Ein Fest(ival) der Kollaboration – Schlaglichter auf die Zukünfte der Hochschulen beim U:FF 2023

Ein Fest(ival) der Kollaboration – Schlaglichter auf die Zukünfte der Hochschulen beim U:FF 2023

07.06.23

Bühnen frei für die Zukunft der Hochschulbildung! Das University:Future Festival fand 2023 nicht nur online, sondern erstmalig auch auf insgesamt drei Partnerbühnen in Berlin, Bochum (betreut durch ORCA.nrw) sowie in Heilbronn (betreut durch den KI-Campus) statt. Es wurde vom HFD und der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) organisiert und vom Stifterverband unterstützt. Mit mehr als 300 Beiträgen und mehr als 5000 registrierten Teilnehmenden zeigte das Festival die enorme Bandbreite von Themen und Akteur:innen rund um die digitale Transformation der Hochschulbildung.

Was bewegte die Community? Wir haben uns an einem schlaglichtartigen Rückblick versucht, der natürlich niemals vollständig und erschöpfend sein kann (und, Disclaimer: ChatGPT half uns dabei, die Vortragstranskripte zu sichten und verdichten). Wir laden alle Interessierten ein, selbst noch einmal auf virtuelle Entdeckungsreise durch die zahlreichen Multimedia-Beiträge zu gehen, Stimmungsbilder mitzunehmen und verpasste Sessions nachzuholen. Denn das Festival ist noch lange nicht abgehakt: Alle Talks, Diskussionen und Keynotes sind via YouTube verfügbar – und können die digitale Tranformation in der Hochschulbildung nachhaltig inspirieren, ermutigen und voranbringen. Unsere redaktionelle Auswahl soll dabei helfen, einen Einstieg in die vielfältigen Themenfelder zu finden und einige Leitplanken für den weiteren Diskurs zu identifizieren.

🎓 Hochschulpolitik in Bewegung

Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, sieht Hochschulen in einer Zeit des Umbruchs. In seiner Keynote plädierte er dafür, das Beste aus digitaler und analoger Lehre zusammenzuführen und Innovationen voranzutreiben. Brandenburg hob drei Bereiche mit großem Innovationspotenzial hervor: die Hochschullehre, die internationale Mobilität und die Verwaltung. Brandenburg bestärkte die Teilnehmenden darin, Mut zur Veränderung aufzubringen. Das diesbezügliche Engagement vieler Hochschulen würdigte er zudem durch die Übergabe von Zertifikaten für die Teilnehmenden der Peer-to-Peer-Strategieberatung des HFD.

Corona, Energiekrise, Inflation und sinkende Studierendenzahlen – Wo bleibt in diesem permanenten Alarm-Modus noch Luft für Innovationen? Genau diese aber seien nötig, so der Wissenschaftssjournalist Jan-Martin Wiarda in seiner Keynote “Weniger – die neue “Lebensphilosophie” der Hochschulen?”, in der die Auswirkungen finanzieller und personeller Verknappungen auf die Innovationsfähigkeit von Hochschulen diskutiert wurden. Unter anderem schlug Wiarda ein neues Modell für (sozial gerechte) Studiengebühren vor. Er fasste zusammen: “Wer den Mangel verwaltet, den führt die Lebensphilosophie des Weniger in eine gedankliche Beschränktheit. Wer durch das Weniger den Mut entwickelt, neu und anders zu denken, der kann das Weniger vielleicht sogar in ein Mehr verwandeln – zum Beispiel in ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit.”

Angela Weißköppel (HTW Berlin) schilderte in ihrem als “Gedankenspaziergang” überschriebenen Talk “Lehrentwicklung – Strategie oder Zufall?”, dass gerade Hochschulen sich besonders gut als Experimentierräume eignen. Serendipität, das Entdecken von etwas Unerwartetem, wurde als eine Möglichkeit zur Innovation und Lehrentwicklung präsentiert. Die Fernuni Hagen schrieb dazu: “Unter den Voraussetzungen, glückliche Zufälle wahrscheinlicher zu machen, finden sich hier z. B. eine offene Fehlerkultur, also ein Lernen aus Fehlern, und die Förderung von Zufällen über viel Netzwerkarbeit. Wenn sich unterschiedliche Expertisen im Verborgenen halten, lassen sich nicht alle Potentiale ausschöpfen.”

Unerwartete Chancen nutzen – dieses Motto passte in diesem Jahr besonders gut zum Thema Künstliche Intelligenz. Denn eine aktuelle Entwicklung beschäftigte die Community besonders: Was bedeuten die rasanten Fortschritte von generativer KI für die Hochschulkultur? Nicht nur die KI-Campus-Bühne in Heilbronn, sondern auch zahlreiche weitere Talks und Beiträge widmeten sich technischen, didaktischen, juristischen und (hochschul-)politischen Perspektiven.

🤖 Künstliche Intelligenz als Herausforderung für das Bildungssystem

Just am Tag, als auch ein Fachgespräch des Bildungssausschusses zum Thema ChatGPT stattfand, betonte Doris Weßels (FH Kiel) in ihrer Keynote “Lost in space? Der Weg ist das Ziel für Hochschulen im Zeitalter generativer KI-Systeme”, dass es angesichts der fortschreitenden Entwicklung generativer KI-Systeme notwendig sei, Konzepte und Ideen zur Neuausrichtung der Hochschulen zu entwickeln. Sie arbeitete mögliche Risiken heraus, hob jedoch vor allem auch die Potenziale und Chancen hervor, die KI in der Hochschulbildung bietet, wie beispielsweise neue Prüfungskulturen. Weßels formulierte “Drei Ziele für unseren KI-Weg: 1. Der Weg macht klug: Wir müssen ausprobieren und kreativ sein. 2. Fesseln ablegen: Wir müssen mehr Pragmatismus entwickeln und mehr Iteration zulassen. 3. Von anderen lernen.” Dafür sei eine deutschlandweite Zusammenarbeit wichtig. Denn die letzten Monate haben eindrücklich gezeigt: KI kennt keine Grenzen.

Auch Robert Lepenies (Karlshochschule) vertrat die Ansicht, dass generative KI die Hochschulentwicklung ganz grundlegend herausfordert. Zur Debatte um Prüfungsbetrug durch KI-generierte Texte sagte er in seiner Keynote “Kritisch, Digital, Kompetent – Thesen zum Verhältnis Technologie & Hochschulbildung”: “Die Schummeldebatte zeigt, dass ChatGPT nicht das Problem ist, sondern das Bildungsverständnis, das nicht zeitgemäß ist.” Er fordert eine Neuausrichtung der Hochschulen, um transversale Kompetenzen zu fördern. Ein zeitgemäßes Bildungsverständnis solle die Vorbereitung der Studierenden auf ihr Wirken in den Mittelpunkt stellen. Der Vortrag sorgte auch in den sozialen Medien für rege Diskussionen. Unter anderem wurde auf Twitter kommentiert: “#ChatGPT stellt die Vertrauensfrage: Stehen #Studierende nicht im Fokus, hat die Uni keine Chance!”

Und was sagt die Hochschul-Community zum Thema ChatGPT? Welche Wünsche und Bedarfe gibt es für den bewussten Einsatz in der Lehre bzw. welche Herausforderungen werden hier gesehen? Das Festival gab uns die besondere Gelegenheit, Teilnehmende zum status quo und ihren Anliegen zu befragen. Zu den Ergebnissen zählte unter anderem: An vielen Hochschulen scheint der Bedarf in Bezug auf Informationen, Empfehlungen oder Richtlinien nach wie vor nicht gedeckt. Viele Hochschulakteur:innen wünschen sich keine weiteren Grundsatzdiskussionen, sondern Good Practices und Empfehlungen. Ein wichtiger Hintergrund ist hierbei die Entwicklung in Richtung kompetenzorientierter Lehre – to be continued!

👩‍💻 Offene Bildungsinfrastrukturen

Die rasante Entwicklung von KI wirft nicht zuletzt die Frage auf, wie Hochschulen im Sinne der digitalen Souveränität mit unabhängigen, frei zugänglichen und anpassungsfähigen Anwendungen planen können. Martin Dougiamas, Gründer von Moodle, präsentierte in seiner Keynote “Rethinking our edcuation infrastructure using open technologies of the future” die Idee von Open EdTech. Die Initiative arbeitet an einer offenen Infrastruktur, die qualitativ hochwertige Inhalte, Lernräume und Unterstützung durch KI umfasst – lebenslang und kostenlos.

Offene Bildungsinfrastrukturen waren auch ein wichtiges Thema auf der ORCA.nrw-Stage. Dr. Klaus Wannemacher (HIS-HE) veröffentlichte hierzu eine Studie, die die Vielfalt und Heterogenität des Feldes sowie die Bedeutung von Interoperabilität der vorhandenen Systeme betonte. Es wurden Anforderungen identifiziert, um die Vernetzung und den Zugang zu offenen Bildungsmaterialien zu verbessern und die Nutzung für Lehrende zu erleichtern.

Neben Infrastrukturen ging es auch um Lehrmaterialien. Jöran Muuß-Merholz reflektierte in seiner Keynote „Heads Up, hier kommt der Mainstream!“ die Entwicklung von Open Educational Ressources in den vergangenen Jahren. Er forderte, OER noch besser in die Breite zu tragen, und betonte die Bedeutung von Zertifizierungen und Metadatenstandards.

🤝 Empowerment, Inklusion und Studierendenzentrierung

Hochschulen als Experimentallabore für iteratives Lernen – darüber sprach Gesche Joost (UdK Berlin) in ihrer Keynote “Re:Making University”. Anhand konkreter Beispiele wie Hackathons und feministischen Maker-Initiativen zeigte sie, wie Studierende einbezogen werden können, um digitale Souveränität und kritische Reflexion zu fördern. Hierfür müsse die Interaktion zwischen Technologien, Materialien und sozialen Praktiken neu gedacht und gestaltet werden.

Raul Krauthausen, Aktivist und Experte für Inklusion und Barrierefreiheit, hob in seiner Keynote „Alle gehören dazu“ hervor, dass alle, die von bestimmten Technologien oder Dienstleistungen profitieren sollen, auch in den Gestaltungsprozess einbezogen werden sollten. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse und Anforderungen von Menschen mit Behinderungen angemessen berücksichtigt werden. Darüber hinaus warnte Krauthausen vor der Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: “Digitalität darf nicht zum Katzentisch für Menschen mit Behinderung mangels analoger Alternativen verkommen.”

“Studierendenzentrierung richtig verstehen” – darüber sprachen die DigitalChangeMaker vom Hochschulforum Digitalisierung Lea Bachus, Kevin Saukel und Rene Rahrt in ihrer studentischen Keynote. Sie stellten fest, dass es unterschiedliche Auffassungen und Definitionen von Studierendenzentrierung gibt. Die Studierenden schlugen vor, Studierendenzentrierung als eine offene und wertschätzende Kultur zu verstehen, die die Beteiligung aller Statusgruppen an allen Lehr- und studienbezogenen Prozessen und Strukturen einer Hochschule fördert. Ihre Überlegungen wurden im Anschluss an das Festival als 100. Publikation des HFD veröffentlicht.

💬 Gute Lehre geht nur gemeinsam

Wo stehen die deutschen Hochschulen? Das war Thema der Podiumsdiskussion “Hochschulen nach Corona – Zwischenbilanz & Entwicklungsperspektiven”. Zunächst wurde festgehalten, dass die meisten Hochschulen sich strategisch mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen. Eine weitere Erkenntnis aus dem Monitor Digitalisierung 360°: Zwei Drittel der Studierenden wünschen sich multimedialere und interaktivere Lehre. Die Teilnehmenden der Diskussion waren sich einig, dass hybride synchrone Vorlesungen diesem Anliegen nicht gerecht werden. Digitale Tools sollten eher genutzt werden, um neue Lehrformate zu entwickeln. Die Freiheit der Lehre dürfe hierbei keine Ausrede sein: “Freiheit der Lehre bedeutet nicht Freiheit für schlechte Lehre”, betonte Julius-David Friedrich (HFD). Alina Dieminger, Teilnehmerin des DigitalChangeMaker-Programms, wünschte sich, dass die Einbindung von Studierenden nicht nur vom Wohlwollen einzelner Lehrender abhängt, sondern auch auf strategischer Ebene systemisch verankert wird. Stärkere Kollaboration wurde auch hochschulübergreifend gefordert: Ein Dialog zwischen Politik, Hochschulleitungen und Lehrenden sei die Grundlage, um gemeinsame Ziele zu definieren und Unterstützungsstrukturen zu schaffen. Eine große Herausforderung sei dabei das föderale Bildungssystem. Andrea Frank (Stifterverband) plädierte für neue Formen der länderübergreifenden Zusammenarbeit, etwa bei Infrastruktur-Themen, und forderte: “Nicht nur voneinander lernen, sondern miteinander Handeln!”

Manche Festival-Beiträge zielten direkt darauf ab, vom Reden ins Handeln zu kommen. Für neue Impulse sorgten unter anderem Franz Vergöhl und Bonny Brandenburger. Sie gründeten im Rahmen des Festival das Netzwerk für studentische Partizipation in der Lehre. Ziel des Netzwerks ist es, Studierende gleichberechtigt in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und eine Austauschplattform zu schaffen.

✨ Festival-Stimmung

Das University:Future Festival ist mehr als eine Fachkonferenz – dafür sorgten nicht zuletzt zahlreiche interaktive und kreative Angebote, die nähere und fernere Zukünfte plastisch erlebbar machten. Im Rahmen von HFDvisions wurde unter Anleitung von Elsa Wormeck ein LEGO-Serious-Play-Workshop durchgeführt. In Gruppen arbeiteten die Teilnehmenden kollaborativ an Visionen für eine „Hochschule der Zukunft“. Ebenfalls initiiert von HFDvisions wurde eine studentische Zukunfts-Ausstellung gelauncht. In Berlin konnte darüber hinaus eine Sonderausstellung zur digitalen Transformation in der Architektur der Jade Hochschule bestaunt werden. Bei den abendlichen Get:togethers wurde es bunt: Auf der ORCA.nrw-Stage hieß es “Wer wird MillionOER?”, in Heilbronn wurde der Abend mit KI-Musik untermalt. In Berlin konnten die Teilnehmenden des Abendempfangs ihre Buddys für KI-generierte Bilder finden. Auch dezentral machte sich an einigen Hochschulen Festival-Stimmung breit: Erstmalig wurden mehrere Public-Viewing-Events durchgeführt.

👉 Fazit

Was nehmen wir mit aus so vielen Impulsen? Einige Themen zogen sich, auch Track-übergreifend, wie rote Fäden durch zahlreiche Beiträge. Das enstpricht unserem Verständnis von Digitalisierung: Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern berührt als Querschnittsthema zahlreiche Anliegen und Herausforderungen der Hochschulentwicklung:

  • Anpassungsfähigkeit und Agilität: Hochschulen müssen sich schneller an neue Entwicklungen anpassen und in der Lage sein, auf neue Anforderungen reagieren zu können. 
  • Integration von Digitalisierung: Hochschulen müssen befähigt sein, innovative Technologien effektiv einzusetzen, um Lernprozesse zu verbessern, den Zugang zu Bildung zu erweitern und neue Möglichkeiten für Kollaboration und Vernetzung zu schaffen.
  • Studierendenzentrierung: Insbesondere die zahlreichen studentischen Teilnehmenden forderten, die Perspektive der Lernenden auf allen Ebenen des Hochschullebens noch stärker zu berücksichtigen. Das Thema “Future Skills” stieß bei allen Besucher:innen des Festivals auf besonders großes Interesse.
  • Inklusion und Diversität: In zahlreichen Beiträgen spielten die Bedeutung von inklusiver Bildung, die Stärkung von Frauen in der Wissenschaft, die Unterstützung von Studierenden mit Behinderungen und die Anerkennung der Vielfalt kultureller Hintergründe und Perspektiven eine wichtige Rolle.
  • Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein: Immer wieder wurde die (Vorreiter-)Rolle von Hochschulen bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel betont. Zentrale Themen waren die Förderung von umweltfreundlicher Infrastruktur und Vernetzung von Wissenschaft und Gesellschaft zur Lösung ökologischer Probleme.
  • Internationale Zusammenarbeit und Vernetzung: Angesichts der globalen Dimension zahlreicher Herausforderungen war die Bedeutung von internationaler Zusammenarbeit und Vernetzung ein wichtiges Querschnittsthema.

Es fällt auf: Keine der genannten Herausforderungen kann von einzelnen Personen an einzelnen Hochschulen gelöst werden. Für die digitale Transformation an Hochschulen brauchen wir einen beständigen Austausch mit allen beteiligten Akteur:innen. Diese Zusammenfassung möchten wir daher als Einladung verstehen, die beim University:Future Festival 2023 angestoßenen Diskussionen fortzuführen, in gelebte Praxis zu überführen und neue Erkenntnisse zu teilen.

Tatsächlich schlägt das Festival bereits Wellen. Darüber freuen wir uns sehr. Abschließend haben wir daher einige lesens- und hörenswerte Rückblicke und Diskussionsbeiträge zusammengefasst.

Immer noch nicht genug? Weitere Beiträge zum University:Future Festival sind in Arbeit.

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