Vom Campus an den Schreibtisch zu Hause: Hilfestellungen für Lehrende im Homeoffice
Vom Campus an den Schreibtisch zu Hause: Hilfestellungen für Lehrende im Homeoffice
14.04.20COVID-19 zwingt viele Beschäftigte ins Homeoffice, auch die Lehrenden. Philipp Neubert und Christine Tovar geben in diesem Blogbeitrag Tipps für die Organisation im Homeoffice, um den Wechsel vom lebendigen Campusleben in die vermeintliche Ruhe am hauseigenen Schreibtisch möglichst gut zu bewältigen. Gleichzeitig ist der Beitrag auch mit dem Aufruf an die Leser*innen verbunden, ihre Tipps und Erfahrungen zum Arbeiten von zu Hause – zwischen Familie, Schreibtisch und social distancing – mit den Autor*innen in den Kommentaren zu teilen.
„You are not working from home; you are at your home during a crisis trying to work.“
I’ve heard this twice today. I think it’s an important distinction worth emphasising.
— Neil Webb (@neilmwebb) March 31, 2020
Vom Campusleben ins Homeoffice
Vielfach ist die Arbeit in der Lehre an einer Hochschule von großer Eigeninitiative der Einzelnen und dem permanenten Wechsel von Arbeitssituationen geprägt. Es müssen Veranstaltungen vor- und nachbereitet werden, Leistungen bewertet und erfasst, Sprechstunden abgehalten, sonstigen Verpflichtungen innerhalb des Fachbereichs und der Hochschule nachgegangen und zuletzt auch noch die Lehrveranstaltung tatsächlich durchgeführt werden.
Viele Lehrende haben auf Basis ihrer Erfahrungen eigene Prozesse entwickelt, um mit diesen vielfältigen Anforderungen und den andauernden Wechseln erfolgreich umzugehen. Diese beruhen aber häufig darauf, die Angebote, Serviceeinrichtungen und nicht zuletzt physischen Räumlichkeiten ihrer Hochschule intensiv zu nutzen. Wenn nun, als Beitrag zur Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus, die Hochschulen ihre Mitarbeiter*innen dazu auffordern sich ins Homeoffice zu begeben, stehen aber genau diese Einrichtungen nicht mehr zur Verfügung.
Die Arbeitssituation ist plötzlich eine völlig andere; und selbst wer schon vor Corona viel am heimischen Schreibtisch gearbeitet hat, wird feststellen, dass die Vorzeichen grundsätzlich andere sind. Das gilt für den Austausch mit Kolleg*innen, die Angebote von Serviceeinrichtungen und nicht zuletzt den Ort Hochschule, der untrennbar mit dem Lehren als Tätigkeit verbunden ist.
Wir möchten in diesem Beitrag einerseits Hilfestellungen geben, wie der Wechsel vom vielfältigen, manchmal ablenkenden Campusleben in die vermeintliche Abgeschiedenheit des Homeoffice gelingen kann. Andererseits verbinden wir mit diesem Beitrag auch den Aufruf uns Ihre Tipps und Erfahrungen zum Arbeiten von zu Hause, zwischen Familie, Schreibtisch und social distancing mitzuteilen.
Selbstorganisation
Derzeit kursieren unzählige Hilfestellungen zum effektiven Arbeiten im Homeoffice. Deren Grundton ist immer ähnlich: man muss die Rahmenbedingungen selbst gestalten, die sonst durch äußere Zwänge und Erwartungen (mit)erzeugt werden. Sei es, sich auch im Homeoffice für die Arbeit zu kleiden, Pausen einzuhalten, oder sich einen Wochenplan zu machen. Seltener, und bezogen auf die Arbeit an der Hochschule noch gar nicht, haben wir bisher den Hinweis auf sogenannte “Transition Times” gehört, also die räumlichen und zeitlichen Übergänge, die zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten liegen und die jetzt völlig wegfallen.
Wer sonst morgens um 10 Uhr in der Fakultätskonferenz sitzt, um 12 Uhr in der Mensa isst, um 14 Uhr ein Seminar am anderen Ende des Campus hält und schließlich um 16 Uhr in seinem Büro Sprechstunde hat, der erlebt automatisch derartige Übergänge. Der Weg zwischen den Orten markiert auch immer den Übergang, die Transition, und gibt einem Zeit sich mental auf die wechselnden Anforderungen der jeweiligen Tätigkeit einzustellen. Hinzu kommt der vielleicht wichtigste Übergang, nämlich der vom Privatleben zur Arbeit und zurück: der Arbeitsweg ist plötzlich auf wenige Meter und mit Glück das Schließen der Tür des Arbeitszimmers geschrumpft.
Diese Übergänge sind, auch wenn wir uns das nicht immer bewusst machen, wichtige kognitive Hilfestellungen, um uns auf die nächste Aufgabe einzustellen und die vorherige abzuschließen. Wer also gerade das Gefühl hat, im Home Office in einem ununterbrochenen Strom aus Informationen, Aufgaben und Ablenkungen zu stecken, der sollte sich bewusst Zeit für Übergänge nehmen. Kurz innehalten, nachdem eine Aufgabe erledigt wurde und unterschiedliche Themenbereiche auch sichtbar voneinander trennen.
Kontakt zur Außenwelt
Für fast alle, die sich derzeit überraschend im Homeoffice finden, ist eine der spürbarsten Veränderungen, der Wegfall des unkomplizierten Austausches, des Smalltalks und ganz allgemein der Möglichkeit der Begegnung ohne komplizierte Terminabsprachen.
Dieser Veränderung sollte in jedem Fall begegnet werden. Wir plädieren hier für einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen “always on” und “always alone”. Es gibt einerseits Erfahrungsberichte, die von der positiven Wirkung eines immer zur Verfügung stehenden Videokanals berichten, in den man sich jederzeit einklinken kann. So kann man den Kolleg*innen bei der Arbeit zusehen und selbst gesehen werden, wer mag kann dort auch digital Kaffeetrinken. Das Konzept ist verlockend, birgt aber andererseits das Risiko, sich Sorgen zu machen, dort etwas zu verpassen. Insofern kann es ebenso hilfreich sein, geplant zusammenzukommen, und dann ganz bewusst auch einen informelle(re)n Austausch zu ermöglichen. Hier helfen auch klare Verabredungen darüber, welche Rolle welchem Medium zukommt. Wir haben uns beispielsweise darauf geeinigt, dass der Grad der Dringlichkeit eines Anliegens mit der Wahl des Kommunikationskanals zunimmt vom Instant Messenger, über E-Mail bis zum Telefon. So ergibt sich im Messenger fast von alleine auch der Spielraum für ungeplanten Austausch, ohne, dass jemand Gefahr läuft thematisch abgehängt zu werden.
Unsere eigenen Erfahrungen mit dem Arbeiten aus dem Homeoffice deuten darauf hin, dass eine Mischung aus Transparenz und Vertrauen dazu führen, dass auch über längere Zeiträume alle zufrieden mit der verteilten Arbeitssituation bleiben. So ist jede*r in der Verantwortung – eine gewisse – Transparenz darüber herzustellen, woran, wie und wann er oder sie gerade arbeitet. Das kann zum Beispiel über einen gemeinsamen Kalender oder andere geeignete Werkzeuge realisiert werden. Gleichzeitig müssen sich, insbesondere aus der Perspektive von Verantwortungsträger*innen, alle sicher sein, dass sie nicht unter Dauerbeobachtung stehen.
Technische Überwachungseinrichtungen sind kein Ersatz für funktionierende Arbeitsstrukturen und sollten – erst recht unter den aktuellen Bedingungen – nicht eingesetzt werden, um die Illusion von produktiver Arbeit zu erzeugen. Demgegenüber ist es im Interesse aller, gerade jetzt mit Hilfe technischer Werkzeuge den Kontakt zu Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und nicht zuletzt Studierenden zu halten. Hier ein offenes Ohr auch jenseits der unmittelbaren Themen rund um das Studium zu zeigen, kann einen großen Unterschied machen.
Der Lernraum Hochschule
Der physische Ort Hochschule steht seit einigen Wochen nur noch sehr begrenzt und für die gewohnte und etablierte Art der Lehre überhaupt nicht mehr zur Verfügung. Dass es sich dabei um eine einschneidende Veränderung handelt, merken Lehrende vor allem daran, dass Veranstaltungen als Interaktion unter anwesenden Personen derzeit nicht möglich sind.
Wie sich dieser Umstand langfristig in der Lehre auswirken wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Aus Sicht von Anne Prill, Expertin für Lernarchitekturen im Hochschulforum Digitalisierung, sollten Lehrende darauf achten, so genannte digitale Lernräume nicht mit einem 1:1-Äquivalent für physische Lernräume gleichzusetzen. Trotz der Namensgleichheit, bleibt technologisch vermittelte Kommunikation etwas anderes, als die synchronisierte Interaktion an einem Ort. Jedes Medium, egal wie ausgefeilt, interveniert in Kommunikation und gerade für die Hochschullehre bleibt abzuwarten, welche Formen sich auch jenseits der aktuellen Situation etablieren können. Viele Facetten der Hochschullehre, wie Fachkulturen, individuelle Lehrstile oder Bedürfnisse an die Ausstattung des Lehr-Lern-Settings kommen dabei erst nach und nach überhaupt in den Blick.
Insgesamt gilt: die richtigen Werkzeuge und Verfahren zu finden ist auch eine Frage der Übung. Probieren Sie Dinge aus und verwerfen Sie sie auch wieder. Die aktuelle Situation ist für alle ohne Vergleich und deshalb kann es (noch) keine fertigen Lösungen geben, die immer funktionieren.
Wir freuen uns auf ihre Tipps zum Arbeiten im Home Office. Kommentieren sie gerne diesen Beitrag, oder diskutieren sie auf Twitter mit!