Universitätsgründung im Zeitalter von Virtual Reality, ChatGPT und Social Media
Universitätsgründung im Zeitalter von Virtual Reality, ChatGPT und Social Media
22.02.24Die Technische Universität Nürnberg (UTN) ist die jüngste staatliche Hochschule in Bayern – mit einem klaren Fokus auf Künstliche Intelligenz. Was die UTN außerdem bietet, um den zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen zu begegnen, stellt die Gründungsvizepräsidentin für Studium, Lehre und Internationales, Prof. Dr. Isa Jahnke, in diesem Beitrag vor.
Ich war schon immer eine Grenzgängerin zwischen den Disziplinen. Beispielsweise untersuchte ich in meiner Doktorarbeit, wie wir Lehren und Lernen mit Technik optimieren können – und nutzte dafür sowohl Ansätze aus der IT als auch aus den Sozialwissenschaften. Nach meiner Zeit als Post-Doc und Junior-Professorin arbeitete ich 10 Jahre im Ausland. Dort gab es bereits Professuren, die zu meinem interdisziplinären Profil passten. Bis ich von der Technischen Universität Nürnberg (UTN) hörte. Die neu gegründete staatliche Hochschule setzt auf Interdisziplinarität, Internationalität, Digitalität und Nachhaltigkeit. Mich hat sofort die Frage gereizt: Wie können wir mit diesem Konzept das Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter neu denken?
1978 öffnete die Universität Passau ihre Pforten für Studierende – sechs Jahre, bevor in Deutschland die erste E-Mail empfangen wurde. Fast ein halbes Jahrhundert später startet der erste Studiengang an der UTN, der jüngsten staatlichen Hochschule in Bayern. Sie ist die erste Universitätsgründung, seit es das World Wide Web, E-Mails, Social Media, Virtual Reality oder Künstliche Intelligenz gibt. Die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen, die sich aus den technologischen Innovationen ergeben, spiegeln sich auch im Konzept der UTN wider. Seit Januar 2022 bin ich hier nun Gründungsvizepräsidentin für Studium, Lehre und Internationales. Zwar sind wir derzeit noch in einem Interimsgebäude untergebracht, dennoch hat sich an der UTN in den letzten zwei Jahren viel getan. Im Endausbau wollen wir auf einem urbanen Campus, der Lernen, Lehren und Leben miteinander verbindet, rund 6.000 Studierende begrüßen.
Interdisziplinär, international und digital
Ich bin davon überzeugt, dass wir gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung und Demografie nur begegnen können, wenn wir gemeinsam kreative Lösungen entwickeln – und zwar im Austausch mit Menschen, die aus unterschiedlichen Kontexten kommen und über ein breites Spektrum an Wissen und Erfahrung verfügen. Als ich an der Umeå University in Schweden und an der University of Missouri in den USA gearbeitet habe, wollte ich immer über den Tellerrand blicken und lernen, wie andere das Thema Learning Technologies sehen. Auch an der UTN wollen wir fachliche und geografische Grenzen überschreiten und eine Universität aufbauen, die interdisziplinär und international ausgerichtet ist. Mit einem klaren Fokus auf Künstliche Intelligenz, die in Zukunft nahezu alle Bereiche der Gesellschaft beeinflussen wird, vernetzen wir die Ingenieurwissenschaften mit anderen Disziplinen. Neben den Ingenieur- und Technikwissenschaften bieten wir auch Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften an. Um die besten Köpfe aus aller Welt zusammenzubringen, denken wir international: Alle Lehrveranstaltungen finden auf Englisch statt. Außerdem verfolgen wir einen digitalen Ansatz. Auf den ersten Blick mag dieser Begriff irreführend erscheinen. Wir sind keine Fern-, sondern eine Präsenzuniversität. Aber wir setzen auf digital gestützte Maßnahmen im Lehren und Lernen. Der digitale Ansatz zeigt sich daher insbesondere in den Lehr- und Lernformen, in der Ausstattung und in den Forschungsschwerpunkten, die sich an den Themen der Digitalisierung orientieren.
Ein Uni ohne Hörsäle dank digital gestütztem Lehr-Lernkonzept
Unser Lehr-Lernkonzept basiert auf fundierten Forschungsergebnissen und stellt die Studierenden in den Mittelpunkt. Innovative, digital gestützte Formate lösen sie aus der Passivität des frontalen Hörsaalunterrichts und machen sie zu Akteuren ihres eigenen Lernprozesses. Die aktive und selbstreflexive Teilnahme wird dabei gefordert, aber auch gefördert – unter anderem durch kleine Kursgruppen, einen guten Betreuungsschlüssel und den Verzicht auf klassische Prüfungen am Ende des Semesters. Stattdessen bearbeiten die Studierenden bereits während des Kurszeitraums regelmäßig Aufgaben. Das können asynchrone Online-Diskussionen, Remote-Lab-Simulationen oder projektorientiertes Arbeiten sein, in denen ein konkretes Problem gelöst werden muss. Alle Studiengänge sind auf kompetenzorientierte Lernziele ausgerichtet, auf deren Grundlage die Kurse gemeinsam mit den Lehrenden konzipiert und entwickelt werden. Wir verstehen den Lernprozess als kontinuierlichen, zentralen Prozess. Daher erhalten die Lernenden regelmäßiges und individuelles Feedback – auch im Selbststudium und in den Online-Phasen, die sich mit den Präsenzveranstaltungen abwechseln. Einige dieser Ansätze finden sich bereits an anderen Hochschulen. Unsere Besonderheit ist die Konsequenz, dieses Konzept flächendeckend umzusetzen.
Flexible Lernflächen und ein einzigartiges Betreuungsverhältnis
Möglich wird das vor allem durch ein gutes Betreuungsverhältnis: Im Endausbau kommt auf 30 Studierende eine Professorin oder ein Professor. Außerdem sorgen wir mit flexiblen Lehr- und Lernflächen (sogenannte Active Learning Spaces) dafür, dass sich das Konzept ohne Hörsäle in der Praxis realisieren lässt. Durch teilbare Raumkonstellationen, multifunktionales und mobiles Mobiliar sowie die flächendeckende Bereitstellung der notwendigen Technik, wie beispielsweise digitale Technologien, können die Studierenden die Räume an ihre Bedürfnisse anpassen. Zweifelsohne fordert die Idee hinter der UTN auch die Lehrenden auf, ihre bisherigen Methoden zu hinterfragen und stärker auf die Studierenden und ihren Lernprozess einzugehen. Deshalb unterstützt unser Digital LEAD Lab (Learning Experience and Active Design) sie dabei, das Lehr- Lernkonzept umzusetzen und anzuwenden. Auf diese Weise wollen wir Lernerfahrungen und -erlebnisse schaffen, die die Studierenden dazu ermutigen, forschungsbasierte Entscheidungen in der Praxis zu treffen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um neue Forschung zu generieren.
KI trifft Lehre
Was uns als nächstes erwartet? Derzeit arbeiten wir daran, KI-basierte Systeme als Werkzeuge in der Lehre und für das Lernen zu implementieren. Dazu entwickeln wir Konzepte, um beispielsweise individuelle Stärken und Schwächen der Studierenden zu analysieren und den Lernprozess entsprechend anzupassen. Künstliche Intelligenz soll aber auch im Service für Studierende eingesetzt werden: Wir wollen den gesamten „Student Life Cycle“ von der Bewerbung bis zur Alumni-Kommunikation digital abbilden. Darüber hinaus können KI-basierte Chatbots helfen, die Studienberatung zu optimieren. Wir wollen nicht nur Standards auf- und ausbauen, sondern Neues entwickeln. Eines ist jedenfalls sicher: An der UTN wird sich in den nächsten Monaten und Jahren noch viel tun – und wir freuen uns darauf, gemeinsam mit unseren Studierenden, Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft und Netzwerken wie dem Hochschulforum Digitalisierung die Universität der Zukunft zu gestalten!
Besonders interessant ist der interdisziplinäre Ansatz, der nicht nur die klassische IT umfasst, sondern auch die Sozialwissenschaften integriert. Dadurch wird das Verständnis für die gesellschaftlichen Implikationen der Digitalisierung vertieft und neue Lösungen für komplexe Probleme entwickelt.