns also nicht alle ein bis zwei Jahre zwingend von vorne damit auseinandersetzten. Gerade bei dem Future Work Skills Report stellt sich jedoch die Frage: wo liegt dessen Fokus? Es ist ein Merkmal von Delphi-Befragungen, dass ich immer nur einen Ausschnitt erzeuge. Hier sehen wir aus meiner Sicht besonders eine Silicon-Valley-Perspektive. Also wäre die Frage, ob man den Fokus weiten muss und überlegen, welche Faktoren stärker in eine solche Trendanalyse integriert werden sollten. Das oft bei der Trendforschung benutzte STEEP-Framework schlägt etwa eine sehr breite Herangehensweise vor – nach dem Framework soll man nach Trends in ganz unterschiedlichen Bereichen schauen. STEEP steht in dem Zusammenhang für soziale, technologische, ökonomische, ökologische und politische Entwicklungen. Abhängig davon, über welchen Bereich wir uns unterhalten, müssten wir die unterschiedlichen Trends ggf. noch einmal im Detail betrachten. Derzeit haben wir bspw. auch politische Entwicklungen, die nicht unbedingt dem prognostizierten Trendverlauf entsprechen. Wir haben die Globalisierung und das Zusammenrücken der Märkte angesprochen, sehen aber momentan einen Rückschritt, wenn wieder über die Einführung von Schutzzöllen diskutiert wird. Der Future Work Skills Report lässt sich gut durch andere Studien ergänzen, die fokussierter vorgehen. Für den Bildungsbereich wäre da etwa der Horizon Report zu nennen, der in der Kurz-, Mittel- und Langfristperspektive untersucht, welche Herausforderungen speziell in der Bildung bevorstehen, welche technologischen Entwicklungen vermutlich großen Einfluss ausüben werden, und welche Trends die Lehre und das Lernen in besonderer Weise prägen werden.
Welche Auswirkungen haben die Veränderungen auf die Hochschullehre?
Die großen Herausforderungen stellen sich aus meiner Sicht auf verschiedenen Ebenen. Wir müssen uns die Frage stellen, was unsere Rolle und unser Selbstverständnis als Hochschule ist: Geben wir nur kanonisiertes Wissen und fachliche Kompetenzen weiter, oder müssen wir den Fokus weiten und sagen, wenn wir etwas als zentrale Zukunftskompetenzen erkennen, dann müssen wir diese auch in die Lehre und Curricula integrieren. Das ist eine große Auseinandersetzung, weil dann ggf. neue Themen und Kompetenzbereiche eine Rolle spielen, die für uns als Hochschulen neu sind. Wir haben dafür dann unter Umständen nicht die Strukturen und eventuell auch nicht das Personal. Vielleicht passt das auch nicht in unser Denken von Prüfungen und Lehrorganisation. Auf jeden Fall lohnt sich für uns der Blick nach Außen und das Entwickeln von Visionen, wie man das Hochschulbildungssystem alternativ denken und neue Impulse integrieren kann. Hier kreative und neue Wege zu finden ist eine zentrale Aufgabe.