Mathematik im Studium: Studieneinstieg und Resilienz
Mathematik im Studium: Studieneinstieg und Resilienz
05.12.25
Mathematik formt die Grundlage einer Vielzahl an Studienfächern. Insbesondere MINT-Fächer kommen nicht ohne sie aus. Wer Mathematik in der Schule vertieft hat, ist klar im Vorteil. Eine Garantie für einen reibungslosen Studieneinstieg ist das aber nicht. Auch wenn das erstmal entmutigend klingt, hat dieser Blogbeitrag zum Ziel, einen möglichen Weg in Richtung Resilienz im Mathematikstudium aufzuzeigen. Friederike Schulze gibt Einblicke in ihr Mathematikstudium und legt dar, welche Möglichkeiten und Ressourcen es für ein erfolgreiches Absolvieren des Mathematikstudiums bedarf.
Vorbereitet und doch unvorbereitet
Viele Studienanfänger:innen fühlen sich direkt aus der Schule kommend zu Studienbeginn gut vorbereitet. Schnell merken sie: Die Formalität und Sprache in Hochschulen, mit der das Fach von Anfang an gelehrt wird, sind ungewohnt und bedürfen ständiger Übung. „Genau dann, wenn“, „hinreichend“, „notwendig“ und „für alle“ sind Begriffe, die Teil einer formalen Ausdrucksweise sind. Mathematik lesen und verstehen wird zur ersten Herausforderung. Beispiele zum Verständnis erhalten sie im besten Fall direkt in den Vorlesungen und Übungen, oder online in Videos, Artikeln oder Blogbeiträgen. So lernt man, dass eine Abbildung bijektiv heißt, wenn jeder Hase von genau einem Jäger erwischt wird. Dasselbe Szenario erlaubt aber nicht, dass ein Jäger mehr als einen Hasen schießt, da sonst keine Abbildung mehr vorliegt. Man muss sich gedanklich also von der pragmatischen Realität verabschieden.
Ein weiterer im Mathematikstudium unausweichlicher Punkt ist der Beweis. Auch er ist in seiner gänzlichen Tiefe vielen Studierenden neu. Eine mathematische Aussage (z. B. auch die Gültigkeit einer Formel), die nicht als wahr vorausgesetzt werden kann, bedarf eines Beweises. Dieser wird in der Regel in der Vorlesung durchgeführt und ist für die meisten Studienanfänger:innen ein völlig neues Konzept. Dies macht sich auch im Vorkurs bemerkbar. Während Aufgaben zu Ungleichungen, Potenzrechnung und Gleichungssystemen noch innerhalb der vorgesehenen Zeit in den Tutorien bearbeitet werden können, sprengt das Beweisprinzip der vollständigen Induktion den verfügbaren Rahmen. Wer ein MINT-Fach studiert, in dem es am Ende darauf ankommt, mathematische Werkzeuge richtig einzusetzen, kann sich guten Gewissens nach dem Abschluss vom Beweis verabschieden. Wer im Studium tief in die Theorie einsteigen will, sollte sich besser mit ihm anfreunden.

Wissen vor Zweckerkenntnis
Manche Menschen, nicht zuletzt Lehrende und Studierende selbst, vertreten das Narrativ, dass Mathematik an sich schwer und eine Begabung Voraussetzung zum erfolgreichen Lernen sei. Sätze wie „Ich war in Mathe noch nie gut.“ besiegeln dann das vermeintliche Schicksal. Gleichzeitig sitzt man gemeinsam in einer Vorlesung mit Kommilitonen, die versuchen, sich in den ersten Wochen mit cleveren Fragen zu profilieren, während man selbst ein Fragezeichen im Kopf hat. Dass es normal ist, Inhalte der Vorlesungen erstmal nicht zu verstehen, stellt sich erst später heraus. Viele schreiben fleißig mit, ohne zu wissen, was sie dort eigentlich aufschreiben, andere lassen alles kommentar- und bewegungslos über sich ergehen.
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich fragt, wie relevant das Gelernte eigentlich ist: „Wozu muss ich lernen, dass die reellen Zahlen ein Körper sind, wenn ich doch einfach nur darin rechnen möchte?“. Natürlich erscheinen abstrakte Grundlagen wie Körperaxiome erstmal überflüssig. Später bauen darauf aber Theorien auf, die man ohne diese Fundamente gar nicht tiefgängig verstehen kann. Manchmal offenbaren sich Anwendungsmöglichkeiten, an die man im Vorfeld nicht unbedingt gedacht hätte. Die Motivation trotz der nachgelagerten Zweckerkenntnis zu erhalten, setzt auch hier ein hohes Maß an Resilienz voraus.
Der Start ins Studierendenleben
Bildung ist in Deutschland Ländersache. Das sorgt für Heterogenität und dafür, dass Studienanfänger:innen unterschiedliche Vorbildung mitbringen. Verschiedene Rechenverfahren und mathematische Objekte sind teils bekannt, teils unbekannt. Viele lernen erst im Studium den Umgang mit Matrizen, Integrationsverfahren und komplexen Zahlen. Andere Dinge müssen erst wieder verlernt werden. Zahlenräume und Begriffe wie Stetigkeit werden neu definiert und verstanden. Alle am Anfang auf einen Nenner zu bringen ist unter Umständen schmerzhaft, aber notwendig, um das gesamte weitere Studium darauf aufzubauen. Wird man mit all diesen Punkten als Studienanfänger:in fertig, kommen das Tempo und die Lebensumstände hinzu. Die hohe Informationsdichte im Studium übersteigt das gewohnte Lerntempo aus der Schule. Gleichzeitig beginnt für viele ein neuer Lebensabschnitt, in dem neue Verantwortlichkeiten und Sorgen hervortreten.
Den Anschluss zu finden, den Alltag zu bewältigen und die tiefe Auseinandersetzung mit dem Studienfach muss unter einen Hut gebracht werden. Viele Studierende sind auf Nebentätigkeiten angewiesen; manche sind zeitlich eingeschränkt oder müssen Care-Arbeit leisten. Die Bearbeitung der wöchentlichen Aufgabenblätter und Übungen, die bei Mathematikmodulen die Regel sind, müssen im Leben untergebracht werden. Der Arbeitsaufwand schwankt und einige Aufgaben sind schwerer und zeitintensiver zu lösen als andere. Grundsätzlich kann man am Anfang des Studiums pro Blatt mit etwa sechs Aufgaben rechnen. Die Schnellsten schaffen eine davon in etwa einer halben Stunde. Sich gut zu organisieren und den Überblick zu behalten, wird zu einer wichtigen Voraussetzung.
Resilienz durch Gemeinschaft
Für einen erfolgreichen Start ins Studierendenleben und dem darauf folgenden Aufrechterhalten der Motivation in schwierigen Phasen bedarf es Resilienz. Auch wenn am Ende alle ihre Klausuren allein schreiben müssen, ist der Schlüssel dafür die Gemeinschaft. Die meisten Übungsblätter werden in Gruppen von zwei bis drei Personen eingereicht. Wer trotzdem versucht allein abzugeben, handelt sich nicht nur den Ärger der Lehrenden über den erhöhten Korrekturaufwand für Einzelpersonen ein, sondern verpasst auch die Gelegenheit zum Austausch. Nach Abgabepartner:innen oder Lerngruppen zu suchen, erfordert sozialen Mut, zahlt sich aber in vielerlei Hinsicht aus. Durch das Erklären von Inhalten stellt man fest, ob man Inhalte selbst verstanden hat.
Andererseits profitiert man vom Wissen und Können anderer. In der Gruppe gemeinsam zu lernen, motiviert und gibt Routine. Über Mathematik zu sprechen, macht sie greifbarer. Darüber hinaus erfährt man, dass alle im selben Boot sitzen. Das Verständnis für Mathematik ist keine exklusiv angeborene Fähigkeit, sondern das Ergebnis von harter Arbeit. Auch diejenigen mit Talent müssen Definitionen und Sätze lernen, Übungsaufgaben bearbeiten und Rechenverfahren nachvollziehen, um den Stoff zu verstehen und am Ende Klausuren zu bestehen. Schließlich bleibt die Frage, ob es gelingt, die nötige Zeit und Mühe aufzubringen – sei es durch Disziplin, sozialen Antrieb oder Freude am Fach.
Der Umgang mit (digitalen) Hilfsmitteln
An meiner Hochschule wurden und werden viele Mathematikvorlesungen mit Kreide an Tafeln gehalten. Gelegentlich gab es begleitend digitale Folien, grundsätzlich aber immer ein begleitendes Buch oder Skript. Während der Pandemie wurden Vorlesungsaufzeichnungen online gestellt. Auch nach Wiedereinführung der Präsenzlehre wurden teilweise weiterhin Aufzeichnungen bereitgestellt. Eine der wertvollsten Ressourcen waren etwa zehnminütige Lernvideos in denen Beispielaufgaben vorgestellt wurden. Zusätzlich gab es zu jedem Modul einen eigenen digitalen Lernraum mit eigenem Forum und Materialien.
Darüber hinaus hielten sich die Hilfsmittel der Hochschule in Grenzen. Wer LaTeX Code gelernt hat (was ich jedem, der ein MINT-Fach studiert, wärmstens empfehlen würde), konnte das Internet nach mathematischen Ausdrücken durchsuchen und sich durch die Onlineforen wühlen. Über WolframAlpha konnte man Ergebnisse überprüfen, Rechenwege Testen und Funktionen plotten lassen. Zu fast jedem Inhalt ließen sich auch Videos in unterschiedlicher Lehrqualität finden.
Mit dem Einzug der großen Sprachmodelle hat sich eine neue Art der Recherche eröffnet, die gleichzeitig sehr viel mehr Verantwortung abverlangt. Einerseits können viel schneller und präziser Inhalte gesucht und Fragen beantwortet werden. Andererseits ist die Verführung groß, Aufgaben in Gänze der KI zu überlassen. Hier ist es entscheidend, eigenständig nachvollziehen zu müssen, ob ein Ergebnis (oder ein Beweis) korrekt ist und warum.
Fazit
Ein Studium kann überfordern, vor allem am Anfang. Umso wichtiger ist es, auf die eigene mentale Gesundheit und soziale Kontakte zu achten. So ist zum einen der Zusammenschluss mit Gleichgesinnten auf Studienebene u. a. im Sinne von Lerngruppen ratsam. Zum anderen können digitale Lernangebote sowie Angebote der Hochschulen wie psychosoziale Beratungsstellen, Sportkurse oder Musikgruppen dabei helfen, das Studium erfolgreich zu bewältigen. Der wertvollste Rat, den ich selbst am Anfang meines Studiums erhalten habe, stammte von der damaligen Fachstudienberaterin meiner Hochschule: „Versuchen Sie nicht, das alles allein zu schaffen. Suchen Sie sich eine Gruppe!“.
Autorin
Friederike Schulze hat Produktdesign an der FH Aachen und Mathematik an der RWTH Aachen studiert. Neben ihrem Studium war sie über sechs Jahre im AStA der FH Aachen als Projektleiterin für Studienqualität tätig und hat in diesem Rahmen an Themen in der Didaktik und Digitalisierung gearbeitet. Zuletzt hat sie innerhalb der Arbeitsgruppe „Digitalisierung im Fachbereich Mathematik“ des Hochschulforum Digitalisierung an der Erstellung der Publikation „Kreide trifft Cloud: Digitales Lehren und Lernen in der Hochschulmathematik“ mitgewirkt.


Mauritz Danielsson 
Peter van der Hijden 
Annalisa Biehl 