Shaping the Digital Turn: “Wir wissen, wo wir hinwollen!”
Shaping the Digital Turn: “Wir wissen, wo wir hinwollen!”
18.10.18Nach fast einer Woche intensiver Auseinandersetzung mit der Digitalisierung in der Hochschulbildung bin ich wieder zurück und dabei, meine Eindrücke zu verarbeiten, die Gedanken zu ordnen und Anschlüsse für die weitere Debatte zu geben.
Um angesichts der Vielschichtigkeit der Themen einen Überblick zu behalten, gebe ich im Folgenden eine chronologische Übersicht. Anschließend versuche ich die für mich zentralen Erkenntnisse zusammenzufassen. Grundlage für diesen Blogpost ist mein “Live-Report”, den ich während der vier Tage in einem offenen Dokument erstellt und zur Kommentierung geteilt habe. Mein besonderer Dank geht an alle, die diese Angebot genutzt haben (und gerne auch weiterhin nutzen können).
Montag, 24.09.2018 – Tag der Strategie
Um den Hochschulen bei der Digitalisierung, was als “ganzheitlicher Wandlungsprozess” begriffen wird, zu helfen, bietet das Hochschulforum eine sog. Peer-to-Peer-Beratung an. Darüberhinaus werden Arbeitspapiere, wie aktuell “Handlungsempfehlungen für Hochschulen zur Lehre im digitalen Zeitalter” veröffentlicht. In der Eröffnung durch Jörg Dräger ging es dann auch um die Frage, was das besondere an einer Digitalisierungsstrategie im Unterschied zu sonstigen Hochschulentwicklungsprozessen sei. Die Frage ist durchaus berechtigt, allerdings ist sie auch nicht neu und wurde schon bei früheren Veranstaltungen diskutiert und in der ersten Phase des HFD von der Themengruppe “Change Management & Organisationsentwicklung” bearbeitet. Ein bzw. vielleicht das Kernproblem, warum die Diskussion nicht wirklich vorangeht, ist meiner Meinung nach ein fehlendes gemeinsames Verständnis über den Komplex “Digitalisierung der Hochschullehre”. Statt Begriffe, Konzepte und Argumente im Dialog zu schärfen, wiederholen sich gebetsmühlenhaft Forderungen nach besserer finanzieller Unterstützung durch Landes- und Bundespolitik oder didaktische Hohlfloskeln (“Die Technik muss der Didaktik/Pädagogik folgen”). Die Politik beteuert dann ebenfalls mantrahaft, dass man gewillt sei, “kräftig” zu investieren, etwa im Schulbereich mit dem Digitalpakt oder bei den Hochschulen mit der “Bildungsplattform für die (intern-)nationale Hochschullehre”. (Ich komme auf die Problematik der unpräzisen Begriffe weiter unten wieder zurück).
Auch erscheint mir bei der Debatte der Ausdruck “Hochschule” als etwas mehr oder weniger Gleichförmiges verwendet zu werden. Zumindest wird nicht immer explizit auf die verschiedenen Ausprägungen – Fach-/Technische Hochschule, Pädagogische Hochschule oder Virtuelle Hochschule – eingegangen und auch die enormen Veränderungen, die seit der Neugründung der Universität Anfang des 20.Jahrhunderts passiert sind, werden eher stillschweigend zur Kenntnis genommen (siehe dazu auch meinen Vortrag zur “Zukunft der Hochschule”). So erscheint die Rede von “der Hochschule” irreführend, da verschiedene Personen (z.B. aus der Leitungsebene oder Lehrende) damit unterschiedliche Dinge verknüpfen. Tatsächlich zeigte sich dann bei der Präsentation der im Peer-Beratungsprozess beteiligten Hochschulen unterschiedliche Schwerpunkte, Ziele und Instrumente. Für die Zukunft wichtig wäre, genau diese Unterschiede herauszustellen, um ähnlich verwandten Hochschulen bessere Ansatzpunkte zu liefern als die oft inhaltsleeren Appelle nach Modernisierung und Innovation. Diese laufen ins Leere, da sie für eine idealisierte Hochschule ausgerichtet sind und die tatsächlichen Bedingungen und Möglichkeiten verkennen. Auf der anderen Seite sind die Hochschulen durch den Beratungsprozess angehalten, sich mit sich selbst zu beschäftigen – ein angesichts der seit Dekaden von außen verordneten Reformen überfälliger Prozess. Mit den Selbstberichten kann die Debatte gewinnbringend erhellt werden und eine Matrix aus Hochschultypus (mit weiteren Unterkategorien, wie Profil oder Geschichte) entstehen, für die sich dann bestimmte Strategieoptionen anbieten. Dies ist aber noch Zukunftsmusik. Bis es soweit ist, versprühten die im Beratungsprozess beteiligten Hochschulen eine große Portion Neugier und Lust auf die anstehenden Veränderungen.
Dienstag, 25.09.2018 – Tag der (digitalen) Lehre
Am nächsten Tag stand mit der Lehre ein Teil der Hochschule im Zentrum, der seit vielen Jahren gegenüber der Forschung in den Hintergrund gedrückt wurde, mit der Digitalisierung aber nun deutlich mehr Raum bekommt. Dieser Raum scheint trotz der in regelmäßigen Abständen ausgerufenen Hypes (MOOCs, KI) noch nicht so kartographiert zu sein wie bei den Hochschulstrategien zur Digitalisierung. So boten sich am Netzwerktag auch viele Gelegenheiten zum Austausch in Form von Workshops und Sessions beim Barcamp. Die hohe Nachfrage sowohl bei der Vorstellung als auch bei den durchgeführten Angeboten zeigt, dass es weiterhin viel Diskussionsbedarf gibt. Die Bandbreite ist enorm und umfasst neben konkreten Einsatzszenarien digitaler Medien auch Grundsätzliches. So ging es in meiner Session um Begrifflichkeiten und deren oftmals unpräzise Verwendung. Anhand der Konjunktur verschiedener Leitbegriffe wie E-Learning, Neue Medien oder Digitalisierung wurden die semantischen Schwächen diskutiert und wie das verbessert werden könnte. Als Ausgangspunkt wurde eine höhere Differenzierung, z.B. orientiert an Funktionseinheiten vorgeschlagen. Auch eine behutsame Verwendung des Begriffs “Digitalisierung” wurde als wichtig erachtet, auch um eine zu große Vereinnahmung durch nicht-pädagogische Interessen entgegenzuwirken.
Als ein weiteres Programmelement wurde am Abend eine Vorstellungsrunde von Ideen zur (inter-)nationalen Plattform für die Hochschullehre durchgeführt. Das ist ein Thema, das seit mindestens fünf Jahren im Hochschulforum gärt. Es ist gewissermaßen aus der Zeit gefallen, da es eng mit dem MOOC-Hype verwurzelt ist, der uns 2012 heimsuchte. Er führte dazu, dass sich MOOC-Plattformen auf der ganzen Welt gründeten und um bildungshungrige Menschen konkurrieren. In Europa ist die Öffnung der (Hochschul-)Bildung ein strategisches Thema und so wurden auch MOOCs als wichtiges Mittel hierzu auserkoren. Da es u.a. in Frankreich und Großbritannien bekannte und reichweitenstarke MOOC-Plattformen gibt, sieht sich die deutsche Bildungspolitik aufgerufen, etwas ähnlich Großes auf die Beine zu stellen. Über den (Un-)Sinn davon wurde schon viel debattiert, nun liegt der Ball bei der Politik und wir warten gespannt auf die nächsten Schritte. Bei einem kühlen und toll gebrandeten “Beer for Peer” ging ein inspirierender Tag zu Ende.
Mittwoch, 26.09.2018 – Bologna goes digital
Was am Dienstag bei der Vorstellung von Ideen für eine nationale Bildungsplattform schon anklang, wurde am Mittwoch systematisch vertieft. Es ging um eine internationale Perspektive und um die Belange der wichtigsten Zielgruppe. Dabei sind noch einige Hürden zu nehmen, um den angestrebten Ziel der “Student Mobility” – online wie offline – näher zu kommen. Ein anderer wichtiger Aspekt betrifft die Anerkennung außerhochschullisch, digital erworbener Kompetenzen. Hier stellt sich allerdings die Problematik, dass sowohl die digitalen Angebote (neben MOOCs auch vermehrt Kurse, die zu einem sog. Mikrozertifikat führen), als auch die BA- und MA-Studiengänge sich enorm ausdifferenziert haben. Daher ist die Prüfung, ob ein bestimmtes Zertifikat zu einem bestimmten Kurs passt und wieviel dafür angerechnet werden kann, oft ein zeitlich anspruchsvolles Unterfangen. Hier bieten sich enorme Potentiale für die Digitalisierung, diese sind aber an Herausforderungen gebunden. Dies ist jedoch ein klassisches Muster des technikinduzierten Fortschritts: Die mit Technik verbundenen Hoffnungen auf Fortschritt wie z.B. bessere Bildungsangebote kommen nicht zum Nulltarif. Vielmehr erfordern sie Anpassungen in der sozialen Welt. Für unser Beispiel bedeutet das, dass Zertifikate mit zusätzlichen Meta-Daten versehen werden müssen, um diese maschinenlesbar und dadurch effizienzbringend nutzen zu können.
Insgesamt zeigte der internationale Tag deutlich, wo die Reise hingeht. Es sind konsequente Weiterentwicklungen der vor einigen Jahren sich abzeichnenden digitalen Möglichkeiten. Das führt dann aber nicht zu algorithmisch abzuarbeitenden “Masterplänen”, sondern erfordert einen gut strukturierten Dialog zwischen verschiedenen Akteur*innen. Einrichtungen wie das Forschungsinstitut IPTS in Sevilla liefern dazu wichtige Impulse.
Als Abendveranstaltung wurde dann noch die Zwischenergebnisse des AHEAD-Projekts präsentiert, die sich um Modelle für die Hochschulen im Jahre 2030 kümmerten. Ich freute mich, mit einem kurzen Impuls in das Thema einführen zu können. Hier ging es um einen Rückblick auf das bildungsphilosophische Erbe, die Herausforderungen der gegenwärtigen digitalen Zeit und wie das so zusammengebracht werden kann, dass wir uns von Humboldt emanzipieren, ohne ihn ganz über Bord zu werfen.
Donnerstag, 27.09.2018 – Tag der Lehrkräfte
Bedingt durch den Besuch des türkischen Staatspräsidenten gestaltete sich der Zugang zum Pariser Platz schwierig, erforderte Geduld und führte zu Verzögerungen im Programmablauf. Inhaltlich ging es um Möglichkeiten, Schule neu zu denken, sich von alten Denk- und Pädagogik-Modellen zu lösen. Diese sind zu sehr von der Industrialisierung geprägt, die nun aber vorbei ist, also braucht die Gesellschaft ein neues Betriebssystem. Noch scheint aber nicht ganz klar zu sein, wie dieses aussieht, es kursieren verschiedene Vorschläge, wie etwa “Netzwerkgesellschaft” oder “Industrie 4.0”. Hier haben wir es mit der Herausforderung zu tun, sich etwas Neues vorzustellen, dabei aber nicht auf alte Denktraditionen zurückgreifen zu dürfen. Deutlich wurde diese Paradoxie in der Keynote, die emphatisch und mitreißend vorgetragen wurde, aber in eine rhetorische Falle lief. Wie wir von McLuhan wissen, ist das gewählte Medium die eigentliche Botschaft und nicht der darin transportierte Inhalte. So war der Vortrag direkt-instruktiv (Medium) und wollte das genaue Gegenteil davon vermitteln (Inhalt). Diesen Widerspruch zu thematisieren wäre ein wichtiger Schritt für die Vorbereitung kommender Veranstaltungen.
Als Fazit bleibt für mich eine Reihe von produktiven Veranstaltungen, die viele spannende Menschen und Themen in Berlin zusammenbrachte. Die Organisation war durchweg sehr gut und so ließ sich das dicht getaktete Programm gut bewältigen. Es haben sich einige wichtige Punkte herauskristallisiert, die in kommenden Veranstaltungen bearbeitet werden können:
- Worüber reden wir bei “Digitalisierung” eigentlich? Was als E-Learning begann hat sich mittlerweile auf andere Funktionsbereiche ausgedehnt. Die Komplexität ist enorm und kann mit einem stark reduzierenden Begriff – Digitalisierung bedeutet zunähst einmal, dass etwas in unterscheidbare, diskrete Einheiten abzählbar ist – kaum eingefangen werden. Hier gilt es bereichsspezifische Vokabeln zu entwickeln und deren Verwendung zu kultivieren.
- Eine reflektierte Haltung zur Digitalisierung einnehmen: Es ist angenehm mitzuerleben, wie sich das Hochschulforum vom MOOC-Hype emanzipiert hat und an Reife gewonnen hat. Damit verringert sich auch die Geschwindigkeit und Intensität, mit der nach neuen “Lösungen” gerufen wird. Auch eine “Innenschau”, wie am Strategietag bei der Präsentation der Hochschulen erlebt, ist ein wohltuender Schritt. Hier setzt die Perspektive direkt an der DNA der Hochschule an und wird nicht von außen herangetragen, was oft mit einer Mißachtung der gewachsenen akademischen Kultur einhergeht. Das soll aber auch nicht bedeuten, neu aufkommende Innovationen per se aus einer Position der akademischen Selbst-Überschätzung abzulehnen. Was es braucht ist eine Kultivierung der Diskurse, die es beispielsweise auch erleben, die Grenzen der Digitalisierung zu denken.