TU Graz macht es vor: synchrone Lehre nun ortsunabhängig
TU Graz macht es vor: synchrone Lehre nun ortsunabhängig
11.11.21Zum 1. Oktober 2021 hat die TU Graz einen neuen Satzungsteil verabschiedet. Dieser ermöglicht es nun Lehrenden, synchrone Lehre ortsunabhängig zu gestalten. Zuvor gab es eine prozentuale Beschränkung; nun kann man bis zu 100 % online synchrone Lehre durchführen – wenn man will. Damit ist eine pandemibedingte Zwischenregelung nun dauerhaft in der Satzung der TU Graz verankert. Darüber, warum sich die TU Graz zu diesem Schritt entschieden hat und was dieser konkret im universitären Alltag von Lehrenden und Studierenden verändert, sprachen wir mit Dr. Martin Ebner (Lehr- und Lerntechnologien, TU Graz).
Dr. Ebner, warum hat sich die TU Graz dazu entschlossen, ihren Satzungsteil (Studienordnung) jetzt zu überarbeiten? Was hat diesen Sinneswandel bewirkt?
Österreich hat im Zuge der COVID-19-Maßnahmen eine Sonderregelung eingeführt, die vom Bundesministerium erlassen worden ist. Und im Zuge dieser Sonderregelung ist quasi mehr oder weniger der Abhaltungsort einer Lehrveranstaltungen außer Kraft gesetzt worden, damit Online-Unterricht möglich wurde. Diese Sonderregelung ist zum 30.09.21 ausgelaufen. Somit wären wir zum neuen Studienbeginn, 01.10.21, wieder auf die alte, bestehende Richtlinie zurückgefallen. Die bestehenden Bestimmungen zu Virtueller Lehre waren Richtlinien und somit nicht Teil der Satzung (Studienordnung) der Universität. Da wir weder wussten, wie es mit der Pandemie weitergeht noch wie wir auf Fragen ‘Wie geht es weiter?’ seitens Lehrender in diesem Zusammenhang antworten sollen, hat sich die TU Graz entschlossen, eine Arbeitsgruppe zu bilden, mit der Idee, das Thema Virtuelle Lehre neu auszuarbeiten, damit es in den Satzungsteil aufgenommen werden kann.
In der Studienordnung findet sich nicht der Wortlaut “Gleichwertigkeit von Präsenz- und Online-Lehre”. Auf der FAQ-Seite der TU Graz ist Plan A auch stets die Präsenzlehre und erst Plan C Online. Ist eine Gleichwertigkeit jedoch für eine Zeit nach Corona angedacht oder wird es auch in Zukunft eine Bevorzugung der Präsenzlehre geben?
Grundsätzlich bleiben wir eine bekennende Präsenzuniversität, aber gleichzeitig wollten wir auch den Lehrenden ermöglichen, dass sie rechtlich gedeckt sind, wenn sie für sich entscheiden, dass sie Online-Lehre umsetzen wollen. Es stimmt: Eine solch drastische Formulierung steht nicht in der Studienordnung. Was wir getan haben, ist, dass wir in ‘synchrone’ und ‘asynchrone Lehre’ unterschieden haben. Dahinter steckt ein rechtlicher Aspekt. ‘Synchrone Lehre’ ist in Zukunft ortsunabhängig – es ist also egal, ob ich in den Hörsaal gehe oder den Unterricht online abhalte. Da brauch ich als Lehrender nicht mehr weiter fragen. Das ist so, denke ich, noch einzigartig im deutschsprachigen Raum. Wir ermöglichen also Lehrenden, dass sie sich selbst im Rahmen ihrer Freiheit der Lehre entscheiden können, wo der synchrone Unterricht stattfindet. ‘Asynchrone Online-Lehre’ muss jedoch genehmigt werden. Das liegt umgekehrt an der Tatsache, dass Studierende natürlich auch das Recht auf synchrone Elemente haben. Asynchrone Lehre bedeutet, dass die Betreuung eben zeitversetzt stattfindet und mehr individualisiert. Das ist für gewisse Lehrszenarien sehr gut geeignet, für andere weniger. Durch das Genehmigungsverfahren wollen wir sicherstellen, dass die Qualität der Lehre weiterhin gewährleistet ist und dem hohen Niveau einer Universität entspricht. Im Vorfeld der Ausarbeitung war dieser Punkt auch besonders den Studierenden wichtig.
Die Pläne A, B, C sind Teil des Pandemie-Managements. Diese Satzung gilt jedoch auch für die Zeit nach der Pandemie.
Wer war in der Arbeitsgruppe vertreten? Verstehe ich es richtig, dass auch Studierende anwesend waren?
Das ist eine Senatsarbeitsgruppe, die aus allen Gremien der Universität besteht. Das heißt Professor:innen, Mittelbau und Studierende.
Was verändert sich konkret im Betriebsalltag für Lehrende und Studierende durch den neuen Satzungsteil (die neue Studienordnung)?
Hier muss man einiges auseinanderhalten. Das eine ist der rechtliche Teil. Wir ermöglichen Lehrenden die Lehrveranstaltungen online abzuhalten; was so mit der alten Richtlinie nicht möglich war. Mit der neuen Ordnung befinden diese sich nicht in einem gesetzlichen Niemandsland. Das Österreichische Universitätsgesetz sieht vor, dass man zu Beginn der Lehrveranstaltung, also z.B. spätestens im September bei Studienbeginn im Oktober, die Abhaltungsform angeben muss. Studierende wissen dann, ob die Lehrveranstaltung online-synchron stattfindet, asynchron genehmigt wurde oder ob sie in Präsenz oder in einer Mischform ist. Laut unserer alten Richtlinie war es vorgesehen, dass man bis zu 20 Prozent Online-Lehre anbieten kann, mit dem neuen Satzungsteil haben wir diese 20 Prozent aufgehoben. Jetzt heißt es: 100 Prozent, wenn man will und das für didaktisch sinnvoll hält. Und genau das ist der revolutionäre Schritt. Momentan können wir noch nicht abschätzen, wohin uns das führt. Besonders aufgrund der Pandemie.
Interessant ist, dass Sie im Satzungsteil (in der Studienordnung) auch eine Art Leitlinie erarbeitet haben wie z.B. verfahren werden soll, wenn während einer E-Prüfung das Internet ausfällt.
Natürlich können wir nicht jeden Fall beschreiben. In den letzten drei Semestern haben wir einige Erfahrungen damit machen können, welche Fälle man regeln muss und was frei bleiben kann. Es ist so, dass die Praxis zeigen wird, wo man nachschärfen muss. Das ist tatsächlich ein sehr heikler Bereich. Auf der einen Seite sagen die Studierenden, dass sie nichts dafür können, wenn die Internetverbindung zusammenbricht. Auf der Seite der Lehrenden kann der Vorwurf kommen, der Netzstecker sei absichtlich gezogen worden. Natürlich kann man beides nicht ordentlich nachweisen. Für diesen Fall haben wir jetzt auch eine Prüfungssoftware, die quasi trotz Ausbleiben der Internetverbindung die Prüfung weiter ermöglicht und sobald die Verbindung wieder da ist, wird das Ergebnis übermittelt.
Wie werden Dozierende in der Vorbereitung von Online-Lehrveranstaltungen unterstützt? Gibt es z.B. Schulungen für die Konzipierung, Durchführung und zum technischen Know-how?
Genau das macht meine Abteilung. Wir sorgen dafür, dass das technisch sowie mediendidaktisch läuft. Wir bieten Schulungsprogramme – mediendidaktische wie technische – und haben Handreichungen ausgearbeitet. Diese Abteilung tut also nichts anderes als rund um die Uhr Lehrende digital zu unterstützen.
Hat die TU Graz Handreichungen für Lehrende im Umgang mit z.B. personengebundenen Daten von Studierenden, wenn digital unterrichtet wird, entwickelt?
Unsere Leute sollten soweit ausgebildet sein, dass sie wissen, was Datenschutz ist, was grundsätzlich zu tun ist und eine gewisse Sensibilität an den Tag legen. Sie dürfen jetzt natürlich nicht die Wohnzimmer der Studierenden filmen oder fotoprotokollieren. Darauf wird hingewiesen. Wir sind auch sehr eng mit den Studierenden in Kontakt. Fällt etwas auf, dann wird es direkt geprüft und geklärt. Es ist ein schmaler Grad und oft muss individuell entschieden werden. Wir haben versucht, gut durch diese heikle Thematik zu kommen. Auf der einen Seite verstehen wir natürlich, dass Lehrende sagen, dass sie eine gewisse Form der Beaufsichtigung machen müssen und auf der anderen Seite darf es nicht zu einer Verletzung der Privatsphäre kommen.
Inwiefern wurde IT dementsprechend mit eingeplant? Von Hilfeleistungen bei erhöhtem Technikumgang für Studierende, Lehrende und Mitarbeiter:innen, bis zur möglichen Gerätebereitstellung seitens der Hochschule.
Gerätschaften verleihen wir nicht. Das war Tatsache ein großer Diskussionspunkt. Wir haben jedoch eine Liste mit empfohlenen Geräten erstellt. Und wir versuchen mit Aktionen Studierende im Erwerb kostengünstiger Geräte zu unterstützen. Auch gibt es Supportstellen bei technischen Problemen.
Welche Chancen sehen Sie in der Änderung des Satzungsteils (der Studienordnung)? Glauben Sie, diese wird Lehrende motivieren, mehr “digital zu wagen”? Kann sie Strahlkraft über die TU Graz hinaus entwickeln und andere Hochschulen inspirieren, nachzuziehen?
Grundsätzlich glaube ich, dass es ein sehr mutiger Schritt ist. Wir probieren es erstmal und lassen es zu. Das liegt auch daran, dass Techniker:innen das Thema oft pragmatisch sehen. Ich hoffe, dass andere Hochschulen sich das anschauen bei uns und wenn sie dann merken, dass es bei uns zufriedenstellend läuft, dass sie das dann auch umsetzen. Daher hoffe ich natürlich auf eine gewisse Signalwirkung. Auch bei der alten Richtlinie ist es teils so gelaufen. Einige haben dann unsere Form der Regelungen zu Teilen übernommen. Der Sinn hinter der neuen Ordnung ist der, dass wir nichts verhindern möchten. Im Gegenteil: Wir möchten Dinge ermöglichen und schaffen dafür den rechtlichen Rahmen. Die Idee war, dass unsere Lehrenden größtmögliche Freiheit haben, um Innovationen durchzuführen. Rechtlich ist das nicht ganz einfach. Das österreichische Universitätsgesetz kennt nur das Wort ‘Fernlehre’, das mal in den 80ern etabliert wurde. Danach ist diesbezüglich nichts Neues mehr passiert. Da ist es natürlich schwierig, sich als Universität zu platzieren. Die Pandemie hat sehr viel beschleunigt und wir möchte nicht, dass man die guten Erfahrungen, die gemacht wurden, nicht nutzen kann.
Wann rechnen Sie mit einer ersten Evaluation?
Die Pandemie hält noch an. Ich rechne damit, dass wir die ersten Auswirkungen der neuen Studienordnung erst in einigen Jahren sehen werden. Was wir jetzt schon feststellen können, ist, dass viele Lehrende eine hybride oder Online-Form fortführen, da die Umstellung während der letzten Semester passiert ist.
Der österreichische ‚Satzungsteil‘ entspricht der deutschen ‚Studienordnung‘. Daher tauchen hier beide Begriffe gemeinsam auf.