Innovation in der Lehre: Standortübergreifendes Ringseminar zu Konfliktanalyse überwindet digital Universitäts- und Landesgrenzen
Innovation in der Lehre: Standortübergreifendes Ringseminar zu Konfliktanalyse überwindet digital Universitäts- und Landesgrenzen
31.05.19„Ging echt voll klar, dieses Ringseminar“ – ungewöhnlicher, als diese studentische Einschätzung eines im Sommersemester 2018 durchgeführten Seminars mit dem Titel „Security-Development-Migration Nexus in Subsahara Afrika“ ist vermutlich der Kontext dieser Aussage. Das Zitat entstammt einem studentischen Rap-Video (zugänglich auf der OER-Plattform des 2018er-Projektes) zur Vorstellung eines innovativen Seminarkonzeptes, welches unter Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung im Sommersemester 2019 seine vierte Auflage erfährt. Was genau mit dem Begriff des Ringseminars gemeint ist, welches didaktische Konzept die Lehrenden dabei umsetzen und welche Rolle Digitalisierung in der Lehre hierbei einnimmt, wird nachfolgend insbesondere an den Beispielen der aktuellsten beiden Seminare illustriert.
Das zurzeit, im Sommersemester 2019, realisierte Konzept eines Standortübergreifenden Ringseminars ermöglicht es Lehrenden und Studierenden, gemeinsam die Grenzen des eigenen Hochschulstandortes auf vielfältige Art und Weise zu überwinden und dabei auch mit internationalen Expert*innen in einen direkten Austausch eintreten zu können. An der Umsetzung des stetig weiterentwickelten Seminarkonzeptes, in diesem Jahr unter dem Titel „Konfliktanalyse – Getrennt ist alles besser? Dynamik, Management und Transformation aktueller Sezessionskonflikte“, sind aktuell ungefähr 130 Studierende sowie sechs Lehrende aus fünf Universitätsstandorten beteiligt. Studierende aus Freiburg und Tübingen im Süden, Hamburg im Norden sowie Magdeburg und Marburg überwinden dabei Woche für Woche Distanzen von hunderten Kilometern, um nicht nur in Video-Konferenzen gemeinsame Seminarsitzungen zu erleben, sondern auf einer gemeinsamen e-learning-Plattform auch standortübergreifende Aufgaben zu lösen und vielfältige Vorbereitungsmaterialien abzurufen.
Seminarstruktur und Zusammensetzung – ein Überblick
In den insgesamt zwölf gemeinsamen Seminarsitzungen, welche einem lerner*innenorientierten Ansatz folgen und Elemente des inverted classroom integrieren, haben die Studierenden am Semesterbeginn die Möglichkeit, sich sowohl mit der für die Meisten neuen Seminarumgebung, als auch mit den gemeinsamen theoretischen Grundlagen der Konfliktanalyse vertraut zu machen. Letzteres ist umso relevanter, als dass in diesem Seminar Studierende unterschiedlichster Studienfächer und –phasen gemeinsam lernen. In diesem Semester sind beispielsweise sowohl Masterstudierende der Friedens- und Konfliktforschung als auch Bachelorstudierende der Politikwissenschaft, der Sozialwissenschaft sowie aus dem Fach European Studies – alle aus ganz unterschiedlichen Fachsemestern – beteiligt.
Anschließend findet die tiefgründige Auseinandersetzung mit den zwei Konfliktfällen Nordirland und Jemen statt, die an jedem Standort aus einer unterschiedlichen Perspektive analysiert werden; zum Beispiel mit einem Fokus auf Gender, Diskurse oder auch Radikalisierung. Abschließend erhalten die Teilnehmenden zudem einen Einblick in die Thematik der Konfliktmediation.
Neue Aufgabenstellungen und Anforderungen an Lehrende und Studierende – eine besondere e-learning Plattform
Dass diese in sich diverse Gruppe der Lernenden funktioniert, ist eng mit dem innovativen Seminarkonzept verbunden, welches eine große Diversität in den Aufgabenstellungen und den damit verbundenen Anforderungen, auch im Hinblick auf die Bloomsche Kompetenz-Taxonomie (hier für einen Überblick zu dieser), ermöglicht. So haben Studierende zum Beispiel die Möglichkeiten, Podcast-Episoden zu wissenschaftlicher Literatur und Lernvideos zu einzelnen Themen zu erstellen, Konfliktanalysen zu erarbeiten oder auch Diskussionen mit internationalen Expert*innen vorzubereiten und zu leiten (ein Beispiel für ein solches Lernvideo aus dem 2018er Seminar zur Thematik der Staatengemeinschaft G5 Sahel sehen Sie hier). Masterstudierenden aus der so genannten Querschnittsgruppe fällt zudem die Aufgabe zu, zu reflektieren, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Konflikten durch die multiperspektivische Betrachtung herausgearbeitet werden konnten. Die Ergebnisse dieser Gruppe wiederum werden in der letzten Sitzung dem Gesamtplenum aller Teilnehmenden vorgestellt.
Solch ein Seminarkonzept führt zwangsläufig zu ergänzenden Anforderungen in der Organisation, aber beispielsweise auch an die e-learning Plattform und die Betreuung der Studierenden. Um die Möglichkeiten der Digitalisierung in der Lehre zu nutzen, ohne den Risiken, wie Missverständnissen aufgrund von ungewohnten Kommunikationsabläufen, allzu viel Raum zu bieten, weist das Seminar daher eine ganze Reihe an Besonderheiten auf. So erhalten alle Studierenden zu Semesterbeginn neben einem Seminarplan auch ein gemeinsames Aufgabenhandbuch, in welchem alle Aufgaben beschrieben und Anforderungen sowie Ansprechpersonen konkret benannt werden. Derartige Handbücher, die Präsentationen und andere Materialien folgen dabei, soweit möglich einem konsistenten Design, welches mittelbar auch die eigenständige Nutzung durch die Studierenden vereinfacht. Die begleitende e-learning Plattform wiederum ist ebenfalls komplexer als dies für reguläre Seminare vielfach der Fall ist. So finden sich auf dieser neben den klassischen Übersichten für die Einzelsitzungen auch standort- sowie aufgabenbezogene Gruppen. Ergänzt werden diese Materialien von detaillierten Anleitungen, wie mit neuartigen Aufgabenformaten, wie Podcasts, umgegangen werden kann. Innerhalb der Gruppen, die insbesondere für die standortübergreifende Zusammenarbeit eine außerordentliche Relevanz aufweisen, werden den Studierenden dabei unterschiedliche Werkzeuge zur Nutzung angeboten. So sind z.B. Foren und Etherpads reguläre Elemente derartiger Gruppen, in welchen auch die Betreuung durch Lehrende anderer Standorte organisiert werden kann.
Der Sitzungsalltag konkret – Audience-Response-Systeme, Echtzeit, Expert*innen und mehr
Die einzelnen Sitzungen weisen dabei unterschiedliche Abschnitte auf. So finden in der Regel sowohl Phasen des zentralen Inputs und gemeinsamen Austausches als auch der lokalen Arbeit und der Ergebnissicherung statt. Arbeitsergebnisse anderer Standorte stehen dem Gesamtplenum dabei in Echtzeit zur Verfügung. Wichtige Elemente der Sitzungsgestaltung sind zudem auch so genannte Audience-Response-Systeme, die für vielfältige Zwecke eingesetzt werden. So haben wir am Semesterbeginn beispielsweise die Zielscheibenabfrage von oncoo (hier ein Überblick zu diesen freien tools) genutzt, um den Studierenden ein erstes Kennenlernen der Teilnehmer*innen der anderen Standorte zu ermöglichen. Vielfach und in unterschiedlichster Weise verwendetes Element der Sitzungen ist zudem die Nutzung von tweedback. Dabei kommt je nach Bedarf sowohl die Quiz-Funktion, als auch die Chatwall zum Einsatz. Hervorzuheben an diesem tool ist dabei die inhaltlich sehr flexible Nutzung, beispielsweise für eigenständige Kurzbeiträge, konkretes Feedback oder auch Nachfragen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Studierenden diese tools von sich aus sehr diszipliniert nutzen. So finden sich auf der Chatwall nur in Einzelfällen Beiträge, die keinen uneingeschränkt fachlichen Bezug aufweisen. Bei Bedarf bestünde aber auch die Chance, die Chatwall moderiert zu nutzen, was in unserem Fall bislang nicht erforderlich war. Zudem beginnen die Studierenden mittlerweile, was aus Lehrendenperspektive gewünschtes Element des lerner*innenorientierten Didaktikkonzeptes ist, kleinere Fragen selbstständig zu beantworten und somit via digitaler Interaktion direkt zum Lernerfolg der Gesamtgruppe beizutragen. Ein konkretes Beispiel für die Anwendung der Chatwall-Funktion, mittels welcher die Studierenden Beiträge posten, kommentieren und liken können, ist die Begleitung unserer Q&A-Sessions mit nationalen und internationalen Expert*innen. Studierende aller Standorte erhalten dabei die Möglichkeit, Fragen an die/den Expert*in zu posten, andere zu kommentieren oder mittels like eigenes Interesse an dieser Frage auszudrücken. Die Studierenden der Discussant-Gruppe, die den Austausch mit der betreffenden Person moderieren, stellen die so gesammelten Fragen dann direkt, so dass alle Teilnehmenden aktiv am Verlauf des Fachgesprächs partizipieren können, es aber dennoch insgesamt ein sehr übersichtlicher Ablauf bleibt.
Bei den Expert*innen für das diesjährige Seminar handelt es sich um ein diverses Feld, mit Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis. Folgende Expert*innen erstellen für das aktuelle Seminar Lernvideos zur individuellen studentischen Vorbereitung, welche weiterhin auch die eigenständige Lektüre von Fachtexten umfasst, und stehen zudem für eine live Q&A-Session während einer Sitzung zur Verfügung:
Ingo Henneberg, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Julian Bergmann, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn
Mareike Transfeld, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
PhD Glen M. E. Duerr, Cedarville University, Ohio, USA
Siobhán Fenton, Freelance Journalistin, Belfast, Nordirland
Vielfältige Vorteile überwiegen arbeitsintensive Vorbereitung
Neben dieser Überwindung von räumlichen Grenzen erlaubt es die Nutzung digitaler Werkzeuge und Materialien auch, unterschiedlichen Bedürfnissen einer diversen Studierendenschaft in neuem Maße zu begegnen. So gelingt es beispielsweise über das erweitere Material- und Aufgabenportfolio besser als in vielen klassischen Seminaren unterschiedliche Lerntypen, insbesondere auch medial- und audioorientierte, anzusprechen (hier beispielhaft die 2018er Videos der Expert*innen). Zudem vereinfacht die Stärkung der Möglichkeiten zur asynchronen Arbeit und Vorbereitung des inverted classroom Aspekte wie die Vereinbarkeit von Studium und anderen Anforderungen, wie denen von Sorge- und Erwerbsarbeit.
All dies erfordert natürlich auch eine stetige und detaillierte Kommunikation und Vorbereitung durch die Lehrenden, die weit vor dem Beginn des Semesters mit der gemeinsamen Themenfindung und Seminarstrukturierung beginnt und sich unter anderem in der sitzungsbegleitenden Kommunikation zu Arbeitsfortschritten und ähnlichem fortsetzt. Erstmals wird in diesem Jahr hierfür überwiegend mit slack gearbeitet. Eng damit verbunden ist auch der aktive Austausch zu didaktischen Überlegungen, das Feedback zu den einzelnen Sitzungen, die jeweils durch einen Standort federführend betreut werden sowie das gemeinsame Lernen als Team und das Profitieren von individuellen Stärken und Erfahrungen. Aus Lehrendenperspektive handelt es sich bei dem Standortübergreifenden Ringseminar somit um ein Konzept, welches innovativ und in dieser Form singulär, aber auch sehr arbeitsintensiv ist. Getragen wird das Projekt dabei insbesondere von der Eigenmotivation der Lehrenden, die vielfach noch am Beginn ihrer eigenen akademischen Laufbahn stehen und den Mehraufwand des Projektes den sich bietenden Chancen unterordnen.
Positives Studierendenfeedback und öffentliche Wirkung als OER-Plattform
Dass dieses Konzept bei Studierenden positiv aufgenommen wird, zeigen beispielweise auch die Nominierungen für und Auszeichnungen mit Lehrpreisen, so zum Beispiel für das 2018er Projekt. Dieses wurde in Magdeburg, Freiburg und Tübingen für Lehrpreise nominiert und erhielt diese Auszeichnung an den beiden letztgenannten Universitäten auch.
Die Wirkung des Projektes bleibt dabei jedoch nicht alleinig auf die Teilnehmenden begrenzt. Ein weiteres Element der Nutzung digitaler Möglichkeiten ist die Weiterentwicklung der e-learning Umgebung in eine vom Freiburger Standort betreute OER-Plattform (hier nochmal der link zu der des 2018er Projektes), welche auch für das laufende 2019er Seminar angedacht ist.
Die beteiligten Standorte sowie die jeweiligen Lehrenden sind:
- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Julia Gurol, M.A.
- Eberhard Karls Universität Tübingen; Dr. Gabi Schlag und Alexander Kobusch, M.A.
- Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Tina Rosner, M.A.
- Philipps-Universität Marburg; Dr. Kerstin Zimmer
- Universität Hamburg; Dipl.-Pol. Patricia Konrad
Weitere Informationen zu den bisherigen Entwicklungsschritten des standortübergreifenden Lehrprojektes können unter anderem in dem Artikel „Standortübergreifende Lehre in der Politikwissenschaft: Nutzen und Beitrag eines innovativen Ringseminars“ von Friedrich Plank, Ingo Henneberg, Alexander Kobsuch et al. (PVS, 1:2019) nachvollzogen werden, welcher insbesondere die ersten beiden Seminare aus den Jahren 2016 und 2017 in den Fokus rückt.