Von der Krise zur Resilienz: Wie KI in der Studienberatung die psychosoziale Gesundheit von Studierenden verbessern kann
Von der Krise zur Resilienz: Wie KI in der Studienberatung die psychosoziale Gesundheit von Studierenden verbessern kann
03.06.25
Internationale Studierende sind häufig mit finanziellen Engpässen, sprachlichen Barrieren und bürokratischen Unsicherheiten konfrontiert, die sich negativ auf ihre psychosoziale Gesundheit auswirken. 2024 startete das Projekt „Path out of your Problems“: Ein KI-basierter Chatbot liefert rund um die Uhr passende Informationen, leitet Studierende zu weiterführenden Beratungsangeboten und fördert so ihre Eigenständigkeit und Resilienz. Die Autor:innen berichten, wie sie durch Gespräche mit Beratungsstellen und Studierenden deren Bedürfnisse analysierten und den Chatbot so konzipierten, dass tägliche Anfragen von ihm übernommen werden und Beratungsressourcen für komplexe Fälle frei bleiben.
Mietschulden, zwei Prüfungen im Drittversuch und neben dem Vollzeitstudium 25 Stunden pro Woche arbeiten – so sieht vor allem für viele internationale Studierende der Alltag in Deutschland aus. Gleichzeitig können die meisten internationalen Studierenden nur auf geringere Ressourcen zurückgreifen als ihre deutschen Kommiliton:innen, um die beschriebenen Probleme zu bewältigen. Sie verfügen zum Beispiel häufig nur über wenige oder gar keine sozialen Kontakte in Deutschland. Außerdem sind ihre finanziellen Mittel meist knapp, und ihnen fehlt oft das Wissen über das alltägliche Leben und das Studium hierzulande. Die so entstehenden Belastungen (als Resultat großer Problemlagen vs. geringer Ressourcen) gehen in der Regel nicht spurlos an den Studierenden vorbei, sondern nehmen erheblichen Einfluss auf die psychosoziale Gesundheit und den Studienerfolg.
Für die Hochschule Rhein-Waal (HSRW), deren Anteil internationaler Studierender an der Studierendenschaft mit ca. 66 % der höchste in ganz Deutschland ist, gehört die Auseinandersetzung mit diesen Problemen zum Alltag. Vor diesem Hintergrund fragten sich Jörg Petri (Vizepräsident für Studium, Lehre und wissenschaftliche Weiterbildung) und Tatiana Zimenkova (Vizepräsidentin für Internationales und Diversität) im Jahr 2024: „Was können wir als Hochschule ändern, um unsere Studierenden in der Bewältigung ihrer Herausforderungen besser zu unterstützen?“ Aus dieser Fragestellung heraus entstand das Projekt „Path out of your Problems“. Ziel des Projekts ist es, einen auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Chatbot zu entwickeln, der Studierende in der Bewältigung ihrer unterschiedlichen Problemlagen begleitet. Der Chatbot soll eine digitale, niedrigschwellige und jederzeit verfügbare Anlaufstelle für ratsuchende Studierende sein und so zur Verbesserung der psychosozialen Gesundheit und des Studienerfolgs der Studierenden beitragen.
Damit der Chatbot die Studierenden angemessen in der Bewältigung ihrer Probleme unterstützen kann, mussten wir als Projektteam zunächst einige zentrale Fragen beantworten, die für die inhaltliche Entwicklung und strategische Konzeption des Chatbots maßgeblich sind: Welche Probleme belasten die Studierenden? Wie gehen sie damit um? Was brauchen die Studierenden, um ihre Herausforderungen zu bewältigen? Wie kann der Chatbot die Studierenden in dieser Bewältigung unterstützen? Da sich bisherige Projekte, die KI in der Studienberatung nutzen, in der Regel auf einen bestimmten Teilbereich fokussieren (beispielsweise der StudiiCoachBot der TH Köln, der Studierenden bei der Überwindung von Prüfungsangst unterstützt), möchten wir an dieser Stelle unsere bisherigen Erfahrungen mit der Entwicklung des KI-Chatbots teilen
Mentale Belastung durch Unsicherheiten beim Leben und Studieren in Deutschland
Gespräche mit Beratungsstellen innerhalb und außerhalb der Hochschule sowie mit den Studierenden selbst haben gezeigt, dass das Fehlen zentraler Informationen zum Leben und Studieren in Deutschland häufig eine der Ursachen für die Problemlagen der Studierenden ist. So ist beispielsweise vielen (internationalen) Studierenden nicht klar, dass nach drei gescheiterten Prüfungsversuchen in einem Fach in der Regel eine Zwangsexmatrikulation erfolgt. Dieser Mangel an basalem Hintergrundwissen kann weitreichende Folgen haben – wiederum vor allem für internationale Studierende, da eine Exmatrikulation nicht nur das Studium beendet, sondern auch ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland zumindest einmal stark gefährdet: Da das Studium meist die Grundlage der Aufenthaltsberechtigung internationaler Studierender (bei Studierenden aus Drittstaaten) darstellt, verfällt diese in der Regel mit Abbruch des Studiums. Internationale Studierende müssen dann eine Änderung ihres Aufenthaltstitels beantragen, für die wiederum eine Grundlage benötigt wird, beispielsweise die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung. So können die fehlenden Kenntnisse über das Studium und das alltägliche Leben in Deutschland extreme mentale Belastungen zur Folge haben. Zwar erhalten die Studierenden vor allem mit der Einschreibung und dem Studienbeginn von der Hochschule zahlreiche Informationen sowohl zum Studium als auch zum alltäglichen Leben in Deutschland. Die Gespräche mit den Studierenden zeigen jedoch, dass sich viele durch die Informationsflut zu Beginn des Studiums überfordert fühlen, während ihnen gleichzeitig genau diese Informationen später im Studium fehlen. Auf der Suche nach Antworten wenden sie sich an die zahlreichen Beratungsstellen der Hochschule und darüber hinaus. Nach Erfahrung vieler Mitarbeitenden in den Beratungen jedoch erst dann, wenn die Probleme bereits größer geworden und daher schwieriger zu lösen sind.
Einbindung des Chatbots in die bestehende Beratungsstruktur

Aus diesen Erfahrungen stellte sich für uns die Frage, wie der Chatbot am sinnvollsten in die bestehende Informations- und Beratungsstruktur der Hochschule integriert werden kann. Eine Einschätzung dazu war sowohl von Seiten der Studierenden als auch der Mitarbeitenden in den Beratungsstellen eindeutig – ein Chatbot kann nicht so beraten, wie es ausgebildete Berater:innen können. Dennoch kann er Studierende bei der Bewältigung ihrer Probleme unterstützen, indem er ihnen als jederzeit zugängliche Anlaufstelle die richtigen Informationen zur richtigen Zeit gibt. Gerade in den ersten Tagen des Studiums geht es beispielsweise leicht unter, dass man sich für eine Klausur anmelden und wie das überhaupt funktioniert.. Drei Monate später dagegen ist genau dieses Wissen von zentraler Bedeutung. Mit der Beantwortung solcher Anfragen durch den Chatbot stehen den Beratungsstellen wiederum mehr Ressourcen für die Beratung komplexerer Anfragen zur Verfügung. Neben der Antwort auf die explizit gestellten Fragen soll der Chatbot den ratsuchenden Studierenden zusätzliche Informationen bereitstellen, die darüber hinaus nützlich sein könnten (siehe Abb. 2).


Natürlich sind Studierende aber auch mit tiefgreifenden Problemen belastet, die sich wiederum nicht mit dem Weiterleiten einiger Hintergrundinformationen lösen lassen. Solche Problemlagen erfordern eine Begleitung durch Berater:innen, die entsprechend geschult sind. Nichtsdestotrotz kann der KI-Chatbot auch bei solchen Herausforderungen hilfreich sein: Viele Studierende berichten über Unsicherheit, welche Beratungsstellen für welche Anfragen verantwortlich sind. Mit dem Weiterverweisen der ratsuchenden Studierenden an die passende Beratungsstelle für ihr Anliegen – inklusive Öffnungszeiten und Kontaktmöglichkeiten – kann der Chatbot diesem Problem und dem Frust auf Seiten der Studierenden entgegenwirken. Zudem soll der Chatbot die Studierenden mit tiefergehenden Problemlagen dazu ermutigen, trotz möglicher Zweifel aufgrund von Scham und Unsicherheit dennoch Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Anonymität bei der Nutzung des Chatbots als erste Anlaufstelle ist daher von großer Bedeutung. Dies spielt insbesondere für internationale Studierende eine zentrale Rolle, da diese häufig über die Beratungsmöglichkeiten und -konditionen (beispielsweise in Bezug auf mögliche entstehende Kosten oder dem Weiterleiten von vertraulichen Informationen an Lehrende) verunsichert sind. Ebenso spielen Sprachbarrieren mit dem Einsatz von KI keine Rolle mehr: Sprachmodelle sind heutzutage in der Lage, alle breit vertretenen Sprachen auf der Erde zu sprechen. Bestimmte KI-Modelle (zum Beispiel „DeepSeek Chat“) können in über 200 spezifischen Sprachen kommunizieren, wohingegen sprachlich weniger starke Modelle (beispielsweise „Claude“) um die 50 Sprachen beherrschen. Dank dieser Sprachenvielfalt der KI können Studierende in ihrer Muttersprache kommunizieren und beraten werden – etwas, das in der „konventionellen Beratung“ (wenn überhaupt) nur mit großem Aufwand und hohen Kosten mit Hilfe von Dolmetscher:innen möglich wäre.
(Wie) kann ein Chatbot die psychosoziale Gesundheit verbessern?
Mit dieser Vorgehensweise (die richtige Information zur richtigen Zeit oder Weiterverweisen an die passende Beratungsstelle) soll der KI-Chatbot den Studierenden sowohl die Möglichkeit als auch die Verantwortung geben, ihre Probleme eigenständig zu bewältigen, statt diese für sie zu lösen. Die Studierenden wissen nach einem Austausch mit dem Chatbot dann beispielsweise, dass sie sich für eine Klausur anmelden müssen – die Anmeldung nimmt jedoch nicht die KI für sie vor. Diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit, die die Studierenden mit dem eigenständigen Lösen ihrer Probleme machen, stellt einen wichtigen Aspekt in der Ausbildung von psychischer Resilienz dar. Beide Aspekte (Selbstwirksamkeit und Resilienz) sind wiederum notwendig, damit die Studierenden Probleme in ihrem weiteren Leben eigenverantwortlich bewältigen können. Mit diesem Vorgehen bei der Entwicklung und Umsetzung des Chatbots orientieren wir uns als Projektteam an dem Ansatz der „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Ackermann 2011, S. 14), der auch in der persönlichen Beratung den Standard darstellt (Schmelzer 2000).
Technische, rechtliche und ethische Herausforderungen
Der Einsatz von KI in der Studienberatung durch die Studierenden ist von zahlreichen Unsicherheiten und Spannungsverhältnissen geprägt. Auf der rechtlichen Seite ist beispielsweise die Frage nach der Haftung zu klären, wenn der Chatbot den Studierenden versehentlich falsche Informationen gibt (beispielsweisezu Deadlines ). Darüber hinaus spielen beim Einsatz von KI in Fragen der psychosozialen Gesundheit (und damit der Einschätzung des geplanten Chatbots als Hochrisiko-KI) aber vor allem auch ethische Fragen eine zentrale Rolle. Je nach Verfassungszustand der ratsuchenden Person muss die KI besonders sensibel auf schwierige Anfragen reagieren. Deshalb haben wir aktiv den Austausch mit verschiedenen Expert:innen der HSRW – und darüber hinaus – gesucht, um mögliche Risiken beim Einsatz von KI in diesem Bereich zu identifizieren. Mit unseren Fragen haben wir uns zum Beispielan andere KI-Projekte, unsere hochschulinternen KI-Schwerpunktprofessuren der unterschiedlichen Fakultäten oder auch die Rechtsinformationsstellen des Landes NRW im ORCA.Netzwerk gewandt. Mit Blick auf die ehtischen Herausforderungen spielt auch die mögliche Diskriminierung durch KI eine wichtige Rolle, insbesondere aufgrund der internationalen Studierendenschaft an der HSRW. Eine Doktorandin, die sich in ihrer Promotion mit ebendiesem Thema beschäftigt, unterstützt uns daher in der Entwicklung des Chatbots mit ihrer Expertise und Erfahrungen.
Technisch handelt es sich zunächst um einen herkömmlichen KI-Bot, der jedoch durch spezifische Daten und Regeln auf unseren Anwendungsfall zugeschnitten wird. Dafür werden Infrastruktur-Kontakte, Verhaltensweisen und rechtliche Rahmenbedingungen in strukturierten Datensätzen aufbereitet, vektorisiert und in den Assistenten integriert. Sein Verhalten – etwa im Umgang mit Nutzer:innenanfragen oder sensiblen Daten – wird dabei maßgeblich durch einen System-Prompt gesteuert, der wie ein Benutzerhandbuch für den Bot fungiert. Mit dem System-Prompt können die Transformationen des Models (also dessen Berechnungen) sozusagen vorgefärbt werden, um mehr Kontrolle darüber zu haben, was der Bot tatsächlich ausgibt (also „sagt“). Auf diese Weise kann ein Modell relativ einfach sehr stark spezifiziert werden und sogar Rollen aus bekannter Literatur spielen oder virtuellen Figuren und Robotern eine Persönlichkeit verleihen. Der System-Prompt ist also in dieser Hinsicht also ungefähr einer Stellen- oder Rollenbeschreibung gleichzusetzen.
Besonderes Augenmerk liegt auf dem Datenschutz: Um maximale Anonymität zu gewährleisten, speichert das System Nutzerdaten bewusst nicht dauerhaft. Anfragen werden serverseitig nur temporär verarbeitet, alle Informationen bleiben clientseitig. Eine Ausnahme bilden kritische Beratungsfälle: Hier kann der Bot nach expliziter Freigabe durch den oder die Nutzende:n Chatverläufe zusammenfassen – einerseits zur Entlastung der Ratsuchenden, andererseits für zukünftige, anonymisierte Analysen wiederkehrender Probleme.
Die Architektur bleibt bewusst schlank: Serverseitig genügen eine Verwaltungsoberfläche für die Vektordaten und der Zugriff auf KI-Modelle, nutzerseitig eine einfache Chat-App als niedrigschwellige Schnittstelle.
Ausblick
Viele Studierenden, insbesondere internationalen, fehlen Informationen zum Leben und Studieren in Deutschland. Dies kann zu mentaler Belastung und negativem Einfluss auf den Studienerfolg führen. Der entwickelte Chatbot soll relevante Informationen bereitstellen und die Studierenden bei tiefergehenden Problemen an Beratungsstellen verweisen. Mit dieser Vorgehensweise soll der Chatbot dem Informationsmangel sowie den daraus entstandenen Unsicherheiten und Belastungen der Studierenden entgegenwirken. Gleichzeitig soll der Chatbot die Probleme der Studierenden nicht für sie lösen, sondern sie in die Lage versetzen, ihre Herausforderungen selbst zu bewältigen („Hilfe zur Selbsthilfe“). Die damit verbundene Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist zentral für die Entwicklung von psychischer Resilienz und die Fähigkeit, auch zukünftige Schwierigkeiten eigenständig lösen zu können.
Nach Usability Tests mit Studierenden, die wir im Juni 2025 durchführen werden, soll ein erster Prototyp des Chatbots im Wintersemester 2025/26 an der HSRW testweise genutzt werden können. Wir planen weitere Evaluationen sowohl im kommenden Wintersemesters als auch zu Beginn des Sommersemesters 2026. Wenn Sie als Hochschule oder Bildungseinrichtung an der Einbindung eines solchen KI-Chatbots in der Beratung interessiert sind, freuen wir uns über einen gemeinsamen Austausch!
Literaturverzeichnis
Ackermann, T. (2011), Fallstricke Sozialer Arbeit Systemtheoretische, psychoanalytische und marxistische Perspektiven. 2. Auflage, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme Verlag.
Schmelzer, D. (2000). „Hilfe zur Selbsthilfe“ Der Selbstmanagementansatz als Rahmenkonzept für Beratung und Therapie. In: Beratung Aktuell 2000, 1, S. 201–222.
Dieser Blogbeitrag ist in Kooperation mit dem HFD-Thinktank “Well-Being und Mental Health im digitalen Zeitalter an Hochschulen” unter redaktioneller Leitung von Tina Basner entstanden. Teilen Sie gerne Ihre Fragen und Ideen zum Thema über die Kommentarfunktion oder kontaktieren Sie uns direkt per E-Mail an saskia.beckmann@hochschule-rhein-waal.de und Tina.Basner@CHE.de.
Autorinnen

Saskia Beckmann
Saskia Beckmann ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Qualitätsverbesserung in Studium und Lehre der Hochschule Rhein-Waal tätig. In dem Forschungsprojekt Path out of your Problems ist sie für die inhaltliche und konzeptionelle Gestaltung des KI-basierten Chatbots zuständig, der im Rahmen des Projekts entwickelt wird. Während ihres Masterstudiums der Sozialwissenschaftlichen Nachhaltigkeits- und Transformationsstudien an der Hochschule Bielefeld hat Saskia Beckmann an dem Forschungsprojekt co*gesund mitgewirkt, das die psychosoziale Gesundheit von benachteiligten Jugendlichen während der COVID19-Pandemie fokussierte. Kontakt: saskia.beckmann@hochschule-rhein-waal.de Zum LinkedIn Profil von Saskia Beckmann: http://www.linkedin.com/in/saskia-beckmann-738572219

Lukas Schink
Lukas Schink ist unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Qualitätsverbesserung in Studium und Lehre der Hochschule Rhein-Waal tätig. Als Softwareentwickler im Projekt Path out of your Problems, ist er für die technische Gestaltung und den Aufbau des KI-basierten Chatbots zuständig. Schon während des Bachelor-Studiums in der HSRW in Kamp-Lintfort arbeitete Lukas an verschiedenen Forschungsprojekten in Gebieten, wie Robotik und KI (als Softwareentwickler und Bachelor Thesis), VR-Simulation (als Creative Director und Entwickler) und weiteren mit. Kontakt: lukas.schink@hochschule-rhein-waal.de