Studentische Nutzung von KI-Tools im Hochschulalltag: Kontinuitäten und Veränderungen

Studentische Nutzung von KI-Tools im Hochschulalltag: Kontinuitäten und Veränderungen

09.09.24

In der Diskussion über den Einsatz von KI-Tools in der Hochschule kommt die studentische Perspektive leider häufig zu kurz. Aber möchten Studierende überhaupt ChatGPT nutzen? Welche Chancen und Risiken sehen sie in der Nutzung generativer KI?

Im letzten Winter veröffentlichten Timucin Cicek, Prof. Dr. Tobias Seidl und Prof. Cornelia Vonhof von der Hochschule der Medien Stuttgart in dem HFD-Blogbeitrag „Hey ChatGPT, kannst du mir helfen?“ zentrale Erkenntnisse, die sie aus einer Studierendenbefragung zur Nutzung von KI-Tools gezogen haben. Nun folgt die Fortsetzung mit überraschenden Antworten auf die Frage, welche Kontinuitäten und Veränderungen sie dabei beobachtet haben. 

Blog
Grafik stellt eine Hand mit einer Lupe dar, die auf einen Graphen mit bunten Balken zeigt. Titel: "Hey ChatGPT, kannst du mir helfen? Chancen und Risiken der Nutzung mit ChatGPT & Co im Studium aus studentischer Perspektive". Untertitel: "Gastbeitrag von Timoucin Cicek, Tobias Seidl und Cornelia Vonhof". Logo rechts unten: Hochschulforum Digitalisierung.

Hey ChatGPT, kannst du mir helfen?

Tobias_Seidl
Prof. Dr. Tobias Seidl
05.12.2023

Die Nutzung von KI durch Studierende verändert seit November 2022 die Art und Weise, wie Studierende ihren Hochschulalltag gestalten und die Veränderungsdynamik hält ungebrochen an. Das fordert uns als Lehrende und die Hochschulen als Institutionen heraus.

Dabei geht es keineswegs nur um die (betrugssichere) Gestaltung von Prüfungsleistungen, sondern vor allem um eine fundierte Begleitung von Studierenden beim Erwerb von KI-Literacy und bei der Vorbereitung auf eine durch KI geprägte Lebens- und Arbeitswelt. Diese Herausforderungen können wir nur meistern, wenn wir die studentische KI-Nutzungspraxis sowie die Bedürfnisse der Nutzendengruppe kennen und diese Perspektive auch regelmäßig in den Blick nehmen. Hierzu haben wir bereits im Mai 2023 eine Befragung unter Studierenden der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM) durchgeführt, an der sich knapp 12 % der Studierenden beteiligt haben (N=652) (Gottschling, Seidl, Vonhof 2024). Wie hat sich die Welt seither verändert? Um diese Veränderungen und Entwicklungen sichtbar zu machen, wurde im Rahmen einer Bachelorthesis ein Jahr später, also im Sommersemester 2024, mit einem modifizierten Fragebogen eine weitere Erhebung durchgeführt. An dieser nahmen knapp 6 % der Studierenden der Hochschule teil (N=319) (Renner 2024). Im Blogbeitrag werden zentrale Ergebnisse und Erkenntnisse aus dieser neuen Erhebung, v.a. im Vergleich zur 2023-Studie, vorgestellt.

1. Die studentische KI-Nutzung erfolgt nach wie vor flächendeckend

Die aktuelle Erhebung zeigt, dass generative KI-Tools nach wie vor von über 96 % der Studierenden genutzt werden. Hier sind keine größeren Veränderungen zum Vorjahr festzustellen. Ähnliches lässt sich auch für die Nutzungsintensität von KI-Tools feststellen: auch sie bleibt auf hohem Niveau stabil. Bereits 2023 nutzen 11 % der HdM-Studierenden KI-Tools täglich, 41,3 % mehrmals in der Woche und 28,2 % mehrmals im Monat (Gottschling, Seidl, Vonhof 2024).

2. ChatGPT dominiert weiterhin die Nutzung

Das am stärksten genutzte KI-Tool bleibt auch 2024 ChatGPT. Knapp 94 % der Studierenden nutzen es. Bei generativen Text-KIs folgen in der Nutzungsstatistik Microsoft Copilot (15,3 %), BingAI (11,7 %) und Gemini (8,5 %). Spezialisierte Recherche-KI-Tools o. ä. spielen in der Nutzung keine Rolle (vgl. Renner 2024). Hieraus könnte ein klarer Auftrag für die Gestaltung von Einführungsveranstaltungen in das wissenschaftliche Arbeiten abgeleitet werden, nämlich v. a. die spezialisierten Tools, die das wissenschaftliche Arbeiten unterstützen, in den Blick zu nehmen.

Vergleicht man die Ergebnisse der ersten Erhebung mit zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden anderen Studien, so zeigt sich, dass die Studierenden an der HdM sehr KI affin sind. So setzen bereits 2023 über 50 % der HdM-Studierenden KI-Tools täglich oder mehrmals die Woche ein, während z. B. an der Universität Hamburg nur 24 % der Studierenden ChatGPT mit entsprechender Frequenz nutzten. Der Unterschied bei den Nicht-Nutzenden (1 % vs. 30 %) war dabei noch bedeutender (vgl. Preiß et al., 2023). Trotz dieser Affinität spielen Open-Source-Modelle wie etwa Mistral oder Llama in der Nutzung der HdM-Studierenden bislang keine Rolle. Hier könnten Hochschulen ein bewusstes Agenda-Setting betreiben, um Studierende für die Vorteile solcher Modelle zu sensibilisieren.

3. Die Nutzung im Rahmen von Prüfungen hat deutlich zugenommen – große Unklarheiten aufseiten der Studierenden bleiben aber bestehen

Die Nutzung von KI-Tools an der HdM im Rahmen von Prüfungsleistungen hat sich von 2023 bis 2024 deutlich erhöht (von 33,7 % zu 62,9 %). Diese Veränderung sticht bei der Betrachtung der Daten deutlich hervor. Gleichzeitig geben die Studierenden jedoch in der Follow-Up-Erhebung an, im Durchschnitt nur in 37,5 % ihrer Veranstaltungen eine Leitlinie zum Umgang mit KI-Tools in Prüfungen erhalten zu haben. Gleichzeitig äußern 33,2 % der Studierenden wenig und 11,9 % überhaupt nicht über die prüfungsrechtlichen Aspekte der Nutzung informiert zu sein. Diese Zahlen sind in der Tendenz ähnlich wie die Ergebnisse der Erhebung 2023.

Es herrscht also nach wie vor ein großer Handlungsbedarf im Hinblick auf die Festlegung und Kommunikation klarer Spielregeln für die Nutzung von KI-Tools in Prüfungen. Die studentische Praxis scheint sich hier deutlich dynamischer entwickelt zu haben als das Handeln der Lehrenden. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass sich in der aktuellen Studie über 82 % der Studierenden eine Leitlinie zum Umgang mit generativer KI an der Hochschule wünschen.

Über 82 % der Studierenden wünschen sich eine Leitlinie zum Umgang mit generativer KI an der Hochschule.

4. Studierende nehmen noch keine Steigerung des Anspruchs in Prüfungen in der Breite wahr

Unter Lehrenden wurden die Auswirkungen von generativer Text-KI auf die Prüfungsgestaltung und -bewertung bereits ausführlich diskutiert. Gerade beim Zulassen der Nutzung von KI-Tools stellt sich hier die Frage, inwieweit Erwartungen an die Leistungen erhöht (etwa im Hinblick auf die sprachliche Textqualität) oder andere Schwerpunkte gesetzt werden müssen. Knapp 45 % der Studierenden der Follow-Up-Erhebung gaben an, dass sie erwarten, dass die Nutzung von KI-Tools in Zukunft zu einer Steigerung der Ansprüche an Prüfungsleistungen führen wird. Jedoch konnten nur 19,1 % der Befragten bislang eine Steigerung der Ansprüche bzw. eine Verschärfung der Korrekturen durch die Lehrenden wahrnehmen (Renner 2024).

Einen interessanten neuen Befund ergibt die aktuelle Erhebung im Hinblick auf die Selbsteinschätzung der Studierenden: 37,8 % geben nämlich an, durch den Einsatz von generativer KI bessere Noten erhalten zu haben, ohne dafür eine aus ihrer eigenen Einschätzung angemessene Leistung erbracht zu haben. Das lässt aufhorchen und ist ein Impuls für Diskussionen unter uns Lehrenden. Neben der Veränderung von Korrekturmaßstäben ist auch die Veränderung der Prüfungsform eine probate Möglichkeit, auf die Nutzung von KI-Tools zu reagieren. Für beide Aspekte wäre eine Befragung der Lehrenden von großem Interesse, um verstehen zu können, inwieweit die Lehr- und Prüfungspraxis bereits auf die Herausforderungen reagiert hat, die durch KI-Tools entstehen.

37,8 % geben an, durch den Einsatz von generativer KI bessere Noten erhalten zu haben, ohne dafür eine aus ihrer eigenen Einschätzung angemessene Leistung erbracht zu haben.

Die aktuelle Erhebung zeigt deutlich, dass die Nutzung von KI-Tools unter Studierenden – wie zu vermuten war – weiterhin stark verbreitet ist und sich in einzelnen Bereichen – wiederum erwartungsgemäß – intensiviert hat. Die dominierende Rolle von ChatGPT und die gestiegene Verwendung von KI in Prüfungsleistungen unterstreichen die Notwendigkeit, für Hochschulen und Hochschullehrende handeln zu müssen. Es bedarf (endlich) klarer Leitlinien und transparenter Kommunikation, um den Umgang mit KI an der Hochschule zu regeln und die Studierenden angemessen auf eine durch KI geprägte Zukunft vorzubereiten. Typisch für die bisherige Entwicklung im Bereich der KI-Tools ist die hohe technische Dynamik, die immer wieder neue Nutzungsmöglichkeiten mit sich bringt. Für die Hochschulen bedeutet dies, dass wir alle uns immer wieder aufs Neue mit dem Thema auseinandersetzen müssen: im Hinblick auf die Gestaltung der eigenen Lehre, aber auch mit einem forschenden Blick auf das Handeln unserer Studierenden.

Quellen:

Gottschling, S.; Seidl, T.; Vonhof, C. (2024). Nutzung von KI-Tools durch Studierende. Eine exemplarische Untersuchung studentischer Nutzungsszenarien. die hochschullehre. Interdisziplinäre Zeitschrift für Hochschule und Lehre. 10(11). https://dx.doi.org/10.3278/HSL2411W

Preiß, J.; Bartels, M.; Niemann-Lenz, J.; Pawlowski, J.; Schnapp, K.-U. (2023). ChatGPT and Me. Erste Ergebnisse der quantitativen Auswertung einer Umfrage über die Lebensrealität mit generativer KI an der Universität Hamburg. Digital and Data Literacy in Teaching Lab. Universität Hamburg. http://doi.org/10.25592/uhhfdm.13403.

Renner, B. (2024). Analyse des Nutzungsverhaltens generativer KI-Tools von Studierenden an der Hochschule der Medien Stuttgart: Eine empirische Untersuchung. Bachelorarbeit (unveröffentlicht).

Autor:innen:

Dr. Tobias Seidl ist Professor für Schlüssel- und Selbstkompetenzen Studierender an der Hochschule der Medien Stuttgart. Zu seinen Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören Kreativität und Innovation, Führung, Kommunikation und Hochschuldidaktik. Er ist derzeit Prodekan der Fakultät Information und Kommunikation und Vorsitzender des Prüfungsausschusses der Fakultät. Er twittert unter @drseidlt.

Prof. Cornelia Vonhof ist Professorin für Public Management im Studiengang Informationswissenschaften an der Hochschule der Medien Stuttgart. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Managementinstrumenten in Bibliotheken und Informationseinrichtungen, insb. Qualitätsmanagement und Organisationsentwicklung. Sie ist Studiengangleiterin des Kontakt-und Masterstudiengangs Bibliotheks- und Informationsmanagement und aktiv als Autorin und Herausgeberin.

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