Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation – Dr. Jonas Gallenkämper im Interview
Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation – Dr. Jonas Gallenkämper im Interview
05.07.18Die Ingenieurausbildung unterzieht sich einem Wandel angestoßen durch die Digitale Transformation, den die Hochschulen mitgestalten sollten. Sebastian Horndasch hat sich mit Dr. Jonas Gallenkämper vom Verein Deutscher Ingenieure über ihr kürzlich veröffentlichtes Diskussionspapier „Smart Germany – Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation“ unterhalten. Im Rahmen der Themenwoche „Shaping the Digital Turn“ wird es am 27. September 2018 den „SMART GERMANY – Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation“ geben – mit dem VDI als Ausrichter.
Sebastian Horndasch: Was bedeutet die digitale Transformation für die Bildung? Was muss sich ändern?
Jonas Gallenkämper: Es braucht zunächst ein Bewusstsein für die digitale Transformation. Der Blick in aktuelle Curricula zeigt: viele haben sich seit zehn Jahren nicht groß verändert. Damals haben wir noch mit Windows XP gearbeitet und waren völlig verblüfft vom ersten iPhone. Das zeigt, was 10 Jahre ausmachen.
Mit allen Transformationsprozessen geht auch ein gesellschaftlicher Wandel einher, über dessen Folgen man sich bewusst werden sollte. Dazu gehört insbesondere die Technikfolgenabschätzung. Mit der digitalen Transformation sind solche Prognosen besonders wichtig, weil die Auswirkungen auf die Gesellschaft beträchtlicher sind, als bei inkrementellen Weiterentwicklungen.
Die technologische Perspektive sollte auch nicht außer Acht gelassen werden. Für die Hochschulen bedeutet dies aus unserer Sicht die Implementierung von neuen technologischen Aspekten in den Studiengängen und transdisziplinärer Arbeit zwischen den Studiengängen. Dazu braucht es ein grundlegendes Verständnis anderer Disziplinen, insbesondere der angewandten Informatik, aber auch außerhalb der Ingenieurswissenschaften. Für die Arbeit in Teams spielt eine gute Kompetenzverteilung eine wichtige Rolle. In diesen Bereichen bedarf es einer Veränderung. Das bezieht sich nun aber nur auf die Lehrinhalte.
Darüber hinaus gibt es auch noch die Diskussion um die Lehrformate. Dazu hat das Hochschulforum Digitalisierung auch schon sehr viel erarbeitet. Theoretisch ließe sich die digitale Transformation auch ohne technische Hilfsmittel lehren. In der Praxis ist es aber wünschenswert, digitale Techniken zur Vermittlung heranzuziehen, um gezielt bestimmte Aspekte im digitalen Raum zu thematisieren.
Was verändert sich konkret für die Ingenieurkompetenz oder den Ingenieurberuf? Welche Kompetenzen braucht man?
Einiges wird bereits in unserem Diskussionspapier erwähnt: zum einen müssen sich Ingenieure(innen) aus der Community öffnen. Interdisziplinarität propagieren wir schon sehr lange. Durch die digitale Transformation wird die Kooperationskompetenz weiter an Bedeutung gewinnen.
Ingenieure(innen) treten mit ihren Ingenieurleistungen nun deutlich näher an die Kund(inn)en heran, um mit deren Daten und anhand derer Vorlieben ein Produkt zum Positiven weiterzuentwickeln. Ebenso werden Maschinendaten ausgewertet und Produkte weiterentwickelt. Somit werden Datenschutz und -sicherheit ebenfalls besonders relevant.
Neu ist für klassische Ingenieure(innen), das es bei Digitalprodukten sehr schnell zu einem funktionalen Prototyp kommen kann. Der Weg zu einem sicher nutzbaren Produkt ist aber weit. Digitale Sicherheit sollten Ingenieurinnen und Ingenieure aus unserer Sicht bereits bei der Planung beachten und nicht als ein nettes Add-On hinten runterfallen lassen.
Weiter sind natürlich die Geschäftsprozesse und die Logik der digitalen Transformation zu nennen. Es muss verinnerlicht werden, dass der “point of sale” nicht die einzige Kundenbeziehung ist, sondern auch digitale Services dazu gehören. Das gelingt selbstverständlich in Teamarbeit mit anderen Disziplinen. Daher ist nimmt Kommunikation und gegenseitiges Verständnis auch einen so bedeutenden Stellenwert ein.
Wie verändert sich das Kompetenzprofil und inwieweit wird die Kompetenzmatrix neu aufgestellt?
Da sind besonders die Hochschulen gefragt. Welche Kompetenzen benötigt werden, hängt insbesondere von der Hochschulstrategie und dem Standort ab und kann demnach sehr variieren. Wir haben in unserem Diskussionspapier einen Prozess vorgestellt, der zeigt, wie man zu diesen Kompetenzen bei den klassischen Abnehmern kommt. Es ist also eine ganz klare Abnehmersicht. Dazu haben wir dann eine Matrix mit neuen Kompetenzen entworfen, die im klassischen Ingenieurstudium auf der technischen Seite nicht vorkommen. Der Anspruch auf Vollständigkeit ist bei dieser Matrix aber natürlich nicht gegeben. Sie steht vielmehr noch zum Kommentieren und Diskutieren auf unserer Website zur Verfügung. Grundsätzlich handelt es sich um zu viele neue Kompetenzen, die man gar nicht alle in ein Studium einbringen kann. Daher müssen die Hochschulen bei ihrer Curriculumsentwicklung ganz dringend auf die Bedürfnisse in ihrem Umfeld achten.
Als VDI haben wir die Abnehmersicht, was auch dem Interesse unserer Mitglieder entspricht. Über die üblichen Forderungen der Wirtschaft hinaus geht aber die Technikfolgenabschätzung. Hier erhalten die Studierenden ein ganz anderes Gefühl für Dynamik der Technik und Ihre Wechselwirkung mit der Gesellschaft.
All dies sollte von den Hochschulen als Impulse unsererseits für ihre Strategie in der Curriculumsentwicklung verstanden und aufgenommen werden.
Haben Sie 21st Century Future Skills mit in ihre Arbeit einbezogen?
Die Publikationen im Umfeld wurden im Autorenteam gescannt und natürlich haben wir die 21st Century Skills diskutiert. Weiter sind wir auf ein Werk des Global Learning Councils gestoßen, das uns motiviert hat diese Veröffentlichung auszuarbeiten.
Zielsetzung war aber, mit klarem Fokus auf die Ingenieurausbildung einzugehen. Das ist in drei Abschnitten geschehen: der erste Teil ist noch allgemein gehalten, bildet aber, da er auf digitalisiertes Lernen und Weiterbildung eingeht, die Grundlage, auf der die Arbeit fußt. Er beschreibt, wie wir die Situation aktuell wahrnehmen und die kommenden Jahre einschätzen. Aus diesen “Thesen” leiteten wir Konsequenzen für die Ingenieurausbildung ab. Das ist mit Unternehmen – mit aktuellen Bedürfnissen – und mit den Hochschulen geschehen.
Horndasch: Wie sieht der Entstehungsprozess für ein solches Papier aus, besonders in Hinblick auf die Einbindung der Stakeholder?
Selbstverständlich handelt es sich dabei um einen längeren Prozess. Im Januar 2016 gründete sich im VDI das „Interdisziplinäre Gremium Digitale Transformation”. Dort hat sich ein Unterausschuss zur Ingenieurausbildung zusammengefunden, der in Zusammenarbeit mit unserem „Fachbeirat Ingenieurausbildung“ das Papier geschrieben hat. Nachdem dieses in weiten Teilen stand, haben wir weitere Stakeholder hinzugeholt: zum Beispiel die IG Metall, den VDMA, die acatech. In dieser Runde mit den Stakeholdern wurde das Papier noch einmal intensiv besprochen und dabei einiges auf den Kopf gestellt, bevor es der Community vorgestellt wurde.
Die weitere Planung sieht nun so aus, dass der VDI das Thema in die Breite trägt, auch indem die Politik involviert wird. Aktuell planen wir eine Studie zur aktuellen Situation, die wir voraussichtlich Anfang des nächsten Jahres veröffentlichen. Wir werden Wege aufzeigen, zum Wunschzustand zu kommen.
Das wird in den kommenden Jahren weisend für den VDI sein. Bei einem Thema mit einer derartig geringen Halbwertszeit ist das ein schwieriges Unterfangen, da man natürlich konkret werden möchte – gerne auch konkreter als in dem aktuellen Papier. Ein zu ausdifferenziertes Papier würde aber lediglich zwei Jahre Gültigkeit haben. Von daher wird es ein interessanter Spagat.
Im März dieses Jahres haben wir den ersten Good-Practise-Beispielen bereits ein Forum mit dem Qualitätsdialog an der TU Berlin geboten. Im September 2019 planen wir die ersten Good-Practice-Beispiele von ganzen Curricula vorzustellen. Zwar lassen sich diese zurzeit an einer Hand abzählen, aber in der Hoffnung, dass das nächstes Jahr anders aussieht, wird dann das ganze Format nochmal neu aufgelegt.
Eine wichtige Frage aus meiner Sicht wäre unter all den Forderungen: was können wir dabei weglassen? Also was kann im Studium wegfallen?
Drei Ideen dazu, was man machen könnte, haben wir bereits vorgestellt:
- Zum einen justiert man die Digitalisierung oder besser den Digitalisierungsanteil in jedem Modul. Das ist uns wichtig, weil es so kein Add-On ist, sondern eine integrale Einbindung. Jedes Modul hat sich zu überprüfen, denn auch in “Mathematik I” kann sicherlich einen Teil mit unterbringen. Damit beseitigen wir das Problem ein neues Fach Digitalisierung mit 8 CP aufzumachen und diese woanders gestrichen werden müssten.
- Zudem gibt es durchaus neue Fächer für interdisziplinären Inhalte, die auch neuen Platz brauchen. Wir glauben, dass in der Wissensvermittlung einiges wegfallen könnte. Schließlich kann heutzutage jede beliebige Information in Echtzeit mit unseren Smartphones ausfindig gemacht werden. Früher musste ich es entweder wissen oder in die Bibliothek laufen. Diese Zeiten sind vorbei und vielleicht sollte sich das Studium daran anpassen und anerkennen: manches vermittelte Spezialwissen bildet keine Grundkompetenz für den zukünftigen Alltag der meisten Studierenden, sodass andere Lehrinhalte von größerer Bedeutung sein könnten. Wir halten leicht abrufbares “Verfügbarkeitswissen” als Lehrinhalt reduzierbar, wenn es nicht grundlegend wichtig ist. So können wir schneller auf eine Metaebene kommen.
- Als drittes sagen wir, dass sicherlich Inhalte aus dem Pflichtbereich in ein Wahlpflichtbereich wechseln können. Das ist natürlich intern ein enorm anstrengender Prozess, weil daran auch Geld, Stellen und so weiter dran hängen – das gilt es aber zu klären.
Danke für das Interview