Hey ChatGPT, kannst du mir helfen?
Hey ChatGPT, kannst du mir helfen?
05.12.23Im vergangenen Jahr wurde viel über die Chancen und Risiken der Nutzung von ChatGPT im Studium diskutiert. Die studentische Perspektive kam dabei zu kurz. Stattdessen wurde Studierenden häufig nur mangelndes Reflexionsvermögen, Faulheit und ein ausgeprägter Hang zum Schummeln vorgeworfen. Aber steht es wirklich so schlimm um die heutigen Studierenden? Der Gastbeitrag von Timucin Cicek, Tobias Seidl und Cornelia Vonhof (Hochschule der Medien Stuttgart) gibt dazu einen interessanten Einblick. Es zeigt sich: Studierende haben einen sehr differenzierten Blick auf die Nutzung von KI-Tools.
Chancen und Risiken der Nutzung von ChatGPT & CO im Studium aus studentischer Sicht
Die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) hat die Türen zur faszinierenden Welt der KI-Tools geöffnet. Seit der Veröffentlichung von ChatGPT im Herbst 2022, wurde viel über Gefahren, Potenziale und Regelungsbedarf im Hinblick auf KI-Tools an Hochschulen diskutiert. Eine Perspektive kam dabei aber immer etwas zu kurz – die der Studierenden.
Deshalb wurde im Sommersemester 2023 an der Hochschule der Medien Stuttgart ein interdisziplinäres Lehrprojekt durchgeführt, in dem Studierende und Lehrende gemeinsam die studentische Nutzung von und Perspektiven auf ChatGPT und Co empirisch erhoben haben. Knapp 12 % (N=652) der Studierenden der Hochschule nahmen an der Befragung teil. Dabei zeigte sich, dass 99 % der Befragten bereits KI-Tools nutzen. Über 50 % setzen sie täglich oder mehrmals pro Woche für das Studium ein (Gottschling, Seidl & Vonhof, im Review). Neben der Nutzungspraxis geben die Ergebnisse auch Einblicke in die Chancen und Risiken, die die Studierenden in und durch die Nutzung sehen. Genau diese Bewertung und Reflexion steht im Mittelpunkt dieses Blogbeitrags.
Chancen und Risiken aus Sicht der Studierenden
Die Chancen und Risiken wurden jeweils mittels einer offenen Frage (“Welche Chancen bzw. Risiken siehst Du bei der Nutzung von KI-Tools in der Hochschule?“) erfragt. Insgesamt waren die Anzahl der Nennungen bei den Chancen und Risiken vergleichbar hoch. Die Antworten wurden von einer studentischen Arbeitsgruppe (Timo Bihlmaier, Timucin Cicek, Anna Hoch) codiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Welche Chancen sehen die befragten Studierenden?
70 % der vergebenen Codes im Bereich der Chancen ließen sich der Oberkategorie “Leistungsverbesserung” zuordnen. Diese verteilen sich auf insgesamt fünf Subkategorien (vgl. Abb.):
1.1 Zeitersparnis/Effizienz/Produktivität: Um schneller zu Ergebnissen zu gelangen, gaben die Studierenden an, KI-Tools gezielt als Werkzeuge zur Zeitersparnis einzusetzen. Dadurch steigern sie ihrer Meinung nach ihre Effizienz und Produktivität im Hochschulalltag. Dies verdeutlichen u.a. folgende Zitate: „Man kann in kürzester Zeit mit den richtigen Promts [sic!] und den richtigen Tools deutlich bessere Ergebnisse erzielen. Was für den späteren Beruf super wichtig ist“, oder „Zeitersparnis, bessere Hausarbeiten durch stringente Gliederungen/keine Redundanzen/bessere Grammatik/umfassendere Recherche“.
1.2 Lern- und Arbeitsunterstützung: Hier wurde die Nutzung von KI-Tools als persönliche Lernassistenten als große Chance genannt. Die Studierenden nutzen KI-Tools beispielsweise, um komplexe Sachverhalte individuell aufzubereiten, sich nochmals erklären zu lassen, oder um Fehler in Programmiercodes zu finden.
1.3 Inspiration/Kreativitätsförderung: Studierende nannten KI-Tools auch als Inspirationsquelle. Insbesondere durch generative KI-Tools wie ChatGPT eröffnen sich nach Einschätzung der Studierenden bei textbasierten Projekten weitere Blickwinkel auf ein Thema. Dabei werden KI-Tools auch genutzt, um ein Grundgerüst für Schreibprojekte zu entwerfen.
1.4 Qualitätsverbesserung: Durch die zuvor aufgezeigten neuen Perspektiven oder Fehlerverbesserungen sehen die Studierenden die Chance der deutlichen Qualitätssteigerung ihrer Arbeiten.
Welche Risiken sehen die befragten Studierenden:
Studierende gehen keineswegs naiv mit KI-Tools um, sondern sehen eine ganze Reihe von Risiken. Vier Oberkategorein dominieren den Bereich der Risiken:
- Kompetenzverlust (35 % der Codes) Studierende hegen die Befürchtung, dass ihre Kompetenzen möglicherweise nicht ausreichend entwickelt werden, wenn sie sich zu stark auf die automatisierten Prozesse von KI-Tools verlassen.
- Rechtliche Bedenken (18 % der Codes): Studierende äußern Bedenken und Unsicherheit beim korrekten Einsatz von KI-Tools in ihrem Studienalltag. Eine befragte Person brachte dies auf den Punkt und betonte: „Urheberrechtliche Grauzone durch generieren von Inhalten, welche aus vielleicht urheberrechtlich geschützten Datensätzen kommen”.
- Desinformationen (14 % der Codes): Hier besteht die Befürchtung, dass sich Nutzende auf die oftmals fehlerhaften Quellen von generativen KI-Tools verlassen.
- Abhängigkeit und Faulheit (9 % der Codes): In dieser Kategorie äußerten Studierende: „Man wird faul, denkt es geht so schneller”. Sie befürchten, dass eine Art Abhängigkeit von KI-Tools entstehen könnte, die mit dem Verlust von Kompetenzen einhergehen würde.
Die Oberkategorie “Kompetenzverlust“ (35 % der Codes bei Risiken) umfasst vier Subkategorien (vgl. Abb.):
1.1 Kompetenzverlust (allg.): Über die Hälfte der Codes erfasst das Risiko eines allgemeinen Kompetenzverlusts, der allerdings in den meisten Fällen nicht näher konkretisiert wurde. Die Befürchtungen der Studierenden wurden hier sehr allgemein formuliert und äußern sich in Aussagen wie: “Es wird Fälle geben, in denen Studenten sich zu sehr auf die Fähigkeiten einer KI verlassen und dadurch möglicherweise weniger lernen.“ Oder: „Studierende könnten ‘verlernen’ richtig Dinge zu lernen.“
1.2 Eigenständiges Denken: Diese Subkategorie beschreibt die Sorge der Studierenden um den Schwund der individuellen Denkfähigkeiten. So drückt etwa eine befragte Person ihre Befürchtungen so aus: „Das eigenständige Denken & die Meinungsbildung werden unheimlich beschränkt. Kritisches Hinterfragen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen werden deutlich oberflächlicher.“
1.3 Kreativität und Innovation: Studierende äußerten die Sorge, dass Kreativität und Innovationsfähigkeit durch die übermäßige Nutzung von KI-Tools beeinträchtigt werden könnten. Beispielhaft sind dabei Aussagen wie: „Dass welche sich nur noch darauf verlassen und das Wissen sich nicht mehr durch Menschen weiter entwickeln kann. Länder mit höherer Bildung und Innovation und Forschung und Entwicklung irgendwann dramatisch stürzt. […]“
Welche Relevanz haben diese Ergebnisse für die Lehre?
Die Ergebnisse zeigen, dass die Studierenden einen sehr differenzierten Blick auf die Chancen und Risiken der Nutzung von KI-Tools haben. Die Aussagen zu den Chancen und Risiken halten sich die Waage. Zudem erkennen die Studierenden klar, dass die KI-Nutzung den Hochschulalltag verändern wird. Beispielhaft ist etwa die folgende Aussage: „Wenn KI-Tools noch besser werden, könnte der Lernprozess sich grundlegend verändern, da nicht mehr das eigene Wissen, sondern das Nutzen der KI die Ergebnisse liefert. Das könnte Prüfungen deutlich schwerer machen und somit das Nutzen von KI verpflichtend machen.“ Zudem zeigt sich aber auch, dass die Einschätzung in einigen Bereichen polarisiert: So wird etwa die Wirkung auf Kreativität ganz unterschiedlich bewertet. Einige Studierende sehen darin neue Möglichkeiten für kreatives Schaffen, während andere befürchten, dass ihre eigenen kreativen Fähigkeiten verkümmern werden. Diese Polarisierung spiegelt sich auch in der Bewertung möglicher Effizienzgewinne einerseits, gegenüber dem möglichen Verlust eigener Kompetenzen andererseits wider.
Aus einer vertieften Betrachtung der Chancen und Risiken aus Sicht der Studierenden lassen sich drei Aufträge an uns als Lehrende und Hochschul-Gestaltende ableiten:
- Die gemeinsame Diskussion über die Auswirkungen von KI auf den Alltag, einschließlich des Hochschullebens, ist von großer Bedeutung. Hierbei sollten Lehrende und Studierende regelmäßig ins Gespräch kommen und dabei nicht nur die Chancen und Risiken, sondern auch die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen von KI-Technologien beleuchten. Dies fördert ein vertieftes Verständnis und ermöglicht den Studierenden, fundierte Entscheidungen im Umgang mit KI-Tools zu treffen. Zudem sollte die Frage, was der KI-Einsatz für eigene Lern- und Kompetenzentwicklungsprozesse bedeutete, offensiv adressiert werden. Der Elefant ist in jeder Veranstaltung im Raum. Auch wenn die weitere Entwicklung dieser Technologie noch unklar und unsere eigenen Kompetenzen und Erfahrungen im Umgang damit ggf. noch wenig ausgeprägt sind, können und sollten Lehrende das Thema nicht ignorieren.
- Bei der Initiierung und Evaluation von Veränderungen in der Lehr-/Lernkultur sollten Lehrende und Studierende gemeinsam innovative Lehrmethoden entwickeln, die die Vorteile von KI-Tools nutzen, ohne die kreativen und kritischen Denkfähigkeiten der Studierenden zu vernachlässigen. Dies könnte bedeuten, dass KI-Tools als unterstützende Ressourcen verwendet werden, um individuelles Lernen zu fördern, anstatt traditionelle Lehransätze 1:1 zu ersetzen. Die Ergebnisse sollten kontinuierlich ausgewertet werden, um sicherzustellen, dass die Hochschulbildung weiterhin den Bedürfnissen und Erwartungen der Studierenden gerecht wird.
- Transparenz in Bezug auf Entscheidungen im Umgang mit KI an der Hochschule ist essenziell. Lehrende sollten die Gründe für ihre Regelungen zum Einsatz von KI-Tools in Lehrveranstaltungen und Prüfungen offenlegen. Dies trägt dazu bei, Bedenken hinsichtlich Fairness und Gerechtigkeit auszuräumen und das Vertrauen der Studierenden in den Umgang mit KI-Technologien zu stärken. Die differenzierte Wahrnehmung der Risiken durch die Studierenden – insbesondere im Hinblick auf den eigenen Kompetenzverlust – lässt hoffen, dass zugleich auch Verständnis für begründete Einschränkungen oder Verbote der Nutzung geschaffen werden kann.
Literatur:
Gottschling, Steffen; Seidl, Tobias; Vonhof, Cornelia (2023): Nutzung von KI-Tools durch Studierende. Eine exemplarische Untersuchung studentischer Nutzungsszenarien. In: Die Hochschullehre (im Review).