Digitale Campuskultur: Bedürfnisorientiertes Remote Learning an der Universität Karlstad

Digitale Campuskultur: Bedürfnisorientiertes Remote Learning an der Universität Karlstad

17.03.21

Picture 3: Keep up with Kau, an interactive tool to help students better grasp what distance studies entail and what kind of support is offered by the University

Viele von uns blicken jetzt auf ein Jahr digitales Lernen und Lehren im Hochschulbereich zurück und es ist an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Welche Lehrformen funktionieren und wie geht es den Studierenden? Diesen Monat konzentrieren wir uns auf die digitale Campuskultur. Die Universität Karlstad (Schweden) hat eine Methode entwickelt, um die Bedürfnisse von Studierenden im Remote Learning zu identifizieren und die Erkenntnisse daraus zum Ausgangspunkt für Weiterentwicklung zu machen. Den Text im englischen Original finden Sie hier.

Im Jahr 2014 begann die Universität Karlstad mit der Implementierung von „Follow a…“ – einer von der Universität entwickelten Methode zur Organisationsentwicklung, die auf Service-Design-Methoden basiert. Der Zweck der Durchführung von Projekten mit dieser Methode ist es, eine umfassende Vorstellung von der Benutzererfahrung in verschiedenen Prozessen zu bekommen, indem der Benutzer in den Mittelpunkt gestellt und das Gesamtbild betrachtet wird. Die Erkenntnisse können dann für Modifikationen genutzt werden, die die Bedürfnisse und den Kontext des Nutzers berücksichtigen. Die „Follow a…“-Methode wurde u.a. eingesetzt, um Studierende, Lehrkräfte, Verwaltungsmitarbeiter*innen, neue Mitarbeiter*innen, Doktorand*innen und Studierende im Rahmen der „Widening Participation“ zu begleiten. Sowohl Vinnova als auch der Schwedische Rat für Hochschulbildung haben Studien finanziert, die auf der „Follow a…“-Methode basieren.

Im Frühjahr 2020 führte Rethink:KAU das Projekt „Follow a Distance Student“ durch, bei dem wir 30 Studenten fünf Wochen lang während ihres Fernstudiums begleitet haben.

Methode

Ausgangspunkt der Methode ist es, die zu untersuchende Gruppe zu definieren und die Individuen zu finden. Ein paar Wochen lang lassen wir die Studierenden ihre Erfahrungen in einem digitalen Tagebuch festhalten. Anschließend führen wir ein ausführliches Interview durch, um ein besseres Verständnis von ihren Erfahrungen zu bekommen.

Bevor wir versuchen, herauszufinden, was die Studierenden brauchen, erstellen wir eine Illustration, um die Erfahrungen auf Gruppenebene zu visualisieren. Wir verwenden diese Illustration als Input für einen Workshop, in dem Studierende und Mitarbeitende die Bedürfnisse der Studierenden identifizieren. Wir setzen diesen Workshop fort, indem wir gemeinsam eine große Anzahl von Ideen generieren, wie diese Bedürfnisse erfüllt werden können.

In der anschließenden agilen Entwicklung erstellen wir Konzepte, Prototypen und neue Prozesse oder Produkte, die wir immer wieder mit den Studierenden testen. Die Tests sind für uns sehr wichtig bei der Überprüfung und Verbesserung der Entwicklung.

Wenn wir ein Produkt haben, von dem wir wissen, dass es die Bedürfnisse der Studierenden erfüllt, wird es als Service für alle Studierenden eingeführt. Zum Schluss müssen wir noch erwähnen, wie wichtig es ist, die Leute einzubeziehen, die den Service nach dem Ende des Projekts wahrnehmen.

Die 4 Phasen der Follow a ... Methode grafisch erklärt

Die Ergebnisse: Drei einflussreiche Bereiche

Die Erfahrungen der Studierenden, die in „Follow a Distance Student“ aufgezeichnet wurden, zeigten schnell drei Bereiche auf, die sich auf die Fähigkeit der Studierenden auswirkten, ihr Studium abzuschließen: „Sich allein fühlen“, „Einsatz von Technologie“ und „Remote Learning verstehen“.

Sich allein fühlen

Die Erfahrungen der Studierenden zeigen, dass sie sich auf verschiedene Weise allein fühlen. Ein Aspekt ist das Fehlen eines sozialen Kontextes, ein anderer das Gefühl, im Studium isoliert zu sein, ohne die Möglichkeit, Gedanken und Ideen von Kommiliton*innen zu erfahren.

„Als Studierender im Remote Learning sind die Kommiliton*innen so wichtig. Wenn ich nicht die Verbindung zu ihnen gehabt hätte, wäre ich die meiste Zeit allein zu Hause gewesen, ohne jemanden, mit dem ich Dinge hätte besprechen können. Das hätte sich negativ auf meine Leistung ausgewirkt.“

Eine andere Form des Gefühls des Alleinseins bezieht sich auf die Lehrenden. Studierende im Remote Learning sagen, dass Lehrenden dazu neigen, Vorlesungen oder andere digitale Treffen mit der Frage zu beenden: „Gibt es noch Fragen?“. Die Studierenden fühlen sich nicht immer wohl dabei, Fragen vor der Klasse zu stellen, so dass oft die E-Mail als einzige Möglichkeit der Kommunikation mit dem Lehrenden bleibt. Nicht zu wissen, wann sie eine Antwort auf ihre Frage erwarten können, kann bei den Studierenden Gefühle des Alleinseins auslösen.

Technologie 

Die Erfahrungen der Studierenden enthüllten einen weiteren wichtigen Faktor für den Abschluss des Studiums, und das war die Technologie für das Remote Learning. Die Erfahrung wird von mehreren Faktoren beeinflusst, wie z. B. dem Einsatz der Technologie durch den Lehrenden, dem pädagogischen Zweck hinter der Technologieauswahl und den digitalen Fähigkeiten des/der Lehrenden. Die Studierenden sagen, dass, wenn eine Lehrkraft im Umgang mit der Technologie unsicher zu sein scheint, dies das allgemeine Vertrauen der Studierenden in das Wissen der Lehrkraft in diesem Fachgebiet beeinträchtigt.

„Die Lehrkraft ist nicht digital versiert. Der Kurs macht Spaß, aber es ist frustrierend, wenn man nicht in der Lage ist, die Komponenten voll auszunutzen.“

Die Studierenden sagen auch, dass das Verständnis des Layouts und der Struktur der Lernplattform Canvas ein wichtiger Faktor ist. Die Sorge, Lernmaterialien oder Informationen über wichtige Termine zu verpassen, ist eine Quelle von Stress und das Ergebnis der unterschiedlichen Nutzung der Canvas-Strukturen durch die einzelnen Dozent*innen.

„Ich denke, dass das Remote-Format besonders stressig ist. Man ist mehr darauf angewiesen, alles sofort zu finden und keine Infos zu verpassen. Ich kann einfach nicht sicher sein, dass ich den Überblick behalte.“

Viele Studierende berichten auch von negativen Erfahrungen, die aus Stress im Zusammenhang mit den Kommunikationsmitteln resultieren. Verschiedene Gruppen nutzen unterschiedliche digitale Kommunikationsmittel, was ebenfalls Stress und die Sorge hervorruft, möglicherweise Informationen zu verpassen.

„Eine Sache, die mir in den Sinn kommt, ist, dass wir verschiedene Kommunikationstools verwenden, je nachdem, in welcher Gruppe wir sind. Normalerweise ist es Skype oder WhatsApp zusammen mit Google Drive. Es kann verwirrend sein, wenn man versucht, sich zu merken, welche Gruppe wo kommuniziert.“

Remote Learning verstehen

Die Universität bietet verschiedene Formen des Remote Learnings an, und die Struktur und Anforderungen, die mit den Kursen verbunden sind, sind den Studierenden nicht immer klar. Einige Kurse haben eine Anwesenheitspflicht an bestimmten Tagen oder verpflichtende Gruppenprojekte. Die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Studierenden und der Kursstruktur ist eine Quelle für Frustration und negative Erfahrungen.

„Einer der vielen Vorteile des Remote Learnings ist die Flexibilität. Für mich bedeutet das, dass ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen kann. Allerdings kann die Flexibilität auch zu Konflikten führen. Es gibt eine Person in meiner Gruppe, die sich abends treffen möchte, weil sie einen Vollzeitjob hat, während ich meine Kursarbeit tagsüber erledigen möchte.“

Visualisierte Erfahrungen der Studierenden als Zitate

Bedürfnisse und Ideen

Basierend auf diesen Erfahrungen haben Studierende und Mitarbeitende gemeinsam die dargestellten Bedürfnisse identifiziert und Ideen entwickelt, wie der Fernunterricht an der Universität Karlstad entwickelt werden kann.

Beispiele für im Projekt identifizierte Bedürfnisse:

  • Wenn ich Schwierigkeiten habe, die richtigen Dokumente oder Anweisungen für Aufgaben zu finden…
    …brauche ich mehr Struktur, Klarheit und Zusammenhalt von Kurs zu Kurs auf Canvas. 
  • Wenn ich mir nicht sicher bin, wie die Prüfung durchgeführt wird…
    … brauche ich mehr Struktur und Informationen über On-Campus- und At-Home-Prüfungen und deren Durchführung, sowie Gruppendiskussionen über verschiedene Interpretationen.
  • Wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit jemandem reden muss (Berater/Studierendenbetreuung)…
    …muss ich das Gefühl haben, dass ich die gleichen/ähnlichen Möglichkeiten habe wie in Präsenz. 

Beispiele für Ideen, die entstanden sind:  

  • Kurse zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls und der Verbindung zwischen Studierenden
  • Die Möglichkeit von persönlichen Treffen 
  • Verbesserung des Standards, um Lehrerenden zu helfen, technisch versierter zu werden! 
  • Eine gemeinsame Grundstruktur auf Canvas 
  • Entwicklung von Fähigkeiten, um Dozent*innen in der Ausbildung mit Remote Teaching zu helfen
  • Mehr Pädagogik Training speziell für Lehrerende im Remote Teaching
  • Eine umfassendere Einarbeitung – Einführung in die Programme, die Universität und die den Studierenden zur Verfügung stehenden Ressourcen 
  • Synchroner und asynchroner Unterricht, die sich gegenseitig ergänzen

Ergebnisse

Im Herbst 2020 konzentrierte sich das Projekt auf zwei Entwicklungsschienen für das Remote Learning Format, die auf den Erfahrungen und Bedürfnissen der Studierenden sowie auf den generierten Ideen basieren.

Die erste Schiene ist Keep up with Kau – Distance (Koll på Kau – Distans), ein interaktives Tool, das den Studierenden helfen soll, besser zu verstehen, was Remote Learning mit sich bringt und welche Art von Unterstützung von der Universität angeboten wird, sowohl in Bezug auf das Studium als auch auf die Gemeinschaft. Die Inhalte von Keep up with Kau – Distance sind in sechs Bereiche unterteilt, die auf der Grundlage der Erfahrungen und Bedürfnisse der Studierenden in Bezug auf das Gefühl des Alleinseins, die Nutzung von Technologien und das Verständnis des Fernstudiums erstellt wurden.

Der Bereich „Remote Learning“ zielt darauf ab, die Studierenden darüber zu informieren, dass die Universität verschiedene Arten von Remote Learning anbietet, die alle ihre eigenen Anforderungen und Strukturen haben. Die Ermutigung der Studierenden, herauszufinden, was ihr Kurs beinhaltet, ist ein wichtiger Teil davon. Dadurch wird sichergestellt, dass die Erwartungen der Studierenden mit der Struktur ihres Studiums übereinstimmen.

Der Bereich „Digitale Werkzeuge“ soll klären, mit welchen IT-Diensten die Studierenden zu Beginn des Studiums vertraut sein müssen, und sie über die Arten der digitalen Unterstützung informieren.

Der Bereich „On-Campus Meetings“ soll das Wesen und die praktischen Komponenten eines persönlichen Treffens beschreiben. Außerdem soll der Wert der Teilnahme und die Möglichkeit, Kommiliton*innen und Dozent*innen zu treffen, hervorgehoben werden, um Gefühle der Isolation zu vermeiden.

Die Bereiche „Student Health Services“, „Study and Career Guidance“ und „University Library“ konzentrieren sich auf Informationen über verschiedene Formen der Unterstützung, einschließlich derjenigen, die sowohl für Studierende im Remote Learning als auch für Studierende auf dem Campus verfügbar sind.

Das Tool ermöglicht es den Benutzer*innen, durch kurze Videos und Texte zu blättern, um mehr über die an der Universität verfügbare Unterstützung und Hilfe herauszufinden. Keep up with Kau – Distance wurde auf der Website der Universität, www.kau.se, in Verbindung mit den Zulassungen für das Frühjahrssemester 2021 gestartet. 

Screenshot des Tools der Universität, Menüpunkte und Videofenster mit Studentin, die Informationen gibt

Die andere Entwicklungsschiene, für die wir uns entschieden haben, ist ein Paket zur Entwicklung professioneller Fähigkeiten, das Kurzworkshops und begrenzte Kurse umfasst. Der Zweck ist es, die didaktischen Fähigkeiten der Lehrkräfte in Bezug auf Remote Teaching und geeignete Technologie zu stärken. Das Paket basiert auf den Erfahrungen und Bedürfnissen der Studierenden und ist seit Herbst 2020 im Angebot des Zentrums für Lehren und Lernen für Lehrende der Universität enthalten. Die verschiedenen Workshops sind deutlich mit den drei Bereichen der studentischen Erfahrung verbunden und betonen die Bedeutung der Ermöglichung sozialer Beziehungen, klarer Übersichten und der Schulung in digitalen Werkzeugen, die für das Remote Learning verwendet werden. 

Die Workshops finden ein- bis zweimal im Monat auf Zoom statt. Die Workshops werden im Intranet-Kalender der Universität angekündigt, dauern nicht länger als eine Stunde und erfordern keine vorherige Anmeldung – alles, um die Teilnahme für die Lehrkräfte so einfach wie möglich zu gestalten. 

Die folgenden Workshops wurden erstellt:

  • Praktischer Online-Unterricht und wie man ihn auf Canvas durchführt
  • Durchführen von Fernprüfungen
  • Quiz auf Canvas – Ideen in die Praxis umsetzen
  • Planung, Durchführung und Nachbereitung von individuellen schriftlichen Take-Home-Prüfungen
  • Die Stimme als Werkzeug in Vorlesungen, sowohl online als auch auf dem Campus
  • Einführung in Padlet
  • Screencast-O-Matic
  • Große Gruppen auf Zoom

Zusätzlich zu den Workshops haben wir unsere Aktivitäten im Kurs „Offenes Vernetztes Lernen“ verstärkt, einem internationalen webbasierten Kurs über Online-Unterricht. Mit seinem innovativen Layout konzentriert sich der Kurs auf problemorientiertes Lernen (PBL) in kleinen Gruppen von sechs bis acht Lehrenden. Den PBL-Gruppen stehen zwei Supervisor*innen zur Seite, die die Teilnehmer durch den Lernprozess leiten. Eine ausführlichere Beschreibung des Kurses wird später in diesem Jahr in Professor Stefan Hrastinskis Sammelband mit dem Titel „Designing Courses with Digital Technologies – Insights and Examples from Higher Education“ veröffentlicht. 

Das Kompetenzentwicklungspaket wurde von den Lehrkräften sehr gut angenommen, wie dieses Feedback zeigt:

„Vielen Dank an alle, die das Lehrpersonal in diesem Herbst bei unseren Bemühungen unterstützt haben, besser in der digitalen Lehre zu werden! Zu Beginn des Semesters bekam mein Fachbereich einen Crashkurs, wie man die Struktur von Canvas verdeutlicht und wie man nachhaltiges Lernen für Studierende und Lehrende schafft. Zusätzlich habe ich mehrmals Hilfe über Keep on Teaching sowie Padlet-Anleitungen erhalten. Für meinen Kurs habe ich den Vorschlag für wöchentliche Informationen auf Canvas genutzt, um die Kommunikation klarer zu gestalten. Außerdem habe ich Mentimeter-Übungen, die Nutzung von Padlet und verschiedene Übungen für den Breakout Room in meine Arbeit mit den Studierenden eingebaut. In den Kursbewertungen der Studierenden wurde die Interaktivität als ein wichtiger Bestandteil eines lohnenden Kurses hervorgehoben.“

Fakten über die Universität Karlstad

Die Universität Karlstad wurde 1999 gegründet, aber höhere Bildung gibt es in Karlstad schon seit 1843 mit der Lehrerausbildung. Heute besuchen jedes Jahr 16.000 Studierende die Universität, die mittlerweile 1300 Mitarbeiter und 250 Doktorand*innen zählt. Die Hauptaufgabe der Universität Karlstad ist es, im regen Austausch mit Stakeholdern im Hochschulkontext und darüber hinaus, Studierende auszubilden und Forschung zu betreiben. Die Universität arbeitet auf angewandte Wissenschaft, eine experimentelle Haltung und Demokratieentwicklung hin. Sie bietet 30 Programme auf Masterebene und 50 Programme auf Bachelor-Ebene an. Die stärksten Programme sind in den Bereichen Lehrerbildung, Gesundheit, Technik und Wirtschaft angesiedelt. In der Forschung ist die Universität u.a. in den Bereichen Dienstleistungsforschung und Informatik führend. Mehr über die Karlstad Universität finden Sie hier.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert