Forschungsprojekt BRIDGING: Was die Krise für die Entwicklung und Verbreitung digitaler Hochschulbildungskonzepte bedeuten kann

Forschungsprojekt BRIDGING: Was die Krise für die Entwicklung und Verbreitung digitaler Hochschulbildungskonzepte bedeuten kann

12.11.20

Abbildung eines Twitter-Posts

Das im Januar 2018 gestartete Projekt BRIDGING lief mit dem 30. September 2020 aus. „Wie verläuft der Transfer digitaler Hochschulbildungskonzepte in Fachdisziplinen?“, so die forschungsleitende Frage, die im Fokus des Projektes stand. In diesem Beitrag reflektiert Christiane Arndt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei BRIDGING, einige der gewonnenen Erkenntnisse auf Hochschulebene.

BRIDGING im Kontext

Die Interpretation, Fokussierung und Handhabung der diversen Herausforderungen und Impulse, die an Hochschulen herangetragen werden, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die Auswahl der Themenkomplexe für eine aktive Auseinandersetzung hängt stark von den externen und internen Kontextfaktoren der jeweiligen Hochschule ab. Das bedeutet, dass sowohl der nationale, bundeslandbezogene oder regionale Kontext Einfluss haben kann. Organisationsintern beeinflussen wiederum existierende Kommunikationsstrukturen, Hierarchien und bestehende Machtverhältnisse den Prozess der Strategieentwicklung. Dies hat zur Folge, dass Impulse und Aspekte in der Umwelt nicht gleichermaßen als strategisch relevant wahrgenommen werden. Es bedarf hierbei beispielsweise bestimmter Individuen, die diese Themen wahrnehmen, als strategisch relevant einstufen und in der Organisation zu handlungswirksamen Themen eskalieren lassen. Mit Corona wurden Hochschulen vor die unerwartete und plötzliche Herausforderung gestellt, das Sommersemester 2020 nicht in Präsenz, sondern möglichst virtuell zu gestalten. Die Einstufung als strategisch relevantes Thema stand außer Frage. Gefragt waren schnelle Anpassungen und Veränderungen an die Situation.

In einem Zustand zwischen Neugier und Verunsicherung machten Hochschulen, Fakultäten und Lehrende jedoch auch die eigenen organisatorischen, technischen sowie lehr- und lernbezogenen Kontexte sowie die Lehrenden und Studierenden und ihre Bedarfe zum Gegenstand von Befragungen und Begleitstudien. Daher freuten wir uns im Forschungsprojekt BRIDGING (01.01.2018 – 30.09.2020) der Frage nachgehen zu können, was die Krise und die Erforschung der eigenen Kontexte ausgehend von unseren Erkenntnissen perspektivisch für die strategische Entwicklung und Verbreitung digitaler Hochschulbildungskonzepte auf Hochschulebene bedeuten kann. Hier soll der Fokus nicht auf den spannenden Ergebnissen unserer Inhaltsanalyse der Befragungsergebnisse liegen, die wir kommende Woche auf unserer Webseite veröffentlichen werden. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, einige unserer in BRIDGING gewonnenen Erkenntnisse auf Hochschulebene zu reflektieren.

Die Schlüsselerkenntnisse

Die in BRIDGING durchgeführten 56 Interviews in neun Landeshochschulverbünden, die sich teilweise seit Jahrzehnten dem Thema Digitalisierung in Studium und Lehre widmen, den beteiligten Hochschulen sowie Fakultäten/Fachbereichen zeigten auf Hochschulebene unter anderem, dass

  • viele innovative digitale Lehr- und Lernformate, Prozesse und Produkte an den verschiedenen Hochschulen – oftmals im Rahmen zeitlich befristeter Projekte – entwickelt und übernommen wurden und werden. Die Herausforderung wird vor allem in der Verbreitung und Implementation in der Hochschule als System beschrieben.
  • die für eine nachhaltige Implementation als unabdingbar hervorgehobenen (de-)zentralen Unterstützungsstrukturen (Third Space) an den Hochschulen sehr unterschiedlich ausgerichtet und finanziert sind, jedoch – wie Anita Sekyra auch anmerkt – bisher wenige Forschungserkenntnisse über ihre spezifischen Ausgestaltungen und Rollen vorliegen.
  • eine (strukturelle) Trennung von Hochschuldidaktik und „E-Learning“ an Hochschulen als „Webfehler des Konzepts“ (Interviewpartner:in) wahrgenommen wird.
  • insbesondere im Hochschulbereich ein hoher Anspruch an sowie eine hohe Bewusstheit über Autonomie (Hochschulen, Fachbereiche und Lehrende) bei gleichzeitigem Wunsch nach verbesserten und verbindlichen Rahmenbedingungen für (digitales) Lehren und Lernen besteht.
  • unterschiedliche Treiber:innen, Phasen, Vorgehensweisen und Handlungswirksamkeit der Strategieentwicklungen zu Digitalisierung in Studium und Lehre an den Hochschulen existieren.

Die Befragungen an Hochschulen – sowohl auf Hochschul- als auch Fachbereichs- und Lehrveranstaltungsebene – zeigen dabei übergreifend und in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen der Interviews, dass

  • Skepsis unter Lehrenden nicht gleichzusetzen ist mit einer pauschalen Ablehnung digitaler Medien und Lehr- und Lernszenarien,
  • transparente Kommunikationsstrukturen und an Hochschulen vor allem für das Wissen, aber auch den Austausch über technische Infrastrukturen, Entwicklungen und Unterstützungsangebote essentiell sind,
  • Diversität und Heterogenität der Lehrenden und Studierenden – und ebenso der Fächer und Fakultäten – mit unterschiedlichen Bedarfen einhergehen.

Partizipations- und Konsensorientierung an Hochschulen können als „institutionell verfestigte Handlungsmuster“ (Krücken und Kloke 2012, S. 20) gesehen werden. Es stellt sich damit die Frage, wie Bedarfe und Vertreter:innen der jeweiligen relevanten Kontexte (Hochschuleinheiten bzw. Statusgruppen) identifiziert und einbezogen werden (können). Ausgehend von der organisationalen und individuellen Autonomie kommt Anpassungsmöglichkeiten (Adaption) besondere Bedeutung zu. Dafür ist ein Bewusstsein über und ein Verstehen der diversen Kontexte und Akteur:innen notwendig.

Ausblick 1: Forschungsorientierung fördern und unterstützen

Forschungsorientierte Ansätze können Entwicklungs- und Verbreitungsprozesse vorbereiten (Analyse der Kontexte und Bedarfe) und kontinuierliche Weiterentwicklungen und Verbesserungen unterstützen (Anpassungen). Dies kann – wie auch aktuell in den Befragungen und Begleitstudien – sowohl auf Ebene der Hochschule (als Gesamtsystem) als auch auf Ebene der Fakultäten und Studiengänge sowie in einzelnen Lehrveranstaltungen geschehen. Aktuelle Ansätze der quantitativen Erforschung und Anpassungen könnten beispielsweise durch qualitative Ansätze ausgebaut werden. So finden sich neben vielen Lehrenden, die ihre eigenen Lehr- und Lernszenarien im Sommersemester forschend begleiten, zahlreiche Erfahrungsberichte in multimedialen Formaten an den Hochschulen, die Aufschluss über die Veränderungen im Sommersemester geben und Handlungsorientierung schaffen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben Hochschulen, die unterschiedliche Organisationseinheiten zu digitaler Lehre eingerichtet haben, im Rahmen des Qualitätspakts Lehre zahlreiche Projekte bereits vor der Krise prägend für eine forschungsorientierte Unterstützung und Reflexion der lehr- und lernbezogenen Entwicklungen waren. Hier stellt sich die Frage, wie ihre Expertise auch nach Auslaufen der Förderung nicht nur für die in den Befragungen kommunizierte zunehmende Nachfrage von Lehrenden nach individualisierten (medien-) didaktischen Unterstützungsangeboten, sondern auch für die forschende Begleitung digitaler Hochschulbildungskonzepte an den Hochschulen verbleiben kann. Forschung braucht – wie Wandel – Zeit. Daher könnten neben Reflexionsräumen auch adaptive Forschungsansätze wie Design-Based Research (Reinmann 2005) umso mehr an Relevanz gewinnen.

Für Hochschulen als Gesamtsysteme geht es neben der Erforschung von vorhandenen und zukünftigen Bedarfen auch um die systematische Begleitung, Kommunikation und Vernetzung dezentraler lehr- und lernbezogener Entwicklungen.

Ausblick 2: Partizipation stärken und Digitalisierung zusammen mit und in Studium und Lehre als Gemeinschaftsaufgabe verstehen

Die Zusammenführung bestehender Bedarfe, Entwicklungen und Erkenntnisse sowie die Vernetzung der verschiedenen Einheiten und Akteur:innen, aber auch die Ermöglichung innovativer Formate, Prozesse und Produkte stellen keine neue Herausforderung für Hochschulen dar. In Workshops, die BRIDGING mit 32 Lehrenden und Beratenden Ende 2018 durchgeführt hat, zeigte sich, dass eine nachhaltige Entwicklung und Verbreitung – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Hochschulgrößen und -strukturen – Partizipation und entsprechenden Commitments und Unterstützung der jeweiligen Führungsebenen (Hochschul- und Fakultätsleitung) bedarf. Die sich auf die Hochschulebene fokussierenden Ergebnisse von drei Workshops wurden – stark vereinfacht – in der folgenden Grafik zusammengeführt:

Grafisches Modell

 

In den begleitenden Erläuterungen der Befragungen wird deutlich, dass das virtuelle Sommersemester nur durch eine enge und schnelle Zusammenarbeit der Organisationseinheiten und Akteur:innen realisiert werden konnte. Einige Hochschulen hatten bereits vor der Corona-Krise (strategische) Arbeitskreise eingerichtet, da sie flexibler als die klassischen Gremienstrukturen – über die Partizipation oft realisiert wird – agieren können. Auch existieren teilweise weitere moderierte Netzwerkstrukturen. Auf Basis der Recherchen ebenso wie den Ergebnissen der Hochschulleitungsbefragung von HIS (Book et al. 2020: 17) kann davon ausgegangen werden, dass an zahlreichen weiteren Hochschulen Task Forces und Arbeitskreise eingerichtet wurden. Diese könnten als Ausgangspunkt für die Reflexion über eine strategische und strukturelle Verankerung von Digitalisierung in Studium und Lehre als Gemeinschaftsaufgabe an Hochschulen über die Krisensituation hinaus dienen. Eine Herausforderung liegt darin, die bestehenden Lehr- und Lern-, Forschungs- und Vernetzungsaktivitäten sowie Bedarfe der Hochschulangehörigen in einer Weise zu integrieren, dass sie ihren Vorteil gegenüber den klassischen Gremien realisieren können.

Das Sommersemester 2020 war ein Lernprozess für alle Beteiligten, in dem eine forschende Begleitung beispielsweise Anpassungen während des Semesters ermöglichte. Sie kann darüber hinaus als Diskussionsgrundlage für eine gemeinsame und forschungsorientierte Entwicklung und Verbreitung digitaler Hochschulbildungskonzepte dienen. Von Hochschulvertreter:innen wurde in unseren Beiträgen beim HFD-Festival und dem Tag der Lehre an der FH St. Pölten angemerkt, dass diese Prinzipien an einigen Hochschulen bereits leitend sind. Inwiefern sie – beispielsweise in den von BRIDGING untersuchten Landesverbünden – auch diesbezüglich voneinander und miteinander lernen und die Erfahrungen und Erkenntnisse in der Krise als Chance wahrnehmen, werden wir auch über Projektende hinaus mit Spannung verfolgen.

Abbildung eines Twitter-Posts

 

Wir danken unserer Kollegin Dr. Sara Bornhöft für Ihr Feedback zum Blogbeitrag.

 

Literatur

Book, A., Bosse, E. & Lübcke, M. (2020). Befragung von Hochschulleitungen zur (digitalen) Lehre im Wintersemester 2020/21. HIS-Institut für Hochschulentwicklung. https://digi-blog.his-he.de/ueberwiegend-digital-ii/

Kirsch, W. (1997). Wegweiser zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der strategischen Führung: Kapitel eines Theorieprojekts. Hersching: Kirsch Verlag.

Krücken, G. & Kloke, K. (2012). Sind Universitäten noch lose gekoppelte Organisationen? Wahrnehmung und Umgang mit Zielkonflikten an deutschen Hochschulen aus der Organisationsperspektive unter besonderer Berücksichtigung der akademischen Lehre. In F.G. Becker, G. Krücken & E. Wild (Hrsg.), Gute Lehre in der Hochschule: Wirkungen von Anreizen, Kontextbedingungen und Reformen (S. 13–29). Bielefeld: Bertelsmann. doi: 10.3278/6004202w013

Reinmann, G. (2005). Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den Design-Based Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung. Unterrichtswissenschaft, 33(1), 52–69. http://www.pedocs.de/volltexte/2013/5787/pdf/UntWiss_2005_1_Reinmann_Innovation_ohne_Forschung.pdf

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