Digitale Campuskultur: Eine Perspektive der DigitalChangeMaker
Digitale Campuskultur: Eine Perspektive der DigitalChangeMaker
02.03.21Wie erleben Studierende den digitalen Campus und was fehlt trotz aller Bemühungen? Lilith Diringer und Bernadette Gruber sind Teil des DigitalChangeMaker Jahrgangs 20/21, der studentischen Zukunfts-AG des HFD. In diesem Blogbeitrag geben die beiden einen Einblick in die vielfältige Arbeit der AG und geben Impulse, wie Campuskultur auch digital lebhaft funktionieren kann und welche Best Practices wir auch in einer Zukunft „nach Corona“ erhalten können.
“Und auf der Toilette wurde sogar das Klopapier alle!”, berichtet uns Johann begeistert. Nein, er erzählt gerade nicht von einer Horrorstory im Frühjahr, bei dem er Supermärkte abklappern musste und leer ausging, sondern von einer WG-Party – im Jahr 2020? Tatsächlich, denn Johann wollte sich durch die Hygienemaßnahmen nicht den Spaß an seinem Geburtstag verderben lassen. Schnurstracks machte er sich daran, in Discord seine Wohnung nachzubauen und seine Freunde einzuladen. So gab es ein Disco-Zimmer, einen Raucherbalkon, eine Küche mit leckeren Rezepten – und eben auch eine Toilette mit den ganz physischen Problematiken.
Ich höre die Geschichte von Johann während eines digitalen Get-togethers im Rahmen der “Happy Hour”, initiiert durch die DigitalChangeMaker (DCM) 19/20, der jungen Zukunfts-AG des HFD. Ich kann mich glücklich schätzen, teil dieser Truppe zu sein, denn bereits vor Corona haben wir fleißig dazu beigetragen, Hochschulen einen digitalen und innovativen Anstrich zu geben und haben auch inhaltlich erste Schritte begleitet. Während der “Happy Hour” werden nicht nur Freizeitprojekte ausgetauscht, sondern es dreht sich viel um das virtuelle Campusleben.
Einige Universitäten bieten Nachbauten ihrer Räumlichkeiten online an, um sich dort zusammen zu finden oder gemeinsam auf einen Kaffee zu treffen. Dennoch ist es nicht das Gleiche. Die Orte und Ereignisse eines “normalen” Campus-Alltags in den virtuellen Raum zu verfrachten funktioniert nicht eins zu eins. Wir alle freuen uns wieder darauf, uns physisch zu begegnen, gemeinsam zu lernen und zu diskutieren – ohne WLAN-Probleme im Wohnheim. Bis dahin sind aber auch die einzelnen Hochschulgruppen aktiv.
Challenge accepted
Wir sind es gewohnt uns in Präsenz zu begegnen und benötigen im Online-Format deswegen neue Ansätze um Studierenden-Engagement zu fördern. Ein Beispiel: Bei den PAUL Consultants – einer Hochschulgruppe der TU Dresden – kommen wir normalerweise im Hörsaal zu wöchentlichen Vereinssitzungen zusammen. Stattdessen treffen wir uns jetzt über ein Online-Meeting Tool und veranstalten kreative Getränke-öffnen-Challenges im Virtual Beer Space nach getaner Arbeit. Durch das bequeme Einloggen von zu Hause, engagieren sich einige sogar intensiver als zuvor. Auch beim studentischen Theater der TU Dresden DIE BÜHNE machen wir unserem Namen alle Ehre. Kaum hatte der Lockdown begonnen, launchten wir die Seite Theater für zu Hause, kramten Videos aus den Archiven und trauten uns an die Hörspielproduktion. Neue Workshopformate, die online durchgeführt werden können, sind in der Entwicklung. Zudem erfreut sich aktuell ein eigenes Talkshowformat großer Beliebtheit. In Ein Klick hinter DIE BÜHNE kommen wir trotz der physischen Einschränkungen in den Genuss von Theaterdiskussionen und spannenden Berichten zu Erlebnissen Back- und On-Stage.
Soziale Medien ersetzen das Miteinander vor Ort nicht
Welche Rolle das soziale Miteinander an der Uni spielt, ist vielen spätestens dann bewusst geworden, als sie eineinhalb Stunden alleine vor dem Computer saßen und sich eine schier nicht enden wollende Vorlesung zu Gemüte führten. Waren die in Präsenz auch immer so lang? Zuhause sitzend ist der Fokus ein anderer, mehr auf das Inhaltliche. Wobei öfter auffällt, dass man manche Sachverhalte auch einfacher oder kompakter beispielsweise in einem Video erklären könnte, das mehr zeigt als einen verpixelten Dozierenden und schwer leserliche Handschrift auf der Dokumentenkamera. Das Flüstern mit den Nachbarn, das Flirten und das gemeinsame lockere Gespräch über Gehörtes im Anschluss in der Mensa fehlen sehr. Vor allem, wenn auf die lange Online-Vorlesung drei weitere folgen und die Augen sich nur noch widerwillig auf den Bildschirm ausrichten lassen wollen.
Projekte und Ideen der Digital Change Maker
Wir als DCM haben in dieser Zeit über Formate wie die “Happy Hour” aber auch die Interviewreihe Wintersemester is coming und einen Beitrag beim University:Future Festival zu einem Austausch angeregt. Denn genau darin besteht die Aufgabe der deutschlandweit ausgewählten jungen Erwachsenen unseres DCM-Jahrgangs: gemeinsam die Studierendenperspektive einfangen, in die Umgestaltungen der Hochschulen hineintragen und gewinnbringende Änderungen vorantreiben. Wir rufen dazu auf, sich nicht auf bestehenden Strukturen auszuruhen, sondern Neues und Langfristiges in Angriff zu nehmen. Und so hoffen wir, dass auch einige der vielen Ideen, z.B. wie das Campusleben neben den physischen Treffen um ein Online-Angebot ergänzt werden kann, weiterhin bestehen werden. Sei es für Auslandsstudierende für eine Kontakt-Aufrechterhaltung nach dem Auslandssemester, für ein barrierefreies Treffen oder Studierende mit Kind.
Dass ohne körperliche Präsenz etwas fehlt, musste auch der neuen DCM-Jahrgang feststellen, der im Oktober 2020 seine deutschlandweite Zusammenarbeit komplett digital begonnen hat. Für das socializing Event am Abend nimmt man sich eben lieber offline Zeit, um all das zu besprechen, was man während des offiziellen Programms von den Nebensitzenden erfahren wollte. Online sind das vielleicht Gesprächsimpulse aus einer Speed-Dating-Runde in Teilgruppensitzungen, denen man nachgehen möchte. Nach mehreren Stunden am PC lockt jedoch auch der digitale Detox beispielsweise draußen an der frischen Luft.
Vorsprung durch ein neues Lernverständnis
Die Corona-Pandemie wurde unter anderem im Bildungsbereich als Disruptor, Beschleuniger und Brennglas bezeichnet. Alle drei Aspekte zeigen die Schwächen des aktuellen Bildungsangebotes auf. Nicht nur Studierende von Fern-Universitäten erleben aktuell digitalen Unterricht aus der Distanz. Die Universitäten mit Vorerfahrung im asynchronen Lernen, hatten dabei den anderen während der coronabedingten Hochschulschließungen einen gewissen Vorsprung. Die einen verbringen Stunden in Video-Calls oder müssen sich online Vorlesungsvideos ansehen, die eins zu eins ins Digitale übertragen wurden. Die anderen haben unterschiedliche Lernressourcen mit klar definierten Modulzielen zur Verfügung. Der Lernprozess wird von den Studierenden weitgehend selbst gesteuert. Zudem sind Betreuer*innen es gewöhnt, schnell auf digitale Nachfragen einzugehen oder kurzfristig einen Gesprächstermin anzubieten. Das lässt organisatorische Freiheiten, die beispielsweise ein berufsbegleitendes Studium oder die parallel laufende Erziehungsarbeit erleichtern.
Synergien zwischen Online- und Präsenzlernen
Jedoch konnten in Zeiten der Kontaktbeschränkung auch viele persönlich feststellen, dass selbst eine gute digitale Struktur die soziale Präsenz in einem Miteinander vor Ort nicht ersetzen kann. In bereits vor Corona etablierten Online-Studiengängen und Weiterbildungsprogrammen wird ein – wenn auch kleiner – Präsenzanteil empfohlen, der sich motivationssteigernd auf den Lernerfolg auswirkt. Dieser Empfehlung folgt auch die FernUniversität Hagen, die im Laufe eines Studiums, den Besuch mindestens einer Präsenzveranstaltung in einem der Lernzentren einfordert. Dadurch kann das größtenteils virtuell stattfindende Studium realer werden und Form annehmen. Wie etwa durch die physische Begegnung mit den Kommiliton*innen, die in den Kaffeepausen interessiert zu ihren Erfahrungswerten befragt werden und gemeinsam innovative Ideen entwickeln können. Mit dem Austausch von Wissen und der Weitergabe von Kompetenzen zwischen den Studierenden, könnten ganze Wochenenden oder separate Veranstaltungen gefüllt werden.
Ressourcenorientiertes Lernen
Leider ist dies aktuell im Rahmen von durchschnittlichen Master- oder Bachelor-Studiengänge noch nicht vorgesehen. Wenn wir uns für die Zukunft der Bildung etwas wünschen dürften, dann wäre es ein bewussterer Umgang mit Ressourcen. Auch mit den Ressourcen, die jede und jeder Einzelne mit in die Lerngemeinschaft bringt. Ob digital oder analog, sollten Räume geschaffen werden, in denen Peer-Learning unterstützt und ermöglicht wird. Vor allem im problembasierten Lernen und in der Projektarbeit, können unterschiedliche Talente zur Geltung kommen und Kooperation als einer der vier zentralen 21st Skills (Critical thinking, Creativity, Collaboration, Communication) gelernt und auch gelebt werden.
Zur Zukunftsvision der Hochschule im Jahr 2038 arbeitet die Vision AG der DigitalChangeMaker aktuell an einem Video, das im Laufe des Jahres veröffentlicht wird und eine Debatte über eine gemeinsame Vorstellung der Bildung in der Zukunft ausgelöst werden soll. Aus studentischer Sicht haben wir dazu schon einige Ideen. Jetzt fragen wir uns auch: Was wünschen sich Dozierende und Mitarbeitende? Lasst uns einen Diskurs über ressourcenorientiertes Lernen starten und die Erkenntnisse in die Zeit nach Corona mitnehmen.