/imagine Haltung, Macht und Miteinander – Eindrücke vom U:FF 2025 in Berlin

/imagine Haltung, Macht und Miteinander – Eindrücke vom U:FF 2025 in Berlin

05.06.25

Aufnahme von der Landing:Stage beim U:FF 2025 zeigt Teilnehmende eines Panels zu Machtmissbrauch im Hochschulkontext.

Das University:Future Festival 2025 hat eindrucksvoll gezeigt, dass Hochschulen weit mehr sind als Orte der Wissensvermittlung. Sie sind soziale Mikrokosmen, geprägt von den historisch gewachsenen Machtbeziehungen in Forschung und Lehre; und sie stehen, vielleicht mehr denn je, unter Spannung – von innen wie von außen. Viele der Beiträge auf dem diesjährigen Festival vermittelten eine gemeinsame Botschaft: Hochschulen sind aufgefordert, die Widersprüche zwischen ihren Idealen und der gelebten Realität offen zu benennen, zu verhandeln – und mutige Lösungen zu entwickeln.

Während an anderer Stelle des Festivals über technologische Visionen und Potenziale gesprochen wurde, erinnerten die im Folgenden vorgestellten Beiträge daran, dass Hochschule immer auch mit zwischenmenschlichen Herausforderungen und strukturellen Schieflagen zu tun hat – im Hier und Jetzt. Die Vorträge und Diskussionen stellten Fragen nach Gerechtigkeit, Anerkennung und Teilhabe, nach Verantwortung und Haltung. Es ging um Machtmissbrauch und mentale Gesundheit, um Diskurskultur und Demokratie und um Wertschätzung im Zeichen des digitalen Wandels. Die Beiträge zeigten Hochschulen dabei als Spiegel gesellschaftlicher Herausforderungen – und zugleich als mögliche Vorbilder für eine offene, gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft.

Haltung in Zeiten des Handlungsdrucks

Dass Hochschule heute nicht nur denken, sondern auch handeln muss – darüber herrschte auf dem Festival vielerorts Einigkeit. Doch was heißt das konkret? Zwei Beiträge setzten genau bei der Frage an, wie Hochschulen sich politisch positionieren, Verantwortung übernehmen – und trotzdem Raum für offene Auseinandersetzung bewahren können.

In der Live-Podcast-SessionDie Welt brennt – können Hochschulen sie löschen?war dies deutlich zu spüren. Manuel Dolderer, Ronny Röwert und Franz Vergöhl skizzierten die Hochschule als Institution mit gesellschaftlicher Mitverantwortung – nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln. Statt die sogenannte Third Mission, also den gesellschaftlichen Auftrag neben Forschung und Lehre, als Beiwerk zu verstehen, sollte sie in den Mittelpunkt rücken – als First Mission einer Hochschule, die sich ihrer Rolle in der Zukunftsgestaltung bewusst ist: Ich glaube nicht nur, dass sie können – sie müssen sogar. Denn ich wüsste nicht, wer sonst“, betonte Dolderer.

Eine Vision, die im Kleinen wie im Konkreten weiter verhandelt wurde: Hochschulen am Limit – Wie viel Politik verträgt der Hörsaal? Unter diesem Titel diskutierten Studierende gemeinsam mit Vertreter:innen aus Hochschulleitungen und Verwaltung über die politische Verantwortung von Hochschulen. Wie lässt sich Haltung zeigen, ohne vereinnahmt zu werden? Wie wird Demokratie im Hochschulalltag erfahrbar, jenseits von symbolischen Gesten? Die Antworten waren vielschichtig und machten deutlich: Demokratische Hochschulen brauchen nicht nur Räume und Ressourcen, sondern auch die Offenheit, alle Stimmen wirklich zu hören. Doch was bedeutet das in der Praxis? Wer wird gehört und wessen Erfahrungen bleiben allzu oft außen vor?

Verantwortung übernehmen, Verständigung ermöglichen

In der Hochschule sind nicht alle Stimmen gleich laut und nicht alle werden gehört. Abhängigkeiten und strukturelle Ausschlüsse führen dazu, dass viele Perspektiven verstummen, bevor sie Eingang in den institutionellen Diskurs finden. Dies thematisierte das Panel Schweigen im Hörsaal, #aufschrei im Netz eindrucksvoll. „Machtmissbrauch ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines systemischen Versagens“, stellte Lea Bachus gleich zu Beginn fest. Deutlich wurde: Es geht nicht um individuelle Ausreißer, sondern um eine verfestigte Problemlage – begünstigt durch Hierarchien, externe Forschungsfinanzierung und einen exklusiven akademischen Habitus. Institutionelle Reaktionen bleiben oft aus, Schutz entsteht vor allem durch studentisches Engagement und mediale Sichtbarkeit. Die Forderung: Hochschulen müssen Verantwortung übernehmen – mit unabhängigen Anlaufstellen, strukturellen Reformen und einer Kultur des Hinsehens.

„Machtmissbrauch ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines systemischen Versagens.“
Lea Bachus, studentische Mitarbeiterin im HFD

Während das Panel die Folgen fehlender Verantwortungsübernahme greifbar machte, richtete sich der Blick im BeitragCommon Ground auf eine grundlegendere Frage: Wie kann Verständigung in einem zunehmend fragmentierten Hochschulraum überhaupt gelingen? Markus Deimann und Michael Schubert rückten die Diskurskultur selbst ins Zentrum – geknüpft an eine Idee von Hochschulöffentlichkeit, die Unterschiedlichkeit aushält, ohne in Polarisierung zu kippen. Mit dem Konzept des Common Ground betonten sie die Bedeutung von Räumen, in denen nicht nur Inhalte verhandelt, sondern auch die Bedingungen des Gesprächs selbst reflektiert werden. Ein Beispiel für eine gemeinsame Grundlage seien sogenannte imaginaries – Zukunftsvorstellungen von Bildung und Hochschule, die sich über die Zeit hinweg immer wieder verschoben haben.

Im Vortrag Wissenschaft im Gegenwind weitete Ann-Kathrin Watolla den Blick schließlich über den Hochschulraum hinaus. Ihre Diagnose: In einer zunehmend polarisierten Öffentlichkeit reiche es nicht mehr, einfach mehr Fakten zu liefern: Wenn wir sehen, wie populistische Akteur:innen alternative Narrative setzen und wir versuchen, mit wissenschaftlich belegten Fakten dagegenzuhalten, dann ist da ein Clash – aber es kommt zu keiner Aushandlung, wir kommen irgendwie nicht weiter. Wissenschaft, so ihr Plädoyer, müsse dialogischer werden. Es brauche neue Verständigungsräume – auch zwischen den Systemlogiken von Wissenschaft und Gesellschaft.

Doch Verständigung entsteht nicht allein durch neue Formate. Sie lebt von Menschen, die Haltung zeigen, Verantwortung übernehmen und Wandel möglich machen. Damit dieser Einsatz nicht zur Überforderung wird, braucht es ein Umfeld, das stärkt statt zermürbt – eines, das Anerkennung ermöglicht und Belastung nicht individualisiert. Genau hier setzen zwei weitere Beiträge an: mit einem Blick auf Hochschule als Lebensrealität und Erfahrungsraum.

Impressionen vom U:FF in Berlin, eine Speakerin hält ein Mikro, eine Installation mit Bildschirmen im Experience-Space und viele der DigitalChangeMaker auf der Landing-Stage.

▶️ Kuratierte Playlisten und alle Aufzeichnungen vom U:FF finden Sie auf unserem Youtube-Kanal.

Wer gestalten soll, braucht Rückhalt

Damit Hochschule als sozialer Ort gelingen kann, braucht es mehr als Strukturen – es braucht Bedingungen, die Menschen stärken, statt sie zu überfordern. Zwei Beiträge lenkten den Blick auf das, was Hochschule im Alltag bedeutet: für Studierende, Lehrende und alle, die dort leben und arbeiten.

Tina Basner und Lea Hildermeier machten in Wellbeing & Mental Health deutlich: Psychische Belastung im Studium ist kein Randthema mehr, sondern ein strukturelles Problem. Digitalisierung, soziale Unsicherheit, überfordernde Anforderungen – all das verschärft die Situation. Gefragt ist ein institutionelles Umdenken: Statt punktueller Beratungsangebote braucht es gestraffte Tools, niedrigschwellige Unterstützung und die strategische Verankerung von Wellbeing in Leitbildern und Steuerungsprozessen.

Wie sehr Anerkennung zur Voraussetzung für eine gerechte und offene Hochschulkultur wird, zeigte Lisa Niendorf in ihrer Keynote Wind of Change – einem persönlichen, analytischen und politischen Plädoyer für Wertschätzung als Haltung, Kulturtechnik und institutionelle Praxis. „Wertschätzung kann man lernen. […] Es beginnt also bei einem selbst“, betonte Niendorf. In einer Hochschulwelt, in der Exzellenz oft mit Ausschluss einhergeht, plädierte sie für eine neue Metrik: Nicht nur Leistungen sollen zählen, sondern auch Zugehörigkeit, Sichtbarkeit und Respekt – unabhängig von Status, Herkunft oder Habitus.

„Wertschätzung kann man lernen. Es beginnt also bei einem selbst.“
Lisa Niendorf, Bildungsforscherin und Lehrkraft für besondere Aufgaben

Beide Beiträge eint die Überzeugung: Wer Hochschule verändern will, muss beim Alltag beginnen. Bei den E-Mails, dem Umgangston, der Gestaltung von Fristen. Aber auch bei der Frage, wie viel psychischer Druck als normal gilt – und wie häufig strukturelle Probleme individualisiert werden. Anerkennung und Fürsorge sind keine Zugeständnisse. Sie sind Voraussetzung dafür, dass Menschen sich einbringen können – und Hochschule als gemeinsames Projekt gelingt.

/imagine Hochschule als Möglichkeitsraum

Die Auseinandersetzung mit Hochschule als sozialem Ort war beim University:Future Festival 2025 kein Randaspekt – sie war ein roter Faden. Auf den Berliner Bühnen ebenso wie in Workshops, Diskussionen und Q&A-Slots wurde diskutiert, experimentiert und nach konkreten Lösungen gesucht. Viele dieser Formate rückten den Alltag ins Zentrum – im besten Sinne des Praktischen: Was lässt sich verändern, wo neu gestalten?

Das Motto „/imagine“ eröffnete dabei neue Denk- und Möglichkeitsräume. Es lud ein, sich Hochschule nicht als perfekte Institution vorzustellen, sondern als gestaltbaren sozialen Raum. Deutlich wurde: Wir sind nicht ohne Hebel. Zugleich sollte die Gestaltung der Zukunft nicht bloß auf bestehende Machtverhältnisse aufsetzen. Wenn Gestaltung weiterhin über Macht funktioniert, muss sie durchlässig und verantwortungsvoll organisiert werden – im Sinne echter Teilhabe und Mitbestimmung.

Auch dort, wo Hochschulen hinterfragt und herausgefordert werden, gilt es, das Vertrauen nicht zu verlieren. Hochschulen sind – im Vergleich zu vielen gesellschaftlichen Feldern – privilegierte Orte: Räume des freien Denkens, des Austauschs und der Selbstreflexion. Orte, an denen Werte wie Freiheit, Vielfalt und Solidarität gelebt werden. Das Festival hat gezeigt: Viele Menschen engagieren sich dafür, auch mit unbequemer Kritik. Daher geht es für Hochschulen nicht nur darum, sich im Wandel zu behaupten – sondern darum, ihn mitzugestalten und ein Ort zu sein, an dem wünschenswerte Zukünfte entstehen können.

Gemeinsam heute die Hochschule von morgen gestalten:

Auch unsere aktuelle Community-Umfrage war auf dem U:FF vertreten: Wie gelingt es, das Hochschulsystem zukunftssicher und resilient weiterzuentwickeln? Ihre Einschätzungen und Anliegen helfen uns, die digitale Transformation der Hochschulen besser zu verstehen und gezielt zu unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, an der Umfrage teilzunehmen. Die Ergebnisse fließen unter anderem in die Veranstaltung HFD Agora [Zukunft] am 9. September 2025 in Berlin ein.

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