EU-Interventionen in der Hochschulbildung – Mehr Wirkung mit weniger Aufwand?
EU-Interventionen in der Hochschulbildung – Mehr Wirkung mit weniger Aufwand?
18.09.25
Am 16. Juli 2025 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für die Verordnung über das Programm Erasmus+ 2028-2034 veröffentlicht. Ein nüchterner Text, der in den kommenden zwei Jahren mit dem EU-Rat und dem Parlament verhandelt werden soll. Das Programm hat zwei Schwerpunkte: erstens die Erweiterung der Lernmöglichkeiten für alle, zweitens die Stärkung der organisatorischen Kapazitäten und die Unterstützung der politischen Entwicklung. Der Teufel steckt in den Details der kommenden Arbeitsprogramme und Ausschreibungen. Soweit ich weiß, zielen die grundlegenden Programmziele auf eine „effektivere Bildung“ und eine „verbesserte Interoperabilität“ innerhalb und zwischen den nationalen Systemen ab.
Auch die Wirksamkeit des Programms ist ein Anliegen der Kommission. In dem Vorschlag heißt es, Erasmus+ solle „den Schwerpunkt seiner Kooperationsaktivitäten verfeinern, u. a. durch die Überprüfung von Finanzierungsmodellen, die Erhöhung der Relevanz der beteiligten Zielgruppen und eine bessere Ausrichtung auf den Ausbau von Kapazitäten und die Steigerung der Qualität“. In diesem Artikel präsentiere ich sechs Vorschläge, wie man die Leistung der Programme steigern und die Wirkung für ein breiteres Publikum schneller erhöhen kann. Ich plädiere für einen Ansatz, der themenorientiert, akteursorientiert und ergebnisorientiert ist, mit leichteren Interventionen, die auf jahrzehntelanger Erfahrung mit Erasmus+ aufbauen. Meine Diskussion beginnt mit den Flaggschiff-Dossiers der europäischen Universitäten, den europäischen Abschlusslabels und den Mikrokrediten und endet mit drei entscheidenden technischen Aspekten.
Lassen Sie die europäischen Universitäten offenkundig thematisch sein
In seinem Beschluss vom 11. September 2025 lobt das Europäische Parlament die europäischen Hochschulallianzen, ohne zu erkennen, dass das Konzept einer hochschulweiten Zusammenarbeit in Gruppen von 6 bis 9 Universitäten schwierig, wenn nicht gar unmöglich, umzusetzen ist
Das Konzept der institutionenübergreifenden Zusammenarbeit ist aufgrund des breiten Spektrums an unterschiedlichen Programmen, die an den Universitäten angeboten werden (und damit der hohen Anzahl an Forschern, Lehrern und anderen Mitarbeitern) und der begrenzten Abstimmung der Fachgebiete zwischen den Partnern als nahezu nicht umsetzbar. Viele interessante Aktivitäten werden mit großem Enthusiasmus unternommen, aber es scheint höchst unwahrscheinlich, dass ein ganzes Korps von Lehrern und Forschern einer Universität, deren Arbeit in hohem Maße von allen möglichen (externen) Entwicklungen abhängt, innerhalb einer begrenzten Anzahl von vordefinierten und oft disparaten Einrichtungen wirklich geeignete, idealerweise langfristige Gegenstücke finden würde.
Die Tatsache, dass die meisten Lehrkräfte und Forscher innerhalb der Partnerschaft keine geeigneten Partner finden, wurde im Bericht der Kommission vom Januar 2025 über das Potenzial und die Ergebnisse der Initiative berücksichtigt (S. 107-108). Der Großteil der akademischen Zusammenarbeit und der Mobilität der Studierenden wird daher außerhalb der Allianzen stattfinden. In Anbetracht dessen wäre es pragmatischer, den Anspruch der institutionenübergreifenden Zusammenarbeit aufzugeben und den Europäischen Universitäten zu erlauben, sich offen thematisch zu orientieren, wie es einige bereits tun. In der Vergangenheit war dies bei den interuniversitären Erasmus-Kooperationsprogrammen (ICP) und den thematischen Erasmus-Netzwerken der Fall und in jüngerer Zeit bei den regional ausgerichteten Centres of Vocational Excellence (CoVE).
In dieser Logik könnte das gewählte Thema einer Europäischen Universität disziplinär, interdisziplinär oder horizontal sein (wie z.B. Weltbürgerschaft). Der thematische Ansatz würde die Zusammenarbeit fokussieren, vertiefen und erweitern. Er würde inhaltliche Innovationen und die Zusammenarbeit mit der Industrie in strategischen Bereichen von europäischem Interesse erleichtern (z.B. gemeinsame Studienprogramme, Praktika, Doppelkarrieren, angewandte und Grundlagenforschung). Akademiker würden sich verantwortlich fühlen. Thematische Allianzen könnten aus einem inneren Kreis aktiverer Mitglieder (etwa 30) und verschiedenen äußeren Kreisen bestehen, die sich austauschen und Beiträge leisten. Universitäten könnten wie bei den olympischen Kreisen mehreren Allianzen parallel beitreten. Auch Einrichtungen aus Drittländern wären willkommen, um die internationale Zusammenarbeit und das Benchmarking zu fördern. Die Zahl der Endnutzer, die davon profitieren, und die Auswirkungen auf ihr Leben und ihre Karriere wären unvergleichlich höher als im Rahmen der derzeitigen, eher restriktiven institutionenübergreifenden Zusammenarbeit möglich.
Auszeichnung europäischer Labels für gemeinsame Einzel-, Doppel- und Mehrfachprogramme
Die Joint Study Programme sind zurück! Sie waren die Vorläufer des Erasmus-Programms in den achtziger Jahren. Im neuen Erasmus+ Vorschlag stehen sie für ein gut abgestimmtes kombiniertes Lernangebot, das nach Ansicht der Europäischen Kommission eines Tages zu einem neuen Abschluss in den nationalen Gesetzbüchern führen soll, der von verschiedenen Institutionen gemeinsam vergeben wird. Die Mitgliedstaaten zögern noch, haben sich aber in einem ersten Schritt auf ein gemeinsames europäisches Abschluss-‚Label‘ geeinigt.
Ein hochgestecktes Ziel, aber gemeinsam ausgestellte europäische Abschlüsse sind aufgrund einer Reihe erheblicher, wenn nicht gar unüberwindbarer Hindernisse, die in dem Dokument der Kommissionsdienststellen vom März 2024 (S. 62-70) genannt werden, ebenfalls nahezu unerreichbar. Das Dokument listet Hindernisse im Bereich der Akkreditierung und Qualitätssicherung, der Programm- und Lehrplanstruktur, der Governance-Struktur, der Einschreibung von Studierenden und der Zulassung auf. 25 Jahre Bologna-Prozess und 20 Jahre Erasmus Mundus haben diese Probleme nicht gelöst. Nach all diesen Jahren gibt es nur ein paar Dutzend Abschlüsse, die wirklich von allen Partnern gemeinsam vergeben werden, und sie richten sich nur an sehr wenige Studierende.
Daher scheint es an der Zeit zu sein, pragmatisch über eine leichtere Alternative nachzudenken, und vielleicht haben wir sie ja schon in der Hand. Ich denke dabei natürlich an Erasmus+, das Programm, in dessen Rahmen 400.000 Studierende pro Jahr einen erheblichen Teil ihres Studiums im Ausland verbringen. Sie folgen Studienpfaden, die inhaltlich und organisatorisch mit den geplanten gemeinsamen Studienprogrammen vergleichbar sind, wenn auch mit einer leichteren Note. Die beteiligten Partneruniversitäten erkennen die Qualität, die Lernergebnisse und die Credits der jeweils anderen Universität in Lernvereinbarungen (Rechtsinstrumenten) an, wobei der Schwerpunkt häufig auf Wahlfächern liegt. Die daraus resultierenden Abschlüsse – kooperative Einzel-, Doppel- oder Mehrfachabschlüsse – sind formell institutionell oder national, aber materiell europäisch. Dies ist eine beachtliche Errungenschaft in Bezug auf die faktische und rechtliche Gemeinsamkeit, auf die man stolz sein und auf die man ohne viel Aufhebens aufbauen kann.
Freuen wir uns also und verleihen wir allen Arten von Kooperationsprogrammen, die es zu Tausenden gibt, feierlich das europäische Gütesiegel, ohne weitere Bedingungen in Bezug auf die Form der Verwaltung oder die Koordinierung festzulegen. Alle Abschlüsse in Europa hat das Recht, anerkannt zu werden. Die überwältigende Mehrheit von ihnen ist institutionell oder national. Sie werden von enthusiastischen Mitarbeitern durchgeführt und sind umso besser, wenn sie eine europäische Dimension haben. Es steht den Universitäten natürlich frei, ihren Abteilungen strengere Regeln aufzuerlegen, und Zuschussgeber, z.B. Erasmus Mundus, mögen ihre eigenen Sonderwünsche haben, aber wir müssen bedenken, dass der maximalistische Ansatz kaum replizierbar und definitiv nicht skalierbar ist.
Der geplante nächste Schritt, ein neuer, gesetzlich festgelegter europäischer Abschluss, ist nicht notwendig, um Kooperationsprogramme für die Welt sichtbar zu machen und von Arbeitgebern geschätzt zu werden. Das Label, etwas Marketing und ein synchronisierter Diplomzusatz reichen aus. Es besteht auch keine Notwendigkeit, gemeinsame Studiengänge neu zu bewerten, die zum großen Teil aus Teilen bestehen, die von Einrichtungen angeboten werden, die bereits von EQAR-registrierten Agenturen akkreditiert wurden (Einmal-einmal-Prinzip). Eine effektivere Ausbildung und eine funktionierende Interoperabilität sind das, was für Studierende, Mitarbeiter und Einrichtungen zählt.
Studienmodule in Form von Micro-Credentials anbieten
Micro-Credentials sind das ultimative Werkzeug zur Erleichterung der Arbeit. Sie füllen eine wichtige Lücke, indem sie die Hochschullandschaft und die Arbeitsmärkte öffnen, die bis vor kurzem von Abschlussmonopolen beherrscht wurden, die Karrieren und persönliche Entwicklung effektiv blockierten. Alle Universitätsmodule verfügen heute bereits über Lernergebnisse, Credits, Niveau, Qualitätssicherung, Stapelbarkeit und Zertifizierung (überprüfbare Authentizität), die nach der EU-Definition Voraussetzung für Mikroausweise sind. Dementsprechend sollte die Einführung von Mikrokrediten relativ einfach sein.
Das Erasmus+ Transcript of Records bescheinigt Studierenden, die in ihr Heimatland zurückkehren, fast 3 Millionen Mal pro Jahr die in den Modulen erworbenen Kompetenzen. Nicht alle Studienmodule werden sofort für Studierende aus anderen Studiengängen zu Hause oder anderswo zugänglich sein, geschweige denn für Studierende ohne Studienabschluss. Aber sie können Schritt für Schritt von freiwilligen Einrichtungen freigeschaltet werden, die dafür eine großzügige outputbasierte Unterstützung auf nationaler und europäischer Ebene verdienen. Das Angebot des privaten Sektors wächst ebenfalls, so dass Fragen des Wettbewerbs und der staatlichen Beihilfen mit dem öffentlichen Sektor dringend geklärt werden müssen.
Universitäten erstellen – und vermarkten – auch Mikrozertifikate außerhalb von Studiengängen für die persönliche oder berufliche Entwicklung. Sie können Mikrozertifikate an Personen ausstellen, die keinen Studiengang absolviert haben, aber durch einen Test oder eine Portfoliobewertung nachweisen können, dass sie ihre Lernergebnisse anderswo, durch früheres Lernen oder durch Arbeits- oder Lebenserfahrung erworben haben. Diese Rolle als Validierer, ein akademisches Vorrecht, kann einen völlig neuen Bereich der universitären Tätigkeit mit hohem Rekrutierungs- und Ressourcenpotenzial eröffnen.
Im Jahr 2022 hat der EU-Rat der Bildungs- und Arbeitsminister zwei Empfehlungen zur Förderung von Micro-Credentials in Kombination mit „individuellen Lernkonten“ angenommen, um die Einführung zu kofinanzieren. Ein pragmatischer Ansatz für die Zugänglichkeit, der Angebot und Nachfrage im Bereich des lebenslangen Lernens über sektorale Silos hinweg verbindet und auf dem Bestehenden aufbaut. Ihre Einführung könnte ein echter Wendepunkt im Hinblick auf die Schaffung von „Lernmöglichkeiten für alle“ werden.
Outputs statt Governance-Formate finanzieren
Auch bei der Finanzierung scheint es starke Argumente zu geben, die für einen leichteren Ansatz sprechen, der themenorientiert, akteursorientiert und ergebnisorientiert ist:
* Gut gewählte und gut beschriebene Ergebnisse
Die EU-Zuschüsse könnten auf Ergebnisse mit großer Hebelwirkung in vorrangigen Bereichen ausgerichtet werden. Ergebnisse, die einer größeren Zahl von Zielgruppen direkt zugute kommen würden, anstatt sich auf komplexe Governance-Formate zu konzentrieren, die Akademiker an den Rand drängen, wie es bei den europäischen Universitäten der Fall ist. Die Auswahl der Prioritätsbereiche und Outputs könnte öffentlich diskutiert werden. Ich würde für Ergebnisse plädieren, die eine effektivere Bildung (z.B. Benchmarking und Verbesserung von Studienprogrammen in strategischen Bereichen) und eine größere Interoperabilität (z.B. umfassende digitale Kurskataloge auf der Grundlage gemeinsamer, von der EU unterstützter Spezifikationen) fördern.
* Klare Maßeinheiten
Glaubwürdige Ergebnisse brauchen präzise Beschreibungen des Inhalts. Sie brauchen auch Maßeinheiten, die auf klar formulierten Kriterien in Bezug auf Aktivität, Umfang, Zeitraum, Partner, Qualität und Wirkung beruhen. Die Antragsteller könnten sich dann an Aufforderungen beteiligen, indem sie ihre eigenen Ausgangswerte und Ziele für die aufgelisteten Outputs vorlegen, zum Beispiel die Anzahl der selbst verliehenen Abschlusszertifikate. Das System kann weitgehend automatisiert werden, wodurch die Notwendigkeit langwieriger Zuschussanträge und Überprüfungen verringert wird.
* Ex-post-Zuschüsse
Bei vergleichbaren Aktivitäten könnte die Vorfinanzierung allmählich durch großzügige Ex-post-Zuschüsse für die erbrachten Leistungen (z.B. pro europäisches Abschlusslabel) ersetzt werden, außer bei Neulingen, die möglicherweise noch Startkapital benötigen. Die gezahlten Gemeinkosten sollten den Output-Akteuren direkter zugute kommen, z.B. den beteiligten Lehrkräften. Die Zuschüsse könnten sinken, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht werden (z.B. für nachfolgende Chargen von europäischen Hochschulabschlüssen), um den Zugang neuer und kleinerer Bewerber zu fördern.
Digitalisierung der Hochschulstandards zur Verbesserung der Interoperabilität der Systeme
Das Erasmus-Programm hat nicht nur die Mobilität der Studierenden und die Zusammenarbeit von Akademikern gefördert. In vier Jahrzehnten hat das Programm auch dazu beigetragen, neue Standards, Referenzrahmen und Instrumente zu entwickeln, z. B. ECTS, EQR und EQAR, die heute allgemein als „europäische öffentliche Güter“ akzeptiert werden und über den Rahmen der EU- und EHEA-Politik hinausgehen. Eine weitere Digitalisierung dieser öffentlichen Güter mit Hilfe von künstlicher Intelligenz könnte die Interoperabilität der Systeme erheblich verbessern und die Eigenverantwortung der Studierenden fördern, z.B. durch die Verbreitung von benutzerfreundlichen Apps für die Registrierung von Studierenden und den Vergleich von Studiengängen. Das ‚Manifest 2025‘ für einen europäischen Interoperabilitätsrahmen für die Hochschulbildung weist in die richtige Richtung.
Institutionelle Anerkennungen (IRR) veröffentlichen
Wenn wir schon dabei sind, sollten wir unsere Universitäten auffordern, ihre institutionellen Anerkennungen (Institutional Recognition Records, IRR) online zu veröffentlichen, wie in der Empfehlung des EU-Rats von 2024 „Europe on the Move“ vorgeschlagen. Anerkennungsunterlagen dokumentieren frühere Anerkennungsentscheidungen in Bezug auf Abschlüsse und Module oder Mikro-Qualifikationen von Partnern und Dritten. Ihre Veröffentlichung durch die zuständigen Universitäten würde den Begriff der „Vorhersehbarkeit“ der Anerkennung auf Programmebene einführen und – von Fall zu Fall – die allgemeineren und weniger aussagekräftigen Rechte präzisieren, die in Konventionen und Verträgen festgelegt sind. Die üblichen Zulassungskriterien (wie verfügbare Plätze) müssten natürlich weiterhin erfüllt sein, aber die Verzeichnisse würden den Bürgern dienen und es uns ermöglichen, die Debatte über die „automatische“ Anerkennung endlich zu beenden.

Peter van der Hijden ist ein unabhängiger europäischer Experte für Hochschulbildung und lebt in Brüssel. Sie können ihn per E-Mail erreichen (petervanderhijden@outlook.com) und finden weitere Informationen auf seiner Website (highereducationstrategy.eu)