Internationalisierung digital: Erasmus+ Virtual Exchange

Internationalisierung digital: Erasmus+ Virtual Exchange

02.11.20

Junge Frau vor einem Laptop mit laufendem Videogespräch

Erasmus+ Virtual Exchange ist ein Pilotprojekt der Europäischen Kommission im Rahmen des Erasmus+ Programms. Seit dem Start Anfang 2018 ermöglicht Virtual Exchange jungen Menschen im Alter von 18-30 Jahren aus Europa und dem südlichen Mittelmeerraum einen internationalen Austausch „von zuhause aus“. Mit diesem Jahr läuft die dreijährige Laufzeit aus. Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Relevanz virtuellen Lernens ist der Zeitpunkt passend, das Projekt noch einmal in den Fokus zu rücken. Phillipp Möcklinghoff ist von Anfang an, u.a. als „Dialogue Facilitator“ bei Erasmus+ Virtual Exchange dabei. In diesem Blogbeitrag gibt er einen Einblick in das Projekt und in seine persönlichen Erfahrungen der vergangenen drei Jahre.

 

Es ist gar nicht so leicht, das Projekt „Erasmus+ Virtual Exchange“ für Außenstehende zu beschreiben ohne diese zu verwirren. Das liegt am eigentlichen Kernbegriff selbst – „Virtual Exchange“. Dabei ist diese Wortpaarung auf den ersten Blick ziemlich selbsterklärend, könnte man meinen: Es geht um Austausch – und der findet eben „virtuell“, also online statt. Doch damit hat es sich auch schon in Sachen „Eindeutigkeit“ dieses vergleichbar jungen Begriffs. Derzeit verfolgen zahlreiche Akteure weltweit verschiedene Ansätze technologiegestützter Kommunikation, die sie u.a. eben auch als Virtual Exchange bezeichnen. Das kann von klassischen Lern-Partnerschaften aus der Welt des Sprachenlernens bis hin zu umfangreichen Weiterbildungs- oder Freizeitangeboten reichen, die gerade in diesem Jahr aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie besonders in den digitalen Raum vorstießen.

Für diesen Artikel wird Virtual Exchange allerdings entsprechend dem Verständnis vorgestellt, nach dem das tragende Konsortium aus verschiedenen Organisationen das Projekt seit nun fast drei Jahren im Auftrag der Europäischen Kommission implementiert. Es besteht aus insgesamt acht Nichtregierungsorganisationen, die unterschiedliche Rollen im Projekt verantworten. Der Übersicht halber möchte ich aber vor allem diejenigen namentlich erwähnen, die Virtual Exchange unter verschiedenen Prämissen tatsächlich anbieten: Allen voran Soliya, die seit nunmehr 15 Jahren in diesem Bereich tätig sind, gefolgt von der Sharing Perspectives Foundation, UNICollaboration und der Anna Lindh Foundation. Ich werde an späterer Stelle genauer auf die Unterschiede der Angebote dieser Konsortiumsmitglieder eingehen, doch zunächst einmal zurück zur Eingangsfrage.

Was bedeutet Virtual Exchange?

Aufbauend auf Erkenntnissen der interkulturellen Kommunikation fokussiert dieser Ansatz zunächst die Umgebung, in der der Austausch stattfindet. Im Falle Technologiegestützter Kommunikation bedeutet das natürlich erst einmal das Vorhandensein entsprechender Geräte (PCs, Laptops, Tablets, aber auch Smartphones) und eine entsprechende Betreuung und Beratung der Teilnehmenden im Vorfeld der eigentlichen Virtual Exchange Session. Da das Ziel eine inklusive Gesprächssituation ist, an der alle Anwesenden gleichermaßen teilnehmen können sollen, ist diese Vorarbeit unerlässlich. Damit auch das Gespräch selbst anschließend möglichst barrierefrei bleibt, kommt der nächste zentrale Aspekt von Erasmus+ Virtual Exchange ins Spiel: Dialogue Facilitation.

Kaffeetasse mit Aufdruck "Conversation"

„Facilitation“ bedeutet aus dem Englischen übersetzt so etwas wie „Ermöglichen“ – und das trifft die Aufgabe unserer Facilitators – von denen ich auch einer bin – sehr genau. Die Rolle, die der Moderation in Diskussion oder Debatte zukommt, entspricht der Aufgabe von Facilitation im Dialog. Soll heißen, es wird dafür gesorgt, dass sich keine Teilnehmenden gehemmt oder anderweitig eingeschüchtert fühlen. Das bedeutet zum Einen natürlich die Verwendung niedrigschwelliger Sprache, da die Sessions in der Regel auf Englisch stattfinden. Zum Anderen – und das ist der eigentliche Schwerpunkt – sind Dialogue Facilitators darin ausgebildet, besonders die Gruppendynamik im Blick zu haben, eher schüchterne Teilnehmende zum Mitmachen zu ermutigen sowie im Falle von Kontroversen oder gar Konflikten zu vermitteln und eine Klärung auf Augenhöhe zu gewährleisten. Diese Konflikte sind bei weitem nicht an der Tagesordnung, aber dennoch ist dieser Teil der Facilitator-Ausbildung entscheidend, da sich die Angebote von Erasmus+ Virtual Exchange sowohl an junge Europäer*innen richten, als auch an Jugendliche und junge Erwachsene aus den Anrainerstaaten des Mittelmeers. Ausgehend vom interkulturellen Ansatz zielen nicht wenige der Angebote konkret auf den Austausch zwischen der Jugend Europas und den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens. Das also mit einer gewissen Regelmäßigkeit kontroverse Themen besprochen werden, wie z.B. Fragen rund um Religion oder unterschiedliche kulturelle Gepflogenheiten, ist ein erwünschter Effekt – der eben nicht polarisieren, sondern gegenseitiges Verständnis fördern soll.

Was eventuell überraschend normativ wirkt, hat aber vor allem didaktische Gründe: Aufgrund der Aneignung der Gesprächssituation durch die jeweiligen Gruppen wird die Beteiligung aller Anwesenden erhöht und interkulturelle Kompetenz geübt. Außerdem werden die besprochenen Inhalte der Sessions deutlich nachhaltiger verinnerlicht, wie unsere regelmäßige Datenerhebung unter den Teilnehmenden gezeigt hat. Hier möchte ich auf die Website des Projekts hinweisen. Unter der Rubrik „Impact“ lässt sich der soeben gemachte Punkt noch einmal anschaulicher nachvollziehen, hinter „Stories“ verbergen sich persönliche Erfahrungsberichte.

Meine eigene Erfahrung mit Virtual Exchange

Hauptakteure des hier besprochenen Verständnisses von Virtual Exchange sind vor allem Soliya und die Sharing Perspectives Foundation, die in ihren Online-Kursen einige hundert bis tausend Studierende aus den Projektstaaten zusammenführen und sich über zeitgenössische Themen wie Migrationspolitik oder Internationale Beziehungen austauschen lassen. Ich selbst habe so meinen Weg in das Projekt begonnen, als ich 2013 als Student der Politikwissenschaften an der Universität Osnabrück an einem solchen Kurs – damals zur Thematik der Eurokrise – teilnehmen konnte. Auch wenn das noch weit vor den Tagen des europäischen Projektes stattfand, hat sich am grundlegenden Ablauf nicht viel geändert, weshalb dieser Kurs hier exemplarisch näher vorgestellt werden soll:

Über drei Monate traf ich mich wöchentlich mit meiner Gruppe von Studierenden aus verschiedenen europäischen sowie arabischen Staaten in einem eigens dafür programmierten „Exchange Portal“. Dort diskutierten wir Themen, die im Vorfeld für uns in Form von aufgezeichneten Vorlesungen und Vorträgen jede Woche passend zu einem Themenschwerpunkt hochgeladen worden waren. Diese vorgegebenen Inhalte bilden zum einen den roten Faden des Kurses, zum anderen bieten sie die Möglichkeit für die kooperierenden Universitäten selbst auch Inhalte bereitstellen zu können. Wie in einem normalen Seminar schrieb ich am Ende ein Paper und bekam von meiner Uni ECTS für die Teilnahme, was auch heute noch in unseren akademischen Kursen so gehandhabt wird. Diese – meine erste Erfahrung mit Virtual Exchange – hat mir so gut gefallen, dass ich mich anschließend umgehend zum Dialogue Facilitator ausbilden ließ – und in dieser Funktion bis heute mit großer Freude Kleingruppen anleite, auch wenn mittlerweile andere Aufgaben dazu gekommen sind.

Junge Frau vor einem Laptop mit laufendem Videogespräch
Im Gegensatz zu den großen Kursen gibt es auch die Möglichkeit für Angehörige von Institutionen der höheren Bildung und von Jugendorganisationen über UNICollaboration an Trainings teilzunehmen, in denen die Grundlagen unseres Ansatzes vermittelt werden – so dass die Teilnehmenden anschließend Virtual Exchange selbst als Teil von Seminaren oder Jugendprojekten anbieten können. Dabei werden sie durch meine Kolleg*innen und mich – ich arbeite seit Mitte 2018 vor allem in diesem Bereich – unterstützt, was von der Erarbeitung der Inhalte bis hin zur Bereitstellung von Facilitators reicht. Diese eher kleineren Projekte – oder Transnational Exchange Projects (TEPs), wie wir sie nennen – bestehen in der Regel aus nicht mehr als drei, vier Partnerorganisationen und/oder -institutionen und umfassen wesentlich kleinere Gruppengrößen, als die bereits beschriebenen Kurse. Dadurch bieten sie eine hohe inhaltliche Flexibilität und können an die jeweiligen thematischen oder organisatorischen Bedürfnisse angepasst werden. So sind TEPs meistens weniger normativ, dafür kommen die Vorzüge von Erasmus+ Virtual Exchange, wie z.B. die Dialogue Facilitation einer großen Varianz von Themen zu Gute, die ansonsten womöglich nie mit den Methoden interkultureller Kommunikation in Berührung gekommen wären. So war ich etwa Facilitator für ein Projekt von Dozierenden der Wirtschaftswissenschaften aus verschiedenen europäischen Staaten, die ihre Studierende ein englischsprachiges Bewerbungstraining konzipiert hatten. In einem anderen Projekt behandelten Studierende der Geschichtswissenschaften aus Rumänien und Ungarn die konfliktreiche Geschichte ihrer beiden Staaten. In wieder einem anderen TEP trafen sich Jugendliche aus Italien und dem Libanon und tauschten sich über umweltpolitische Initiativen aus. Die thematische Bandbreite kennt im Prinzip keinerlei Einschränkungen.

Das Ende der Pilotphase des Projekts „Erasmus+ Virtual Exchange“

Nun muss ich zum Ende dieses Artikels aber doch einen Wermutstropfen vergießen, denn wie alle schönen Dinge gelangt mit Ende diesen Jahres auch Erasmus+ Virtual Exchange ans Ende der dreijährigen Laufzeit der Pilotphase. Trotz ausgesprochen positivem Feedback – von gut 27.000 Teilnehmenden in den ersten zwei Projektjahren sind knapp 90% voll des Lobes – und einer deutlich gestiegenen Nachfrage seit Ausbruch der Corona Pandemie wurde sich auf Seiten der Europäischen Kommission gegen eine Verlängerung entschieden. Natürlich werden aber die Mitglieder des Konsortiums weiter existieren. Bisher waren die Angebote für kooperierende Partner kostenfrei, was sicherlich nicht so bleiben können wird. Aber wenn ich es mit diesem Artikel geschafft habe, das Interesse zu wecken, so möchte ich nun abschließend dazu ermutigen, dennoch den Kontakt aufzunehmen. Denn eines ist sicher: Virtual Exchange als innovativer Ansatz von Internationalisierung von zuhause aus wird auch 2021 nicht aufzuhalten sein.

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