Digitale Medien in der Lehrerbildung: Ein Gespräch mit Jun.-Prof. Dr. Mandy Schiefner-Rohs

Digitale Medien in der Lehrerbildung: Ein Gespräch mit Jun.-Prof. Dr. Mandy Schiefner-Rohs

26.10.18

Das Beste von zwei Welten vereinen.

Bianca Brinkmann vom Monitor Lehrerbildung spricht mit Mandy Schiefner-Rohs, Junior-Professorin für Pädagogik mit Schwerpunkt Schulentwicklung an der Technischen Universität Kaiserslautern, über digitale Medien in der Lehrerbildung. Beide haben in der Ad-Hoc-Arbeitsgruppe 2017/18 „Lehrerbildung und Digialisierung“ mitgearbeitet. Das Interview erschien vorab im Monitor Lehrerbildung

Monitor Lehrerbildung: Wie verändern sich Schule und Unterricht durch die Digitalisierung?

Jun.-Prof. Mandy Schiefner-Rohs [Bildnachweis: Thomas Brenner]

Schiefner-Rohs: Die Schule, wie wir sie kennen, war Antwort auf Anforderungen der Industrialisierung. Wenn wir davon ausgehen, dass Digitalisierung die Gesellschaft ähnlich verändern wird, müssen wir auch über Schule nachdenken. Und damit begeben wir uns auf ein unsicheres Terrain. Wir wissen schlichtweg noch nicht, wie Schule im Zeitalter der Digitalisierung aussehen wird bzw. aussehen muss. Die Veränderung von Overhead-Projektoren zu Beamern, von Tafeln zu interaktiven Whiteboards sehe ich folglich nur als ersten Schritt. Denken Sie nur an die Veränderungen durch digitale Endgeräte im Alltag: Seit knapp 20 Jahren ist dort z.B. das Handy ständiger Begleiter. Ein solch medienbasierter Alltag geht auch an Schule nicht vorbei. Bis dato wird jedoch das Potenzial digitaler Medien in der Schule (Stichwort zeit- und ortsunabhängiges Lernen) nicht ausgeschöpft. Allerdings sollten wir insgesamt mehr über Lehren und Lernen in der Schule nachdenken, weniger über die Medien an sich.

Monitor Lehrerbildung: Wie muss das Thema Digitalisierung daher im Lehramtsstudium aufgegriffen werden? Wo liegen dabei Ihrer Auffassung nach Chancen und Herausforderungen?

Schiefner-Rohs: Wichtig ist mir vor allem, dass Digitalisierung nicht auf einzelne technische Anwendungen verkürzt wird. Auf diese Weise würden wir für spezifische Medienangebote ausbilden, was weder dem Thema noch dem Umfang der Digitalisierung gerecht wird. Ich gehe sogar so weit: Die Anwendung konkreter Angebote wie Moodle oder Apps können Studierende alleine lernen. Wir müssen es ihnen in unseren Lehrangeboten nur auch zutrauen! So sollten Studierende darin vielfältige eigene Erfahrungen mit Medien machen können und ihre Vorstellungen über digitale Medien reflektieren. Neben der inhaltlichen Beschäftigung mit Medien heißt das Kreativität, Kooperation, Kritik und Kommunikation innerhalb von Studium und Lehrveranstaltung. Spezifische Schwerpunkte setzen ggf. Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften. Herausfordernd bleibt, dass Dozierende in der Lehrerbildung offen für eine solche Praxis sind.

Monitor Lehrerbildung: Laut KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ sollen digitale Lehr- und Lerntechniken dem Primat des Pädagogischen folgen – also Werkzeug für gute und erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse sein. Wie können Skeptiker davon überzeugt werden, dass Digitalisierung kein weiteres Problem, sondern Teil der Lösung umfangreicher bildungspolitischer Probleme ist?

Schiefner-Rohs: Die politische Debatte über Medien in der Lehrerbildung bildet sicherlich nur einen Bruchteil des wissenschaftlichen Diskurses darüber ab. Gerade die umfassenden Transformationsprozesse im Zuge der Digitalisierung führen dazu, dass Medien längst nicht ausschließlich als Werkzeuge für das Lernen gesehen werden. Sie sind auch ein Bildungsraum zur Auseinandersetzung z.B. mit gesellschaftlichen Fragen. Die Sandwich-Position der Lehrerbildung erfordert meines Erachtens, sowohl den Werkzeug-Charakter digitaler Medien aufzunehmen als auch nach Medieninhalten, Darstellungsformen und systemischen Veränderungen durch Medien und Technologien zu fragen. In der Medienpädagogik gibt es dafür z.B. das Konzept medienpädagogischer Kompetenz. Lehrerinnen und Lehrer sollen demnach selbst ‚medienkompetent’ und zugleich in der Lage sein, didaktische Szenarien zu entwerfen. Ihre Szenarien zielen auf mündige Schülerinnen und Schüler und nicht zuletzt auf ‚gute’ Schule. Für die umfassende Diskussion von Medien in der Lehrerbildung wäre der Rückgriff auf solche Konzepte sicherlich hilfreich. Sie denken nicht von der Digitalisierung her, sondern nehmen zuerst pädagogische Herausforderungen auf. Der Umgang mit Heterogenität könnte hierfür ein praktisches Beispiel sein, wie auch Skeptikerinnen und Skeptiker in Diskussionen verwickelt werden können.

Monitor Lehrerbildung: Wie ist es aus Ihrer Sicht zu bewerten, dass viele Hochschulen Angebote zur Medienpädagogik und Mediendidaktik im Wahlpflichtbereich der Lehramtsstudiengänge verankern, dass also Studierende, die sich für das Thema nicht interessieren, auch nicht verpflichtend mit Digitalisierung in Berührung kommen?

Schiefner-Rohs: Für die Verankerung medienpädagogischer und -didaktischer Fragen im Studium spreche ich mich klar aus. Allerdings sollte im Zuge der strukturellen Verankerung auch darüber diskutiert werden, welche Folgen jeweilige Formen der Verankerung haben. Solange Medienpädagogik nur ein Wahlpflichtbereich ist, wird die Beschäftigung mit Medien z.B. als besonders und ggf. als unerwünschtes Thema erachtet. Stattdessen sollte die medienpädagogische Grundbildung aller Lehrer*innen und Erzieher*innen in den Blick genommen werden, wie dies auch ‚Keine Bildung ohne Medien!’ fordert. Dafür sind allerdings alle an Lehrerbildung beteiligten Fächer und Disziplinen gefordert. Deshalb ist die umfassende Integration in Studium und Lehre noch ein weiter Weg, gerade weil Medien oft auf das Technische beschränkt werden. Zusätzliche Veranstaltungen sind ebenfalls nicht unbedingt der einzige Königsweg. Denn wer sagt, dass Medienpädagogik nicht in einer Einführung in die Pädagogik zum Thema werden kann?

Digitale Lehr- und Lerntechniken sollen Werkzeug für gute und erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse sein, gerade auch im Lehramtsstudium.

Monitor Lehrerbildung: Wie kann sichergestellt werden, dass Inhalte der Medienpädagogik und Mediendidaktik unter spezieller Berücksichtigung digitaler Medien zu echten Querschnittsthemen im Lehramtsstudium werden, d.h. dass angehende Lehrkräfte in allen Teilstudiengängen und fächerübergreifend auf den Einsatz digitaler Medien im Unterricht und auf die spezifischen Fragestellungen der Medienpädagogik im digitalen Zeitalter vorbereitet werden?

Schiefner-Rohs: An Lehrerbildung in den unterschiedlichen Phasen sind viele Menschen beteiligt. Ich halte es daher für bedeutsam, alle Involvierten ‚ins Boot’ zu nehmen. Dazu gehören Universitäten, Lernorte der zweiten Phase (Referendariat) und die Schulen selbst. Es bringt ja wenig, digitale Medien an der Hochschule zu fokussieren, wenn im Referendariat andere Konzepte wichtig sind. Aber Vorsicht: Was im Gewand digitaler Medien daherkommt, ist pädagogisch manchmal fragwürdig. Medien sind deshalb eine ständige und gemeinsame Reflexionsaufgabe. Darüber hinaus sind digitale Medien Aufgabe aller Lehrenden in der Lehrerbildung, aber unter verschiedenen Blickwinkeln:  Bildungswissenschaften stellen andere Fragen an Medien wie Fächer und Fachdidaktiken. Diese Pluralität ernst zu nehmen und produktiv zu nutzen, ist für mich ein erster Schritt zu einer übergreifenden Strategie.

Monitor Lehrerbildung: Aus unseren Daten geht hervor, dass der didaktische Einsatz digitaler Medien im Rahmen der schulischen Praxisphasen an vielen Hochschulstandorten im Lehramtsstudium zwar erwünscht, aber nicht unbedingt verpflichtend ist, da die infrastrukturelle Ausstattung der Praktikumsschulen nicht in jedem Fall ausreichend ist. Haben wir hier das Henne-Ei-Problem? Wie könnten dennoch für jeden Lehramtsstudierenden Möglichkeiten geschaffen werden, digitale Medien im praktischen Einsatz zu erproben?

Schiefner-Rohs: Wir dürfen Digitalisierung nicht als reines Praxisproblem verstehen, in dem es nur darum geht, Technologien zu nutzen. Also, um im Bild zu bleiben, statt an der Tafel nun auf ein Whiteboard zu schreiben. Insbesondere in der ersten Phase der Lehrerbildung steht die Reflexion über Medien im Zentrum: Wie verändern digitale Medien Gesellschaft, pädagogisches Handeln darin und letztlich den Schulalltag? Welchen Einfluss haben sie auf Meinungsbildung und gesellschaftliches Zusammenleben? Welche ethischen Implikationen müssen wir in den Blick nehmen? Um solche Fragen zum Gegenstand der Lehrerbildung zu machen, braucht man nicht unbedingt digitale Medien im Klassenzimmer. In der Medienpädagogik geht nicht um Geräte per se, sondern um die Kommunikation über Einsatz, Aneignung und Wandel des Zusammenlebens.

Monitor Lehrerbildung: Stimmt aus Ihrer Sicht die Theorie, dass die heutigen Studierenden als sogenannte „Digital Natives“ bereits über eine ausgeprägte Digitalkompetenz verfügen? Wenn dem so ist, wie könnte diese Digitalkompetenz mit der langjährigen Praxiserfahrung von Lehrkräften an Schulen und Hochschulen konstruktiv zusammengeführt werden?

Das Beste von zwei Welten vereinen.

Schiefner-Rohs: Wir müssen endlich aufhören, von den digital natives zu sprechen. Zum einen weisen verschiedene internationale und nationale Studien darauf hin, dass es nicht gerechtfertigt ist, eine gesamte Generation so zu bezeichnen. Zum anderen wissen wir aus Studien, dass heutige Studierende nicht unbedingt medienkompetent sind. Sie können Medien technisch handhaben, Informationen werden aber zum Teil unkritisch bewertet. Gerade die kritische Reflexion mit Medien ist für alle Menschen notwendig, unabhängig von ihrem Lebensalter oder Geburtsjahr.

Monitor Lehrerbildung: Wenn wir die Digitalisierung der Schulen und der Lehrerbildung als bundesweite Herausforderung verstehen, bei der Wissen und Expertise gebündelt werden sollte, wie könnten übertragbare Konzepte entwickelt werden, damit nicht jeder Hochschulstandort und auch nicht jedes Bundesland in seinen Lehramtsstudiengängen „sein eigenes Süppchen kocht“ und mühsam tragfähige Umsetzungswege eruiert, für die woanders vielleicht schon Good Practice-Erfahrungen vorliegen?

Schiefner-Rohs: Gute Beispiele können immer nur Anregungen bieten. Sie können aber nicht 1:1 in die eigene Bildungspraxis integriert werden. Dazu sind die jeweiligen Kontexte und Bedarfe in den Hochschulen und Schulen zu unterschiedlich. Daher wäre Austausch und Kommunikation über die Bundesländer hinweg für mich ein wichtiger, aber nicht der einzige Schritt. In Rheinland-Pfalz machen wir z.B. gute Erfahrungen damit, curriculare Standards der Medienbildung auf Basis guter Beispiele zu entwickeln. Im Gespräch sind Landesvertreter, Hochschulvertreter und das Pädagogische Landesinstitut. Zentral ist aber auch Kommunikation und Austausch im Nachgang: Nur so können die eigenen Initiativen kritisch hinterfragt und sukzessive weiterentwickelt werden.

Monitor Lehrerbildung: Frau Schiefner-Rohs, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch.

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