Offene Bildung – Wie Universitäten von Gatekeepern zu Möglichmachern werden
Offene Bildung – Wie Universitäten von Gatekeepern zu Möglichmachern werden
04.11.25
                        Das vierte Sustainability Development Goal (SDG) der Vereinten Nationen fordert lebenslange, inklusive, gerechte und hochwertige Bildung für alle. Doch zehn Jahre nach der Verabschiedung der SDGs ist klar: Der Weg dahin ist steinig. Hochschulen tun sich schwer, ihre gewachsenen Denkmuster und Strukturen zu überarbeiten. Ein Nadelöhr ist dabei die Prüfungskultur. Einerseits, weil sie eine der prägendsten Strukturen der Hochschule ist und andererseits, weil durch genKI ein tiefgreifender Wandel in diesem Bereich unausweichlich geworden ist. Ich habe mit Dr. Steffi Widera von der Virtuellen Hochschule Bayern (vhb) und Prof. Dr. Sönke Knutzen, von der Hamburg Open Online University (HOOU) über die Lehr-, Lern- und Prüfungskultur von Morgen gesprochen. Eine Kultur also, die sich einen fairen Zugang zu Bildung auf die Fahne schreibt und Hochschulen für eine Zukunft wappnet, in der sich die Welt ständig verändert und Bildung Schritt halten muss. Zudem hat mir Markus Deimann vom Kooperationsnetzwerk für OER-förderliche Infrastruktur und Dienste (KNOER) mit einem Gespräch über die Arbeit mit OER und deren Rolle in der Lehr-/Lernkultur von Morgen bei diesem Beitrag geholfen.
Realitäten und Rückschläge vergangener Zukunftsvisionen
Der digitale Wandel wurde lange als Motor für die Demokratisierung der Bildung gesehen. Konzepte wie Open Educational Resources (OER), Massive Open Online Courses (MOOCs) und digitale Prüfungen versprachen einen offenen Zugang zu akademischem Lernen – unabhängig von Ort und Herkunft. Viele dieser Visionen sind ins Stocken geraten: Technische Hürden, ein Mangel an Anreizen für Dozierende, projektförmige Förderstrukturen und kulturelle Widerstände, wie das „Not-invented-here““-Syndrom, haben ihren Preis gefordert. Und doch haben sich einige Pilotprojekte – nach der erfolgreichen Konfrontation mit verschiedenen hochschulinternen Praktiken, Verfahren und Überzeugungen – langsam aber sicher in der Breite etabliert; allen voran OER. Auch wenn sich die großen Erwartungen sicherlich nie zu hundert Prozent erfüllen, hat sich eine engagierte Community gebildet, etwa in Kooperationsnetzwerken wie dem bereits genannten KNOER oder Online-Lernplattformen wie der Hamburg Open Online University (HOOU) unter Prof. Dr. Sönke Knutzen.
Die HOOU – OER weitergedacht, OEP umgesetzt
Die HOOU wurde 2015 gegründet, um „Brücken zwischen Universitäten und der Gesellschaft zu bauen“, wie Geschäftsführer Sönke Knutzen erklärt. Als Verbundprojekt vereint sie Hamburger Hochschulen – etwa die HAW Hamburg, die Hochschule für bildende Künste und die TU Hamburg – sowie das Universitätsklinikum und schließlich das Multimedia Kontor Hamburg als mediendidaktischen Partner. Die HOOU positioniert sich an der Schnittstelle von digitalem Zugang, gesellschaftlicher Relevanz und akademischer Qualität. Ihre Kurse sind frei zugänglich, wiederverwendbar und stehen unter Creative-Commons-Lizenzen. Auch wenn sie technisch auf dem Prinzip von MOOCs aufbauen, geht das Konzept einen Schritt weiter: Die HOOU entwickelt hybride Lehrformate, die über reine Online-Vorlesungen hinausgehen.
„Ich finde die Idee von OER super, aber ich bin mir unsicher, ob Lehrende diese Idee vom Remixen der Lehrinhalte wirklich umsetzen“, kommentiert Sönke Knutzen dabei den OER-Anteil an der HOOU. Mit Remixen bezieht er sich auf die Möglichkeit frei lizenzierte Materialien anderer, für die eigenen Zwecke abändern zu können. Tatsächlich steht die aktuelle Hochschulkultur jedoch oft quer zur Idee des offenen Teilens. Viele Lehrende sind es gewohnt, ihre Materialien selbst zu entwickeln – aus Überzeugung, aus dem Wunsch nach Kontrolle über die Inhalte oder schlicht aus Mangel an Zeit, sich eingehend mit OER zu befassen. Solche Fälle des „Not-invented-here“-Syndroms sind in OER-Kreisen gut bekannt.
Während sich diese Einstellungen nur langsam verändern, setzt die HOOU bereits beim nächsten Schritt an: Sie denkt die „Offenheit“ nicht nur vom Material her, sondern auch vom Lernprozess. Die Inhalte sind so gestaltet, dass sie auch von Lernenden direkt weiterverwendet und angepasst werden können – nicht nur von Lehrenden. Damit entfernt sich die HOOU von klassischen MOOCs und schafft hybride Lernräume, die nicht im Hörsaal enden, sondern in gesellschaftliche Kontexte hineinwirken. Lerninhalte werden in reale Probleme, Austauschformate und Events eingebettet, denn ohne Dialog, ohne soziale Verankerung, ohne sinnvolle Anknüpfung an Lebens- und Bildungsrealitäten bleibt das Lernen oft fragmentiert und wenig nachhaltig.
Massive Open Online Course? Bitte was?
Ein MOOC ist ein frei zugänglicher, videobasierter Online-Kurs mit potenziell unbegrenzten Teilnehmenden, der von Universitäten oder Institutionen angeboten wird und keine formalen Zulassungsvoraussetzungen hat. Er kann Lehrvideos, interaktive Lernmaterialien, Tests und Diskussionsforen kombinieren. So soll selbstbestimmtes, zeit- und ortsunabhängiges Lernen ermöglicht werden – meistens kostenlos.
Genau hier findet Sönke Knutzen eine neue Rolle für die Hochschulen. „Hochschulen können das Wissen kuratieren“, meint der Professor für Technik, Arbeitsprozesse und Berufliche Bildung, „denn hier liegt ihre Stärke.“ Sie können die Studierenden an die Hand nehmen und anders als die zahlreichen Youtube-Lernvideos in eine strukturierte und zielführende Richtung weisen, das zur Verfügung stehende Wissen entsprechend aufbereiten und die akademische Relevanz sicherstellen. Wenn Hochschulen in ihren Verbundprojekten und darüber hinaus anfangen, offene Bildungsressourcen nicht nur zur Verfügung zu stellen, sondern auch zu kuratieren und aktiv zu begleiten, dann wird aus Open Education Resources eine Open Education Practice (OEP). Das Ziel: nachhaltigeres Lernen durch Relevanz und soziale Verankerung.
Doch selbst wenn offene Bildungsressourcen breit zugänglich wären, hieße dies nicht, dass Bildung wirklich fair wäre. Denn Bildung erfüllt nicht nur die Funktion der Qualifikation, sondern auch der Allokation: Sie sortiert Menschen ein – in Jobs, in soziale Rollen – und sie weist ihnen Chancen zu. Eine OER-basierte Lehre allein ermöglicht noch keinen gleichwertigen Zugang. Sortiert wird hier über Prüfungen. Auch Bildungsmobilität wird über Prüfungen und deren Ergebnisse strukturiert. Prüfungen müssen daher von einer Prüfungskultur umgeben sein, die diese Funktionen mitdenkt. Prüfungsformate generell, aber besonders jene für eine offene Bildung, stehen dabei in einem dauerhaften Spannungsfeld zwischen Skalierbarkeit und qualitativer Absicherung.
Das Prüfungsdilemma: Skalierbar oder qualitativ und sicher?
„Technisch würde einer Öffnung der Hamburg Open Online University zu einer German Open Online University oder auch einer European Open Online University nichts im Wege stehen.“ Mit diesem Satz bringt Knutzen das Spannungsverhältnis zwischen technischer Machbarkeit und bildungspolitischer Realität auf den Punkt. Denn der größte Bremsklotz auf dem Weg zu skalierbarer, offener Bildung ist nicht der Zugang zu Inhalten – sondern das Prüfungssystem. Solange Prüfungen an klassische Formate gebunden bleiben, geraten skalierbare Bildungsmodelle an ihre Grenzen.
Zertifikate könnten zwar auch reine Teilnahmebescheinigungen sein, doch um realistisch nachzuweisen, was gelernt wurde, braucht es Prüfungen. Und ohne verlässlichen Leistungsnachweis lohnt sich der Aufwand meist nur für ohnehin stark intrinsisch motivierte Lernende. Der Matthäus-Effekt schlägt zu: Wer schon akademische Kompetenzen hat, kann leichter mehr davon erwerben. „Hier stehen wir vor der gleichen Herausforderung wie alle Universitäten“, sagt Knutzen. „Wir müssen uns entscheiden zwischen der verlässlichen Prüfung der Lerninhalte, oder einer hohen Skalierung der Reichweite.“
Genau an diesem Punkt scheitert die Vision einer überregionalen oder gar internationalen Bildungsplattform oft – an der Frage: Wie kann geprüft werden, ohne Skalierbarkeit, Qualität oder Fairness zu opfern? Während in Folge von genKI die Sorge um Betrugsversuche überhand nimmt und an einigen Universitäten der Rückschritt zur Papierklausur bevorsteht, ist dies für Institutionen wie die HOOU weder denkbar noch erwünscht. Universitäten haben das Problem des Prüfungsbetrugs lange individualisiert und auf die Lernenden abgewälzt. Faulheit, mangelnde Moral – so lautete oft die Erklärung. Schon als sich 2013 in Studien wie der Fairuse-Studie (Sattler and Diewald, 2013) zeigte, dass der Wille zum Betrug maßgeblich durch die Lernkultur beeinflusst wurde, hat dies kaum für große Veränderung gesorgt.
Die Schlussfolgerung ist eigentlich offensichtlich: Wenn das Setting der Prüfung die Menge und Intensität der Betrugsversuche maßgeblich beeinflusst, dann ist dies die Stellschraube, an der es zu drehen gilt. Sinkende Studierendenzahlen und genKI zwingen das träge Bildungssystem nun endlich zum Umdenken. Die zentrale Frage lautet nicht: „Wie verhindern wir Betrug und ermöglichen so die Skalierbarkeit?“, sondern: „Wie gestalten wir Lehr- und Prüfungsszenarien, bei denen der Anreiz zum Betrug gar nicht erst entsteht?“.
Prüfungen neu denken: Vom Beweis zur Zertifizierung
Wenn wir es mit offener Bildung ernst meinen, müssen wir auch die Funktion von Prüfungen grundsätzlich hinterfragen. Denn warum besuchen wir eine Universität? Für viele geht es darum zu lernen – aber auch darum, das Gelernte formal nachweisen zu können. Universitäten kuratieren also nicht nur Wissen, sie sind auch Instanzen, denen gesellschaftlich vertraut wird: Wenn sie sagen „Diese Person beherrscht diese Inhalte“, dann hat das Gewicht. Doch die Realität sieht oft anders aus. Viele Studierende erinnern sich kaum an Inhalte aus dem ersten Semester – oder empfinden sie rückblickend als irrelevant. Ebenso häufig berichten Absolvent:innen, dass sie sich beim Berufseinstieg unvorbereitet fühlen. Warum? Weil ihr Studium oft von der Logik der Nachweise dominiert wurde: Zertifikate sammeln, Regelstudienzeit einhalten, BAföG-Stress vermeiden. Prüfungen werden zur Hürde, nicht zur Gelegenheit. Ein zentrale Frage bringt das Problem für mich auf den Punkt:
„Wenn du etwas gelernt hast, macht es dann nicht Spaß, dies auch allen zu beweisen?“
Diese Frage trifft meines Erachtens den Kern der Fairuse-Studie. Betrug ist in den meisten Fällen kein individuelles Fehlverhalten, sondern Symptom eines Systems, das Lernende in Strukturen zwängt, die kaum Raum für echtes Lernen lassen. Selbstorganisiertes, intrinsisch motiviertes Lernen – das Ideal – es funktioniert. Aber nur, wenn die äußeren Bedingungen stimmen. Wer nebenbei arbeiten muss, Angst vor dem Durchfallen hat oder in starren Modulhandbüchern gefangen ist, kann kaum selbstbestimmt lernen. Und dann wundern wir uns über Betrugsversuche, Oberflächenlernen oder Desinteresse?
Noch gravierender ist: Prüfungen wirken in unserem System als Taktgeber. Sie entscheiden nicht nur über das Bestehen – sondern auch über Lehrgestaltung und Lernverhalten. Prüfungen sind damit nicht nur das erklärte Ziel, sondern häufig der heimliche Startpunkt aller Bildungsbemühungen. Studierende fragen: „Was muss ich bestehen?“, nicht „Was will ich verstehen?“. Wenn wir das ändern wollen, müssen Prüfungen wieder Lernprozessen folgen – anstatt sie zu diktieren. Sie sollten nicht länger als Kontrollinstrumente dienen, sondern als Möglichkeit, das Gelernte sichtbar zu machen. Als Chance, etwas zu zeigen – nicht zu beweisen.
Das bedeutet, dass Prüfungen besser zur Lebensrealität der Lernenden passen müssen und Prüfungsformate dem Lernprozess folgen. Der entscheidende Unterschied liegt im Ablauf. Wenn es das Ziel von Prüfungen ist, Gelerntes aufzuzeigen und nicht das Lernen an sich zu bestimmen, dann muss die Lehre detaillierter auf die Interessen der Lernenden eingehen. Wie verschiedene Verbundsprojekte in der Bundesrepublik zeigen, ist die Infrastruktur bereit dafür, mehr auf interresensnahe Lehre zu setzen.
Modulare und offene Bildung als Schlüssel zu einer neuen Prüfungskultur
„Es wird keine Welle mehr geben, auf der wir 30 Jahre reiten können“, sagt Knutzen und spielt damit auf die Dringlichkeit an, Lerninhalte flexibler zu gestalten. In einer Arbeitswelt, die sich rasant verändert, reicht ein einmal abgeschlossenes Studium oft nicht mehr aus. Lernende müssen sich häufiger neu orientieren und gezielt weiterqualifizieren können. Micro-Degrees, Bildungs-Wallets und modulare Zertifizierungswege eröffnen dafür neue Möglichkeiten. Die KMK hat bereits 2002 beschlossen, dass bis zu 50 % der Lerninhalte eines Studiums theoretisch durch die Anrechnung außerhochschulischer Lerninhalte möglich sind (KMK, 2002). Davon ist die Realität weit entfernt. Wer einmal versucht hat, eine außeruniversitäre Leistung im Prüfungsamt anerkennen zu lassen, weiß: Ein solcher Vorgang ist so aufwändig und mühsam, dass man ihn nicht freiwillig regelmäßig wiederholen möchte.
Ein Blick auf die Virtuelle Hochschule Bayern (vhb) zeigt, dass es auch anders geht. Als hochschulübergreifende Plattform mit über 570 betreuten CLASSIC vhb-Kursen, rund 150 offenen Kursen sowie tausenden kürzeren SMART vhb-Lerneinheiten verfügt sie über einen umfassenden Fundus an modular einsetzbaren Bildungsressourcen, die in Kooperation mit und akkreditiert durch die Hochschulen erstellt, durchgeführt und anerkannt werden können. Den Studierenden wird von vornherein klar kommuniziert, was sie sich wie anrechnen lassen können. Zwar kommt die vhb aus dem Bereich der curricular eingebundenen, hochschulübergreifenden digitalen Lehre, die immer noch ihren Kernbereich bildet, aber zugleich umfasst sie vielfältige Optionen, die weit über einen „traditionellen“ Ansatz hinausgehen. Beispielsweise sind dies offene Angebote (OPEN vhb), die erwähnten kleineren Lerneinheiten (SMART vhb) und eine OER-Plattform (OER@vhb).
Geschäftsführerin Dr. Steffi Widera sieht in der zunehmenden Nachfrage nach flexiblen Formaten eine Chance: „Wir sind gerade dabei, unser gesamtes Material systematisch zu sichten – mit dem Ziel, daraus thematische Micro-Credentials zu identifizieren.“ Ziel ist es, solch gebündelte Lerneinheiten als eigenständige Nachweise nutzbar zu machen – in Studium und Weiterbildung. Auch bislang nicht standardisiert zertifizierbare OPEN vhb-Kurse könnten so über Teilnahmebescheinigungen zu kombinierbaren Bundles werden. Die vhb ist dabei nicht die prüfende Instanz – das sind die 36 Trägerhochschulen –, sondern lediglich die Plattform: Sie fördert und kuratiert, sichert Qualität und Anerkennung über Hochschulgrenzen hinweg.
Damit wird deutlich: Auch wenn die vhb bereits seit über 25 Jahren ein etablierter Bestandteil der bayerischen Hochschullandschaft ist, verändert sie sich stetig und setzt wichtige Impulse in Richtung modularer und besser zugänglicher Bildungsformate. Auch wenn nicht jeder Kurs sofort in ein Credit-System überführt werden kann, wird hier ein Fundament gelegt, auf dem sich flexible, interessenorientierte Bildungswege aufbauen lassen – kompatibel mit Studium und Lebensrealität.
Zwischen Bildungsversprechen und Verwertungskette
Solange Abschlüsse vor allem als Eintrittskarten in den Arbeitsmarkt gelten, bleibt es schwierig, Prüfungen zu gestalten, die wirklich dem Lernen dienen. Sie werden zu Hürden, nicht zu Möglichkeiten. Mit der wachsenden Verfügbarkeit generativer KI verschärft sich dieses Dilemma: Wenn der Wissensnachweis manipulierbar wird, der Abschluss aber weiterhin zentrale Zugangsvoraussetzung bleibt, steigt der Druck auf alle Beteiligten – Lernende wie Lehrende. Die entscheidende Frage lautet: Wie gestalten wir ein Hochschulsystem, das den Mut hat, das Lernen wieder in den Mittelpunkt zu stellen?
Hochschulen stehen an einem Wendepunkt. Sie müssen entscheiden, ob sie in erster Linie ihre Systemfunktion der Selektion und Allokation bedienen – oder ihre gesellschaftliche Verantwortung für gerechte Bildung ernst nehmen. Dabei geht es nicht zwingend um ein Entweder-oder. Auch eine komplementäre Entwicklung wäre möglich: Hochschulen könnten einerseits die Funktion der Allokation innerhalb des bestehenden Systems erfüllen – und gleichzeitig Lernräume eröffnen, die offen, mutig und lernendenzentriert neue Wege für Bildung erproben.
Bildung als öffentliches Gut würde so immer weniger der Logik von Effizienz und Verwertung untergeordnet werden. Sie würde sich ihrer ursprünglichen Aufgabe wieder annähern: als Raum für Emanzipation, kritisches Denken und soziale Teilhabe. Denn wenn Studierende am Ende ihrer Hochschulzeit mehr darüber wissen, wie man Prüfungen besteht oder sie umgeht als darüber, wie sich gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen lassen, läuft etwas grundsätzlich falsch. Einem Bildungssystem, das auf verschiedenen Ebenen unter Veränderungsdruck leidet – ökonomisch, administrativ, kulturell – bieten offene Bildungsressourcen (OER) und Open Educational Practices (OEP) eine echte Chance, bestehende Widersprüche zu mildern. Sie können die Lücke zwischen dem Ideal der Bildung und der gelebten Realität zumindest teilweise überbrücken. Denn OER ermöglichen Zugang – ohne Auswahlverfahren, ohne Gebühren, ohne institutionelle Hürden. Und sie ermöglichen Autonomie: Lernende können Inhalte wählen, sie mit Hilfe von KI an ihre Bedürfnisse anpassen und in eigene Kontexte einbetten. Damit öffnen OER und OEP Räume, in denen Bildung wieder von den Lernenden her gedacht werden kann.
HOOU und vhb zeigen: Offene, modulare Bildungsangebote sind machbar – technisch, organisatorisch und didaktisch. Beide Beispielen führen uns vor Augen, dass es jetzt die Bereitschaft braucht, Strukturen und Funktionen zu hinterfragen, interessenorientierung ernst zu nehmen und bereits existierende Infrastrukturen konsequent zu nutzen. Dabei besteht Handlungsbedarf auf allen Ebenen, aber vor allem ein Bedarf an politischem Rückhalt. Hochschulen sollten wieder Orte werden, an denen Lernen nicht nur gemessen, sondern gelebt werden kann – als Grundlage für eine Allokationsfunktion, die auf dem Nachweis von Kompetenzen statt auf Misstrauen basiert. So könnte eine Lehr- und Lernkultur entstehen, in der Studierende wissen, wofür sie lernen, überzeugt davon sind, es zu brauchen und stolz darauf sind, es zeigen zu können.
KMK, 2002. Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten.
Sattler, S., Diewald, M., 2013. FAIRUSE – Fehlverhalten und Betrug bei der Erbringung von Studienleistungen: Individuelle und organisatorisch-strukturelle Bedingungen : Schlussbericht nach Muster Nr. 3.2 zum Projekt ; Projektlaufzeit: 01.04.2009 bis 30.04.2012. Technische Informationsbibliothek u. Universitätsbibliothek, Bielefeld, Germany.
Autor
Lukas Riechert studierte von 2021 bis 2025 Erziehungswissenschaften und Soziologie an der Universität Göttingen. In seiner Abschlussarbeit beschäftigte er sich mit der Prüfungskultur an Hochschulen. Dabei verglich er die Perspektiven von Studierenden und Lehrenden und entwickelte so einen Ansatz, mit dem sich unterschiedliche Dimensionen von Prüfungskultur systematisch erfassen lassen. Weitere praktische Einblicke in die Hochschulforschung sammelte er im Rahmen eines Praktikums beim Hochschulforum Digitalisierung im Juni und Juli 2025.
            
                                    
                                                                                                        Mauritz Danielsson                                                
                                                                                                        Peter van der Hijden                                                
                                                                                                        Annalisa Biehl                                                