Wie vielfältig kann digitale Interaktion sein? Dr. Tobias Seidl (Twitter: @drseidlt) ist Professor für Schlüssel- und Selbstkompetenzen Studierender an der Hochschule der Medien in Stuttgart. In Kooperation mit dem Hochschulforum Digitalisierung hat er eine Methodensammlung für digitale Interaktion erstellt, die Methoden für Online-Meetings, -Veranstaltungen und -Workshops beinhaltet. Die entwickelten Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten sind vor allem für Webinare geeignet.

Digitale Veranstaltungen als das neue Normal

Egal ob in Universitäten, Unternehmen oder in Schulen: Kommunikation, Interaktion und Kooperation haben sich in Zeiten von Corona sehr verändert. Für einige sind digitale Veranstaltungen bereits vor dem Pandemieausbruch Alltag gewesen. Doch für viele ist die fast vollständige Verschiebung der Kommunikation und Zusammenarbeit ins Digitale eine große Umstellung. In Lernformaten des Blended Learning werden Präsenzveranstaltungen und digitale Lernformen bewusst miteinander verknüpft. Es wird das Beste aus beiden Welten vereint. Denn das persönliche Aufeinandertreffen und die direkte Interaktion im physischen Raum ist für unser soziales Miteinander ein wichtiger Bestandteil.

In einer Ausnahmesituation wie einem Pandemieausbruch, in der die Welt des physischen Kontakts völlig heruntergefahren wird, braucht es daher neue Formen der Interaktion und des Kennenlernens in digitalen Räumen. Als Studentin habe ich durch ein digitales Semester und Home-Office in letzter Zeit an vielen Online-Meetings teilgenommen. Von Meetings im eigenen Arbeitsteam mit Kolleg*innen bis hin zu digitalen Veranstaltungen mit hunderten von Teilnehmenden, in denen ich niemanden persönlich kannte. Meetings mit Unbekannten können sehr anonym bleiben und die Hürde sich selbst einzubringen ist meist höher, als bei bekannten Kolleg*innen oder Kommiliton*innen. Dennoch war ein Workshop, mit einer zusammengewürfelten Gruppe sich völlig unbekannter Menschen, eine der besten Veranstaltungen, die ich in letzter Zeit online besucht habe. Durch eine aktiv angeführte Methode zum Einstieg wurde das Eis schnell gebrochen und die Teilnehmenden haben Einblicke in ihr Leben und ihre Persönlichkeit gegeben. So wurde gleich auf einer anderen Ebene in die Zusammenarbeit gestartet. Es waren nun nicht mehr nur eine Vielzahl fremder Gesichter auf meinem Bildschirm, sondern der glückliche junge Mann, der grade Vater geworden war und die Studentin, die grade ein Start-Up gegründet hat. In Arbeits- und Lernkontexten, die ausschließlich digital stattfinden, muss die soziale Ebene besonders berücksichtigt werden und das Kennenlernen und  der Austausch in Online-Meetings aktiv mitgedacht und eingeplant werden.

Methoden für digitale Interaktion: Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten

Aus diesem Anlass ist das Methodenset der Digitalen Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten entstanden, inspiriert durch das Kreativitätsmethoden-Set „Delight“. Das analoge „Delight“-Kartenset dient zur Erarbeitung innovativer Ideenansätze in Lehrveranstaltungen und beinhaltet unter anderem Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten. Vertrauenskarten fördern das Kennenlernen und Team-Building und Break-Karten adressieren kurze gemeinsame (Denk-)Pausen, in denen Bewegung und kreative Übungen für neue Energie sorgen. Das sind bewährte Methoden, die in Präsenzveranstaltungen genutzt werden. Doch auch für digitale Veranstaltungen gibt es Übungen, Spiele und Methoden, um Team-Building, Kennlernprozesse und Vertrauensbildung zu fördern. Die Digitalen Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten können hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Viele der digitalen Karten können einfach direkt in einem Meeting angewendet und von dem/der Moderator*in vorgelesen werden. Andere Methoden brauchen eine kurze Vorbereitung durch den/die Organistator*in der Veranstaltung und werden durch ein Online-Whiteboard oder ein paar analoge Werkzeuge unterstützt. Material, das über Computerhardware und ein Videokonferenztool hinaus benötigt wird, ist auf den Methodenkarten vermerkt. Genauso die minimale oder optimale Personenzahl. Für manche Übungen empfiehlt es sich, eine größere Gruppe in Break-Out-Rooms in kleine Teilgruppen zu splitten oder Tandems zu bilden.

Vertrauenskarten – Als Team zusammenfinden und digitale Interaktion stimulieren

Es ist besonders wertvoll in einer ersten digitalen Veranstaltung Zeit und Energie für das Kennenlernen zu investieren. Aber auch in bekannten Konstellationen stärken Vertrauensübungen Empathie und Gemeinschaftsgefühl und fördern gute Zusammenarbeit. Auf den Vertrauenskarten sind solche Methoden gesammelt, um leicht in Online-Veranstaltungen umgesetzt werden zu können.

Für ein erstes Kennenlernen sind die Methoden Namen-Impuls und Objektvorstellung sehr gut geeignet. Während bei einer Runde Namen-Impuls das Erlernen der Namen im Vordergrund steht, stellen sich die Teilnehmenden bei der Objektvorstellung durch ein zufällig ausgewähltes Objekt vor und teilen so kleine Details über ihre Persönlichkeit mit. Teams können sich auf dieser Basis neu zusammenfinden oder neue Kolleg*innen und Kommilliton*innen gezielt integrieren werden.

Oft sind es kurze Gespräche nebenbei und der Small Talk an der Kaffeemaschine, in denen wir Erlebnisse oder Entdeckungen mitteilen. In einer Online-Session kann derartiges mit Hilfe der Vertrauenskarte Web-Safari stattfinden, durch die jede*r einen Beitrag teilen kann, der ihn oder sie besonders inspiriert.

In Präsenzworkshops können in so genannten Aufstellungen die Teilnehmenden sich zu verschiedenen Fragen im Raum positionieren. Das ermöglicht eine Visualisierung der persönlichen und inhaltlichen Ausrichtung. Die Methoden Post-it-Kacheln und Virtuelle Aufstellung ermöglichen dies auch im digitalen Raum. In Online-Veranstaltungen kann so ein Eindruck von den Haltungen und Standpunkten der anderen Mitmachenden vermittelt werden. Das ermöglicht den Teilnehmenden ein Gefühl für gemeinsame Werte und gemeinsame inhaltliche Positionen zu bekommen.

Vertrauen in einem (bereits bekannten) Team untereinander, baut sich besonders durch gemeinsam geteilte persönliche Eindrücke und Erlebnisse auf. Die Methoden Wahr oder falsch?, Team-Tour, Zeigen und erzählen und Wo sind wir? machen die Persönlichkeiten und Kulturen der teilnehmenden Menschen sichtbar.

Eine weitere Vertrauenskarte, die sich besonders für Team-Building eignet, ist die Superkraft-Methode. Mit dieser Übung werden ganz bewusst die eigenen Fähigkeiten, die jede*r Einzelne mit in eine Gruppe bringt, reflektiert. Ein guter Weg, um auch die Stärken, die in Online-Meetings nicht sichtbar werden können zu teilen und davon als Gruppe zu profitieren.

Take-A-Break-Karten – In gemeinsamen Pausen Energie tanken

In Online-Veranstaltungen fallen die kurzen Gespräche zwischendurch meist weg, da immer nur eine Person in einer Gruppe reden kann. Dabei sind kurze (Denk-)pausen wertvoll für fokussierte Arbeitsphasen und für kreative Ideenentwicklung. Aus diesem Grund haben wir Take-A-Break-Karten entwickelt.

Gemeinschafts-Methoden, die die soziale Ebene adressieren, sind die Methoden Guten Appetit!: Ein gemeinsames virtuelles Mittagessen, Erster Job, Ausatmen und Eins bis Zwanzig. Sie schaffen Raum und Zeit für ungezwungene Gespräche oder stärken die Teamkultur durch ein gemeinsames Ziel – in Form einer Challenge.

Für einen kurzen Lacher oder ein schnelles Erfolgserlebnis sorgen die Spaß-Methoden. Schere-Stein-Papier, Emojis raten und Farbfilter basteln.

Kreativität anregen und sich eine Pause von dem fokussierten inhaltlichen Arbeiten zu nehmen, dazu eignen sich die Kreativität-Methoden: Ob gemeinsam verrückte Geschichten spinnen und erleben, durch ABC-Geschichten und Buchstabensalat oder Geräusche raten und eine imaginäre Filmproduktion erschaffen. In virtuellen Räumen, zu denen auch unsere Vorstellungen zählen, sind unseren Ideen keine Grenzen gesetzt, es gibt kein Richtig und Falsch! Die Methoden Wenn du ein Tier wärst und Zeichne deine*n Nachbar*in schweißen ein Team zusammen.

Als kurze Energizer bringen die Bewegung-Methoden neuen Schwung in die Veranstaltung. Durch Berührt etwas, das…, gemeinsam Figuren bilden, Spiegeln oder Hoch-Runter-Rechts-Link kann die Vitalität der Teilnehmenden gesteigert werden.

Ausprobieren, kennenlernen und Spaß haben

Wenn man bisher keine oder wenig Erfahrungen mit solchen digitalen Methoden hat, kann der Einstieg Überwindung kosten. Tipp: Das Ausprobieren neuer Methoden fällt in bereits bekannten Gruppen leichter. Es kann auch helfen die Teilnehmenden einer digitalen Veranstaltung darauf einzustimmen, z.B. durch einen Tagesablauf in einer kurzen Mail vorab. Oder man eignet sich als Team mit den Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten neue Methoden an: jede*r moderiert abwechselnd eine Übung.

Nicht alle Methoden eignen sich für jede Konstellation und Veranstaltung, denn nicht jede*r möchte persönliche Geschichten oder Erfahrungen in einem Arbeitsumfeld teilen. Tipp: Viele Methoden können in zwei Varianten angewendet werden. Entweder wird stärker die persönliche Ebene angesprochen oder die inhaltliche. Durch die Anpassung der Vertrauenskarten und Take-A-Break-Karten und die Auswahl von Themen und Fragen kann auf die jeweilige Gruppe von Studierenden, Arbeitskolleg*innen oder anderen Gruppenkonstellationen eingegangen werden.

Es kann vorkommen, dass sich Menschen vor einer Webcam unwohl fühlen, wenn sie etwas Unsinniges tun sollen. Tipp: Der/die Moderator*in kann die Unsicherheit aufheben, indem er oder sie als erste*r mit gutem Beispiel vorangeht.

Je mehr Methoden man ausprobiert, desto mehr kann man experimentieren und sich eigene Übungen ausdenken! So können die kleinen Momente zwischendurch, eine Nachfrage an die Nachbarin, aus dem sich ein Chat-Gespräch entwickelt und kurze Lachpausen in Online-Meetings leichter hervorgebracht werden. Teilen Sie gerne Ihre Erfahrungen mit unserem oder anderen Methodensets für digitale Interaktion in den Kommentaren. Viel Spaß beim Ausprobieren!