Digitalisierung als Bottom-Up-Prozess

Digitalisierung als Bottom-Up-Prozess

22.08.19

VIele Menschen unterhalten sich vor Pinnwänden

Barcamps, Unconferences, Hackathons, Open Spaces – partizipative Formate sind in aller Munde, wenn es darum geht, im Bildungsbereich Freiräume für Innovationen zu schaffen. Doch wie können Hochschulen derartige Formate für die eigene Weiterentwicklung nutzen und Innovation als Bottom-Up-Prozess fördern? Am Beispiel eines «Open Spaces» im Rahmen der Auftaktveranstaltung für «ZHAW digital», der strategischen Initiative für digitale Transformation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), geht Benjamin Eugster dieser Frage auf den Grund.

Das Publikum erwartet den nächsten 30-Sekunden-Pitch

Partizipation und digitale Lehr- und Lerninnovationen

In der E-Learning-Community sind partizipative Formate weit verbreitet, da sie den Austausch und die Zusammenarbeit zu konkreten Lehr- und Lerninnovationen aus den unterschiedlichsten Perspektiven ermöglichen. Dies kann auf einer hochschulübergreifenden Ebene, im Rahmen von informellen Arbeitsgruppen innerhalb des Kollegiums, aber auch in projektspezifischen Userworkshops geschehen. So sind mir beispielsweise aus den Moodle-Fachkreisen die MoodleMoot bekannt, die jährlich als BarCamp veranstaltet werden. Abseits von frontaler Vermittlung in Vorträgen und der monatelangen Planung in Programmheften, ermöglicht es dieses Format allen Teilnehmenden, aktuelle Themen spontan aufzubringen und diese anschliessend in parallelen Diskussionsrunden von Interessierten zu besprechen. Auf Ebene der innovativen Lehrgestaltung gibt es selbst organisierte Initiativen, bei denen sich interessierte Dozierende zur Entwicklung ihrer eigenen digitalen Kompetenzen regelmässig zusammensetzen. An einem Institut der ZHAW können Dozierende beispielsweise im Rahmen des «Digitalen Bastelzimmer» ihre aktuellen Projekte einbringen und im selben Raum gemeinsam weitergestalten. Morgan Kavanagh, Dozent am Institut für Übersetzung und Dolmetschen, sieht das Ziel dieses darin, «digitale Kompetenztrainings gleichzeitig mit der Entwicklung von Kursen und Lehrplänen durchzuführen».

Aus der eigenen Projektarbeit bin ich vertraut mit der Durchführung von Userworkshops, die es erlauben zu digitalen Lehr- und Lernszenarien Inputs, Kritik und Anforderungen von den unterschiedlichen Anspruchsgruppen einzuholen. In der Regel sind es solche spezialisierte Fachpersonen, einzelne Dozierende oder Projektteams, die derartige Formate organisieren oder sich in die Diskussion einbringen. Wie kann man sich nun ein solches Format vorstellen, wenn alle Mitarbeitenden im Rahmen einer zentralen strategischen Massnahme einer Hochschule zur Teilnahme eingeladen werden?

 

Ein «grosser Knall» zum Start

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat in der Folge der Teilstrategie «Bildung und digitale Transformation» die strategische Initiative «ZHAW digital» ins Leben gerufen. Die Initiative «identifiziert, bündelt und unterstützt, was ZHAW Forschende, Dozierende und administrative Mitarbeitende in ihren Fachgebieten hinsichtlich Digitalisierung bereits leisten», wie der Scientific Director Thilo Stadelmann ausführt. »ZHAW digital» wurde im April sehr bewusst mit einem partizipativen Format eröffnet. Stadelmann beschreibt im Video zur Kick-Off-Veranstaltung die Initiative als lauten Knall, der den Startschuss für «ZHAW digital» geben und klare Signale aussenden soll. «Wir wollen das Thema Bottom-up angehen, im Sinne einer Grassroots-Bewegung», erklärt sein Kollege Daniel Baumann, Managing Director der strategischen Initiative.

Ich war durchaus positiv überrascht, als für den Auftakt ein «Open Space» angekündigt wurde. Per E-Mail wurden alle Mitarbeitenden zur Anmeldung aufgefordert und darum gebeten, Ideen vorzubereiten und eine Übersicht von bereits vorhandenen Projekten, Inhalten, Veranstaltungen und Netzwerken zur Veranstaltung mitzubringen. Je näher der Anlass rückte und spätestens als auch in unserem Team Ideen gesammelt wurden, kam bei uns Mitarbeitenden Neugier auf, welche Ideen von unseren Kolleg*innen aus der Lehre und Forschung wohl vorgebracht würden.

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Der Zeitplan war eng gestrickt: nach zwei kurzen Ansprachen lag die inhaltliche Gestaltung komplett beim Publikum. Zum Start des partizipativen Teils der Veranstaltung wurden auf einer meterlangen Pinwand Initiativen und Projekte gesammelt, die an der Hochschule bereits vorhanden oder in Planung sind. Das Themenspektrum reichte von E-Learning-Angeboten über Open Access Transformation bis hin zu Virtual Reality – unter den vielen Projekten fand sich auch das oben erwähnte «Digitale Bastelzimmer» wieder. Danach reihten sich etwa ein Viertel aller Teilnehmenden ein, um in jeweils 30-sekündigen Pitches ihre Ideen für neue Projekte dem gesamten Saal zu präsentieren. Anschliessend konnten diese Ideen in spontan gebildeten Gruppen auf einem Flipchart diskutiert und ausgearbeitet werden, bevor alle Teilnehmenden mit grünen Stickern Punkte für ihre Favoriten vergeben konnten.

Aus all den vorgeschlagenen Ideen sollten am Schluss fünf ausgewählt werden, deren Umsetzung im Rahmen der strategischen Initiative ermöglicht werden sollte. Zu den Vorschlägen mit den meisten Punkten gehörten eine attraktive und barrierefreie Gestaltung der E-Learning-Plattform Moodle und ein neues Studierenden-Portal. Ebenso fanden die Vorschläge eines «Hype-and-Trend-Labs» grossen Anklang, in dem neue Technologien erlebbar gemacht werden, eines Talent Pools für lebenslanges Lernen, einer Online-Studienberatung sowie eines Netzwerks zur Verbesserung digitaler Skills.

 

VIele Menschen unterhalten sich vor Pinnwänden

Herausforderungen der partizipativen Entwicklung

Entwicklungen an Hochschulen als partizipativen Prozess zu gestalten ist ein grosses Versprechen, das alle involvierten Personen der Institution fordert. Dessen war sich auch die Leitung von «ZHAW digital» bewusst. Dem Unterfangen, einen Open Space in drei Stunden durchzuführen, wurde von vielen Seiten bereits in der Planung mit einer gewissen Skepsis begegnet, so Baumann.  Umso erstaunter waren daher viele Beteiligte, welche Vielzahl an Themen sich in einer halben Stunde ergeben hat. Diese Effizienz und Ergebnisoffenheit seien zwei wesentliche Gründe dafür gewesen, weshalb ein Open Space anderen Formaten vorgezogen wurde. Es ging im Wesentlichen darum, das Commitment der treibenden Kräfte an der Hochschule abzuholen und die Mitarbeitenden in ihrer täglichen Mitgestaltung der digitalen Transformation zu unterstützen.

Das Verständnis, wie Innovationen in die Hochschule gebracht werden können, hat sich in den letzten 30 Jahre massgeblich gewandelt. Es handelt sich nicht mehr nur um einen Top-Down-Prozess, bei dem Infrastrukturen bereitgestellt werden und Multiplikator*innen die Innovationen in der Organisation verbreiten. Stattdessen zeigt sich ein Zusammenspiel auf allen Ebenen der Hochschule: Einerseits entstehen aus didaktischen und fachlichen Überlegungen konkrete neue Anforderungen an zentrale Dienstleistungen. Andererseits werden aktuelle Trends der Digitalisierung zwar nach wie vor an den dafür vorgesehenen Stellen gesammelt, jedoch gelangen sie vermehrt auch über Erwartungshaltungen von Studierenden in die Hochschule. In einem kürzlich veröffentlichten Beitrag von René Rahrt wurde auf diesem Blog deshalb «Mehr Mut zur Beteiligung von Studierenden und Mitarbeitenden» gefordert.

Am Beispiel der Kick-Off Veranstaltung für «ZHAW digital» sieht man, dass sich dieser Mut zumindest in der Ideensammlung bereits ausgezahlt hat. Auch für die weitere Planung zur Umsetzung der Projekte dürfte durch diese Signale klar sein, dass in dem weiteren Verlauf der Innovationsprozesse auch die Studierenden miteinbezogen werden sollen. So stand beispielsweise bei der neuen Gestaltung der Lernplattform Moodle schnell fest, dass zu diesem Prozess auch die Studierenden dazu gehören: «Um die Bedürfnisse der Studierenden und Dozierenden als zentrale Anspruchsgruppen zu berücksichtigen, müssen diese mit ins Boot geholt werden», so Wolfgang Hummel aus der Fachgruppe Blended Learning, der den Pitch für die Neugestaltung der Lernplattform gemacht hatte. Im Rahmen von Userworkshops sollen in den nächsten Monaten neben den Mitarbeitenden vor allem auch die Studierenden zu Wort kommen, welche die Plattform tagtäglich nutzen, bevor die technische Umsetzung mit der entsprechenden Expertise in Angriff genommen werden kann.

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