Koalitionsvertrag: Die Modernisierung der Hochschulen wird möglich
Koalitionsvertrag: Die Modernisierung der Hochschulen wird möglich
03.12.21Unklare Finanzierung und bekannte Formulierungen – der Koalitionsvertrag zu Hochschulen und Wissenschaft ließe sich trefflich kritisieren. Schaut man auf die konkreten Versprechungen und den Geist des Dokuments, können wir in den nächsten vier Jahren auf einen Modernisierungsschub an den Unis hoffen, vor allem beim Thema Digitalisierung. Das Glas ist nicht nur halb voll, es ist für die Hochschulbildung zu zwei Dritteln gefüllt! Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Bildung.Table-Newsletter.
Manchmal lohnt sich der Blick zurück. Legt man den Koalitionsvertrag der GroKo zum Thema Hochschulen aus dem Jahr 2018 neben den der Ampel (hier mein Kommentar des damaligen Koalitionsvertrages), zeigt sich: Damals dominierte vielerorts eine wohlklingende Politlyrik mit wenig Substanz. Heute findet sich kaum ein Absatz mehr ohne konkrete politische Festlegungen. Das ist bürger:innenfreundlich, das erleichtert die Exegese des Papiers.
Das vermutlich wichtigste Versprechen im Koalitionsvertrag der Ampel mit Blick auf Studium und Lehre: Es gibt mehr Geld für Hochschulen. „Wir werden den ‚Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken’ ab 2022 analog zum Pakt für Forschung und Innovation dynamisieren.“ Konkret sollte das heißen: Jedes Jahr drei Prozent mehr Mittel, denn das ist der fest geschriebene jährliche Aufwuchs für außeruniversitären Forschungseinrichtungen bis 2030. Das ist ordentlich und schafft Planungssicherheit.
Auch ein neues Förderprogramm ist geplant: „Mit einem Bundesprogramm ‚Digitale Hochschule‘ fördern wir in der Breite Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastrukturen und Cybersicherheit.“ Bei dem Programm handelt es sich das lange geforderte Pendent zum „Digitalpakt Schule“, gegen das sich die bisherige Amtsinhaberin Anja Karliczek gestemmt hatte. Es wird bei der Digitalisierung der Hochschulen nicht nur auf Hardware gesetzt, sondern auch auf Konzepte und Qualifizierung, was eindeutig zu begrüßen ist. Der Digitalpakt Schule krankte noch daran, dass die Gelder nur für Hardware vorgesehen waren und nicht für Qualifikation – geschweige denn die Administration und Wartung der angeschafften Geräte. Die explizite Erwähnung von Cybersicherheit zeigt, dass sich die Koalition ihre über die massiv steigenden Bedrohungen im digitalen Raum bewusst sind. Das alles freut mich sehr; die Community des Hochschulforums Digitalisierung hatte auch lange genug darauf gepocht. Wobei: In einer idealen Welt wären diese Dinge eine Selbstverständlichkeit. In der realen Welt ist es eine positive Erwähnung wert. Die Hochschulbildung würde ein solches Programm klar voranbringen.
Dicke Bretter im Koalitionsvertrag
Auch dicke Bretter verspricht die Koalition zu bohren. So will die Ampel eine „Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts“ umsetzen. Damit verspricht die Regierung, eine ebenso komplexe wie in ihrer aktuellen Form innovationshemmende Regelung zu überarbeiten. Im Kapazitätsrecht wird (unter anderem) festgelegt, wie viel Deputat in welchem Studiengang wie vielen Studierenden zugutekommen soll. Ändert sich der Personalschlüssel, müssen automatisch mehr oder weniger Studierende zugelassen werden. Jan-Martin Wiarda hat das Problem der Kapazitätsverordnung bereits 2007(!) gut aufgeschlüsselt. Seitdem hat sich nichts verändert.
Die Probleme in der Zusammenfassung: Ein verbesserter Betreuungsschlüssel wird an Universitäten faktisch verunmöglicht. Eine Erhöhung des Personalschlüssels, um beispielsweise die Lehre durch bessere Betreuung zu verbessern, ist nicht ohne Weiteres möglich. Digitalisierte Veranstaltungen werden Stand heute teilweise noch höchst unbefriedigend abgebildet. Die Berechnung ist zudem komplex und führt damit zu Rechtsunsicherheit bei der Zulassung von Studierenden. Klagewillige Familien können heute die Zulassung nach Abiturnote so in den meisten Fächern faktisch aushebeln. Eine Reform ist schwierig, aber notwendig. Gelänge der Koalition dieses Vorhaben, würde sie aufgrund der Komplexität der Materie wenig öffentlichen Beifall erhalten, sie würde sich aber um den Hochschulstandort Deutschland sehr verdient machen.
Ein ebenfalls dickes Brett (a.k.a. großes Problem) an Hochschulen ist die Software. Lokal an Hochschulen entwickelte Lösungen sind oft umständlich in der Nutzung. Lösungen internationaler Großunternehmen funktionieren gut, sind aber datenschutzrechtlich problematisch. Was es braucht: öffentlich geförderte hochschulübergreifende IT-Zusammenarbeit – mit Ergebnissen, die open source veröffentlicht werden. Die Koalition verspricht nun „IT-Verfahren nach dem Einer-für-alle-Prinzip (EfA)“, eine „Cloud der öffentlichen Verwaltung“ sowie open source als allgemeine Regel. Das klingt sehr gut; allerdings betrifft dieses Versprechen im Koalitionsvertrag vor allem die Verwaltung, aber nicht die Lehre der Hochschulen. Für mich ist es eindeutig, dass es auch für Hochschulen gelten muss. Denn dies wäre mittelfristig ein gigantischer Schritt hin zu mehr digitaler Souveränität in der Hochschulbildung.
„Agentur für Transfer und Innovation“ der Hochschulen
Es soll die eine „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation“ gegründet werden, die die Zusammenarbeit zwischen Fachhochschulen sowie kleinen und mittleren Universitäten mit Unternehmen und öffentlichen Organisationen fördern soll. Aus meiner Sicht ist das klar positiv – aber abhängig von der konkreten Ausgestaltung. Setzt man die falschen Anreize, droht eine ungerechtfertigte Einflussnahme privater Akteure auf öffentliche Hochschulen.
Die neu eingerichtete Stiftung Innovation in der Hochschullehre soll „insbesondere im Bereich digitaler Lehre“ weiterentwickelt werden. Nun war digitale Lehre in der Hochschulbildung dort bereits das Top-Thema der ersten großen Ausschreibung. Bedeutet das also noch stärkeren Fokus aufs Digitale? Mehr Geld? Oder mehr Personal? Mehr Aufgaben? Hier bleibt das Papier vage. Definitiv jedes Jahr mehr Geld gibt es jedenfalls für die Akademien der Wissenschaften, den Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH). Das passt in die allgemeine Logik der berechenbaren Budgetsteigerungen. Und Berechenbarkeit ist gut.
Daneben reagiert die Ampel auf die #IchbinHanna-Debatte und verspricht eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die Planbarkeit und Verbindlichkeit für Post-Docs erhöhen soll. Gutes Ziel – man hat diese Absichtserklärung allerdings auch schon in der Vergangenheit gehört. Und in Berlin sehen wir gerade, wie gute Absichten bei der Befristung nach hinten losgehen können. Nötig ist ein guter Mittelweg – und vor allem die breite Einführung einer professionellen Personalentwicklung an Hochschulen.
Alle vier Jahre grüßt das Murmeltier: Pläne für Hochschulen, die schon im Koalitionsvertrag der letzten GroKo standen
Wer sich schon länger mit Bildungspolitik beschäftigt, dem:der werden einige Formulierungen bekannt vorkommen. Gleich mehrere Zusagen zur Hochschulbildung im digitalen Zeitalter von 2018 haben es wieder in den Koalitionsvertrag geschafft.
So möchte die neue Bundesregierung für die wissenschaftliche Weiterbildung „die Einführung von Micro-Degrees prüfen“. Ein unterstützenswertes Ziel, doch etwas Ähnliches wollte man bereits 2018. Da hieß es, Nano-Degrees sollten „(auch im Rahmen von Weiterbildungsstudienangeboten) an staatlichen Hochschulen erworben werden können“. 2021 nutzt man nicht mehr den urheberrechtlich durch Udacity geschützten Titel des „Nano-Degrees“, was von Kenntnis der Materie zeugt. Das Ziel bleibt gleich – und richtig! Denn mehr Flexibilität bei den Hochschulabschlüssen wäre für alle Beteiligten hilfreich.
Ebenfalls 2018 versprach man die Erarbeitung einer „umfassenden Open Educational Resources-Strategie“. Daraus ist bekanntermaßen wenig geworden. Nun heißt es zum Thema: „Wir werden gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Resources (OER), die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware … unterstützen“. Das klingt weniger vollmundig und hat vielleicht gerade dadurch mehr Aussicht auf Erfolg.
2018 versprach die GroKo, man würde die Regelungen im Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz „umfassend evaluieren“. Das ist nicht passiert. In der kommenden Legislatur will man sich nun für ein „wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht“ einsetzen. Ähnliche Schlagrichtung, in der Zielsetzung aber positiver – was Hoffnung macht.
Offene Wünsche – was ich mir für den Koalitionsvertrag der Ampel noch gewünscht hätte
Was hätte im Koalitionsvertrag für die Hochschulen realistischerweise stehen können? Bei Open Educational Resources war die GroKo als Tiger gesprungen („umfassende Strategie“) und als Bettvorleger gelandet. Dass die jetzigen Aussagen zum Thema weniger vollmundig sind, kann man als Realismus loben – oder als Mutlosigkeit kritisieren. Gewünscht hätte ich mir persönlich mehr.
Meinen Optimismus zusätzlich gesteigert hätten auch konkrete Zahlen zur Finanzierung. Der Koalitionsvertrag verspricht, mehr Geld für die richtigen Dinge auszugeben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Versprechungen nicht der ungeklärten Finanzierungssituation direkt wieder zum Opfer fallen. Auch droht das Prinzip linke Tasche, rechte Tasche: Der Bund könnte den Länderzuschuss in der höhe der zusätzlichen Mittel herunterhandeln – das hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Und doch: Bei allen bleibenden Fragezeichen setzt der Vertrag die richtigen Signale.
Allerdings sind es so viele Vorhaben, dass ich vor allem einen Wunsch habe – und zwar, dass diese lange Liste tatsächlich kompetent abgearbeitet wird. Offen bleibt für mich übrigens die Frage, wie sich die geplanten Reformen auf den Föderalismus auswirken. Wird die Rolle des Bundes bei den Hochschulen noch dominanter?
Wie gesagt: Das Thema Digitalisierung in Studium und Lehre wird voraussichtlich vorangebracht. Das Glas ist zu zwei Dritteln voll. Für mich ein Anfang. Nicht mehr und nicht weniger. Darauf stoße ich an.