Die „Nationale Bildungsplattform“: Der Aufbau eines Digitalen Bildungsraums mit der Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung
Die „Nationale Bildungsplattform“: Der Aufbau eines Digitalen Bildungsraums mit der Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung
01.11.22Mit dem Projekt der „Nationalen Bildungsplattform“ (NBP) will das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen sogenannten Digitalen Bildungsraum in Deutschland etablieren, der international anschlussfähig sein soll. Die geplante Plattform soll eine Vernetzungsinfrastruktur für bestehende und neue Bildungsangebote sein und wird bis Ende 2025 mit rund 500 Millionen Euro aus EU-Mitteln gefördert. In ihrem Blogbeitrag beschreiben Dominik Theis und Dr. Corinne Büching die nächsten Entwicklungsschritte des Projekts und schildern die Vorteile, die diese Vernetzungsinfrastruktur für Lernende, Lehrende, Bildungseinrichtungen und Anbieter von Bildungsmaterialien mit sich bringen soll.
Gute Bildung bietet Lebenschancen für die Menschen, ein gutes Bildungssystem bietet Transformationschancen für die Gesellschaft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will die Potenziale der Menschen und des Landes heben. Diese werden mit Zukunftskompetenzen einer jeden einzelnen Person und mit den Synergien durch Vernetzung und Zusammenarbeiten erschlossen.
Das BMBF etabliert einen Digitalen Bildungsraum, in dem sich Zukunftskompetenzen und Synergien durch Vernetzung und Zusammenarbeiten entwickeln können. Lernende sollen auf ihren Bildungswegen die digitalen Möglichkeiten ohne Brüche nutzen können. Es sollen bestehende und neue digitale Bildungsangebote und -plattformen über eine Digitale Vernetzungsinfrastruktur Bildung (angekündigt als „Nationale Bildungsplattform“) verknüpft und zugänglich werden. Ausgangspunkt sind dabei die Lernenden mit ihren individuellen Bildungswegen. Die Vernetzungsinfrastruktur ermöglicht den Lernenden einen nahtlosen und selbstbestimmten digitalen Bildungsweg – von der Schule bis zur berufsbegleitenden Weiterbildung.
Deutschland hat tolle Projekte rund um digitale Bildung. Forschung und Nutzerbefragungen zeigen jedoch, dass diese für die Lernenden oft nur schwierig zu finden sind. Das BMBF will mit der Vernetzungsinfrastruktur erreichen, dass alle Lernenden digitale Bildungsangebote leicht und sicher auffinden und nutzen können. Denn neben den typischen Klassenzimmern und Vorlesungssälen wird für Lehre und Lernen zunehmend der digitale Raum genutzt. Werden im Digitalen Bildungsraum Lernsettings über verschiedene Bildungseinrichtungen und -etappen der individuellen Bildungswege hinweg zusammengedacht, lassen sich die Vorteile des digitalen Lernens voll ausschöpfen. Die digitale Vernetzung schließt analoges Lernen aber nicht aus. Auch nicht-digitale Bildungsangebote sollen über die Vernetzungsinfrastruktur auffindbar sein.
Mit dem Begriff der Vernetzungsinfrastruktur soll deutlich werden, dass kein eigenes Lehr-/Lernangebot und keine Bildungsinhalte produziert, sondern deren Metadaten benutzt werden, um die Bildungsinhalte zu vernetzen. Der Digitale Bildungsraum und der Aufbau der Vernetzungsinfrastruktur sind bis Ende 2025 mit insgesamt rund 500 Millionen Euro aus EU-Mitteln finanziert. Der Koalitionsvertrag sieht eine dauerhafte Etablierung dieser Infrastruktur für die Zukunft vor.
1. Digitaler Bildungsraum
Der Digitale Bildungsraum ist ein Bildungsökosystem, das auf offenen Standards basiert. Mit einem vernetzten Digitalen Bildungsraum soll ein Innovationsraum für Lernende, Lehrende und Anbieter von (digitaler) Bildung insgesamt geschaffen werden. Der Digitale Bildungsraum und die Vernetzungsinfrastruktur sind europäisch und international anschlussfähig.
Im Digitalen Bildungsraum werden die existierenden umfangreichen digitalen Bildungsangebote für Lernende und Lehrende aus allen Bildungsbereichen auf einfache Art zugänglich sein. Durch die Verknüpfung dieser Angebote und Services auf Basis gemeinsamer Standards, Formate und interoperabler Strukturen werden Menschen beim lebensbegleitenden Lernen unterstützt.
Dabei werden die Entwicklungen im Themenfeld Bildung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) aktiv berücksichtigt und begleitet. Übergeordnetes Ziel ist es, Synergien zwischen dem Digitalen Bildungsraum und dem OZG-Umsetzungsprojekt „Bildungsjourney” zu identifizieren und umzusetzen. Hierfür steht das BMBF im engen Austausch mit Sachsen-Anhalt, welches als federführendes Bundesland verantwortlich für die Umsetzung der Bildungsjourney ist. Gemeinsam wird die Integration OZG-relevanter Funktionen und Komponenten an die Vernetzungsinfrastruktur, wie etwa die digitalen Nachweise, Identitätsmanagement oder Wallet, geprüft.
Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen und durch eine Vernetzung aller Beteiligten ergibt ich folgendes Ziel für den Digitalen Bildungsraums: Es soll ein Zugang geschaffen werden, der die personalisierte und aus aktuellen Lebenslagen heraus optimierte individuelle oder kooperative Nutzung, Integration und Verknüpfung von formalen, non-formalen und informellen Lehr- und Lernmöglichkeiten ermöglicht.
2. Digitale Vernetzungsinfrastruktur Bildung
Das BMBF treibt den Aufbau der Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung (angekündigt als „Nationale Bildungsplattform“) voran.
Die nächsten Entwicklungsschritte für die Vernetzungsinfrastruktur sind, für die Lernenden
- einen nutzungsfreundlichen, sicheren und auf Wunsch einheitlichen Zugang zu Plattformen und Bildungsangeboten zu schaffen
- einen sicheren persönlichen Speicherplatz zur Ablage und Verwaltung von Lernständen und Lernergebnissen anzubieten sowie
- eine Katalog- und Suchfunktion zu entwickeln, die für bessere Suchergebnisse Nutzerdaten verwenden kann, sofern die Nutzenden dem zustimmen – und zwar ohne dass diese Daten irgendwo zentral gesammelt würden, wie es bei kommerziellen Plattformanbietern in der Regel der Fall ist.
Vernetzungsinfrastruktur für individuelles, lebensbegleitendes Lernen
Die Vernetzungsinfrastruktur soll keine neue Lernumgebung sein, sondern als groß angelegtes Standardisierungs- und Infrastrukturprojekt individuellen Zugang zu den vielfältigen existierenden und neu entwickelten Bildungsangeboten und Diensten innerhalb des Digitalen Bildungsraums bieten. Zugleich soll sie diese Angebote intelligent miteinander verknüpfen. Ein wesentlicher Anteil der Funktionalitäten der Vernetzungsinfrastruktur wird dabei nur indirekt in Erscheinung treten, ohne dass Lernende dafür direkt ein Frontend der Infrastruktur selbst bedienen müssten. Das erfolgt stattdessen beispielsweise durch die Verknüpfung der Plattformen via Single Sign-On, die Nutzung der Ablage zum Speichern und Freigeben von Lernständen und Zertifikaten auf anderen Lernplattformen oder durch die Weiterverarbeitung der Metadaten.
Lernenden aus allen Altersstufen soll ermöglicht werden, die verschiedenen Bildungsangebote in digital unterstützten Lernräumen durchlässig und medienbruchlos zu nutzen. So werden Lernende und Lehrende durch digitale Lehr- und Lernszenarien ins Zentrum gerückt. Angepasst an die aktuelle Lebenslage soll es möglich werden, sich ungehindert durch die verschiedenen digitalen Bildungsangebote und -formen zu bewegen. Im Fokus steht dabei, dass Lernenden individuelle Bildungspfade eröffnet werden, die nicht auf eine Bildungseinrichtung oder einen Bildungsabschnitt begrenzt sind, sondern die gesamte Bildungskarriere unterstützen.
Lernende sollen ihre Daten dabei selbstbestimmt verwalten. Das heißt, dass sie über die Nutzung der Daten entscheiden. Leistungsnachweise wie etwa Zeugnisse und Zertifikate können so digital und sicher hinterlegt werden und sind dadurch in wechselnden Lern- und Lehrkontexten zugänglich. Zudem können die Nutzenden ihre Daten oder Leistungsnachweise für Dritte freigeben. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf Datenschutz und die Datensouveränität gelegt.
Vorteile einer Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung
Der Digitale Bildungsraum und die Digitale Vernetzungsinfrastruktur Bildung bieten viele Vorteile für Lernende, Lehrende, Bildungseinrichtungen und Anbieter von Bildungsmaterialien.
Lernende finden über die Vernetzungsinfrastruktur passfähige Lernangebote, die auf die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen der jeweiligen Lernenden zugeschnitten sind. Die Suchaufwände und die Teilnahmeschwelle werden gesenkt und das Lernen mit Anderen erleichtert. Dokumente der eigenen Lernhistorie werden sicher in einem digitalen Lernportfolio gesammelt – dazu gehören vor allem Zeugnisse, Zertifikate und andere Kompetenznachweise, die im Laufe des Lebens erworben werden. Die Lernenden können über eine Wallet zu jedem Zeitpunkt auf ihre Nachweise zugreifen und entscheiden, welcher Anbieter und welche Bildungsinstitution eine bestimmte Information einsehen darf.
Lehrende haben Zugang zu einer Sammlung von Bildungsinhalten verschiedener Anbieter und Bildungseinrichtungen und können diese in den eigenen Unterricht integrieren. So können sich Lehrende stärker auf die Inhaltsvermittlung konzentrieren. Zudem wird über die Vernetzung verschiedener Bildungsinstitutionen ein reger Erfahrungsaustausch und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit Peer Groups auf nationaler Ebene gefördert. Gleichzeitig haben Lehrende einen individuelleren Zugang zu den Lernenden.
Bildungseinrichtungen erhalten Einsicht in freigegebene Zertifikate und Kompetenzen von Bewerberinnen und Bewerbern und können somit den Betreuungs- und Verwaltungsprozess optimieren. Durch das Etablieren gemeinsamer Standards und das Harmonisieren von digitalisierten Prozessen wird zudem der Wissensaustausch zwischen den verschiedenen Bildungsinstitutionen und deren Kooperation miteinander vereinfacht. Mit Hilfe der Vernetzungsinfrastruktur werden die Lernangebote der Bildungseinrichtungen für die Lehrenden gezielter auffindbar.
Anbieter können für ihre Bildungsinhalte und -werkzeuge nationale Sichtbarkeit erreichen. Über die Reichweite der Vernetzungsinfrastruktur und die Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet sich die Chance für einen regen Austausch mit Endnutzenden und anderen Anbietern. Mechanismen für gezielte Rückmeldungen zu einzelnen Inhalten und Funktionen ermöglichen eine anwendungsorientierte und bedarfsgerechte Entwicklung von weiteren Bildungsangeboten und -technologien.
3. Innovative Prozesse für einen innovativen Digitalen Bildungsraum
Der integrative und innovative Charakter des Digitalen Bildungsraums steht beim Entwicklungsprozess der Vernetzungsinfrastruktur dauerhaft im Fokus. Mit diesem Ansatz wächst das BMBF über die klassische Rolle des Förderers hinaus. Es entwickelt den Digitalen Bildungsraum nutzerorientiert nach einem Wirkungskonzept mit den Lernenden im Zentrum.
Beteiligung
Bildungsakteure werden an dem Strategieprozess beteiligt („Strategiekreis Digitaler Bildungsraum“). In einem „Arbeitskreis Vernetzungsinfrastruktur Bildung“ soll die funktionale Ausrichtung und die Aufgaben der Vernetzungsinfrastruktur reflektiert werden. Einschlägige Experten und Expertinnen werden in thematischen Fachkreisen eingebunden. Zudem sollen Stakeholder des Digitalen Bildungsraums beim Aufbau notwendiger Strukturen unterstützt werden. Damit wird sichergestellt, dass die Entwicklung des Digitalen Bildungsraums eng an den Bedarfen von Nutzenden und institutionellen Akteuren ausgerichtet wird.
Basis-Architektur
Zunächst wurde über eine Förderinitiative ein Experimentalraum sowohl für die erste prototypische Vernetzungsplattform als auch für darüber verknüpfte Projekte geschaffen. Anfang April 2021 startete das Projekt „Bildungsraum Digital“, kurz BIRD. Es handelt sich dabei um einen Forschungsverbund, der von der Universität Potsdam koordiniert wird. BIRD entwickelte den ersten der vier Prototypen der Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung und ermöglicht seither das Testen von Strukturen für den Datenaustausch, die Interoperabilität von unterschiedlichen Plattformtypen und die Erprobung verschiedenster Standards. Das Vorhaben dient als erster Referenz-Prototyp für ein technisches Rückgrat im Digitalen Bildungsraum und ermöglicht die Integration von bestehenden Portallösungen und Lernangeboten. Drei weitere Projekte entwickelten in einem Ideenwettbewerb prototypisch zusätzliche Möglichkeiten zur Umsetzung einer Vernetzungsinfrastruktur.
Zusammen mit den Erkenntnissen aus den Fördervorhaben wurden im zweiten Quartal 2022 ein dynamisches Beschaffungssystem zur EU-weiten Vergabe vorbereitet und erste Vergabeverfahren gestartet.
Forschungs- und Entwicklungsprojekte
Zusätzlich werden Projekte gefördert, die lernpfadorientierte Lehr- und Lernangebote entwickeln. Die Voraussetzung der Förderung dieser Vorhaben ist, dass diese Angebote bruchlos in die Vernetzungsinfrastruktur eingebunden werden können. Zunächst haben diese Projekte in einer Konzeptionsphase ihre Arbeit aufgenommen und ihre Interoperabilität mit BIRD getestet. Aus den Projekten dieser ersten Phase wurden knapp 40 Projekte für eine zweijährige Umsetzungsphase ausgewählt. Das Spektrum der Inhalte und didaktischen Werkzeuge dieser Projekte bedient alle Lebenslagen des Lernens. Angebote für das Kindergartenalter sind genauso vertreten wie für die Sekundarstufe, das Studium und die berufliche Weiterbildung.
Innovative Beschaffung
Über Miniwettbewerbe im Rahmen eines „Dynamischen Beschaffungssystems (DBS)“ werden in den kommenden Monaten und Jahren unterschiedliche Entwicklungsleistungen für den agilen Aufbau der Vernetzungsinfrastruktur ausgeschrieben.
Das BMBF hat sich mit dem DBS für einen in Deutschland vergleichsweise neuen Weg entschieden. Das DBS schafft die Voraussetzungen für die Flexibilität und Wirtschaftlichkeit, die bei der Beschaffung und zeitgemäßen Umsetzung komplexer IT-Projekte gebraucht werden. So können im Rahmen von Einzelwettbewerben die jeweils geeignetsten Anbieter identifiziert werden, gerade auch flexible Entwicklungsteams aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die positiven Erfahrungen mit dem DBS im Rahmen von IT-Beschaffungen im europäischen Ausland (z. B. Niederlande, Baltikum) zeigen, dass das DBS eine innovative, gleichzeitig aber auch schon erprobte Alternative zu bestehenden Vergabeverfahren ist.
4. Ausblick
Für den Digitalen Bildungsraum wurden prototypische Möglichkeiten einer Vernetzungsinfrastruktur auf Basis des Forschungsprojekts BIRD sowie drei weiterer Prototypen bereits 2021 erlebbar. Ziele, Funktionen und Inhalte vorhandener Angebote auf Bundes- und Landesebene sowie von kommerziellen Anbietern wurden in Piloten prototypisch zugänglich gemacht und miteinander verknüpft.
Ab dem dritten Quartal in 2023 wird Lehrenden und Lernenden aus allen Bildungsbereichen durch die im Aufbau begriffene operative Implementierung und bis dahin in einer Beta-Version verfügbaren Vernetzungsinfrastruktur bruchlos Zugang zu konkreten Bildungs- und Weiterbildungsangeboten ermöglicht. Zentrale Dienste wie die Lizenzverwaltung für Bildungsinhalte und ID-Management-Lösungen zur Nutzung durch bestehende Plattformen und Cloud-Systeme werden entwickelt und umgesetzt.
Von 2025 an soll der Digitale Bildungsraum kontinuierlich ausgebaut und über die Funktionen der bundesweiten Vernetzungsinfrastruktur nutzbar gemacht werden. Ein bundesweites Ökosystem von Bildungsplattformen kann so entstehen, digitale Bildungsangebote können vernetzt und selbstsouverän über die ganze Bildungsbiographie wahrgenommen werden, formale und non-formale Bildungsleistungen können sicher abgelegt und je nach Bedarf Bildungsanbietern und Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus soll ein nachhaltiges Betriebs- und Betreiberkonzept für den Dauerbetrieb der Vernetzungsinfrastruktur etabliert sein.
5. Projektorganisation
Das BMBF setzt auf ein agiles Vorgehen und eine hohe Flexibilität in der Förderung. Das Ministerium hat eine Projektgruppe Digitaler Bildungsraum (PG DB) eingerichtet. Diese arbeitet eng mit einem gemeinsamen Projektbüro von der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH und Capgemini Deutschland GmbH zusammen. Das Projektbüro bietet inhaltlich-technische Unterstützung zum Aufbau des Digitalen Bildungsraums und der Vernetzungsinfrastruktur, beschäftigt sich mit dem Monitoring und der Weiterentwicklung und organisiert Vernetzungsaktivitäten.
Über die aktuellen Entwicklungen der Digitalen Vernetzungsinfrastruktur Bildung informiert das Projektbüro auf www.bildungsraum.de.