Lehrende und KI: (k)eine angespannte Beziehung?

Lehrende und KI: (k)eine angespannte Beziehung?

27.03.24

Wie können KI-basierte Tools die Lehr-/Lernprozesse an der Hochschule unterstützen? Darüber haben sich Stefanie Go und Kathrin Schelling bereits mit einigen Lehrenden unterhalten – denn im Rahmen des Verbundprojekts „HAnS“ begleiten sie die Entwicklung eines intelligenten Assistenzsystems für die Hochschulbildung aus bildungswissenschaftlicher Perspektive. Dabei fiel ihnen allerdings etwas Eigenartiges auf: Selbst Dozent:innen, die sich KI gegenüber aufgeschlossen zeigen, binden sie eher selten in Lehrveranstaltungen ein. Wie das zusammenpasst? Hier sind drei mögliche Erklärungen – und ein guter Grund dafür, dass es sich lohnt, sie allesamt kritisch zu hinterfragen.

Künstliche Intelligenz ist aus dem Alltag vieler Dozent:innen an deutschen Hochschulen längst nicht mehr wegzudenken. Manche ziehen Korrekturhilfen wie Quillbot oder Übersetzungstools wie DeepL zur Erstellung neuer Lernmaterialien heran, andere nutzen frei verfügbare Chatbots wie ChatGPT oder Google Gemini, um Diskussionsfragen, Fallbeispiele und Fragen für Multiple-Choice-Tests zu generieren. Im Rahmen unserer Forschung haben wir uns mit einigen dieser Lehrenden darüber unterhalten, welche Chancen, Risiken und Einsatzszenarien sie mit künstlicher Intelligenz in der Hochschulbildung verbinden. Dabei fiel uns eines als scheinbar widersprüchlich auf: Selbst die Dozent:innen, die aktiv mit KI experimentieren und teils sogar bestimmte Anwendungen regelmäßig zur Vor- und Nachbereitung ihrer Lehre nutzen, berichteten nur selten davon, dass sie KI-Tools auch in ihre Lehrveranstaltungen einbeziehen.

Aber wie passt das zusammen? Warum stehen diese Lehrenden KI aufgeschlossen, oft sogar ausgesprochen neugierig gegenüber, wollen sie aber lieber nicht im Hörsaal oder im Seminarraum haben? Darum soll es in diesem Beitrag gehen. Bevor wir versuchen, Antworten zu finden, wollen wir Sie allerdings erst auf einen kleinen Umweg einladen – denn die Eindrücke, um die es in diesem Artikel gehen sollen, speisen sich aus mehreren explorativen Studien, die sich mit einer ganz bestimmten KI-gestützten Lernplattform beschäftigen …

Digitales Lehren und Lernen mit HAnS

Falls Sie sich nun fragen, was „HAnS“ ist: Ein BMBF-gefördertes Verbundprojekt, in dem zwölf Institutionen gemeinsam an der Entwicklung eines intelligenten Hochschul-Assistenz-Systems arbeiten. Dieses System können Sie sich als Plugin für Lernmanagement-Systeme wie Moodle oder ILIAS vorstellen: Studierende und Lehrende loggen sich wie gewohnt über ihren Account im System ihrer Hochschule ein und finden dort einen Button, der sie auf die HAnS-Plattform führt.

Dort dreht sich alles um audiovisuelle Lernmaterialien, um Vorlesungsmitschnitte, Lernvideos, Podcasts usw., die mittels Spracherkennung aufbereitet werden. Dabei erstellt HAnS zunächst automatisch Transkripte zu den Aufnahmen  – das ist eine der KI-basierten Kernfunktionen des Systems. Diese Transkripte können die User:innen nicht nur parallel zu den Aufnahmen lesen, sondern auch gezielt durchsuchen: Die systemeigene Suchfunktion ermöglicht es, sowohl im Text als auch in der korrespondierenden Aufnahme an genau die Stelle zu springen, an der ein gesuchter Begriff auftaucht.

Darüber hinaus soll HAnS drei weitere Funktionen bieten, die individuelle Lernprozesse unterstützen:

  1. ein Recommender-System, über das User:innen Materialpakete zusammenstellen können,

  2. automatisch generierte Übungen und

  3. einen Chatbot.

Um das System möglichst passgenau auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden anzupassen, wird die technische Entwicklung bildungswissenschaftlich begleitet (Schmohl et al., 2023).

Hier kommen wir – das Projektteam an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL) – ins Spiel.

Die Kl-basierten Kernfunktionen des intelligenten Hochschul-Assistenz-Systems HAnS: (1) Automatische Transkripte für Lernmaterialien erstellen (2) Intelligent suchen - In Video und Audio (3) Übungen automatisch generieren (4) Materialien zum vertiefenden Lernen vorschlagen (5) Dir als Chatbot behilflich sein
Abb. 1: Die KI-basierten Kernfunktionen des intelligenten Hochschul-Assistenz-Systems HAnS.

Wie stehen Lehrende zum Einsatz KI-basierter Tools?

Als Teil des Arbeitspakets Didaktik beschäftigt sich das Team der TH OWL mit der Frage, wie HAnS Lehr- und Lernprozesse unterstützen kann. Zu diesem Zweck haben wir u. a. Fokusgruppen, Einzelinterviews und eine halbstandardisierte schriftliche Befragung durchgeführt, in denen Erwartungen und Bedürfnisse künftiger User:innen ermittelt wurden.

In jeder dieser drei explorativen Erhebungen zeichnete sich dabei ein auffälliger Trend ab: Die teilnehmenden Lehrenden und Bildungsexpert:innen verorteten KI-basierte Tools vor allem in den Selbstlernphasen der Studierenden (Go, 2024). Mit Blick auf die Implementierung von HAnS im Regelbetrieb der Verbundhochschulen gab uns das zu denken – immerhin spielen Lehrende nicht nur als prospektive User:innen, sondern auch als Multiplikator:innen eine wichtige Rolle für die erfolgreiche Einführung neuer Lerntechnologien.

Drei Arbeitshypothesen über Lehrende und KI

Wie kommt es, dass Lehrende KI-basierten Anwendungen in der Hochschule mit einem gewissen Maß an Zurückhaltung begegnen? Wir wollten es genauer wissen und haben daher die Ergebnisse unserer explorativen Erhebungen verglichen. Dabei konnten wir Themencluster identifizieren, anhand derer sich Hypothesen über Erwartungen und Befürchtungen aufstellen lassen. Drei davon wollen wir Ihnen hier präsentieren.

Hypothese 1: Vorliebe für interaktive Lernformate Bildungsexpert:in - Halbstandardisierte Befragung „HAnS kann in der Hochschullehre sicher für das Selbststudium überaus hilfreich sein und möglicherweise auch zusätzliche Prozesse informellen Lernens anregen, jedoch würde die Interaktion mit einer anderen Person oder anderer materieller Umwelt ersetzen und so ein relevanter Aspekt der Lernmotivation fehlen." Lehrend:er - Interviewstudie „Ich glaube, das ist schon auch so eine Art und Weise, wie ich einfach gerne lehre und auch lerne: im Austausch. Und ich glaube, dass das für die Studierenden gewinnbringender ist als wenn ich jetzt zwanzig Vorlesungen gebe." Bildungsexpert:in - Fokusgruppe „Oder will ich immer ne Musterlösung haben? Es ist ja manchmal viel wertvoller, mit andern darüber zu diskutieren, ob mein Lösungsweg für irgendetwas richtig ist, ob ichs richtig verstanden habe, ob ich n Wort in seiner semantischen Bedeutung irgendnem Sachverhalt korrekt zuordne, das fällt mir ja vielleicht anders auf, als wenn ich da nur, äh, in der Einsamkeit des Digitalen arbeite."
Abb. 2: Drei exemplarische Aussagen zur Bedeutung der Interaktion in der Lehre.

Einer der möglichen Gründe dafür, dass die Lehrenden und Bildungsexpert:innen, die an unseren explorativen Erhebungen teilgenommen haben, KI-basierte Tools primär in den Selbstlernphasen der Studierenden verorten, könnte weniger mit den Anwendung als mit der Lehrpraxis der Befragten zu tun haben. Was, wenn die Teilnehmenden schlicht interaktive Lehrformate präferieren und sich (noch) nicht vorstellen können, inwiefern z. B. ein Assistenz-System wie HAnS Diskussionen und Gruppenarbeiten bereichern könnte? Vor diesem Hintergrund wäre es nur logisch, dass Lehrende den Einsatz KI-basierter Tools den selbstorganisierten Lernphasen zuordnen – weil sie hier konkrete didaktische Mehrwerte für diese Anwendungen sehen.

Hypothese 2: Risiken für die Lernprozesse Bildungsexpert:in - Halbstandardisierte Befragung „Zeit- und ortsabhängig ist gerade für strukturierte Bildungsprogramme nur ein geringer Vorteil. Es erhöht die Verfügbarkeit. Wenn sie nicht eingebunden sind, erzeugt die zeit- und orts-ungebundenheit auch Kontingenz und Selbstorganisationsherausforderungen." Lehrend:er - Interviewstudie „Und auf der anderen Seite ist eben bei mir immer die Frage: Was macht es denn mit unserem Denken, wenn wir eben alles nur noch digitalisiert quasi ausgespuckt bekommen? Wenn ich jede Frage irgendwie eintippen kann und kriege dann die ideale Antwort? Was macht es dann auch mit so Argumentationen und so weiter und so fort?” Bildungsexpert:in - Fokusgruppe „Aber [...] die ganze Diskussion darf nicht dazu führen, dass ich sage, der Workload wird reduziert oder das Wissen, [...] dann bilden wir nur noch halbgewalkte Experten aus, die helfen uns ja gar nicht."
Abb. 3: Drei exemplarische Aussagen zu möglichen Risiken für die Lernprozesse der Studierenden.

Der zweite Themencluster, der sich in unseren Erhebungen abzeichnet, betrifft die Sorge um die Lernprozesse der Studierenden: Was, wenn sich KI in der Hochschulbildung als disruptiv erweist – aber eben im negativen Sinn? Die Befragten in unseren Studien thematisierten u. a. das Risiko, dass sich User:innen von KI-basierten Anwendungen reduzierte oder schlimmstenfalls sogar falsche Wissensbestände aneignen und auch metakognitive Kompetenzen, die für die Organisation effizienter Lernprozesse erforderlich sind, nur bedingt ausbilden könnten. Außerdem äußerten sie sich kritisch dazu, dass Lernende den Einsatz der Tools selbst planen und steuern müssten – was uns auch schon zu unserem dritten Thema führt …

Hypothese 3: Verstärkung von Ungleichheiten Bildungsexpert:in - Halbstandardisierte Befragung „Ich fürchte [die Lernenden, die von einem System wie HAnS profitieren würden], das sind die technisch-affinen Studierenden, mit guter medialer Ausstattung, die bereits einen guten Überblick über die Lehr-/Lerninhalte haben." Lehrend:er - Interviewstudie „Aber zum anderen sehe ich eben dieses Risiko, dass Bot und Studierendenposition dann ein Stück weit verschwimmt im Umgang mit dem Text. Und ich als Dozierende dann glaube ich zu sehr darauf geeicht bin, das Prüfungsproblem zu sehen, dass ich bei einem (...] Text, der basierend darauf entsteht, tatsächlich Schwierigkeiten haben könnte, dann leistungsmäßig zu unterscheiden." Lehrend:er - Fokusgruppe „Bei negativ fällt mir noch ein [...] das Thema der Selbstständigkeit, es bleibt ja völlig unklar. Ich kann ja irgendjemanden fragen, der, äh, mir die [automatisch durch HAnS generierten] Fragen beantwortet und [...] dann ist es unklar, ob es eine selbststäftge Lernleistung überhaupt war oder nicht."
Abb. 4: Drei exemplarische Aussagen dazu, wie KI-basierte Tools Ungleichheiten verstärken könnten.

In unseren Erhebungen betonten sowohl Lehrende als auch Bildungsexpert:innen wiederholt, dass ihrer Ansicht nach nicht alle Studierenden im gleichen Maß von KI-basierten Tools profitieren würden. Neben der medialen Ausstattung der Lernenden spielen aus Sicht der Befragten auch deren digitale Kompetenzen wichtige Rolle: Studierende, die routiniert mit digitalen Anwendungen umgehen, können – so die Überlegung der Befragten – deutlich größere Lernerfolge erzielen als Lernende, die sich erst mit einem bislang unbekannten Tool vertraut machen müssen. Außerdem eröffnen neue Anwendungen auch neue Schlupflöcher. Wer bereit ist, diese für sich zu nutzen, könnte eventuell Beiträge eines Chatbots oder menschlicher Dritter unbemerkt als Eigenleistung ausgeben.

Was bedeutet das für den Einsatz von KI an Hochschulen?

Long story short: Diese Frage können wir bislang nicht beantworten. Damit sind wir aber auch nicht allein, denn was die erfolgreiche Implementierung KI-basierter Anwendungen im Lehr- und Lernalltag an der Hochschule anbelangt, fehlt es derzeit schlicht an empirischen Daten.

In einem Punkt sind wir uns aber schon heute recht sicher: Lehrende, die KI in ihre Lehrveranstaltungen integrieren, können damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung digitaler Schlüsselkompetenzen leisten. Wer KI-basierte Anwendungen in Lehrveranstaltungen integriert, sorgt schließlich auch dafür, dass sich eben nicht nur die Studierenden sich mit dem Thema beschäftigen, die sich ohnehin für das Thema interessieren. Die gemeinsame Nutzung neuer Technologien ermöglicht es auch weniger technikaffinen Lernenden, den Einstieg in die Auseinandersetzung mit KI zu finden.

Wollen wir Lehrende dabei unterstützen, didaktische Konzepte für den Einsatz von KI in der Lehre zu entwickeln, gilt es allerdings auch, zuallererst Hemmschwellen abbauen. Und das können wir nur, wenn wir wissen, mit welchen Erwartungen Lehrende diesen Anwendungen begegnen. Aus diesem Grund sammeln wir – die Autor:innen dieses Beitrags – derzeit Arbeitshypothesen wie die drei, die wir Ihnen in diesem Beitrag vorgestellt haben. Sie sollen nicht nur als Ansatzpunkte für vertiefende Forschung innerhalb unseres Projektverbunds dienen, sondern auch zur Entwicklung von Use Cases, die Lehrende dabei helfen können, KI-basierte Anwendungen wie das intelligente Hochschul-Assistenz-System HAnS gezielt in ihren Arbeitsalltag zu integrieren – nicht nur in der Vor- und Nachbereitung ihrer Lehre, sondern auch in Hörsaal und Seminarraum.

Literatur

Go, S. (2024, in Vorbereitung). Kann ein intelligentes Hochschul-Assistenz-System Lehrende für sich begeistern? Barrieren und Potenziale von KI-basierten Bildungstechnologien in der Hochschulbildung. die hochschullehre.

 

Schmohl, T., Schelling, K., Go, S., Freier, C., Hunger, M., Hoffmann, F., Helten, A.-K. & Richter, F. (2023). Combining NLP, speech recognition, and indexing: an AI-based learning assistant for higher education. The Future of Education, 13.

Über die Autor:innen

Stefanie Go ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Im Rahmen des Verbundprojekts HAnS und auch in ihrer Dissertation geht sie der Frage nach, wie KI-basierte Lerntechnologien erfolgreich in Lehr-/Lernprozesse der Hochschulbildung integriert werden können. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den Partizipationsmöglichkeiten, die KI für Lehrende und Lernende eröffnen könnte.

Kathrin Schelling ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Im Verbundprojekt HAnS wirkt sie an der bildungswissenschaftlichen Begleitforschung mit. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lehrpraxis beschäftigt sie sich aktuell intensiv mit der Frage, wie KI-basierte Chatbots in die Hochschullehre eingebunden werden können, um sowohl Lernende als auch Lehrende zu unterstützen.

Jonas Morasch studiert an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe das Fach Medienproduktion. Er interessiert sich dabei besonders für Animation und 3D-Welten. Als studentische Hilfskraft im HAnS-Projekt übernimmt er u.a. die Visualisierung von Forschungsergebnissen.

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