Was wäre, wenn… die Zukunft europäisch ist?
Was wäre, wenn… die Zukunft europäisch ist?
13.06.23Wie sieht die Zukunft der Bildung aus? Und welchen Stellenwert nimmt Europa in diesem Kontext ein? Die Autorin Danica Sattink Rath nimmt uns in diesem „Was wäre, wenn…?“-Blogbeitrag mit auf eine spannende Reise ins Jahr 2035 und zeigt, welches besondere Potential die Globalisierung der Bildung verspricht.
Die Blogreihe „Was wäre, wenn…?“ ist im Rahmen des co-kreativen Programms HFDvisions in Zusammenarbeit mit der DigitalChangeMaker-Initiative entstanden. In ihr teilen Hochschulangehörige ihre mutigen und wünschenswerten Zukunftsbilder mit uns, um zum Nachdenken, Diskutieren und Handeln anzuregen. Alle weiteren bisher veröffentlichten Beiträge der Blogreihe finden Sie im dazugehörigen Dossier.
Während es im ersten Blogbeitrag der „Was wäre, wenn…?“-Reihe um die Frage ging, welche Bedeutung Zukunftsvisionen im Hochschulkontext haben, widmen sich dieser und die folgenden Beiträge den konkreten Zukunftsvisionen der Autor:innen. Den Anfang macht Danica Sattink Rath, die Informationsdesign an der Hochschule der Medien in Stuttgart studiert und sich mit den Zukünften der Hochschulen beschäftigt. Welches Europa erwartet uns nach ihrer Einschätzung im Jahr 2035?
Was wäre, wenn… die Zukunft europäisch ist? – Ein transformatives Szenario über die Globalisierung von Bildung
Stellen sie sich vor, Sie haben während Ihres Studiums vor 20 Jahren ein Auslandssemester absolviert und eine Freundschaft fürs Leben geschlossen: Sventje, eine fröhliche Schwedin, die sie in der anschließenden Zeit immer wieder besucht haben – Im einen Sommer fuhren Sie für den Urlaub mit der Familie nach Schweden, im Winter trafen Sie sich häufig in einer europäischen Hauptstadt Ihrer Wahl für einen Kurztrip. Sie sahen gegenseitig die Kinder groß werden und unterhielten sich immer wieder über die Umstände, die das Leben so mitbringt. Sventjes Tochter hat sich sehr zu Ihren Freuden, mit ihrer eigenen Tochter angefreundet, sie sind 17 und 18 Jahre alt und planen gemeinsam dieselbe Universität zu besuchen: Amsterdam soll es werden. Was für sie damals ein Abenteuer von 6 Monaten darstellte ist für die Mädchen heute ein glücklicher, neuer „Normalzustand“…
Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges sind in Europa auch im Jahr 2035 noch spürbar: Europa ist näher zusammengerückt, die europäischen Werte und die Einigkeit des Länderbundes sind explizit den jüngeren Leuten präsenter denn je, eine neue Identitätsverstärkung hat sich aufgetan: „Ich bin Europäer:in.“ hört man junge Leute immer wieder sagen, wenn man sie fragt, welcher Nation sie angehören. Auf der einen Seite fand ein Zusammenrücken und Stärkung der Demokratie über die Landesgrenzen hinaus statt (Katsioulis 2022), auf der anderen Seite steht aber auch das Bestreben nach mehr Individualität und Autonomie in der freien Wahl von Möglichkeiten (Zukunftsinstitut 2022).
Auch im Bildungssystem ist diese neue Identität angekommen: Erste Pilothochschulen sind Teil des globalen, EU-weiten Projektes „University Of Europe“, einer Fortentwicklung des ERASMUS+- Programms (siehe Erasmus+). Dieses Projekt ermöglicht es Studierenden, mit noch weniger bürokratischen Aufwand oder Regularien als zuvor, sich an anderen Hochschulen und Universitäten im Ausland einzuschreiben – Sie sind dabei nicht an einer Hochschule im eigenen Land immatrikuliert oder absolvieren ein Auslandssemester, sondern erleben ihr Studium so lange sie möchten im Ausland. Dabei entstehen keine zusätzlichen Gebühren für Lernende aus dem europäischen Raum. Die Semester und das Bewertungssystem wurden einander angepasst, sodass ein Ortswechsel oder ein Anschlussstudium an einer anderen Europa-Universität problemlos ermöglicht wird. Die Verkehrssprache an den Universities ist Englisch, was für ältere Professor:innen und Dozent:innen manchmal im gesprochenen Wort noch eine Herausforderung darstellt, aber im großen und ganzen inzwischen gemeistert werden kann.
Der ideelle Gedanke von internationalem Wissenstransfer und der Wissenschaft als nicht-national-gebundene Disziplin wird stark gefördert (DLR und VDI TZ Innovation und Bildung 2020). So bildeten sich bereits erste Trans-Nationale Institute, sog. „EU-Institutions“, die bewusst international Wissen aggregieren und transferieren, um so Spitzeninnovation zu ermöglichen. Diese Institutionen werden gezielt von der europäischen Union gefördert und kooperieren in den meisten Fällen mit den Europe Universities an die sie organisatorisch angegliedert sind. Allerdings ist dieses Programm bislang stark westlich orientiert, da sich Studierende aus den Schwellenländern des EU-Raumes die Teilnahme am Programm durch höhere Lebenskosten im europäischen Ausland noch nicht leisten können. So stammen 3/4 aller Studierenden an den Europa Universitäten aus den westlicheren Industrieländern. Nicht jeder Studierende möchte Teil des Europaprogrammes sein und sein gewohntes Umfeld verlassen, aber der Wunsch nach höherer Individualisierbarkeit von Bildung hat sich gehalten: So gibt es innerhalb Deutschlands die Möglichkeit, einzelne Kurse und Module an anderen Hochschulen zu belegen und sich diese anrechnen zu lassen, ohne dass man dabei ein Auslandssemester anmelden muss, da die Teilnahme über die etablierte, hybride Lehre funktioniert.
Dieses System wurde durch die fortschreitende Digitalisierung nach der Corona-Pandemie gefördert und konnte sich organisch entwickeln. Dadurch können Studierende ihr Studium flexibler gestalten und sich besser spezialisieren. Diese Kurse werden dem Studium als sogenannte Zertifikatskurse angerechnet, die eine besondere Ausweisung zum regulären Abschluss darstellen. Im Zuge dieser Möglichkeit wurde an Hochschulen die traditionelle Bezeichnung eines Studiengangs erweitert um den Sternchenzusatz „B.A./B.Sc. of … *“ – Das Sternchen soll einen Hinweis auf die Zertifikationskurse der Studierenden geben, die im Nachgang angefügt werden können und somit über eine besondere Qualifikation über den Studienrahmen hinaus ausweisen. Dies ist vor allem in der Wirtschaft und der Industrie wichtig geworden: Die Arbeitgeber begrüßen die Vielfalt an individuellen Spezifikationen mit welchen Studierende nun ins Berufsleben starten. Sie profitieren damit von einer qualitativeren, interdisziplinären Arbeitsweise im Unternehmen. Es gibt jedoch auch Kritik auf Seiten der Arbeitgeber und auch einzelne Studierende sind sich diesen Systems unsicher: So ist der Arbeitsmarkt unübersichtlicher geworden, Jobanzeigen und Stellengesuche werden weniger konkret gestaltet und der Einstieg in die Arbeitswelt gleicht mehr einem „Try and Error“ Prozess, bis beide Seiten wissen, was erwartet und was tatsächlich an Wissen und Expertise geliefert werden kann. Alles in Allem ist jedoch im Bildungssektor sichtbar, dass Ländergrenzen zunehmend verschwimmen, bürokratische und finanzielle Barrieren abgebaut werden könne wo sich der Geiste Europas zu einer neuen Einheit transformiert, wenn der Wille zu einem gemeinsamen „Wir“ gegeben ist.
Quellennachweise:
Katsioulis, C. (2022, 13. Mai). Europäische Sicherheits(un)ordnung. IPG Journal. https://www.ipg-journal.de/ rubriken/europäische-integration/artikel/europäische-sicherheitsordnung-5899/ (zuletzt aufgerufen am 12.06.2023)
Die Individualisierung der Welt. (2022, 30. März). Zukunftsinstitut. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-individualisierung-der-welt/ (zuletzt aufgerufen am 12.06.2023)
Europäische Hochschulen – Nationale Agentur für Erasmus+ Hochschulkooperationen – DAAD. (2017). DAAD – ERASMUS+. https://eu.daad.de/infos-fuer-hochschulen/ programmlinien/foerderung-von-hochschulkooperationen/europaeische-hochschulen/de/66020-europaeische-hochschulen/ (zuletzt aufgerufen am 12.06.2023)
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) & VDI Technologiezentrum GmbH (VDI TZ) Innovation und Bildung (2021). Wissenstransfer im Wandel Brückenbau zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. https://www.kooperation-international.de/fileadmin/ public/downloads/itb/info_20_11_27_SAG.pdf (zuletzt aufgerufen am 12.06.2023)