Let’s talk about Data Literacy! Gemeinsam zu einer datenkompetenten Gesellschaft
Let’s talk about Data Literacy! Gemeinsam zu einer datenkompetenten Gesellschaft
12.10.22Data Literacy gilt als entscheidende Zukunftskompetenz. Die Online-Reihe des Stifterverbandes „Let’s talk about Data Literacy“ möchte Wissenschaft und Wirtschaft in einen Dialog bringen. Nachdem in den ersten drei Teilen der Reihe verschiedene Unternehmen Einblicke in ihre Aktivitäten zur Stärkung von Datenkompetenzen gegeben haben, wenden wir uns nun Akteur:innen aus Wissenschaft, Öffentlichkeit und Gesellschaft zu. Den Anfang macht Katharina Schüller, Data Scientist und Mitinitiatorin der Data-Literacy-Charta. Sie erklärt, warum es keine “nackten” Daten gibt und warum wir entsprechende Einordnungs- und Bewertungskompetenzen brauchen. Außerdem schildert sie, wie Daten die Schnittstelle für einen produktiven Theorie-Praxis-Dialog sein können. Das Interview führten Dr. Henning Koch und Sam Sievers.
Frau Schüller, gab es für Sie einen Moment, ab dem Sie sich besonders für Daten begeistert haben?
Mein Interesse begann relativ spät. In der Schulzeit hatte ich keinen Bezug zu dem Thema. Dann entschied ich mich, Psychologie zu studieren. Statistik war dort Pflicht. Da hat mich der Ehrgeiz gepackt. Ich habe mich richtig reingearbeitet und irgendwann hat es dann Klick gemacht. Als ich verstanden hatte, was man mit Daten und Datenanalyse alles untersuchen kann, war meine Begeisterung geweckt. Das ging dann sogar so weit, dass ich zum Studienfach Statistik gewechselt bin. Die vielen Anwendungsmöglichkeiten finde ich nach wie vor faszinierend. Statistik ist für mich ein Werkzeug, um die Welt zu erfassen und zu systematisieren – und sie damit besser zu erklären und zu verstehen. Das funktioniert in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ob es um Medizin geht oder um Politik: Daten geben uns die Möglichkeit, Regeln zu erkennen und damit auch Aussagen über die Zukunft zu treffen. Dabei muss man natürlich aufpassen: Wann sind diese Regeln sinnvoll anwendbar und wann nicht? Das ist dann der Punkt, an dem es dringend Data Literacy braucht.
Warum ist Data Literacy aus Ihrer Sicht ein notwendiger Future Skill?
Wir leben in einer Welt, die sich immer stärker in den digitalen Raum verlagert. Alles, was in der realen Welt passiert, wird in diesen Raum gespiegelt. Daten fallen bei allem an, was wir tun. Durch Erhebungen, Messungen, Sensoren, Aktivitäten im Internet erzeugen wir Daten.
Umgekehrt beeinflussen die Daten jedoch auch unsere Welt. Das, was wir messen und analysieren, hat unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben. Algorithmen werden unserem Verhalten entsprechend angepasst und schaffen so unser Bild vom Internet. Was ich sehe, wenn ich dort unterwegs bin, ist etwas völlig anderes als bei anderen Personen. Meine digitale Wirklichkeit ist also ein Produkt der von mir erzeugten Daten. Dieser Tatsache müssen wir uns bewusst sein, sonst reden wir aneinander vorbei.
Zusätzlich verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt. Datennutzung gehört zum Alltag, Algorithmen machen Jobs überflüssig. Das muss nicht schlecht sein. Aber wir sollten uns fragen, welche Chance das für jeden Einzelnen bedeutet. Alle Menschen sollten wissen, wie sie in Arbeit und im Alltag mit diesen neuen Möglichkeiten und Risiken souverän umgehen können. Und genau dazu braucht es Data Literacy.
Data Literacy umfasst ja ein Spektrum an Fähigkeiten. Wo liegen aus Ihrer Sicht momentan die größten Herausforderungen?
Für mich ist der entscheidende Punkt die Kommunikation. Datenanalyse ist eine eigene Sprache, die man lernen muss. Wie genau ich diese Sprache dann im konkreten Fall nutze, hängt davon ab, wie ich die Situation einschätze.
Daten sind nicht neutral. Sie reduzieren die Welt. Die Auswahl der Daten und der Analysemethoden sowie meine Schlussfolgerungen sind subjektiv. Dadurch, dass wir uns für Datenanalysen auf das Wesentliche beschränken müssen, treffen wir eine Auswahl, die den gesamten Prozess subjektiv macht. Das gilt im Übrigen für Algorithmen genauso. Die menschliche Komponente hat einen riesigen Einfluss darauf, wie (gut) der Algorithmus funktioniert.
Es ist wichtig, sich dieser Tatsache bewusst zu sein. Oft wird suggeriert, Daten wären objektiv und rational. Eine wichtige Komponente von Data Literacy ist deshalb die Fähigkeit, zwischen dem reinen Informationsgehalt der Daten und dem Teil, dem wir Bedeutung beimessen, unterscheiden zu können. Lassen Sie mich das an einem Beispiel ausführen: Wenn ich sage, der Anteil von Frauen in Führungspositionen sei um 50% gestiegen, dann klingt das erstmal nach viel. Aber es kann eben auch sein, dass es sich dabei um eine Steigerung von 2 Frauen auf 4 Frauen bei 100 Führungsposten handelt. Ich könnte also auch sagen, dass es 2% mehr Frauen in Führungspositionen gibt. Mathematisch sind beide Aussagen korrekt. Die implizite Botschaft ist jedoch eine völlig andere. Genau da brauchen wir Data Literacy. Jede:r muss unterscheiden können zwischen der Information, die eine Analyse bietet, und der Botschaft, die gesendet werden soll.
Welche Möglichkeiten sehen Sie bei der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft im Bereich Data Literacy Education?
Aus meiner Sicht gibt es in diesem Bereich viele Möglichkeiten. Passend finde ich hier den Spruch „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.” Und: Nichts ist theorieleitender als eine gute Praxis. Die Fragestellungen aus der Wissenschaft brauchen dringend den Bezug zur Praxis. An dieser Stelle ist der Dialog mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft sehr spannend. Welche großen Fragen müssen beantwortet werden? Was sind die Herausforderungen, vor denen Wirtschaft und Zivilgesellschaft stehen? Wie kann die Wissenschaft Lösungen für diese Herausforderungen finden? In der Statistik müssen wir einerseits Annahmen machen, um Aussagen treffen zu können. Andererseits sollten die Vorannahmen nicht zu streng sein, um die Übertragbarkeit auf reale Fragestellungen zu gewährleisten.
In den Unternehmen findet im Bereich Datenkultur gerade ein Wandel statt. Vom reinen Monitoring geht es nun hin zur Optimierung mit Hilfe von Daten. Es geht darum, Zusammenhänge und Mechanismen zu verstehen. Durch die größeren Datenmengen können viel mehr Hypothesen empirisch getestet werden. Diese Ergebnisse aus der Praxis können dann wieder durch die Wissenschaft in einen theoretischen Kontext eingeordnet werden.
Und da landen wir wieder beim Thema Kommunikation: Wir brauchen den Dialog zwischen den Welten.
Wir bedanken uns bei Katharina Schüller für das spannende Interview!
Selbst datenkompetenter werden? Unter Beteiligung von Katharina Schüller entstand auch ein kostenloser Online-Kurs des KI-Campus: Data-informed Decision-Making in a Pandemic.
Die Online-Reihe des Stifterverbandes „Let’s talk about Data Literacy“ :
Den ersten Beitrag der Reihe, ein Gespräch mit Dr. Andreas Bayerstadler von Munich Re, finden Sie hier.
Den zweiten Beitrag der Reihe, ein Gespräch mit Pia Wellhausen von Siemens Healthineers, finden Sie hier.
Den dritten Beitrag der Reihe, ein Gespräch mit Arthur M. Seidel von der Fraport AG, finden Sie hier.