Digitalisierung an deutschen Hochschulen – mehr planen oder einfach mal machen?
Digitalisierung an deutschen Hochschulen – mehr planen oder einfach mal machen?
05.10.17Philipp Schmidt teilt in diesem Blogeintrag seine Eindrücke und Momentaufnahmen, die er während des Netzwerktreffens am 11. September und unserem Strategietag am 12. September gesammelt hat.
Anfang September nahm ich auf Einladung des Stifterverbandes an einer Reihe von Gesprächen zum Thema Hochschule im digitalen Zeitalter teil. Das Netzwerk des Hochschulforum Digitalisierung wurde mit ca. 200 Teilnehmern gestartet, und am nächsten Tag standen Digitalisierungsstrategien und deren Umsetzung im Zentrum. Als internationaler Gast (mit deutschen Wurzeln) interessiert mich das Thema einerseits mit vergleichendem Blick auf die Entwicklungen in den USA, wo ich am MIT Media Lab die ML Learning Initiative leite, aber auch, weil ich einen großen Wert in dem Engagement der deutschen Hochschulen sehe. Die Chancen für deutsche Hochschulen liegen nicht nur in den Bereichen Lehre, Lernen, und Forschen, sondern auch darin ein Alternativmodell für die Hochschule der digitalen Zukunft zu entwickeln, welches internationale Strahlkraft hat. Im Folgenden möchte ich einige Eindrücke und Momentaufnahmen teilen.
Digitalisierung mitgestalten
Im Vergleich zum vergangenen Jahr wurde ein Punkt über die verschiedenen Veranstaltungen sehr deutlich: Es tut sich einiges in der deutschen Hochschullandschaft. Das Interesse daran, die Digitalisierung mitzugestalten, ist wesentlich stärker als noch vor einigen Jahren, und ich hatte den Eindruck, dass man an das Thema mit mehr Enthusiasmus und auch Offenheit zum Experimentieren herangeht. Ein weiteres positives Zeichen ist, dass die Community wächst und viele neue Teilnehmer dabei waren, die sich gleich mit großem Engagement einbrachten. Die Workshops waren gut besucht, und es wurde oft im Gang weiterdiskutiert. Wird Digitalisierung die Hochschule grundlegend verändern, und bis wann? Und welche Rolle spielt die Hochschule in der digitalisierten Lebenswelt? Das sind nur einige der Fragen, die ich hörte.
Diese Fragen wurden nicht nur theoretisch angegangen wurden, sondern sehr oft auch schon in der Praxis (was mir speziell während des Netzwerktreffens auffiel). Machen, statt nur zu planen, schien die Devise. Von zahlreichen Hochschulen (aber auch Start-up Firmen und anderen Partnern) wurden interessante neue Ansätze vorgestellt, die zum größten Teil heute schon umgesetzt werden. Ich gebe gerne zu, daß der Umfang der Digitalisierung in den deutschen Hochschulen mir aus dem Ausland vielleicht nicht vollständig bewußt war. Das hat einerseits sicher mit der Sprache zu tun, was den Austausch innerhalb der deutschen Institutionen leichter macht. Aber hier ist vielleicht auch ein wenig mehr “Mut zum Marketing” gefragt, denn nur wenn mehr dieser Projekte klar kommuniziert werden, wird ein Wissensaustausch mit anderen Hochschulen auch international möglich, so dass gemeinsam und im Austausch Innovation betrieben werden kann.
Kulturelle Unterschiede: Bildung als „public good“
Kommunikation war ein Thema, dass auch im Rahmen der Strategieumsetzung oft erwähnt wurde, wobei hier der Kontrast zwischen Theorie und Praxis doch manchmal schwer zu übersehen war. Pierre Dillenbourg von der EPFL hatte es gut vorgemacht in seiner Eröffnungsrede (hier seine Folien), in der er gezielt Bildmaterialien einsetzte um Werbung für die Schneesicherheit Lausannes und die Segelanlagen seiner Institution zu machen (und natürlich auch für den beeindruckenden ganzheitlichen Ansatz zur Digitalisierung, der an der EPFL konsequent umgesetzt wird). Was in den einzelnen Workshops folgte, erinnerte jedoch zum Teil an die Zeiten des Overhead-Projektors. Lange Listen und komplizierte Diagramme waren oft schwer zu entziffern und führten zumindest bei den (leider etwas unterrepräsentierten) Medienpädagog/innen und Bildungswissenschaftler/innen zu einigem Stirnrunzeln. Für das hochschulinterne Gespräch in kleiner Runde mag das funktionieren, aber wenn wir unsere Ideen und Vorteile der Digitalisierung mehr Kollegen/innen zugänglich machen wollen, brauchen wir bessere Kommunikationsmittel. Hier ist noch Raum nach oben.
Das Thema Kommunikation ist nur ein Beispiel, für die doch recht deutlichen kulturellen Unterschiede zwischen dem deutschen Hochschulkontext und dem angelsächsischen. Einen großer Vorteil den das deutsche System bietet, ist die Tatsache, dass Bildung als „public good“ weiterhin fest in der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik verankert ist. In den USA wird Bildung als Investition der Studierenden in ihre Zukunft, oder als Input in die Wirtschaft, eher marktwirtschaftlich betrachtet. Die staatliche Unterstützung der Hochschule ist jedoch nicht nur Chance, sondern auch Herausforderung. Einerseits stehen die deutschen Hochschulen unter einem geringeren finanziellen Druck als die internationale Konkurrenz, so dass sie mehr Freiraum zur Innovation haben (das mag einem nicht so vorkommen, wenn man auf die Endowments von MIT oder Harvards schielt, aber Harvard und MIT sind auch in den USA absolute Ausnahmen). Andererseits kann diese relative finanzielle Sicherheit (und die Sorge etwas zu tun, was sie eventuell gefährden könnte) auch den Wunsch zu Experimentieren drosseln. Hier ist die richtige Strategie gefragt.
Strategie oder ausprobieren
Strategie war auch das Hauptthema am Dienstag, und wurde in zahlreichen Workshops und Gesprächen von allen Seiten so detailliert behandelt, dass eine der Zuschauer/innen im abschließenden Panel zu Recht fragte, ob wir nicht langsam genug diskutiert hätten; was wiederum zu weiteren Diskussionen auf dem Panel führte. Die Meinungen gingen etwas auseinander. Christian Spannagel von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg sprach von der Notwendigkeit einer Hochschulstrategie, um die Ressourcen, die zur Umsetzung gebraucht werden, überhaupt erstmal freizusetzen. Mark Brown von der Dublin City University widersprach und meinte, wir sollen weniger planen und mehr ausprobieren, und nur über erfolgreiche Experimente könne man überhaupt eine Strategie entwickeln. Ich denke beide haben Recht. Eine Strategie kann enorm nützlich sein um neuen Ideen und Experimenten eine gewisse Rückendeckung zu geben, und Strategieprozesse bieten auch die Chancen mehr Kollegen und Studierende in den Prozess der Digitalisierung zu integrieren. Langwierige Strategieentwicklung können aber auch in endlosen Gremiensitzungen, den letzten Wunsch Neues auszuprobieren im Keim ersticken.
Studierende aktiv einbinden
Ein Bereich, in dem es sicher noch mehr Potential gibt, ist die Einbindung der Studierenden. Einerseits hörten wir von Lehrenden, dass es oft die Studierenden selbst sind, welche bei digitaler Lehre nicht motiviert mitziehen. Und neue Formate erhalten auch schon einmal negative Beurteilungen. Das ist jedoch nicht besonders überraschend. Veränderung ist immer auch mit Skepsis verbunden, und solange das weitere Umfeld sich nicht ändert, können Lehrinnovationen von den Studierenden durchaus als Ablenkung wahrgenommen werden. Wo das Digitale jedoch nicht nur auf das Traditionelle aufgesetzt ist, sondern gut in die Lehre und Prüfung integriert wird, sind die Reaktionen oft deutlich positiver. Doch das wahre Potential liegt nicht darin, Studierende besser in der digitalen Lehre zu unterstützen, sondern sie aktiv in die Umsetzung mit einzubinden. Und viele möchten aktiv mitgestalten. In einer der Barcamp Sessions des Netzwerktreffens, sprach ich in kleiner Runde mit drei Studierenden von unterschiedlichen Hochschulen, deren Fachkompetenz offensichtlich war. Sowohl der pädagogische Aspekt, als auch die strategisch wichtige Beziehung zum Präsidium, und sogar die möglichen Finanzierungsmodelle wurden behandelt. In der Tat, war das Gespräch einem vergleichbaren Austausch unter Lehrenden verblüffend ähnlich. Eine bessere Vernetzung der Studierenden, um den Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen, und Kooperationen zwischen Hochschulen auch auf dem Niveau der Studierenden einzugehen, wäre ein gutes Komplementär zu der Vernetzung der Lehrenden.
Modelle vernetzen
Das wachsende Interesse, aktiver in das Thema Digitalisierung einzusteigen, eröffnet meiner Meinung nach eine Möglichkeit, durch gemeinsames Experimentieren und Austausch eine neues Modell für die Hochschule im digitalen Zeitalter zu entwickeln. Dieses kann klar im Grundverständnis von Bildung als öffentlichem Gut verankert sein, aber sich durch ganz neue Merkmale und vielleicht sogar neue Institutionen auszeichnen. Hierbei gibt es selbstverständlich noch mehr Fragen als Antworten und das ist auch richtig so. Der sicherste Weg weitere Innovation zu unterbinden, wäre die vorzeitige Standardisierung. Es kann nicht ein Modell geben, welches alle deutschen Hochschulen dann gleich umsetzen, sondern idealerweise entwickelt man ganz unterschiedliche Konzepte, welche die Stärken und Profile der einzelnen Institutionen deutlich hervorheben. Diese dann durch Digitalisierung sinnvoll zu vernetzen ist eine der Herausforderungen der nächsten Jahre.