„Kommt, lasst uns diesen Campus zum Lernraum unserer Träume machen!”

„Kommt, lasst uns diesen Campus zum Lernraum unserer Träume machen!”

15.02.24

Viele Hochschulen stehen vor der Herausforderung, ihre Lehr-Lernräume zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Dorit Günther und Inka Wertz zeigen anhand eines idealtypischen Szenarios, wie ein solcher Prozess gestaltet werden kann. Der Beitrag ist erstmals in der vierten Ausgabe des HFD-Magazins strategie digital zum Thema „Zukunftsorientierte Lernräume” erschienen.

Im vorliegenden Beitrag laden die beiden Autorinnen die Leser:innen zu einem Gedankenexperiment ein: Zunächst stellen sie einen idealtypischen Prozess der Lernraumplanung vor – gekleidet in das Gewand einer Story. Wir begleiten eine fiktive Vizepräsidentin dabei, wie sie an ihrer Hochschule die Weichen für den „Campus der Zukunft“ stellt. Dabei stehen die Strategieentwicklung und der erste Roll-Out im Fokus. Die Vorgehensweise orientiert sich eng an bestehenden Good Practices und Beratungsprozessen in der hochschulischen Lernraumentwicklung, wie sie z. B. vom HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. durchgeführt werden. Die Autorinnen schöpfen hierbei aus ihrem Erfahrungsschatz.

Idealtypisches Szenario

Professorin Ela Nova ist Vizepräsidentin für Studium und Lehre an einer mittelgroßen deutschen Hochschule. Gerade war sie auf einer inspirierenden Tagung zum Thema „Campus der Zukunft“. Auf der Heimfahrt in der Bahn notiert sie sich diese Stichpunkte:

Notizzettel von Professorin Nova:

Was ich von der Tagung über Lernrauminnovation gelernt habe: Was gehört alles zu „Lernarchitekturen“ und zum Campus?

  • Unter „Lernarchitekturen” werden physische und virtuelle Lernräume verstanden, die in einer Wechselbeziehung mit der an der jeweiligen Hochschule gelebten Lehr-Lern- und Organisationskultur stehen.
  • Physische und virtuelle Lernräume sind idealerweise miteinander verzahnt. Digitalisierung wird nicht um ihrer selbst willen eingesetzt, sondern als Hilfsmittel dort, wo es passt und einen Mehrwert bringt.
  • Der hochschulische Lernraum geht über die Grenzen des Campus hinaus, dazu gehören: heimischer Arbeitsplatz, urbane Lernorte, virtuelle Lernräume (siehe „Onlife Space“ nach Ninnemann 2022).

Notizzettel 2:

Strategisches: Lernraumentwicklungsprozess

  • Es gibt keine Mustervorlagen für innovative Lernraumgestaltungskonzepte. Good Practices dienen als Inspiration: Anpassung ans eigene Setting ist notwendig! Jede Hochschule hat individuelle Anforderungen, Voraussetzungen und Erwartungen: Diese müssen eingefangen und in das Konzept aufgenommen werden.
  • Lernraumentwicklung ist verbunden mit strukturellen und organisatorischen Fragen, Lehr-Lern-Kultur (didaktischen Formaten, Prüfungsformen) und konkreter Raumgestaltung (physisch, virtuell).
  • Eine Lernraumstrategie berücksichtigt alle organisationalen Strukturen und Prozesse der Hochschule, wie bspw. Lehr-Lernstrategien. Für eine gute Zusammenarbeit braucht es einen hierarchie- und fachkulturübergreifenden Austausch zwischen den Beteiligten und Expert:innen.
  • Lernraumgestaltung/-weiterentwicklung als iterativer Prozess: Um innovativ zu sein und zu bleiben, müssen die Konzepte laufend verändert, angepasst und weiterentwickelt werden.
  • Raum muss in der Lage sein, flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren. Dazu bedarf es vorausschauenden Handelns und Konzepte, die eine flexible Nutzung ermöglichen.

Notizzettel 3:

Raumportfolio und Raumtypen

  • Der Campus sollte ein vielfältiges Raumportfolio aufweisen: Formelle und informelle Handlungsräume müssen gleichermaßen bedacht werden. Keine Trennung, sondern eine Verzahnung von formellen und informellen Lernräumen (z. B. Seminarraum mit benachbarten “Break-out”-Räumen für Gruppenarbeit, Außenräume, Learning-Cafés).
  • Raum ist eine Ressource, die zielgerichtet eingesetzt werden muss (vor allem im Zusammenhang mit Erfordernissen des Klimawandels). Es geht nicht um ein Mehr an Räumen, sondern um eine optimale Nutzung.
  • Der ganze Hochschulraum ist Begegnungsstätte und Ort des Wissensaustausches: „wo kommuniziert wird, wird gelernt“. Deshalb müssen gezielt Flächen für Kommunikation und Austausch geschaffen werden: innerhalb wie zwischen den Fachdisziplinen sowie mit Wirtschaft und Gesellschaft.

Notizzettel 4:

Welche Akteur:innen sind wichtig für Lernrauminnovation?

  • „Innovation beginnt in den Köpfen!“ Ich muss die Stakeholder an meiner Hochschule für Neues begeistern und sie zum Träumen bringen! Für Lernrauminnovation brauche ich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe, in der alle Stakeholder und Expert:innen (insbesondere aus den Bereichen Baumanagement, (Innen-)Architektur und Didaktik) vertreten sind.
  • Zusammenspiel von Raum und Didaktik: „der Raum ist der dritte Pädagoge“ (Ninnemann 2018).
  • Die Lehrenden müssen mitziehen: „Ein potenziell innovativer Lernraum bringt nichts, wenn die Lehrperson Frontalunterricht macht!“ Wichtig: Aufbau von Raum- und Medienkompetenzen bei Lehrenden, um eine Lehrpraxis zu etablieren, bei der ein integriertes Verständnis von physischen und virtuellen Handlungsräumen und Raumnutzungsformen für die Didaktik nutzbar gemacht werden
  • Studierende in die Planungsprozesse und Erprobung einbeziehen.
  • Raumkompetenz bei Lehrenden und Studierenden durch gelebte Praxis entwickeln: innovative Modellräume schaffen und erproben.

Gründung einer interdisziplinären „Raumwandler:innen“-Arbeitsgruppe

Zurück an ihrer Hochschule, gründet Vizepräsidentin Ela Nova eine interdisziplinäre „Raumwandler:innen“-Arbeitsgruppe. Zu der zwölfköpfigen Arbeitsgruppe gehören die wichtigsten Stakeholder: Lehrende, Studierende, Vertreter:innen aus verschiedenen Fachbereichen (z. B. Studienmanager:innen), aus der Universitätsbibliothek, der Bauabteilung der Hochschule, aus der mediendidaktischen Beratungsstelle sowie Mitarbeiter:innen eines Lernraumforschungsprojekts.

Als AG-Leiterin trägt Ela Nova zusammen, was es bereits an Erkenntnissen über die Raumsituation und raumbezogene Bedarfe an ihrer Hochschule gibt. So wurde im Rahmen eines Lernraumforschungsprojekts z. B. kürzlich eine Befragung durchgeführt, bei der die Lern- und Raumnutzungsgewohnheiten der Studierenden erhoben wurden.

In der ersten Phase der Zusammenarbeit geht es um das Sammeln von Informationen und Interessen: Die Arbeitsgruppe trifft sich in Sitzungen, in denen sich die Beteiligten gegenseitig ihren Kenntnisstand vorstellen. Auch die vorliegende Digitalisierungsstrategie wird diskutiert und in Bezug zur Raumsituation gesetzt. Es entsteht ein lebhafter Wissens- und Gedankenaustausch. Wovon einige AG-Mitglieder berichten: Wann immer es Neuerungen – zum Beispiel bei Maßnahmen zur Digitalisierung der Lehre – geben soll, treffen die Maßnahmen bei einigen Lehrenden auf Abwehr, weil sie befürchten, durch diese Veränderung ihrer Routinen einen erhöhten Arbeitsaufwand zu erfahren. Vizepräsidentin Nova vermerkt in ihrem internen Strategiepapier, dass ein Innovationsprozess auch immer Change-Management erfordert und dass sie personelle Ressourcen und Unter­stützungsstrukturen einplanen muss, um den Umstellungsprozess auf der Ebene der Didaktik und Raumnutzung durch Schulungen zu begleiten und einen möglichen Mehraufwand abzufangen.  

Im Nachgang erstellt eine Abordnung der Arbeitsgruppe eine aktuelle Übersicht über die bestehenden Räume und die technische Infrastruktur, so auch über streamingfähige Veranstaltungsräume. Hierbei greift die AG auf die zuständige Stelle für E-Learning und Veranstaltungstechnik zurück, die bereits einheitliche Standards für eine Ausstattung von Veranstaltungsräumen erstellt hat.

Workshop der Arbeitsgruppe: Projekt entwickeln, Zielfindung

In der zweiten Phase soll das Projekt „Neue Lehr- und Lernräume“ durch die „Raumwandler:innen“-Arbeitsgruppe aktiv angegangen werden. Die Idee ist, im Rahmen eines interaktiven Workshops die Ziele des Raumwandel-Vorhabens gemeinsam näher zu definieren. Dazu hat Vizepräsidentin Ela Nova diese Leitfragen vorgesehen und in ihr Notizbuch geschrieben:

Notizzettel 5:

Fragen für meine Hochschule zur Zielfindung

  • Zukunftsvision entwickeln: Wie wollen wir in Zukunft lehren und lernen? Wie sieht „der ideale Campus“ dafür aus? Was ist für unsere Situation besonders wichtig? Was soll unser Campus vermitteln? Was wollen wir mit den neuen Räumen erreichen?
  • Status Quo reflektieren: Was hat in puncto Didaktik und Raumnutzung bisher gut funktioniert und soll so bleiben? Was hat sich nicht bewährt und sollte ersetzt werden?
  • Welche potenziellen Hindernisse könnte es geben? Welche diesbezüglichen Lösungsmöglichkeiten sehen wir?
  • Welche Grundlagen können bereits in eine Planung einbezogen werden (z. B. hochschulische Digitalisierungsstrategie, Lehr-Lernstrategie)?
  • Welche Stakeholder sollten zu welchem Zeitpunkt einbezogen werden? Zuordnung von räumlichen und organisatorischen Verantwortungsbereichen zu bestimmten Akteuren:innen schafft Identifikation und Zuständigkeit.

Nach Durchführung des Workshops haben Ela Nova und die anderen AG-Mitglieder ein klareres Bild von dem, was angestrebt wird, und eine erste Vorstellung davon, welche Weichen gestellt werden müssen, um dem skizzierten Ziel näher zu kommen. Da der Prozess insgesamt recht umfangreich und komplex zu sein scheint und man sich weiteren fachlichen Input sowie Inspiration wünscht, entscheidet sich die AG, für die Umsetzung eine Beratungseinrichtung für Raum- und Hochschulentwicklung hinzuzuziehen.

Das Raumwandel-Projekt: erste Schritte

Die Beratungseinrichtung findet, aufgrund der gründlichen Vorarbeit der AG, eine breite Datenbasis vor, an die sie unmittelbar mit ihrer Arbeit anknüpfen kann. Basierend auf den Ergebnissen des Zielfindungsworkhops erstellt sie gemeinsam mit der AG in einem weiteren Workshop ein Raumportfolio. Hierfür greift sie auf verschiedene Raumsteckbriefe zurück. Diese enthalten die schematischen Darstellungen der Raumstruktur des jeweiligen Raumtyps, eine Beschreibung der für bestimmte Lehr- und Lernzwecke notwendigen technischen Ausstattung sowie Informationen, welche didaktischen Szenarien in diesem Raum denkbar sind. Die Workshop-Teilnehmenden stellen die Raumsteckbriefe, unter Rückgriff auf die gemeinsam definierten Ziele aus dem ersten Workshop, zu einem individuellen Raumportfolio zusammen. In einem abschließenden Schritt wird dann erarbeitet, welche Raum­typen an welcher Stelle des Campus etabliert werden sollen.

Quelle: Unsplash.com

Einrichten und Testen der Piloträume

Zusammen mit einem Anbieter für Raumlösungen werden zunächst einmal vier verschiedene Piloträume gemäß der Raumsteckbriefe eingerichtet: Ein klassischer Hörsaal mit ansteigendem Gestühl wird mittels Terrassierung zu einem Mixed-Practice-Room umgebaut, um einen Wechsel zwischen Frontalunterricht und Gruppenarbeit zu ermöglichen. Zwei Seminarräume werden zu Active-Learning-Räumen (für gruppenzentriertes Lehren; Lehrperson begleitet den Prozess) und Flexible-Learning-Räumen (vollständig flexibles Mobiliar für verschiedene Settings; Lehrperson leitet an). Aus einem weiteren macht man einen Kreativraum.

Um die Piloträume bekannt zu machen, veranstaltet Vize­präsidentin Ela Nova einen „Raum-Event-Tag“, bei dem die neuen Räume für die Studierenden im Rahmen einer Schnitzeljagd erkundet werden können. Zudem findet im Semester eine beliebte Science-Slam-Reihe – ein wissenschaftliches Turnier aus Kurzvorträgen – in den Piloträumen statt, was für gute Sichtbarkeit sorgt.

Für die Lehrenden, die die Piloträume nutzen, finden ein­führende Workshops in diesen Räumen statt, in denen sie verschiedene didaktische Szenarien erproben. Dies wird begleitet von der Mediendidaktischen Beratungsstelle, die die Lehrenden dabei unterstützt, ihre Lehrveranstaltung (medien-)didaktisch so weiterzuentwickeln, dass das Potenzial der Piloträume voll ausgeschöpft werden kann.  

Auch für Studierende gibt es Zeitfenster, in denen sie die Piloträume für selbstorganisierte Projekte und informelle Lernphasen nutzen können. Diese werden begleitet von den studentischen Raumwandler:innen aus der Arbeitsgruppe.

Am Ende des Semesters wird von Lehrenden und Studierenden, die in den Piloträumen aktiv waren, ein Feedback im Rahmen einer Online-Befragung erhoben. Zudem werden stichprobenartig Leitfragen-Interviews mit den Nutzenden geführt. Aus dem Feedback leitet die AG einige Verbesserungsideen ab, die im folgenden Semester implementiert und erprobt werden.

Zwischenfazit: Ein halbes Jahr später

Ela Nova ist zufrieden mit den Ergebnissen des Prozesses, besonders die Einbindung der Nutzer:innen hat gut funktioniert. Das Feedback der Nutzer:innen war ein wichtiger Impuls, um die Pilotflächen noch besser auf die Bedarfe im Hochschulalltag auszurichten. Die nötigen Umbauten waren leicht umsetzbar, weil innerhalb der Bestandsbauten durch gute Raumzuschnitte und das nachhaltige Konzept mit flexiber Möblierung die Möglichkeit gegeben war, zügig Änderungen vorzunehmen.

Zudem sind viele Kolleg:innen durch das Kennenlernen der Pilotflächen neugierig auf das Thema Lernrauminnovation geworden und mit Ideen für zukunftsweisende Raumszenarien im eigenen Fachbereich auf Ela Nova zugekommen. Die „Raumwandler:innen“-Arbeitsgruppe greift diese Ideen und geäußerten Bedarfe auf und demnächst sollen einige weitere Pilotflächen auf dem Campus eingerichtet werden.

Auf einen Blick: der idealtypische Prozess (wie an der Hochschule von Ela Nova durchgeführt):

  1. Arbeitsgruppe Raum sichtet bestehende Infos über die Hochschule (Studierendenbefragung, hochschulische Strategien), verschafft sich Überblick über die bestehenden Raumstrukturen, inklusive technischer Ausstattung. Treffen der AG Raum in Workshops: Projekt gemeinsam entwickeln.
  2. Projektstart: Zusammen mit Beratungseinrichtung: Raumportfolio erstellen mit Raumtypen, die zu den individuellen Anforderungen der Hochschule passen.
  3. Entscheiden, welche dieser Raumtypen in welcher Zusammensetzung für welchen Bereich am Campus gebraucht werden. Passende Flächen dafür suchen: Dort sollen die Piloträume entstehen.
  4. Einrichten der Pilotflächen, bspw. mit Anbieter für Raumlösungen (externe Firma, arbeitet mit Steckbrief aus Raumkatalog).
  5. Bekanntmachen der Pilotflächen an der Hochschule (Sichtbarmachung und Akzeptanz an der Hochschule schaffen) durch Events rund ums Thema Räume  (z. B. „Talk on Campus“).
  6. Nutzung erproben (regulärer Betrieb); zudem Raumkompetenz schulen: spezielle Schulungen und Workshops für Lehrende und Studierende in den Piloträumen mit innovativen didaktischen Szenarien.
  7. Evaluation: Feedback der Nutzer:innen einholen und in Weiterentwicklungsprozessen umsetzen.

Realitätsabgleich

„Fallstricke“, die sich bei einer Umsetzung des idealtypischen Szenarios ergeben könnten, sind vielfältig. So müssen zunächst entsprechende finanzielle wie personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Dafür bedarf es klarer Zuständigkeiten und Veränderungswillens. Auch müssen Begeisterung und Offen­heit für Veränderung bei den Lehrenden häufig erst noch geweckt werden, da diese nicht selten einen Mehraufwand befürchten. Zudem gestalten sich Einbezug und Motivation Studierender zur Mitwirkung in Raumprojekten häufig als schwierig, denn bei der Realisierung der Neubau-/Umbaumaßnahmen sind sie in der Regel nicht mehr an der Hochschule.

Ein weiteres Problem stellen lange Planungszyklen dar, die dafür sorgen, dass Raumkonzepte unter Umständen bei Fertigstellung schon wieder veraltet sind. Der Wissenschaftsrat mahnt hier kürzere Prozesse an. Dies liegt jedoch nicht im Einflussbereich der Hochschulen (Wissenschaftsrat, 2022). Entsprechend sind vorausschauende Planung und größtmögl­iche Nutzungsflexibilität gefragt. Gleichzeitig gilt es, Gleich­förmigkeit zu vermeiden und passgenaue Lösungen zu finden. Dies wird möglich, indem man z. B. die Individualität der Flächen über verschiedene Raumtypen in einem Raumportfolio abbildet (Günther et al., 2019; Wertz, 2020; Ninnemann, 2022).

Quelle: Unsplash.com

Großes Potenzial liegt zudem darin, bestehende Räume über das Einrichten mit flexiblem Mobiliar und reversiblen Einbauten zu modernisieren. Auch vorausschauendes Bauen ist wichtig (zu beachten ist: Lage der Leitungen, wenig tragende Wände, optimiertes Fensterraster und Raumtiefen), um im Zuge von veränderten Bedarfen und Nutzungsformen das Bestehende flexibel umbauen zu können (Wertz, 2022b). Um die Prinzipien der Nachhaltigkeit – basierend auf den drei Konzepten Effizienz, Konsistenz und Suffizienz (Ninnemann, 2022, 14) – umzusetzen, ist ein bedingungsloses Wachstum von baulichen und technischen Anlagen zu vermeiden. Stattdessen gilt es, die vorhandenen Ressourcen effektiver zu nutzen, z. B. Bestehendes umzubauen und die Auslastung der Räumlichkeiten effizienter zu organisieren. Bei der digitalen Ausstattung der Räume für hybride Settings ist auf eine Einheitlichkeit der Systeme (Übertragbarkeit von Good Practices) zu achten. Insgesamt erfordert Nachhaltigkeit eine strukturelle Rahmung und ein Konzept, das darauf abzielt, Konsumverhalten auch im Bereich Flächen zu hinterfragen und im Sinne der Nachhaltigkeit zu verändern, um perspektivisch weniger zu produzieren und zu konsumieren und damit weniger Ressourcen zu verbrauchen (Ninnemann, 2022, 14f.).

Ein hochschulweites Konzept bzw. Lernraumstrategie ist nur schwerlich umsetzbar, denn dafür ist die Hochschule zu komplex (so bestehen oftmals fachbereichsspezifische Bedarfe und Erfordernisse) und zu abstimmungsintensiv. Realistisch umsetzbar ist es hingegen, wie skizziert, eine „Raum-AG“ (interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Raumexpert:innen und Stakeholdern) einzurichten, die als Beratungseinrichtung fungiert und die Umsetzung individueller Konzepte in den Fachbereichen jeweils begleitet. Gleichwohl bietet es sich an, ein Raumportfolio zu entwickeln, das den Fachbereichen als Grundlage dienen kann und das auf einer Gesamtstrategie fußt.

Vorliegende bauliche Strukturen schränken eine Umsetzung von Konzepten häufig ein. Es lässt sich nicht alles abreißen und neu bauen, sondern eine Umsetzung muss überwiegend im Bestand erfolgen. Aus Gründen der Nachhaltigkeit empfiehlt es sich, Neubauten möglichst zu vermeiden und stattdessen Bestehendes innovativ umzubauen.

Praxis-Tipps: erste Schritte

 

Wir möchten Anregungen geben, wie man auch mit wenigen Ressourcen den Prozess anstoßen und Lernräume umgestalten kann. Dies sind machbare, kleinere Maßnahmen für eine Lernraumentwicklung an der Hochschule:

  • Einbeziehen der Nutzenden in einen iterativen Planungs- und Gestaltungsprozess, kontinuierliche und adaptive Weiterentwicklung (Prill 2019)
  • Stakeholder zu ihren Bedarfen befragen: Studierenden und Lehrende zu ihren lernraumbezogenen Nutzungsgewohnheiten, Bedarfen und Idealszenarien befragen (siehe z. B. Studierendenbefragung Günther 2021).
  • Interdisziplinär besetzte Raum-Arbeitsgruppe bilden – insbesondere mit studentischen Vertreter:innen – und mit einem überschaubaren, aber gut sichtbaren Pilotprojekt beginnen. Die Raum-AG kann bei den Projekten koordinierend und/oder beratend tätig sein.
  • Mit einem innovativen Pilotraum an der Hochschule Interesse wecken und einen Diskurs über Räume initiieren: Raumkompetenz bei Lehrenden und Studierenden entwickeln.
  • Breit gefächertes Raumportfolio anlegen.
  • Anstelle einer zentralen „one-size-fits-all”-Lösung an nur einem zentralen Standort empfiehlt sich eine kleinteilige, dezentrale Lösung, bei der an mehreren Standorten auf dem Campus bedarfsgerechte Flächen geschaffen werden, die auf die fachbereichsspezifischen Besonderheiten eingehen.
  • In Bibliotheken: Regalflächen abbauen und die freiwerdenden Flächen als informelle Lern- und Begegnungsräume nutzen: Sitzlandschaft, Kojen (halboffene Kabinen) oder auch mehr Einzelarbeitsplätze (Kabinen) für mitgebrachte digitale Endgeräte (Bring-your-own-device), so dass Studierende an Online-Veranstaltungen teilnehmen können.
  • Traditionelle Veranstaltungsräume um benachbarte „Break-out“-Räume ergänzen (z. B. für Kleingruppenarbeit).
  • Aktivieren von „Zwischenräumen“ und Transitbereichen durch spezielle Möblierung: Foyers, Flure und Nischen als informelle Lernräume nutzen.
  • Aktivieren von Außenbereichen (Outdoor Campus).

Quellen

Günther, D., Kirschbaum, M., Kruse, R., Ladwig, T., Prill, A., Stang, R., Wertz, I. (2019). Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter. Thesen und Empfehlungen der Ad-hoc Arbeitsgruppe Lernarchitekturen des Hochschulforum Digitalisierung. Arbeitspapier Nr. 44. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_44-Zukunftsfaehige_Lernraumgestaltung_Web.pdf

Günther, D. (2021). Ergebnisse der Studierendenbefragung „Wie sehen Ihre Lern(T)RÄUME aus?“ (2018) zu Lernräumen an der Technischen Universität Kaiserslautern. Durchgeführt im Rahmen des BMBF-Projekts „Selbstlernförderung als Grundlage“ am Distance and Independent Studies Center der Technischen Universität Kaiserslautern. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:386-kluedo-64766

Ninnemann, K. (2018). Innovationsprozesse und Potentiale der Lernraumgestaltung an Hochschulen. Die Bedeutung des dritten Pädagogen bei der Umsetzung des „Shift from Teaching to Learning“. Zugl. Diss. Münster: Waxmann.

Ninnemann, K. (2022). Back on campus. Eine Bestandsaufnahme der Aspekte Innovation und Nachhaltigkeit für Lernräume der Zukunft. In: Weißenböck, J./Gruber, W./Freisleben-Teutscher, C. (Hrsg.): Lernräume der Zukunft an Hochschulen: physisch, hybrid und online. Wie wird der „Shift from teaching to learning“ in innovative Lernraumkonzepte übersetzt? Beiträge zum 10. Tag der Lehre an der FH St. Pölten am 12. Mai 2022. Wien: Lemberger Publishing – St. Pölten: Fachhochschule St. Pölten GmbH, S. 9 - 20.

Prill, A. (2019). Lernräume der Zukunft – Vier Praxisbeispiele zu Lernraumgestaltung im digitalen Wandel. Arbeitspapier Nr. 45. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateien/HFD_AP_45-Lernraeume_der_Zukunft_Praxisbeispiele_Web.pdf

Wertz, I. (2020). Zukunftsorientierte Lernräume. Kompetenzorientierung im Fokus. In: HIS-HE:Medium 2 | 2020. Hannover: HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V.

Wertz, I. C. (2022a). Lernräume der Zukunft – aus der Praxis der partizipativen Lernraumplanung. In: Weißenböck, J./Gruber, W./Freisleben-Teutscher, C. (Hrsg.): Lernräume der Zukunft an Hochschulen: physisch, hybrid und online. Wie wird der „Shift from teaching to learning“ in innovative Lernraumkonzepte übersetzt? Beiträge zum 10. Tag der Lehre an der FH St. Pölten am 12. Mai 2022. Wien: Lemberger Publishing – St. Pölten: Fachhochschule St. Pölten GmbH, S. 39 - 44.

Wertz, I. (2022b). Hochschule als Lernwelt: Hochschulbau im Spannungsfeld neuer Lehr- und Lernformen. In: Kirschbaum, M., Stang, R. (Hrsg.). Architektur und Lernwelten: Perspektiven für die Gestaltung. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, S. 136 - 148. https://doi.org/10.1515/9783110732795-010

Wissenschaftsrat (2022). Probleme und Perspektiven des Hochschulbaus 2030. Positionspapier. Köln. https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9470-22.pdf?__blob=publicationFile&v=16

Den vollständigen Beitrag inklusive Abbildungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe von strategie digital. Sie möchten mehr zum Thema “Zukunftsorientierte Lernräume” an Hochschulen lesen? In der vierten Ausgabe von strategie digital finden Sie weitere Beiträge, Fallbeispiele und Interviews rund um dieses Thema. 

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Ansprechpartnerin für das Magazin ist Josephine Sames.

Autor:innen:

Dr. Dorit Günther ist in den Bereichen Lernräume, Mediendidaktik und studienbegleitendes Coaching im „Zentrum für Innovation und Digitalisierung in Studium und Lehre“ (ZIDiS) der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau tätig.

Dipl.-Geogr. Inka Wertz begleitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projekt­leiterin am HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V. die Anpassung hochschulischer Lehr-, Lern- und Arbeitswelten an die Anforderungen digitalen sowie kompetenzorientierten Lehrens, Lernens und Arbeitens.

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