Datenkompetenzen in Unternehmen: Die Interviewreihe „Let’s talk about Data Literacy!“
Datenkompetenzen in Unternehmen: Die Interviewreihe „Let’s talk about Data Literacy!“
19.07.22Data Literacy gilt als ein entscheidender Future Skill. Im Rahmen des Stifterverbandsprogrammes Data Literacy Education hat sich ein stetig wachsendes Netzwerk von Hochschulen aufgebaut, die sich zu ihren Lernangeboten unter dem Gesichtspunkt der Zukunftsfähigkeit austauschen. Doch wie sieht es mit der Vermittlung von Data Literacy in Unternehmen aus? Die neue Online-Reihe des Stifterverbands „Let’s talk about Data Literacy“ möchte Wissenschaft und Wirtschaft in einen Dialog bringen: Unternehmen geben Einblicke in ihre Aktivitäten zur Stärkung von Datenkompetenz. Den Anfang machte Dr. Andreas Bayerstadler von Munich Re, das Interview führten Dr. Henning Koch und Sam Sievers.
Daten sind das neue Öl. Dieser Spruch ist wohl jedem, der mit Daten zu tun hat, bereits begegnet. Mit dem steigenden Wert von Daten gewinnen Kompetenzen im Umgang mit diesen auch für Unternehmen an Bedeutung. Und damit sind längst nicht mehr nur die Datenspezialist:innen gemeint.
Data Literacy ist eine zentrale Kompetenz. In einer digitalisierten Welt ist sie für eine Teilhabe an der Gesellschaft essenziell. Auch in der Wirtschaft wächst ein Bewusstsein für die Chancen einer datenliteraten Belegschaft. Dr. Andreas Bayerstadler verantwortet das Data-Literacy-Programm bei Munich Re und gibt uns Einblicke in das hauseigene Data Analytics Programm.
Stifterverband: Herr Bayerstadler, gab es in Ihrem Leben einen Moment, seit dem Sie sich bewusst für Daten begeistern?
Dr. Andreas Bayerstadler: Es gab zwei Momente: Der erste war kurz vor dem Beginn meines Statistik-Studiums. Bei einem Tag der offenen Tür an der LMU München hat der Fachbereich Statistik an Beispielen demonstriert, wie Daten genutzt werden können, etwa bei der Steuerung von Pandemien. Die Lehrenden kamen aus vielen verschiedenen Disziplinen. Das hat mich nachhaltig beeindruckt und letztendlich dazu gebracht, Statistik zu studieren.
Der zweite Moment war dann nach Abschluss meines Studiums. Ich reiste im Rahmen meines Promotionsstipendiums bei Munich Re nach Abu Dhabi und schaute mir die Datenverarbeitung in der dortigen Krankenerstversicherung an. Dazu muss man wissen, dass es in den Vereinigten Arabischen Emiraten schon seit 2006 elektronische Gesundheitsakten gibt. Wenn Patienten also zum Arzt gehen, werden Diagnosen und die entsprechende Behandlung direkt vollständig elektronisch erfasst. Anders als in Deutschland ist die Digitalisierung sehr weit fortgeschritten. Das eröffnet unglaubliche Möglichkeiten für die Auswertung der Daten. Wir haben damals begonnen sogenannte Disease-Management-Programme mit Data Analytics zu optimieren, um die Lebensqualität für Patienten mit chronischen Krankheiten, z.B. Diabetes, zu verbessern. Das alles ist nur möglich durch den Datenreichtum, den die Digitalisierung mit sich bringt. Das hat mich wirklich beeindruckt und motiviert auf diesem Pfad weiterzugehen.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Dinge, die es inhaltlich bei der Gestaltung eines Data-Literacy-Programms zu beachten gibt?
Lassen Sie mich mit den Erfahrungen aus unserem Data Analytics Curriculum beginnen. Bei einem Programm, das alle Mitarbeiter mitnehmen soll, ist die richtige Flughöhe besonders wichtig. Man muss mit den Grundlagen anfangen, aber für jene Kollegen, die schon etwas Wissen mitbringen, auch eine gewisse Tiefe anbieten. Unser Programm besteht momentan aus vier Stufen, vom zweistündigen Basistraining bis zum ständig fortlaufenden Expertenprogramm. Je nach Vorwissen und Interesse kann jede und jeder im individuell richtigen Level einsteigen.
Thematisch ist für mich besonders wichtig, Daten zu entmystifizieren. Wir möchten unseren Kolleginnen und Kollegen vermitteln, dass die Kombination aus ihrem Expertenwissen und neuen Datenkompetenzen entscheidende Erfolgsfaktoren für Munich Re sind. Wir möchten auch anhand vieler Beispiele vermitteln, welchen Wert Daten für uns haben können, aber auch Limitationen aufzeigen. Denn für unseren Erfolg werden wir in Zukunft beides brauchen: KI und menschliche Expertise.
Inhaltlich finde ich außerdem wichtig, den Link zur Technologie herzustellen. Allen im Unternehmen muss je nach Kenntnisstand Software in der jeweils richtigen Komplexität zur Verfügung stehen. Wir setzen deshalb künftig vermehrt auf Low-code und No-Code, um noch mehr Mitarbeitern den Zugang in die neue Datenwelt zu ermöglichen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie bei der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft im Bereich Data Literacy Education?
Ich sehe die größte Chance im Austausch über die Anforderungen. Denn Data Literacy fängt nicht erst im Job an, bestenfalls sollte sie schon in der Schule beginnen. Die Hochschulen haben einen enormen Einfluss darauf, wie gut Datenkompetenzen bei Absolvent:innen verankert sind. In meinem Statistik-Studium war natürlich klar, dass Daten und Data Literacy wichtig sind. Aber diese Kompetenz muss auch in anderen Studiengängen vermittelt werden. Da sollte neben der statistischen Theorie noch mehr die praktische Datenkomponente gestärkt werden. Wenn Studierende mit echten Datensätzen arbeiten, lernen sie ganz automatisch, was möglich ist, aber auch, was schieflaufen kann. Um dies zu unterstützen, fördern wir aktiv die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie. Wir möchten künftig noch stärker in den Austausch darüber gehen, welche Inhalte gebraucht werden und wie diese Inhalte in die Lehre integriert werden sollen. Wir möchten ein Netzwerk aus Wirtschaft und Wissenschaft aufbauen, das gemeinsam das Entstehen einer breiten Datenkultur in Deutschland fördert und so beide Welten voranbringt.
Wir bedanken uns bei Dr. Andreas Bayerstadler für das spannende Interview und seine Teilnahme an „Let´s talk about Data Literacy“!
Die nächste Veranstaltung der Online-Reihe „Let’s talk about Data Literacy“ findet am 28.07. statt. Dort wird Arthur Seidel von der Fraport AG von der dortigen Zukunftswerkstatt berichten. Anmeldung und mehr Informationen finden Sie hier.