Peer-to-Peer-Strategieberatung – Interview mit Prof. Dr. Jost von der Hochschule RheinMain
Peer-to-Peer-Strategieberatung – Interview mit Prof. Dr. Jost von der Hochschule RheinMain
20.10.20Die Peer-to-Peer-Strategieberatung geht in die vierte Runde! Wir, Barbara Wagner, Lavinia Ionica und Anne Prill sind gemeinsam mit Experten*innen, den sogenannten Peers, von Nord nach Süd und von Ost nach West in Deutschland unterwegs, um den #DigitalTurn an den Hochschulen zu begleiten. Virtuell aber auch vor Ort beraten wir die sieben teilnehmenden Hochschulen zu ihren spezifischen Herausforderungen und Zielen. Dabei nehmen wir euch mit und zeigen die einzelnen Schritte und Phasen des Beratungsprozesses auf. Im Rahmen der Blogreihe „Peer-to-Peer-Strategieberatung – Driving the Digital Turn“ stellen wir euch die Hochschulen und den Beratungsprozess vor: Vom Kick-Off-Workshop über den Selbstbericht der Hochschulen, die Beratungstage, den Empfehlungsbericht der Peers, bis hin zum Action-Plan und der Abschlussveranstaltung nehmen wir euch mit. Neugierig geworden? Eine Beschreibung der Peer-to-Peer-Strategieberatung findet ihr auf dieser Seite, weiterführende Informationen im Allgemeine Leitfaden zur Peer-to-Peer-Strategieberatung.
Interview mit Prof. Dr. Christiane Jost
Für unseren ersten Blogbeitrag aus der Reihe „Peer-to-Peer-Strategieberatung – Driving the Digital Turn“ machen wir Halt in Wiesbaden Rüsselsheim und stellen euch die Hochschule RheinMain genauer vor. Sie ist eine der sieben teilnehmenden Hochchulen, die das HFD in der 4. Runde ihrer Peer-to-Peer-Strategieberatung begleitet. Im Zuge des Kick-Off-Meetings, das Anfang September stattfand, haben wir Prof. Dr. Christiane Jost, Vizepräsidentin Studium, Lehre und Internationales Hochschule RheinMain, um ein Interview gebeten. Wir wollten wissen, was sich die Hochschule RheinMain von der Beratung erwartet und mit welchen offenen Fragen sie in den Prozess starten. Die Interviewfragen stellte unsere Mitarbeiterin Sophie Michel.
Hochschulfroum Digitalisierung (Sophie Michel): Frau Jost, Sie sind Vizepräsidentin Studium und Lehre der Hochschule RheinMain, können Sie sich und Ihre Aufgaben an der HS RheinMain kurz vorstellen?
Prof. Dr. Christiane Jost: Gerne. Ich bin von Haus aus Wirtschaftswissenschaftlerin mit einem Diplom in Volkswirtschaftslehre, einem Master of Science in Mathematik und einer Promotion in Betriebswirtschaftslehre mit Spezialgebiet Versicherungsunternehmen. In meinem Berufsleben habe ich mich u.a. mit Risikomanagement, Controlling und Wirtschaftsprüfung befasst, was mir in meinem Amt als Vizepräsidentin der Hochschule RheinMain zu Gute kommt. In diesem Amt bin ich in der dritten Amtszeit und u.a. zuständig für alle Aspekte von Studium und Lehre einschließlich des Qualitätsmanagements, des Prüfungswesens und der Didaktik bzw. der didaktischen Weiterbildung. Bei uns gehört zur Didaktik auch die Unterstützung der digitalen Lehre. E-Learning Methoden sind für uns Teil eines umfassenden didaktischen „Methodenkoffers“. Insofern passt der Ressortzuschnitt, gerade in Corona-Zeiten, auch zu meinem Ressort Internationalisierung, das sowohl die Mobilität aller Statusgruppen als auch die Internationalisierung Zuhause in den Blick nimmt. Dort sind Online-Formate derzeit fast die einzige Möglichkeit Internationalisierung zu leben.
HFD: Was macht die Hochschule RheinMain aus?
Prof. Dr. Christiane Jost: Die Hochschule RheinMain gehört mit rund 14.000 Studierenden zu den großen Fachhochschulen des Landes und einem Studienangebot von rund 70 Studiengängen an zwei Studienorten, Wiesbaden und Rüsselsheim. Selbst in Wiesbaden haben wir mehrere Standorte. Dies alles ist historisch – und vor allem in den letzten 10 Jahren, so entstanden und gewachsen. Trotzdem hat die Hochschule ihre „DNA“ nicht verloren: Wir sind ausgesprochen partizipativ organisiert und freuen uns sehr, wenn sich die Studierenden durchaus auch kritisch engagieren. Zudem versuchen wir immer möglichst viele Menschen in die wichtigen Entscheidungen einzubinden. Das war früher, als wir kleiner waren, deutlich leichter. Aber der Anspruch auf allen Seiten besteht fort. Zudem sind wir sehr dezentral organisiert und unsere Fachbereiche haben einen hohen Grad an Selbständigkeit. Das macht uns grundsätzlich agil, erschwert aber Standardisierungen oder auch das Wissensmanagement.
HFD: Wie würden Sie den aktuellen Stand der Hochschule RheinMain in Hinblick auf die Digitalisierung in Studium und Lehre beschreiben?
Prof. Dr. Christiane Jost: Die Hochschule RheinMain ist eine Präsenzhochschule. Aber bereits vor vielen Jahren haben wir erste Online-Studienangebote im Bereich Sozialer Arbeit entwickelt. Dabei bezeichnen wir Studiengänge mit mehr als 50% Online-Anteil als Online-Studiengänge. Bei all diesen Angeboten gibt es immer auch Präsenzanteile. Und so sahen und sehen wir im Blended Learning unsere Zukunft. Das Potenzial reicht von der Unterstützung der Individualisierung über die didaktische Unterstützung für eine innovative Art des Lernens bis hin zur Flexibilisierung des Studiums.
Bis vor Corona war das Interesse an allen digitalen Formaten daher eher „punktuell“ und ging von wenigen Lehrenden aus. Corona hat diese Situation nachhaltig verändert. Bei vielen Kolleg:innen sind Berührungsängste weggefallen, weil sie gute Erfahrungen gemacht haben. Viele haben schon angekündigt, weiterhin stärker auf digitale Elemente in der Lehre setzen zu wollen. Die Infrastruktur hierfür haben wir inzwischen weitestgehend. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass unsere Studierenden sehr unterschiedliche Voraussetzungen für Online–Lehre mitbringen, sowohl was die technischen Rahmenbedingungen als auch was die Räume angeht. Und wir müssen schauen, ob die Leistungsfähigkeit unserer Systeme bei zunehmend sophistizierter Inanspruchnahme weiter gesteigert werden muss.
HFD: Aus welchen Gründen hat sich die Hochschule RheinMain für die Peer-to-Peer-Strategieberatung beworben? Gab es einen Moment oder einen Impuls, der Sie zur Bewerbung motiviert hat?
Prof. Dr. Christiane Jost: Seit einiger Zeit bewegt mich die Frage, wie wir als Hochschule auf die neue Kulturtechnik „Digitalisierung“ am besten reagieren. Ich benutze sehr bewusst das Wort „Kulturtechnik“, um deutlich zu machen, dass für mich diese Entwicklung in einer Reihe mit Lesen und Schreiben steht und mehr ist als nur ein Instrument. Das Hochschulforum Digitalisierung mit seinem Themenspektrum und den Diskussionen um Future Skills zeigt dies auch. Gerade diese Diskussion und die Reflexion in Bezug auf unsere Hochschule gab einen wichtigen Anstoß. Hinzu kommt, dass wir in den nächsten Jahren sehr viele interne Akkreditierungen vor uns haben, die uns die Chance geben würden, hier auch noch einmal Akzente zu setzen und ein noch besseres Angebot für unsere Studierenden zu kreieren. Das betrifft sowohl die Individualisierung und Flexibilisierung als auch die Definition von Future Skills als Kompetenzziele unserer Curricula. Als die neue Ausschreibung kam, war uns vor diesem Hintergrund klar, dass wir unseren Hut in den Ring werfen wollten.
HFD: In welchem Rahmen wurde die Bewerbung erstellt? Wer war alles daran beteiligt?
Prof. Dr. Christiane Jost: Die Bewerbung entstand vor dem Hintergrund des Visionsprozesses, in dem wir uns hochschulweit über unsere Sicht auf Lehre verständigt haben. Außerdem konnten wir von unseren Erfahrungen mit dem Sommersemester 2020 profitieren, das als gewissermaßen Katalysator für Online-Lehre gewirkt hat. Die Bewerbung wurde vor allem durch eine Gruppe von Expert:innen aus dem Bereich Studium und Lehre sowie E-Learning in Abstimmung mit der Hochschulleitung formuliert. Auch der Vizepräsident Forschung und IT war sehr stark mit eingebunden.
HFD: Wie binden Sie Lehrenden, Verwaltung und Studierende in den Beratungs- und Transformationsprozess mit ein?
Prof. Dr. Christiane Jost: Lehrende aus allen Fachbereichen, zwei Studierende und das Team „Didaktik und digitale Lehre“ sind im Projektteam für die Strategieberatung. Unser hausinternes Sounding Board ist die Präsidialkommission Studium und Lehre, die aus den Studiendekan:innen, Studierenden und wissenschaftlich-technischen Mitarbeiter:innen besteht. Regelmäßige Gäste sind dort immer die Abteilungen und Einheiten, die in Studium und Lehre eingebunden sind. Über den Prozess werden wir auch im erweiterten Präsidium und im Senat berichten.
Etwas schwieriger ist es, den Transformationsprozess weiter voran zu treiben. Wir glauben, dass es wichtig sein wird, dass möglichst viele Lehrende positive Erfahrungen mit den neuen Möglichkeiten machen und wir zeitgleich ein Verständnis der Lehrenden für die neuen Kompetenzanforderungen an unsere Studierenden wecken können. Hier müssen wir den positiven Impuls der Ausnahmesemester rund um die Pandemie nutzen. Außerdem planen wir gerade eine große Befragung sowohl der Lehrenden als auch der Studierenden zu ihren Erfahrungen im Online-Semester. Insofern kommt die Peer-to-Peer Beratung für uns genau zum richtigen Zeitpunkt.
HFD: Was sind die Hauptthemen / -bereiche / -projekte, die Sie mithilfe der Peer-to-Peer-Strategieberatung angehen wollen? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Prof. Dr. Christiane Jost: Die Hauptthemen der Beratung habe ich eben genannt. Wir wünschen uns Unterstützung bzw. Impulse für die Individualisierung und Flexibilisierung des Studiums im Interesse unserer eher bunten Studierendenschaft, die mit unterschiedlichen Lebensmodellen, unterschiedlichen Vorerfahrungen und auch unterschiedlichen familiären Hintergründen zu uns kommt. One size fits all funktioniert nach unserer Erfahrung immer weniger. Zudem möchten wir Ideen entwickeln, wie wir uns am besten dem Thema Future Skills nähern. Wir glauben, dass wir hier als Bildungsinstitution in der Verantwortung gegenüber unseren Studierenden aber auch zukünftigen Arbeitgeber:innen dieser Studierenden stehen. Letztlich lebt davon auch unsere Reputation. Für uns war der Beratungsprozess erfolgreich, wenn wir über die kollegiale Beratung und Feedback auch in Form von Best-Practice-Beispielen Impulse erhalten, die uns helfen, Meilensteine zu definieren und eine Art „Road Map“ zur Erreichung unserer Ziele zu entwickeln.
HFD: Vor welche Herausforderungen hat Corona Ihre Hochschule gestellt?
Prof. Dr. Christiane Jost: Wir mussten aufgrund des Lock-Down möglichst alle Veranstaltungen und vorsichtshalber auch die Prüfungen digital ermöglichen. Gewissermaßen mussten wir ja „über Nacht“ zu einer Art Fernhochschule werden. Gerade uns Hochschulen für angewandte Wissenschaften hat das vor große Herausforderungen gestellt. Wir leben von Praxisformaten, Praxisprojekten und Praktika, alles Elemente, die man nur sehr schwer digitalisieren kann. Mit genau diesem Praxisbezug werden wir aber verbunden und wir bewerben ihn. Unsere Studierenden kommen also vor allem deshalb und wir wollen sie nicht enttäuschen. Die Motivation der Studierenden (neben der der Lehrenden) und die Ermöglichung einer positiven Studienerfahrung ist deshalb eine der größten Herausforderung in präsenzlosen und, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, auch gesichtslosen Zeiten.
HFD: Welche Erfahrungen aus dem Corona-Semester sind für die Peer-to-Peer-Strategieberatung besonders wertvoll?
Prof. Dr. Christiane Jost: Am Wichtigsten ist die flächendeckende Erfahrung mit der digitalen Lehre, die unsere Lehrenden jetzt mehr für das Thema interessiert und motiviert als zuvor. Und bis zum Abschluss des Beratungsprozesses haben wir auch unsere Lessons-Learned-Diskussion, basierend auf unserer Umfrage zum Corona Semester geführt. Auch das wird uns helfen.
Der nächste Blogbeitrag wird sich rund um das Thema Analyse der Ausgangs- und Zielsituation drehen, die im Rahmen der Erstellung eines Selbstberichtes zu Beginn der Peer-to-Peer-Strategieberatung erfolgt.