Europäische Interoperabilität bei Digitalen Nachweisen: ein weiterer Schritt zur effektiven Digitalisierung im Bildungsbereich
Europäische Interoperabilität bei Digitalen Nachweisen: ein weiterer Schritt zur effektiven Digitalisierung im Bildungsbereich
12.12.24Interoperabilität beschreibt das Zusammenwirken unterschiedlicher technischer Systeme. Aber wozu ist das eigentlich gut? Gerade im Hinblick auf die Mobilität der Studierenden und Hochschulangehörigen verspricht dieser Ansatz das Potenzial, um bürokratische Wege zu verkürzen und sicherer zu gestalten. Zeugnisse und andere Nachweise ließen sich auf diese Weise einfach digital übermitteln, anstatt sie beglaubigt und per Post zu versenden. Guido Bacharach gibt in diesem Blogbeitrag einen verständlichen Überblick zu Systemen zum Austausch von Digitalen Nachweisen und erklärt, wie Europäische Interoperabilität umgesetzt werden kann.
Einleitung
Es begann mit einem Widerspruch an sich – ein Bewerbungsprozess für die Erstzulassung an einer Hochschule mit einem digitalen Bewerbungsportal aber analogen Zeugnissen, die beglaubigt und per Postweg eingesandt werden mussten. Ein umständlicher Prozess zum Abgleich der digital erfassten und analog eingesandten Daten inklusive.
Das war der Bewerbungsprozess, den ich vor Jahren in der Stiftung für Hochschulzulassung vorfand, und der mich als Abteilungsleiter IT nicht zufriedenstellen konnte. Ich suchte nach Lösungen und fand mit Helmut Nehrenheim, damals im CIO-Büro des Landes NRW tätig, einen Bundesgenossen. In unserem Austausch stellten wir fest, dass wir nicht die einzigen waren, die an der Lösung des Problems „Digitale Nachweise“ arbeiteten. Um Kräfte in Deutschland zu bündeln, gründeten wir das „Netzwerk Digitale Nachweise“ (NDN). Ein Ergebnis der Zusammenarbeit in diesem Netzwerk war ein mit der Bundesdruckerei entwickelter Prototyp zu Digitalisierung von Hochschulzugangsberechtigungen (siehe auch https://hochschulforumdigitalisierung.de/digitale-zeugnisse-in-deutschland/), der ein Vorreiter für weitere Entwicklungen in diesem Bereich in Deutschland war (siehe auch https://www.digiz.nrw/).
In der weiteren Arbeit an dem Thema erkannten wir jedoch, dass das Thema der Vielfältigkeit von Ansätzen zur Digitalisierung von Nachweisen sich nicht allein auf Deutschland beschränkt, sondern europa- bzw. weltweit zu beobachten ist und das Thema „Interoperabilität“ zwischen den einzelnen Lösungen noch entwicklungsfähig ist. Als Firma GovPart entschlossen sich Helmut Nehrenheim und ich in verschiedenen europäischen Projekten unter anderem an diesem Thema zu arbeiten und unseren Beitrag zur Interoperabilität bestehender und neuer Systeme zur Digitalisierung von Nachweisen zu leisten.
Über den Stand dieser Arbeiten möchte ich im Folgenden berichten. Dabei werde ich mich speziell auf Themen konzentrieren, an denen bzw. in deren Umfeld wir arbeiten. In Europa produzieren neben den von mir unten beschriebenen Aktivitäten noch Initiativen, Gesetze und Projekte wie z.B. der Interoperability Act, das European Interoperability Framework und das Interoperability Squad des European Digital Education Hub (EDEH) bemerkenswerte Ergebnisse in diesem Bereich, die ich hier nicht behandeln werde.
Systeme zum Austausch von Digitalen Nachweisen
In der digitalen Transformation des Bildungswesens gewinnen digitale Nachweise zunehmend an Bedeutung. In den letzten Jahren wurden schon verschiedene Lösungen und Plattformen dazu entwickelt. Zu nennen sind dabei speziell:
• EMREX:
Ein Verfahren für den internationalen und elektronischen Austausch der Daten von Studierenden (wie z. B. Leistungsnachweise), z. B. zwischen Hochschulen und potenziellen Arbeitgebern. Es wird hauptsächlich in Skandinavien, den Niederlanden, Polen und Kroatien genutzt.
Mehr Infos: https://de.wikipedia.org/wiki/EMREX, www.emrex.eu und https://github.com/emrex-eu
• Erasmus-Without-Paper (EWP):
Ist als Teil des Erasmus+ Programms eine digitale Lösung für Hochschuleinrichtungen, um ihre Erasmus+-Mobilitätsmanagementsysteme zu verbinden, damit sie ihre Mobilitätsstudenten online verwalten können.
Mehr Infos: https://erasmus-plus.ec.europa.eu/european-student-card-initiative/ewp)
• Europass:
Eine Plattform zur zentralen Verwaltung und Vorlage von Nachweisen und Kompetenzen, die bietet Studierenden die Möglichkeit, ihre Bildungsnachweise in einem einheitlichen digitalen Format zu speichern.
Mehr Infos: https://europass.europa.eu/de
• European-Blockchain-Service-Infrastructure (EBSI):
Eine Initiative der Europäischen Union und der European Blockchain Partnership, die auch den Transfer von Bildungsdaten ermöglicht. EBSI hat einen besonderen Schwerpunkt auf der Bildung sogenannter „Trust Chains“, Ketten vertrauenswürdiger Zertifizierungsinstitutionen.
Mehr Infos: https://ec.europa.eu/digital-building-blocks/sites/display/EBSI/Home)
Zusätzlich gibt es soeben neue Entwicklungen wie
• Single-Digital-Gateway (SDG):
Im Jahr 2018 haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat beschlossen, mit dem der Verordnung zum Single Digital Gateway (SDG) ein einheitliches digitales Zugangstor zur Verwaltung in der EU zu schaffen. Hier werden auch Prozesse des Bildungswesens wie die erstmalige Zulassung zu einer Hochschule unterstützt.
Mehr Infos: https://single-market-economy.ec.europa.eu/single-market/single-digital-gateway_en und https://en.wikipedia.org/wiki/Single_Digital_Gateway
• European Digital Identity Wallet (EUDIWallet):
Basierend auf dem Architecture and Reference Framework (ARF) und eIDAS
Mehr Infos: https://ec.europa.eu/digital-building-blocks/sites/display/EUDIGITALIDENTITYWALLET/EU+Digital+Identity+Wallet+Home und https://eu-digital-identity-wallet.github.io/eudi-doc-architecture-and-reference-framework/1.1.0/arf/
Dazu kommen noch verschiedene nationale Modelle, wie z.B. in Deutschland Xbildung im Rahmen des Online-Zugangs-Gesetzes (OZG). (siehe auch https://xbildung.de/web/)
Problemstellung
Diese Lösungen wurden und werden in der Regel als in sich abgeschlossene Ökosysteme entwickelt, das heißt, im Normalfall gibt es keine Möglichkeit, dass diese Systeme mit ihren Daten interoperieren. Eine Ausnahme bildet das EWP, das für seinen Transcript-of-Record (ToR) Austausch das ELMO-Format verwendet, das auch EMREX nutzt.
Dabei bietet die Vorstellung, dass Studierende ihre Zeugnisse und Zertifikate digital europaweit über verschiedene Plattformen und Länder hinweg nutzen können, enormes Potenzial im Hinblick auf eine effiziente Nutzung von digitalisierten Prozessen. Dies ist besonders gegeben, da sich Hochschulen zunehmend auf internationale Kooperationen und digitale Mobilität der Studierenden einstellen müssen. Die Hürden sind jedoch hoch: Ein interoperables und standardisiertes System erfordert nicht nur technische, sondern auch semantische, organisatorische und rechtliche Abstimmungen.
Lösungsansätze
In Europa werden derzeit viele Initiativen vorangetrieben, um diese Vision zu verwirklichen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt ist die Schaffung von Interoperabilität zwischen den verschiedenen Ökosystemen für Digitale Nachweise, die innerhalb der EU verwendet werden. Diese müssen kommunizieren, um Bestandssysteme untereinander, aber auch neue Systeme and Bestandssysteme anzubinden und ggf. zu integrieren.
Ein erster Ansatz zu einer solchen Integration wurde schon Gottlieb/Bacharach im Jahr 2023 vorgestellt:
Aktuell wird in Projekten wie DC4EU (https://www.dc4eu.eu/) , EBSI-Vector (https://www.ebsi-vector.eu/en/) und Trace4EU (https://trace4eu.eu/) daran gearbeitet, diese und weitere Brücken zwischen unterschiedlichen Datenformaten und Standards zu schlagen. DC4EU beispielsweise entwickelt Konverter zwischen den Datenstandards European Learning Model (ELM) (https://europa.eu/europass/elm-browser/index.html) und ELMO (https://github.com/emrex-eu/elmo-schemas), die es ermöglichen, Daten nahtlos zwischen verschiedenen digitalen Ökosystemen auszutauschen. Zudem wird auch an ELM-Konvertern von und zu Open Badge und Microcredentials gearbeitet. Durch diese Verbindungen wird eine Interoperabilität geschaffen, die Hochschulen und Studierenden erlaubt, Zertifikate und Nachweise länderübergreifend zu nutzen. Speziell an diesen Themen ist die Firma GovPart mit Helmut Nehrenheim und Guido Bacharach maßgeblich beteiligt.
Diese technischen Schnittstellen führen nicht nur zu einem höheren Grad an Automatisierung, sondern auch zu einem sichereren und vertrauenswürdigeren Austausch von Bildungsnachweisen. Ein weiterer Erfolg in Richtung europäischer Interoperabilität wird die im Projekt DC4EU entwickelte Verbindung zwischen EMREX und EUDIWallet sein, die mithilfe eines EMREX-Gateways ermöglicht wird. Durch dieses technische Gateway werden die Ökosysteme von EMREX und der EUDIWallet, der digitalen Brieftasche für europäische Bürger, verknüpft. So wird eine gemeinsame Nutzung dieser digitalen Nachweise in Europa gewährleistet.
Auch mit dem Europass konnte eine Verknüpfung erreicht werden. Mit einer kleinen Zusatzfunktion ist es gelungen, EMREX/ELMO-Dokumente zu konvertieren und in Europass einzubinden und so eine weitere Brücke zwischen den Systemen zu schlagen.
Im Rahmen einer engeren Zusammenarbeit mit EU Generaldirektorat DG DIGIT und dem EMREX Executive Committee wurde eine Brücke zwischen SDG/OOTS und EMREX entwickelt (https://ec.europa.eu/digital-building-blocks/sites/pages/viewpage.action?pageId=713528198) und im November 2024 in einem Projectathon in Brüssel erfolgreich getestet (https://ec.europa.eu/digital-building-blocks/sites/display/OOTS/Projectathon5). Diese Entwicklungen tragen dazu bei, das Bildungssystem der Zukunft zu schaffen, in dem Studierende ihre Zeugnisse und Zertifikate nahtlos über Landes- und Systemgrenzen hinweg nutzen können.
Für Hochschulen bedeutet dies eine immense Erleichterung: Der Aufwand für die Prüfung und Verwaltung internationaler Bewerber- und Austauschprozesse sinkt erheblich, und die Digitalisierung sorgt für schnellere, transparentere und sicherere Prozesse. Europäische Interoperabilität bei digitalen Nachweisen verspricht nicht nur mehr Effizienz, sondern auch eine international konkurrenzfähige Bildungsinfrastruktur, die dem globalen Austausch von Wissen und Kompetenzen gerecht wird.
Fazit
Die beschriebenen Projekte sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem interoperablen und technisch vernetzten Bildungsraum in Europa – einem Ziel, das Studierenden und Hochschulangehörigen gleichermaßen zugutekommt und die digitale Mobilität der Zukunft sichern könnte.
Autor:
Guido Bacharach, ehemaliger Leiter der Abteilung Strategie und Digitalisierung bei der Stiftung für Hochschulzulassung in Dortmund. Nach seinem Studium hatte er Führungspositionen insbesondere im Vertriebsbereich und im öffentlichen Dienst inne. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf strategischer Digitalisierung, Prozessverbesserung und Projektmanagement. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (GPM e.V.) und von VOICE e.V. sowie Mitbegründer des Netzwerks Digitale Nachweise und ist Teil der Firma GovPart.