Kurzweil und Langeweile in der Cloud – von Menschen, die sich eines Tages der KI überlegen fühlen werden – Ein (nicht zu) ernst gemeinter Kommentar
Kurzweil und Langeweile in der Cloud – von Menschen, die sich eines Tages der KI überlegen fühlen werden – Ein (nicht zu) ernst gemeinter Kommentar
22.04.21Beim Thema Gehirn-Upload und ähnlichen Fantasien über künstliche Intelligenz kann einem schon einmal der Kopf rauchen – wie bringen wir das alles mit unserem Selbstverständnis als Menschen (an deutschen Hochschulen) zusammen? Dieser Kommentar schafft Abhilfe.
Kennen Sie Plotin? Wenn nicht, ist das halb so wild. Aber Hegel kennen Sie oder haben seinen Namen vielleicht schon einmal gehört. Ganz bestimmt kennen Sie aber Descartes oder zumindest seinen berühmten Ausspruch „Ich denke, also bin ich“. Was diese drei Vertreter der europäischen Geistesgeschichte verbindet, ist (unter anderem) das sogenannte Leib-Seele-Problem. Das ist, vereinfacht gesagt, das alte Problem, ob Ihr physischer Körper (hier Leib) mit Ihrem denkenden Ich (hier Seele – doch Obacht!) identisch ist, also sich auseinander ergeben und sich bedingen oder ob sie zwar zusammengehören, aber zwei für sich zu verstehende Dinge sind. Sie kennen das Problem vielleicht von Ihrem letzten Besuch beim China-Buffet, wenn sich Ihr Geist eigentlich unbedingt noch einen Nachschlag holen will, Ihr Körper aber unter keinen Umständen mehr dazu zu bewegen ist. Diese sehr alte und trotzdem sehr aktuelle Fragestellung ist Teil des Kanons der Leitfragen antiker und humanistischer Philosophie.
Kennen Sie Ray Kurzweil? Wenn nicht, IST das schlimm. Herr Kurzweil nämlich hat viele Ideen. Ähnlich einem Herrn Musk macht er sich viele Gedanken um die Zukunft. Und in dieser Zukunft wird es nicht nur Menschen neben denkenden Maschinen geben. Nein, Sie und ich werden gar mit diesen verschmolzen sein. Dieses Denken nennt man nun langläufig Trans-Humanismus. Das ist aber nicht unbedingt eine Weiterentwicklung des Humanismus. Ich vermute nämlich, dass der Herr Kurzweil, den Sie kennen sollten, die Herren Plotin, Hegel oder Descartes nicht kennt, die Sie ebenfalls nicht unbedingt kennen müssen. Denn Letztere werden Ihnen weder bei der Steuererklärung helfen noch Sie daran erinnern den Ton anzumachen, wenn Sie in der Zoom-Konferenz mit Sprechen dran sind oder Ihnen zeigen, wie ein Bananenbrot auf jeden Fall gelingt. Sie könnten aber dabei helfen, nicht den gleichen Fehler wie Herr Kurzweil zu machen.
Kürzlich veröffentlichte das Online-Magazin Heise einen Beitrag mit dem Titel „Wissenschaftliche Befunde sprechen gegen einen Gehirn-Upload“. Tenor war ein Dämpfer für Startups, die in Aussicht stellten, auf absehbare Zeit ein Gehirn vollständig auslesen und in logische (also digitale) Informationen fassen zu können. Besagter Dämpfer lässt nun vermuten, dass das Gehirn allein nicht bestimmt, was es ist und Erfahrungen zu machen, Reize zu empfinden, diese zu denken, zu reflektieren und zu verknüpfen, also was es für Sie ausmacht, Sie zu sein. Ich selbst stelle mir dazu noch die Frage, was ich dann überhaupt in der Cloud machen sollte, für den Fall, dass es doch funktioniert. Dazu stellen Sie sich bitte einmal vor, was wäre, wenn Ihr Gehirn ausgelesen und hochgeladen wird, Ihr Gehirn aber nicht abgeschaltet. Dann gibt es Sie und ein digitales Sie, das behauptet Sie zu sein. Trekis auf der ganzen Welt wissen, was ich meine. Klingt nach Science-Fiction? Ist es auch. Und keine Sorge. Sollte so etwas wirklich einmal möglich sein, werden Sie und ich uns damit nicht mehr herumschlagen müssen, so weit vermute ich eine solche Technik noch mindestens entfernt. Aber warum erzähle ich Ihnen das?
Zumindest zeigt dieses Beispiel, dass Träumende bereits jetzt technologische Zukünfte ersinnen, die, geradezu religiös aufgeladen, eine Gesellschaft mit völlig unübersehbaren Problemen überhäufen würden, dass es eine andere Menschheit, eine andere Welt zur Folge hätte. Aber diese Träumenden tun das nicht im stillen Kämmerlein oder als Autorinnen und Autoren fantastischer Geschichten, Filme und Serien, sondern haben Milliarden Dollar im Rücken und treiben von gewaltigen Firmengeflechten aus die Erwartungen der globalen Wirtschaft an die Fähigkeiten kommender Technologien vor sich her.
Ein bisschen mehr Plotin, ein wenig mehr Descartes, dazu Humboldt und natürlich immer eine gehörige Portion Kant. Gerne auch als YouTube-Video oder Wikipedia-Artikel (Als Plattformen beide besser als ihr Ruf). Oder wissen Sie was? Vielleicht einfach nur in der Gestalt, dass Sie und ich das Vertrauen entwickeln, dass das, was unsere Zukunft gedeihlich und unsere Gesellschaft lebenswert macht, nicht ausschließlich in neuen Tools und Algorithmen liegen wird, sondern in den Gedanken und Erfahrungen derer, die sich über die eigentlichen Probleme vor uns bereits Gedanken gemacht haben. Dann werden KI-Systeme zwar keine Messias-Technik mehr sein, aber sie werden andersherum auch keine Angst mehr machen müssen. (Bitte sehen Sie sich dazu einen beliebigen Sci-Fi Film der letzten Jahrzehnte an, in denen KI eine Rolle spielte. Fast alles Dystopien!)
Wenn KI, Big Data und Algorithmen Arbeitsplätze wegfallen lassen, bedeutet das nicht, dass wir die Technik nicht entwickeln dürfen, sondern dass wir uns überlegen sollten, wie wir als Gesellschaft damit umgehen, wenn die produzierende Arbeit weniger wird. Wenn KI und Big Data uns schnelle Zugänge zu Wissensbeständen ermöglichen, befreit uns das weder vom Lernen noch vom Denken, ermöglicht ja aber vielleicht ein Lernen, das mehr zusammenhängendes Denken und Inspiration ermöglicht und weniger Auswendiglernen von Fakten benötigt. Versuche, wie eine Maschine zu lernen, sind ohnehin selten von Erfolg gekrönt und haben bisher eher als Saalwette für frühe Wetten Dass-Folgen getaugt. Die KI-Systeme bleiben Werkzeuge und sind entsprechend in ihrer Funktion dem Menschen überlegen. Und zum Glück ist das so. Wer zuletzt versucht hat einen Nagel mit einem gezielten Handkantenschlag in die Wand zu bekommen, weil er nicht von einem Hammer in dieser Aufgabe überflügelt werden wollte, weiß, wovon ich spreche.
Und ein Letztes noch: Ebenso wie mit dem Leib-Seele-Problem verhält es sich auch mit dem Leib und der Seele unserer Gesellschaft und unserer Hochschulen. Die Gesellschaft ist nicht das Brutto-Sozial-Produkt und das Wesen eines Studiums nicht die Summe der bepunkteten Module mit entsprechenden Modulabschlussnoten. Sich auf den Humanismus zu besinnen wäre auch hier von großem Vorteil. Von Vorteil für die Herstellung nützlicher und wertvoller KI-Systeme und digitaler Strukturen im Allgemeinen. (Vor allem bei der Frage, wem was gehören und wozu nützen soll!) Von Vorteil für eine gerechtere Gesellschaft mit weniger Diskriminierung und Barrieren. Von Vorteil in der Begegnung mit vermeintlichen Utopien, die sich ganz schnell als Schreckgespenster herausstellen könnten. Haben Sie also nicht nur den Mut, sich Ihres eigenen Verstandes zu bedienen (bereits hinreichend anspruchsvoll für uns alle), trauen Sie ihm ruhig auch mehr zu als einem Computer. Der Industriestandort Deutschland, auf der Suche nach einem eigenen Zukunfts-Profil, unser gutes altes Bildungsideal und Ihre Enkel werden es Ihnen danken.
(P.S.: Die werden Go und Schach übrigens trotz allem voraussichtlich auch lieber gegen Menschen spielen.)