Im Jetzt-und-Hier für morgen bauen: COMPLETE – Collaborative Spaces for Online-meets-Physical Learning and Teaching
Im Jetzt-und-Hier für morgen bauen: COMPLETE – Collaborative Spaces for Online-meets-Physical Learning and Teaching
12.05.22Erfinden sich die Hochschulen als „Blended Universities“ neu? Mit dem Lernraumprojekt „COMPLETE – Collaborative Spaces for Online-meets-Physical Learning and Teaching“ lotet die Hochschule Ruhr West (HRW) aktuell aus, wie sich Online- und Campuspräsenz durch innovative Lehr-Lern-Konzepte und die dazu passende Lernarchitektur bestmöglich verbinden lassen. Im Blogbeitrag stellen Brian Liebig und Ina Thiesies-Cremer die Projektidee vor und teilen ihre Erfahrungen aus der Konzeptionsphase.
Zufällig auf dem Flur ins Gespräch kommen, zwischen zwei Vorlesungen noch eben in der Cafeteria das Skript zusammen durchgehen oder in der Bibliothek ungestört lesen und die Regale durchstöbern – vieles, was vor Beginn der Covid-19-Pandemie ganz selbstverständlich zum Hochschulalltag gehörte, war im Frühjahr 2020 erstmal nicht mehr möglich.
Das jähe Erliegen des Campuslebens vor zwei Jahren hat uns allen deutlich gemacht, welchen hohen Stellenwert der physische Lernort Hochschule nach wie vor besitzt: als Begegnungsort für spontane soziale Interaktion, als Erkundungs- und Erprobungsraum und nicht zuletzt als Ruhe- und Rückzugsort außerhalb des privaten Umfelds, der konzentriertes Lernen und Arbeiten oft überhaupt erst möglich macht. Entsprechend groß war und ist nun bei vielen die Freude über die Rückkehr zum (fast) normalen Präsenzbetrieb. Gleichzeitig haben rund vier Semester Distanzlernen und -lehre unseren Blick für die Defizite der bestehenden Hochschullernarchitektur geschärft. Steil ansteigende Hörsäle mit starren Klappstuhlreihen und Seminarräume in Bus-Formation wollen nicht so recht zu den verstärkt kommunikativen und flexibleren Lern- und Arbeitsformen passen, die wir in den vergangenen beiden Jahren kennen und schätzen gelernt haben. Auch harte Brüche beim Wechsel zwischen virtuellen und physischen Lernräumen schmälern die Wiedersehensfreude.
Mehr denn je zeichnet sich gerade der Wunsch nach Raumlösungen ab, die es Lehrenden und Lernenden ermöglichen, Online- und Vor-Ort-Lernen einfach zusammenzuführen und ihre neugewonnene Lust am Ausprobieren weiter auszuleben. An der Hochschule Ruhr West in Mülheim an der Ruhr und Bottrop wollen wir den Grundstein für genau so eine Lernumgebung mit Hilfe des Projektes COMPLETE legen, das am 1. August 2021 begonnen hat. Dankenswerterweise starten wir dabei nicht von Null!
Gemeinsam von der Idee zum Projekt
Bereits vor COMPLETE wurden an der HRW Maßnahmen zur Verbesserung der Studienqualität umgesetzt, die den Raum im Fokus hatten. Allen voran ist hier die Initiative LernRaum der Hochschulbibliothek zu nennen. Sie arbeitet seit 2016 kontinuierlich daran, die studentischen Lernflächen für Einzel- und Gruppenarbeiten an beiden Campusstandorten zu erweitern und bedarfsorientiert auszustatten. Darüber hinaus wurden strategische Überlegungen zur Weiterentwicklung der Campusanlagen angestoßen. Im Zuge des Hochschulentwicklungsprozesses „Lehre und Lernen 2030“ fanden verschiedene Austauschformate mit Lehrenden, Lernenden und Beschäftigten statt, darunter im Oktober 2020 und im Januar 2021 auch Hybrid- und Online-Workshops zum Thema Lernraumgestaltung. Mit COMPLETE werden nun weitere Veränderungen an der HRW umgesetzt. Möglich macht dies die Förderlinie „Hochschullehre durch Digitalisierung stärken“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Die HRW nahm den in Aussicht gestellten Finanzierungsschub zum Anlass, einen offenen Ideenwettbewerb auszurufen, bei dem Lehrende und Beschäftigte der Hochschulservices ihre innovativen Konzepte für digitale und hybride Hochschullehre einreichen konnten. Bei der Sichtung der zahlreichen Einreichungen kristallisierte sich neben dem Wunsch nach einer intensiveren Auseinandersetzung mit digitalen und speziell Online-Prüfungen auch der Bedarf nach neuen, modernen Lernräumen heraus. Während Ersteres in einem hochschulinternen Projekt realisiert wurde, wurde das Thema Lernräume mit Unterstützung der Stiftung weiterverfolgt. Eins stand dabei fest: So partizipativ wie die Projektidee entwickelt worden war, sollte es auch im Projekt selbst weitergehen.
Was wir vorhaben
Das Hauptaugenmerk von COMPLETE richtet sich auf zwei Handlungsfelder: Zum einen bauen wir die bereits vorhandenen studentischen Lernflächen weiter aus, zum anderen gestalten wir drei klassische Unterrichtsräume zu prototypischen „New-Learning-Spaces“ um. Inmitten des Campus-Altbestandes wollen wir so fruchtbaren Nährboden für einen langfristigen Erneuerungsprozess schaffen.
Eine Kernaufgabe ist dabei die bessere Anbindung der studentischen Lernorte an die digitale Infrastruktur der Hochschule. Gemeinsam mit den Kolleg*innen der Initiative LernRaum und der IT und Medientechnik statten wir die Einzel- und Gruppenarbeitsräume mit zeitgemäßer Präsentations- und Kollaborationstechnik aus, die sich nahtlos in das Unified-Communications-Konzept der HRW einfügt. Parallel organisieren wir die Geräteausleihe neu, um sicherzustellen, dass auch alle das Angebot in vollem Umfang nutzen können. Mit einem verbesserten Buchungssystem, das anzeigt, wo aktuell Lernplätze verfügbar sind, wollen wir zudem Lernphasen einfacher planbar machen und zeitliche Verzögerungen im Lernablauf minimieren.
Die Gestaltung der drei Pilot-Unterrichtsräume erfolgt in gleichem Maße nutzer:innenzentriert. Impulse geben hier drei innovative Lehr-Lern-Konzepte, die derzeit mit mediendidaktischer und -technischer Unterstützung in Module bzw. Lehrveranstaltungen übersetzt und voraussichtlich ab dem Wintersemester 2022/23 an der HRW erprobt werden. Entwickelt wurden sie von Lehrendenteams aus allen vier Fachbereichen der Hochschule, die sich gemeinsam im Rahmen von COMPLETE engagieren und gegenseitig inspirieren:
Für die „Digitalgestützte Vermittlung von Praxiskompetenzen in der Gebäude- und Energietechnik“ entsteht ein Hybrid-Seminarraum, der Studierenden und Lehrenden des Bauingenieurswesens und der Energiestudiengänge zukünftig die fach- und standortübergreifende Zusammenarbeit erleichtern soll und zugleich neue Möglichkeiten für COIL-Formate (= Collaborative-Online-International-Learning) eröffnet. Aus dem Bereich Mess- und Sensortechnik stammt der Entwurf für einen Mix aus Computer-Lab und Makerspace, der dabei helfen soll, die Vorzüge von „Digitalisierung und Blended Learning am Beispiel KI und Sicherheit beim Autonomen Fahren“ erfahrbar zu machen und die „Scrummy Students“ aus dem Fachbereich Wirtschaft geben Input für einen Kreativraum, der optimale Bedingungen für agiles Arbeiten mit digitalen und analogen Werkzeugen bietet.
Jeder Pilot-Raum wird so geplant, dass er einerseits auf die konkreten Anforderungen des ideengebenden Pilot-Vorhabens reagiert und zugleich ein hohes Maß an Nutzungsoffenheit bewahrt. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die drei Unterrichtsräume als zentral buchbare Lernorte in den regulären Semesterbetrieb übergehen und als Vorbilder für den weiteren Campusausbau dienen können. Anregungen dafür, wie sich dieser Balanceakt meistern lässt, entnehmen wir der aktuellen Lernraumforschung sowie dem persönlichen Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Hochschulen und Bildungseinrichtungen, mit denen wir uns beispielsweise in der AG Lernräume der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation (DINI e.V.) und dem HFD-InnovationHub Lernräume vernetzen. Bei der Detailplanung und Realisierung des Umbaus können wir uns ebenfalls auf fachkundige Unterstützung verlassen. Aus einer bundesweiten Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb hat sich die Zusammenarbeit mit dem Berliner Designbüro ACTINCOMMON entwickelt, das uns als kreativer und umsetzungsstarker Partner dabei hilft, unsere Raumideen Wirklichkeit werden zu lassen – Workshop für Workshop, Feedbackschleife für Feedbackschleife.
Ob die neuen Räumlichkeiten die erhoffte Wirkung erzielen und dazu anregen, überkommene Lern- und Lehrroutinen aufzubrechen, evaluieren wir gemeinsam mit den Kolleg:innen aus der Hochschuldidaktik und dem Studiengangsqualitätsmanagement.
Lernraumgestaltung – eine hochschulweite Herausforderung
Auf der Hand liegt: Bedarfsorientierte Lernräume zu entwickeln, die als Fundament für nachfolgende hochschulweite Veränderungen dienen können, ist ein komplexes Unterfangen, das sich weder strikt linear noch „top down“ realisieren lässt. Für eine erfolgreiche Umsetzung braucht es die kontinuierliche Beteiligung aller Interessengruppen. Dazu gehören zuvorderst die Lehrenden und Studierenden, als Kernzielgruppe der Lernraumentwicklung, aber genauso die Beschäftigten der zentralen Hochschulservices. Das COMPLETE-Projektteam setzt sich aus Mitarbeiter*innen verschiedener Abteilungen zusammen: Neben dem Organisationsteam, das im Bereich E-Learning angedockt ist, finden sich engagierte Kolleg*innen aus den Bereichen IT und Medientechnik, Gebäudemanagement und Bibliothek. Sie alle arbeiten aktiv an der Umsetzung der Ideen und bringen ihre fachlichen Expertisen mit ein. Diese stark abteilungsübergreifende Zusammensetzung des Kernteams deckt bereits viele Kompetenzbereiche ab und bündelt Erfahrungen in der didaktischen, architektonischen und technischen Planung und Umsetzung physischer und virtueller Lernräume. Darüber hinaus berühren die Maßnahmen auch die Tätigkeitsfelder anderer, nicht unmittelbar in die Gestaltung der Lernräume involvierter Abteilungen. Auswirkungen auf ihre Arbeitsprozesse müssen frühzeitig antizipiert und transparent kommuniziert werden. COMPLETE als hochschulweites Großvorhaben anzugehen birgt also enorme Vorteile und großes Potential – erfordert aber ebenso viel Arbeit, Zeit und ein besonders hohes Maß an Kommunikation. Welche Erfahrungen wir dabei sammeln und welche Fortschritte wir machen, dokumentieren wir fortlaufend auf unserem Blog.