Let’s talk about Data Literacy! Datenkompetenzen beim Unternehmen Fraport AG

Let’s talk about Data Literacy! Datenkompetenzen beim Unternehmen Fraport AG

05.09.22

Data Literacy gilt als ein entscheidender Future Skill. Im Rahmen des Stifterverbandsprogrammes Data Literacy Education hat sich ein stetig wachsendes Netzwerk von Hochschulen aufgebaut, die sich zu ihren Lernangeboten unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsfähigkeit austauschen. Doch wie sieht es mit der Vermittlung von Data Literacy in Unternehmen aus? Die neue Online-Reihe des Stifterverbands „Let’s talk about Data Literacy“ möchte Wissenschaft und Wirtschaft in einen Dialog bringen: Unternehmen geben Einblicke in ihre Aktivitäten zur Stärkung von Datenkompetenz. Im dritten Teil der Reihe berichtet Arthur M. Seidel von den Aktivitäten der Fraport AG zur Stärkung von Datenkompetenzen. Das Interview führten Dr. Henning Koch und Sam Sievers.Links befindet sich ein Portraitbild von Arthur M. Seidel, Rechts auf blauen Hintergrund befindet sich der Text: LET’S TALK ABOUT  DATA LITERACY! Datenkompetenzen beim Unternehmen Fraport AG blogbeitrag Ein Gespräch mit Arthur M. Seidel geführt von Dr. Henning Koch und Sam Sievers

Stifterverband: Herr Seidel, gab es in Ihrem Leben einen Moment, seit dem Sie sich bewusst Daten begeistern?

Arthur M. Seidel: Anfang der 90er bin ich im Rahmen meiner Diplomarbeit auf eine Geschichte gestoßen, die mich besonders fasziniert hat, auch wenn es sich um einen „Mythos“ handelt, wie ich Nachgang erfuhr. Es ging um die US-Supermarktkette Walmart, die in den 1990er Jahren über eine Warenkorbanalyse festgestellt haben soll, dass der Verkauf von Bier und Windeln korreliert. Analysen zeigten, dass überwiegend junge Väter die Windeln einkauften und nebenbei ganz gerne auch mal zu einem Six-Pack griffen. Aufgrund dieser Erkenntnis postierte Walmart Windeln und Bier nebeneinander und konnten somit den Umsatz beider Produkte erheblich steigern.

Ich dachte damals: „Wenn wir alle verfügbaren Daten wie z.B. Daten zur Verspätung von Zügen, Messe-Events, Flugpläne, Parkhauseinfahrten, Wetterlagen etc. zusammenführen und analysieren könnten, dann müssten sich Staus doch eigentlich vorhersagen lassen.“ Leider waren wir zu dem Zeitpunkt noch weit entfernt von „Big Data“ und den daraus resultierenden Potenzialen. Aber das Thema „Daten“ hat mich seither nicht mehr losgelassen.

Einige Jahre später verantwortete ich die Passagierflusssteuerung am Frankfurter Flughafen und versuchte mit meinem Team, Staus in den Terminalanlagen im Vorfeld zu erkennen und nachhaltig zu verhindern. Dabei lag ein Schwerpunkt auf der Identifikation von „Staumustern“ und der Ursachenanalyse, d.h. welche (Kombination von) Faktoren Staus an der Entstehung von Passagierstaus begünstigen / entstehen lassen und ob bzw. wie Passagierstaus im Vorfeld identifiziert und somit verhindert werden könnten. Im Rahmen meiner damaligen Tätigkeit entwickelten wir zusammen mit dem Fraunhoferinstitut ifa ein System zur operativen Früherkennung von Störungen im Passagierfluss, das patentiert wurde und das die Grundlage für das noch heute im Passagierflussmanagement des Frankfurter Flughafens im Einsatz befindliche System PaxZ bildete.

Wo sehen Sie in Ihrem Unternehmen den größten Handlungsbedarf im Bereich Datenkompetenzen?

Als ich in Vorbereitung unseres Data-Literacy-Programms das Konzept im Rahmen einer „Roadshow“ in den Leitungsteams der verschiedenen Flughafenbereiche präsentierte und für die Beteiligung an dem gerade beendeten Testlauf warb, stieß ich auf großes Verständnis und Akzeptanz des Top-Managements für den Einsatz von Data Analytics Ansätzen / KI… in den anderen Bereichen. Das zeigte mir, dass die Bedeutung und Sinnhaftigkeit von DA / KI zwar akzeptiert, allerdings mangels Kenntnis über Einsatzmöglichkeiten („Best Cases“) im eigenen Wirkbereich die vorhandenen Potenziale und die dafür notwendigen Schritte nicht erkannt wurden.

Somit ergab sich der größte Handlungsbedarf bei Fraport aus meiner Sicht in der „Aufklärung“ bezüglich der Einsatzmöglichkeiten und dem Aufzeigen von Potenzialen, die aus den neuen technischen Möglichkeiten erwachsen. Diesem Bedarf tragen wir durch die neu entwickelte Awareness-Kampagne, die seit Mai 2022 mit dem Start der DigiTalks-Reihe umgesetzt wird, Rechnung.

Eine weitere Herausforderung lag in der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses von Data Literacy (Datenkompetenz), der Verständigung auf eine „gemeinsamen Sprache“ über alle Bereiche des Flughafens hinweg. Denn wenn eines sehr schnell zutage trat, dann das: Jeder Bereich, jede:r Mitarbeitende:r hatte ein individuelles Verständnis darüber, was Datenkompetenz im individuellen und im kollektiven Kontext beinhaltet. Das war die „Geburtsstunde“ des Data-Literacy-Modells der Fraport AG, das wir (Personalentwicklung) gemeinsam mit den Data-Analytics-Expert:innen der IT-Abteilung und dem Bereich der Unternehmensstrategie / Digitalisierungsabteilung definierten. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Definition der benötigten Fertigkeiten (Skills) im Bereich Data Literacy und der bedürfnisorientierten Vermittlung dieser identifizierten Lerninhalte. So besteht Fraport aus einem Netzwerk von 18 Organisationseinheiten (Geschäftsbereichen), die von Compliance über Marketing und Infrastruktur bis Aviation und Umweltmanagement reicht. Selbstredend versteht ein Wildlife Manager unter Data Literacy etwas anderes als ein Leitender Angestellter in der Rechtsabteilung, verbindet ein Techniker mit Datenkompetenz etwas anderes als ein Projektleiter im Bereich Beteiligungsmanagement. Und dennoch arbeiten und produzieren alle Daten und benötigen dementsprechend auch Datenkompetenz, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägungsform und Tiefe. Diese Erkenntnis führte zur Entwicklung eines „generischen“ Funktionsrollenmodells, das gleichzeitig flexibel genug sein muss, um verschiedene Lernpfade innerhalb der einzelnen Data Literacy Funktionsrollen zu ermöglichen. Um diese Bedarfe zu ermitteln und gleichzeitig den Bedürfnissen der individuellen Lerntypen zu erfassen, führten wir im Zeitraum 05/22 – 10/22 einen persona-basierten Testlauf mit 19 Teilnehmenden durch. 

Wie haben Sie Ihre Erkenntnisse in die Konzeptionierung Ihres Weiterbildungsangebotes eingebracht? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht und wie soll es in Zukunft weitergehen?

Wir haben uns auf der Grundlage unserer Analyse für ein Rollenmodell mit zwei grundsätzlichen Ebenen entschieden. Hier unterscheiden wir die „Awareness-Ebene“, die sich an alle Führungskräfte und Mitarbeiter:inen richtet und die „Experten-Ebene“, in der wir an den Bedarfen der einzelnen Bereiche Data-Analytics-Expert:innen (BI Analysts, Data Analysts und Data Scientists) ausbilden, diese in einer fraportweiten Community nachhaltig vernetzen und kontinuierlich weiterentwickeln wollen.

Im Bereich Data / Digital Awareness haben wir zahlreiche niederschwellige Impuls- und Entwicklungsformate konzipiert, die entweder, wie z.B. die DigiTalks, bereits erfolgreich umgesetzt wurden oder sich, wie z.B. die „Let`s talk about…XY!“ Reihe, Digital Safari oder die „Zukunftswerkstatt“, in der Entwicklung / Umsetzung befinden. Dabei arbeiten wir mit internen und externen Expert:innen, Impulsgebenden und Meinungsbildner:innen zusammen und suchen ganz bewusst den Austausch mit Menschen in Unternehmen, die ähnlichen Herausforderungen gegenüberstehen, ihre eigenen Antworten suchen und diese ausprobieren. Dabei haben wir nicht nur sehr viele interessante Menschen und deren Projekte kennengelernt, sondern auch gemeinsame Projekte gestartet, bei denen wir alle sehr gespannt auf die Ergebnisse sind.

Im Bereich des Data-Analytics-Kompetenzaufbaus haben wir einen ersten Testlauf mit einem sehr vielversprechenden Schulungsanbieter im Bereich Data Literacy durchgeführt. Aktuell evaluieren wir die Ergebnisse des Testlaufs, den wir persona-basiert konzipiert und durchgeführt haben. Das bedeutet, dass exemplarisch bestimmte „Lerntypen“ ausgesucht wurden, die jeweils exemplarisch für eine Gruppe von potenziellen Teilnehmenden stehen. Diese Persona reichen vom 22-jährigen Data Rooky über den 40-jährigen Feuerwehrmann bis hin zum 56-jährigen Mitarbeiter, der über eine sehr fundierte, autodidaktisch erworbene Expertise im Bereich Data Analytics mit „traditionellen“ Instrumenten verfügt.

Aktuell befinden wir uns in der Evaluationsphase und erheben die individuellen „Lernreisen“ der Teilnehmenden, führen diese zusammen und werten sie hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus. Auch wenn es noch zu früh für eine finale Aussage ist, so kann man bereits eine Erkenntnis vorwegnehmen: Es gibt nicht „die eine Schulung“ für jede Funktionsrolle. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind deren Bedürfnisse beim Erwerb neuen Wissens. Das muss sich in der Vermittlung des Lernstoffs über unterschiedliche Kanäle und Trainingsansätzen, aber auch in individuellen, der Persönlichkeit und dem Aufgabengebiet entsprechenden Lernpfade, wiederspiegeln.

Aber die wichtigste Erkenntnis, die wir bereits gewinnen konnten, ist, dass die Vermittlung von Lerninhalten nur einen Teil des tatsächlichen Kompetenzaufbaus darstellt. Mindestens genauso wichtig ist der Wissenstransfer in die Praxis, d.h. wie gut können angehende DA-Expert:innen das theoretische und methodische Wissen in ihr Aufgabengebiet und ihren praktischen Arbeitsalltag, einbringen. Dazu bedarf es einer gewissen Datenkompetenz bei den Vorgesetzten und die Möglichkeit, das Erlernte in der Praxis umzusetzen. Dabei ist das Wissen über die zur Verfügung stehenden Daten (-> Datenübersicht) unabdingbar, genau wie der einfache Zugriff auf die verschiedenen „Datentöpfe“ (-> Datenverfügbarkeit). Um das zu erreichen ist im Anschluss an die eigentliche Schulung ein nicht unerheblicher Aufwand an Coaching und Praxis-Anleitung durch erfahrene Inhouse-Expert:innen (-> Onboarding) sowie ein organisationaler Mindshift, über alle Bereiche und Hierarchieebenen hinweg, notwendig. Dies zeigt, dass, um die Potentiale eines Kompetenzaufbaus im Bereich Data Literacy umfassend und nachhaltig „heben“ zu können, neben dem eigentlichen Kompetenz- / Wissensaufbau ein Umdenken in der Organisation und ein damit einhergehender Kulturwandel notwendig ist.

Wie könnten Sie sich eine Zusammenarbeit mit Hochschulen vorstellen oder arbeiten Sie vielleicht bereits mit Hochschulen zusammen? Welche Chancen sehen Sie für eine Kooperation?

Fraport besteht wie jeder Flughafen aus Geschäftsbereichen, die z.T. sehr unterschiedliche, spezifische Aufgaben wahrnehmen, häufig sehr autark organisiert sind und, zumindest früher, häufig autonom agierten. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass „Fürstentümer“ existierten, was sich u.a. auch in den jeweiligen Systemlandschaften und den darin isoliert vorgehaltenen Daten widerspiegelte.

Seit einigen Jahren findet bei uns ein Wandel im Umgang mit Daten, eine Öffnung nach innen und außen statt.  Dies setzt eine strukturelle Organisationsentwicklung voraus, die mit einem Wandel in der Unternehmenskultur einhergeht, was naturgemäß nicht disruptiv „über Nacht“ geschieht, sondern eher „evolutionär“ in kleinen Schritten vonstattengeht.

In der Vergangenheit haben bei Fraport bereits Hackathons stattgefunden, im Zuge dessen u.a. eine Open Data Schnittstelle geschaffen wurde. Diese Möglichkeit wurde / wird bereits von einigen Startups genutzt, die erste Lösungsansätze entwickelten und mit Fraport Kooperationen eingegangen sind.

Auch wenn in einzelnen Projekten Fraport bereits mit Hochschulen wie der Uni Marburg, der TU Darmstadt und der TUM partiell auf Projektebene kooperierte, stehen wir im Feld der Zusammenarbeit mit Hochschulen noch ganz am Anfang – es existiert noch viel Potenzial!

Ich denke, dass die Zeit „reif“ ist und in naher Zukunft Fraport verstärkt mit Hochschulen und Forschungsinstituten zusammenarbeiten wird, auch und gerade bei der Nachwuchsförderung. Deshalb möchten wir die Zusammenarbeit mit Hochschulen und interessierten Experten forcieren und fördern. Interessierte können sich gerne bei mir melden.

 

Wir bedanken uns bei Arthur Seidel für das spannende Interview und seine Teilnahme an „Let´s talk about Data Literacy“!

Den ersten Beitrag der Reihe, ein Gespräch mit Dr. Andreas Bayerstadler von Munich Re, finden Sie hier.

Den zweiten Beitrag der Reihe, ein Gespräch mit Pia Wellhausen von Siemens Healthineers, finden Sie hier.

 

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