Zukunft kreieren, Zukunft generieren? Warum die Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz die Science Fiction braucht
Zukunft kreieren, Zukunft generieren? Warum die Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz die Science Fiction braucht
10.07.25
Wer Ethik und KI sagt, muss auch Science Fiction sagen? Ein kurzer Blick auf die Inspiration, die Big Tech aus der Science Fiction zieht, und eine Einladung, Science Fiction als mediendidaktische Methode zu nutzen.
Science Fiction: Für viele mag das noch immer vor allem mit Laserpistolen und skurrilen Außerirdischen, mit der Kolonialisierung fremder Planeten und sense of wonder zu tun haben.
Die mediale Realität ist jedoch vielschichtiger. Science Fiction, das bedeutet auch soziale oder technologische Visionen zu entwickeln, die ihre Wurzeln in Diskursen der Gegenwart haben. Und über die Rezipierenden, über Pop-, Sub- und Netzkulturen, sickert die Science Fiction wiederum zurück in den Alltag. Egal, ob man selbst entsprechende Medien konsumiert: Über den Einfluss, den sie auf verschiedenste Bereiche von Design über Sprache, sogar auf die Politik nehmen, kommen wir alle in Kontakt zu ihren Ideen.
Science Fiction als Methode
Man kann sich diese Wechselwirkungen in der Bildung zunutze machen. Die Design Fiction etwa nutzt artefaktorientierte Szenarien, um mögliche Zukünfte und Wandlungsfähigkeit zu diskutieren. Die Phantastische Bibliothek Wetzlar will mit der Sektion „Future Life“ Innovationsprozesse durch Ideen aus der Science-Fiction-Literatur unterstützen. Und die didaktische Methode des „Science Fiction Thinking“ lädt dazu ein, mittels kreierter Zukunftsszenarien Organisationsentwicklung neu zu denken und generell Visionen abseits bekannter Pfade zu entdecken.
Auch im Hochschulkontext sind solche Methoden inzwischen verankert. Auf dem University: Future Festival boten z. B. die TH Rosenheim und die BSP Business & Law School entsprechende Workshops an. Im Projekt „Kultur der Digitalität an der Hochschule Koblenz“ (KuDiKo)[1] haben wir bereits im Februar den Themennachmittag „Zukunft kreieren, Zukunft generieren? Science Fiction, Zukunftstechnologien und die Gegenwart“ veranstaltet. Prof. Dr. Schenkel-Häger und Ben Sander, Lehrende aus dem Studiengang „Gesundheits- und Sozialmanagement“, stellten hier vor, wie in ihren Lehrveranstaltungen Robotik in der Pflege oder Zukunftsszenarien der Klinikentwicklung eine Rolle spielen. Im Anschluss haben Autorin Theresa Hannig und Science-Fiction-Expertin Dr. Rebecca Haar den Bogen zu Science-Fiction-Werken geschlagen.
Science Fiction als Inspirationsquelle
Die Verbindung insbesondere zwischen Science Fiction und Technologien ist dabei keine Spielerei, im Gegenteil: Science Fiction ist eine der Inspirationsquellen für die Big Tech des Silicon Valley und darüber hinaus.
So drückt es Astro Teller, Leiter eines Zukunftslabors von Alphabet (Google), Teller im Interview mit Zeit.de aus. Ob Zuckerbergs Metaversum-Vision oder Sam Altmans Stargate: Suchen muss man auf jeden Fall nicht lange nach Anspielungen auf Genrewerke und -begriffe.
KI reiht sich hier in besonderem Maße ein. Die Erzählung, mit der generative KI den Konsumenten schmackhaft gemacht wird, ist tief von Science Fiction geprägt. „her“ – mit diesem Posting kündigte Sam Altman seinerzeit ChatGPT-4c auf X an, wohl eine (von mehreren) Anspielungen auf den gleichnamigen Film, in dem sich der von Joaquin Phoenix gespielte Protagonist in eine Sprach-KI verliebt. Ohne solche Bezüge wäre es viel schwieriger, KI-Assistenten und Co. zu verkaufen – falls sie denn überhaupt erst entwickelt worden wären.
Ebenso ist die KI-Ästhetik stark von Science Fiction beeinflusst. Das gilt sowohl für ihre vermenschlichenden Roboter-Darstellungen als auch für die Bildsprache, mit der insbesondere Midjourney groß geworden ist. Man denke etwa an das entsprechend generierte „Théâtre d’ Opéra Spatial“, mit dem Jason M. Allen 2022 einen Wettbewerb gewonnen und die erste große Diskussion über generierte Kunst und Urheberrechte losgetreten hat.
Wenig überraschend zeigt auch AI Slop häufig Verbindungen zur Science-Fiction-Popkultur. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Bildgeneratoren, die im Wesentlichen Bilder mit bereits bekannten Muster generieren, so mit einem Genre verwoben sind, das doch gerade Neues kreieren will.

Science Fiction als Warnung
Die Nähe der Künstlichen Intelligenz zur Science Fiction wird keineswegs verschleiert, sondern im Gegenteil gefeiert. Vergessen werden sollte allerdings nicht, dass die technologischen Vorbilder in Film und Buch typischerweise (auch) kritisch betrachtet werden und in dystopische Erzählungen eingebunden sind. Hingegen wird generative KI aktuell gerne als nächste Stufe der Evolution stilisiert.
In ihrem Vortrag im Rahmen des Themennachmittags hat Theresa Hannig dann auch angemahnt, dass in Bezug auf KI die Science Fiction zwar voller Warnungen und Ängste steckt, die aktuell bestehenden Probleme mit der „realen KI“ – Bias, Datendiebstahl, prekäre Arbeitsbedingungen, Überwachung, Fake News u. a. – werden aber nicht oder kaum angesprochen.
Doch genau hier schließt sich wieder der Bogen zur Mediendidaktik und deren Beschäftigung mit KI. Der Themennachmittag „Zukunft kreieren, Zukunft generieren?“ war eingebettet in eine Reihe rund um Ethik und KI. Und um die Dimensionen dieses Komplexes zu begreifen, muss man die Quellen von KI beleuchten, inklusive der Science Fiction. Das umschließt deren Narrative, deren Ästhetik, selbst mit ihr verbundene Bewegungen und Ideologien: Die Raumfahrt als selektierendes Moment. Beeinflusste Schwarmintelligenz als Vision einer sich entwickelnden Menschheit.
Science Fiction als Abwägen
Daneben kann Science Fiction als Methode dabei helfen, wiederum auszuloten, wohin wir uns wenden.
Im Rahmen der offenen Diskussion bei unserem Themennachmittag fiel beispielsweise auf, dass die Stimmung in den Fachbereichen der Hochschule Koblenz von einer eher optimistischen Aufbruchsstimmung bis hin zu einer kritisch bis pessimistischen Stimmung reicht. Auch in der Praxis zeigt sich zweierlei: Im von Ben Sander vorgestellten Projekt zum Einsatz von Pflegerobotern in Altenheimen waren die Bewohner:innen geteilt in Ängstliche, Skeptische und solche, die die Nähe des Roboters geschätzt haben.

Was wäre, wenn?
Was wäre, wenn…?
…Wenn Roboter menschliche Pflegekräfte ersetzen? Wenn sich regenerative Technologien und nachhaltiges Bauen durchsetzen? Wenn sich über KI-Assistenten problematische Ideologien festsetzen? Wenn die Schwarmintelligenz zu neuen Lösungsansätzen findet? Wenn Kliniken unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten hätten?
Optimistische und pessimistische Visionen sind gleichermaßen möglich und didaktisch hilfreich. Das Zusammenspiel beider kann helfen, KI und andere Zukunftstechnologien von einem nüchternen Standpunkt als das zu betrachten, was sie letztlich sind: Werkzeuge, deren Umgang heute für die Kultur der Digitalität von morgen gelernt werden muss.
Science Fiction ist eben nicht nur eine Erzählung von der Zukunft, sondern auch vom Heute. Und Hochschulen tragen ihren Teil dazu bei, zu entscheiden, wohin die Reise geht.
Fußnoten
[1] Das Projekt KuDiKo wird in der Förderlinie „Hochschullehre durch Digitalisierung stärken“ der Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ unter dem FKZ FBM-EA-580-06530 gefördert



Autor:in:

Seit 2018 arbeitet Alessandra Reß im E-Learning-Support verschiedener rheinland-pfälzischer Hochschulen, aktuell als Teilkoordinatorin für Digitale Lehrkompetenz im Projekt „Kultur der Digitalität an der Hochschule Koblenz“ (KuDiKo). Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen OER, KI und digitale Barrierefreiheit. Daneben ist sie als Autorin und Redakteurin tätig.