Elterngespräche souverän führen: Wie Virtual Reality Lehramtsstudierende auf die Praxis vorbereiten kann

Elterngespräche souverän führen: Wie Virtual Reality Lehramtsstudierende auf die Praxis vorbereiten kann

02.07.25

Ein Bild von einer Virtual-Reality-Brille und dem Text “Elterngespräche souverän führen: Wie Virtual Reality Lehramtsstudierende auf die Praxis vorbereiten kann. Ein Blogbeitrag von Frederike Knabbe.”

Elterngespräche gehören zum Berufsalltag von Lehrkräften, sorgen aber oft für Unsicherheit und Stress – vor allem, da angehende Lehrkräfte auf diese Situation kaum praktisch vorbereitet werden. In diesem Blogbeitrag beschreibt Friederike Knabbe das im Rahmen des StIL-geförderten Projekts „DigiTaL – Digital Transformation Lab for Teaching and Learning“, bei dem Virtual Reality dazu genutzt wird, die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überwinden indem Lehramtsstudierende die Gelegenheit erhalten, Gesprächssituationen mit Eltern in einer virtuellen Umgebung zu üben.

Elterngespräche gehören zu den zentralen Aufgaben im Berufsalltag von Lehrkräften (Hertel, 2009) und stellen gleichzeitig eine der größten Herausforderungen dar. Besonders für angehende Lehrkräfte ist die Kommunikation mit Eltern nicht immer einfach. Die Gespräche können emotional aufgeladen sein, Missverständnisse können entstehen oder auf beiden Seiten kann Angst vor Vorwürfen herrschen. Beratungskompetenz von Lehrkräften und die damit verbundene Selbstwirksamkeit zum Führen von Elterngesprächen ist ein zentraler Faktor für eine erfolgreiche Kooperation zwischen Lehrkräften und Eltern (Gartmeier, 2018). Umso wichtiger ist es deshalb, die Lehrkräfte schon in frühen Phasen der Lehrkräftebildung auf Elterngespräche vorzubereiten. 

Bislang zeigt sich hier jedoch eine Lücke in der universitären Lehrkräftebildung: Inhalte rund um Elterngespräche werden zwar theoretisch vermittelt, jedoch fehlen häufig praxisnahe Vorbereitungen und Übungsmöglichkeiten, die den Studierenden authentische Beratungssituationen bieten. Für ein praxisnahes Lernen gibt es verschiedene Formate und Ansätze, beispielsweise den Einsatz von Rollenspielen oder Fallanalysen. Diese Formate können den Kompetenzaufbau der Studierenden fördern, allerdings stoßen sie auch schnell an Grenzen, beispielsweise durch fehlenden Realismus oder zu geringe Komplexität. Für den Aufbau von den Beratungskompetenzen sind erfahrungsbasierte Ansätze allerdings essenziell, denn sie erlauben es den Studierenden „flexibel und angemessen auf eine Vielzahl komplexer Situationen zu reagieren“ (Adam et al., 2024, S. 224).

Erfahrungsbasiertes Lernen durch Virtual Reality

An dieser Stelle kommt Virtual Reality (VR) ins Spiel. Neuere technologische Entwicklungen bieten innovative Möglichkeiten, um die beschriebene Lücke zwischen Theorie und Praxis zu überwinden. Immersive VR-Technologie ermöglicht Lehramtsstudierenden, Elterngespräche in einem geschützten, virtuellen Raum zu trainieren. Sie erleben das Elterngespräch aus der Ich-Perspektive, reagieren aktiv auf verschiedene Gesprächsverläufe und können sich ausprobieren und Fehler machen, ohne dass diese reale Konsequenzen für das Gespräch haben.

Im Rahmen des StIL-geförderten Projekts „DigiTaL – Digital Transformation Lab for Teaching and Learning“ hat unser Team VR-Anwendungen für das Training sozialer Kompetenzen in der Hochschulbildung entwickelt. Eine dieser Anwendungen richtet sich gezielt an Lehramtsstudierende. Das Training versetzt die Studierenden in die Rolle einer Lehrkraft, die ein Elterngespräch – mit einer real gefilmten und virtuell vermittelten Gesprächspartnerin und realistischen Gesprächsverläufen – führt. Die weiteren Trainings beschäftigen sich mit dem Training von Bewerbungsgesprächen und Gehaltsverhandlungen.

Design und Bedienung des Trainings

Um ein interaktives und dynamisches Elterngespräch zu simulieren, entwickelten wir eine passende VR-Trainingssoftware. Die Idee des Trainings ist, dass auf die Aussagen der Teilnehmer:innen mit Videos reagiert werden kann. Die Software der VR-Trainings wurde mithilfe der Software Unity3D und der Programmiersprache C# erstellt. Die Grundlage des Trainings bildeten 3D-360°-Videos (Insta360 Pro2), in denen eine professionelle Schauspielerin die Gesprächspartner:in darstellte, mit der das Elterngespräch geführt wird. Wir integrierten die Videos anschließend in Unity3D, um eine flexible Steuerung des Trainings zu entwickeln. Insgesamt sind rund 136 Videos entstanden, mit denen das Elterngespräch durch Testleiter:innen gesteuert werden kann. Die Videos sind nach Gesprächsphasen geordnet und als auswählbare Optionen im Anwendungsinterface hinterlegt. In der VR-Bedingung wurden die Videos der interagierenden Mutter auf einer VR-Brille (Oculus Quest 2) angezeigt. Sie übernahmen aktiv die Gesprächsführung und reagierten mündlich auf die Beiträge der (virtuellen) Mutter. Der Gesprächsverlauf wurde dabei von geschulten Testleiter:innen begleitet, indem sie das nächste Video der Mutter anhand der Antworten und Reaktionen der Teilnehmer:innen auswählten. Anschließend an das Gespräch bekamen die Teilnehmenden individuelles Feedback zu ihrem Gespräch, das Stärken und Entwicklungspotentiale aufzeigte.

Studie: VR vs. Chat – was wirkt besser?

Um die Wirkung des VR-Trainings zu evaluieren, haben wir eine Studie (N = 102) durchgeführt, in der wir die Effektivität des immersiven VR-Trainings für Elterngespräche mit einem Chat-basierten Trainingsprogramm verglichen haben. Die Teilnehmer:innen der Studie wurden randomisiert einer Trainingsbedingung zugewiesen: entweder (1) dem immersiven VR-Training mit VR-Brille und 360° Videos oder (2) der Kontrollgruppe mit dem Chat-Training. Der Gesprächsablauf blieb in beiden Gruppen gleich und die Studierenden sollten ein problemorientiertes Elterngespräch führen. 

Zur Vorbereitung auf das Elterngespräch erhielten die Teilnehmer:innen drei Tage vor dem Training Informationen über das anstehende Elterngespräch. Mithilfe dieser Unterlagen sollten die Teilnehmer:innen sich auf das Beratungsgespräch mit der Mutter eines Schülers vorbereiten.

Die Studie untersuchte die Effekte des neu entwickelten VR-Trainings für Elterngespräche auf die selbst eingeschätzte Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich schulischer Beratungsgespräche, die Angst vor Elterngesprächen, die Leistungsvorhersage – wie gut man das Gespräch führen wird – und das Selbstwertgefühl. Erhoben wurden die Skalen durch einen Fragebogen vor dem VR-Elterngespräch und direkt nach dem VR-Elterngespräch. Das Cognitive-Affective Model of Immersive Learning (CAMIL, Makransky & Petersen, 2021) besagt, dass Präsenz im virtuellen Raum und die Handlungsfähigkeit die allgemeinen psychologischen Voraussetzungen des Lernens in VR sind. Das Präsenzgefühl – die virtuelle Situation wirklich zu erleben – soll auf die Selbstwirksamkeit und die Angst wirken, und schließlich die Gesamtleistung positiv beeinflussen (Makransky & Petersen, 2021).

Ausblick: VR als Zukunftsmethode der Lehrkräftebildung?

Unsere Ergebnisse stimmen optimistisch: Im Vorher-Nachher-Vergleich schätzten sich die Teilnehmenden bezüglich der Beratungskompetenz in beiden Gruppen (VR und Chat) selbstwirksamer ein. Die Angst vor dem nächsten Elterngespräch reduzierte sich zum zweiten Messzeitpunkt in beiden Gruppen und die Leistungsvorhersage stieg in beiden Gruppen an. Jedoch schnitt die VR-Bedingung nicht signifikant besser ab als die Chat-Bedingung. Eine Einschränkung ist, dass die Teilnehmenden in der VR-Gruppe mündlich und in der Chat-Gruppe schriftlich interagieren mussten. Dadurch hatte die Kontrollgruppe im Chat mehr Zeit, über ihre Fragen und Antworten nachzudenken, während die Versuchsgruppe mit der VR-Bedingung schneller reagieren musste. Das wird auch in der Trainingszeit deutlich, denn die VR-Bedingung brauchte circa 30 % weniger Zeit als die Chat-Bedingung. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es sich lohnt, Elterngespräche zu üben. VR eignet sich als immersives Instrument in der Lehrkräftebildung – vor allem zum Training kommunikativer Kompetenzen. Hierbei hilft VR den Lernprozess realistisch zu gestalten. 

Die Entwicklung der VR-Anwendungen brachte unserem Team viele inhaltliche und technische Erkenntnisse. Unser Team konnte vielfältige Erfahrung im Umgang mit Unity3D, C#, 3D-360°-Videoaufnahmen und VR-Headsets sammeln, um die VR-Anwendung zu gestalten. Ein zentrales Learning war, dass die Entwicklung dieser technischen Fähigkeiten umfangreiche zeitliche Ressourcen und Planungsaufwand benötigt. Zukünftige Projekte sollten ausreichend personelle und zeitliche Kapazitäten für diesen Prozess einplanen. 

Unsere VR-Anwendungen (Elterngespräch und Bewerbungsgespräche) sind als kostenloser Download für Hochschulen oder Einrichtungen wie Career Center verfügbar, die die Entwicklung kommunikativer und sozialer Kompetenzen gezielt fördern möchten. Unser Ziel ist es, eine langfristige, praxisnahe VR-Lernumgebung zu schaffen, die über die Leuphana hinaus genutzt werden kann.

Adam, Y., Petrowsky, H. M., Loschelder, D. D., & Kuhl, P. (2024). Virtuelle Realitäten zur Kompetenzentwicklung und Reflexion in der universitären Lehrkräftebildung am Beispiel von Elterngesprächen. In Digital-gestütztes Üben im Fachunterricht: Aktuelle Entwicklungen, Gegenstände und Prozesse (1. Auflage). Beltz Juventa.

Gartmeier, M. (2018). Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern. Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19055-2

Hertel, S. (2009). Beratungskompetenz von Lehrern: Kompetenzdiagnostik, Kompetenzförderung, Kompetenzmodellierung. Waxmann.

Makransky, G., & Petersen, G. B. (2021). The Cognitive Affective Model of Immersive Learning (CAMIL): A Theoretical Research-Based Model of Learning in Immersive Virtual Reality. Educational Psychology Review, 33(3), 937–958. https://doi.org/10.1007/s10648-020-09586-2

Autorin

Friederike Knabbe hat Lehramt für die Fächer Deutsch und Kunst an der Leuphana Universität Lüneburg studiert und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin sowie Doktorandin am Institut für Psychologie in der Bildung. Derzeit arbeitet sie im Projekt „Digital Transformation Lab for Teaching and Learning” (DigiTaL) an der Leuphana. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Professionalisierung und Kompetenzentwicklung durch digitale Trainingstools in der Lehramtsausbildung mit dem Schwerpunkt Elterngespräche. Derzeit untersucht sie die Kompetenzentwicklung in Elterngesprächen durch den Einsatz eines Virtual Reality Trainings.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert