Ideen, um dem (stillen) Dropout von Studierenden zu begegnen
Ideen, um dem (stillen) Dropout von Studierenden zu begegnen
17.09.20Dass Studierende im Laufe der Semester aus Vorlesungen, Seminaren & Co. ausscheiden oder gar das Studium abbrechen, ist gewissermaßen ein Bestandteil des Hochschulalltags. Selten verliefen diese „Dropouts“ jedoch so derart still, wie im vergangenen Digitalsemester. Im Rahmen der Summer School 2020 diskutierte Sebastian Amann diese Problematik mit Kolleg*innen. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in seine persönliche Perspektive, die Inhalte der #HFDSummer-Fallberatung und zeigt praktische und normative Ansätze, um dem Dropout von Studierenden zu begegnen.
Corona Zwang uns zu etwas, das ich nicht für möglich gehalten habe: Die Lehre online umzusetzen. Auf einen Schlag, bzw. innerhalb weniger Wochen, wurde Lehre durch‐digitalisiert und Studierende wie Lehrende saßen, lagen oder standen Zuhause. Vor sich die Herausforderung und das entsprechende Endgerät. Mit mehr oder weniger gutem Internet wurde der Zugang und die Beteiligung zu den Inhalten der Lehrveranstaltung ermöglicht und die Lehre konnte beginnen. Wie schon verschiedene Umfragen zeigten, ist die Zufriedenheit mit dem ersten weitestgehend abgeschlossenen Coronasemester durchmischt (1). Es war eine Art von Erfolg, die Lehre überhaupt durchgeführt zu haben. Aber war das Ergebnis gut? Wurde wirklich etwas gelernt? Und wie zufrieden kann Mensch damit sein?
Kollegiale Beratung als persönliche Chance zur Klärung
Im Rahmen der Summer School 2020 des Hochschulforums Digitalisierung bot sich hier durch die kollegiale Beratung eine passende Gelegenheit, dem wahrgenommenen Problem zu begegnen. Binnen kürzester Zeit fand das erste Treffen mit vier Kolleg*innen von Hochschulen in Deutschland via Zoom statt und der Austausch begann. Meine Ausgangsfrage war eine zweiseitige, das haben wir aber erst am Ende der Fallbesprechung herausgefunden: „Wie gehe ich mit dem stummen Dropout in der Lehrveranstaltung um?“. Zweiseitig, weil zum einen die Inhalts‐ und Beziehungsebene der Lehrveranstaltung (2) und zum anderen die eigene Haltung gegenüber der (Nicht‐)Teilhabe von Studierenden angesprochen wurde.
Die Vorbereitung des eingebrachten Falls machte ich im Zusammenhang zu meiner eigenen hochschuldidaktischen Weiterbildung. An der Universität Paderborn wird das NRW‐weite Zertifikatsprogramm „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule“ angeboten. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten, aber auch der kollegiale Austausch sind immer wieder eine Bereicherung, um Herausforderungen konstruktiv zu begegnen. Hier entstand die Motivation, meine Frage(n) mit weitere Kolleg*innen zu besprechen. Das Ziel: Die Weiterentwicklung meiner die Lehre betreffenden Kompetenzen. Die Beratung wurde entsprechend der Vorgaben moderiert und durch die Visualisierung via flinga ermöglicht. Ein hilfreiches Tool zum effektiven kollaborativen und anonymen Arbeiten. Folgende Hinweise wurden entwickelt, diskutiert und festgehalten:
Die Inhaltsdimension – Umsetzung der Lehre
Der besprochene Fall machte deutlich, dass die Lehrveranstaltung vor allem von einem Wechsel von synchronen und asynchronen Settings profitieren könnte. Also der Mischung aus Inputs, Diskussionen und Selbstlernphasen. Hier ist die Intention, die Zusammenarbeit der Studierenden zu fördern und Herausforderungen durch die Gruppenarbeit bewältigbarer zu machen. Weitere Ideen sind in Abbildung 1 aufgeführt:
Die Beziehungsdimension – Kontakt mit den Studierenden gestalten
Der Kontakt mit den Studierenden beginnt in meiner eigenen Lehrveranstaltung mit einer Vorab‐Umfrage zu den Erwartungen und Wünschen. Das Zurückspielen der Ergebnisse ermöglicht ein erstes Feedback. So entsteht auch ein Bild der Lehrveranstaltung und der Studierenden. Die Fragen betreffen den Lernstand, die Erwartungen an den Inhalt, Wünsche und Bedürfnisse im Rahmen des digitalen Lernens.
Durch die kollegiale Beratung wurde dabei ein weiterer Aspekt besonders betont. Der aktive Umgang mit dem Thema Dropout: Die Benennung und Befragung zum Thema Überforderungen durch Inhalte, Selbstorganisation, Soziales. Dazu kommen Fragen zu Hilfestellungen, wie z.B. Beratung durch Kommiliton*innen, Studienbüro, Beratungsstellen, ASTA. Das Thema Dropout wird so explizit benannt. Beispielsweise mit der proaktiven Frage „Auf einer Skala von 1‐10, wie wahrscheinlich ist es, dass Sie im Semester den Besuch der Lehrveranstaltung abbrechen?“. Auf einer Moodle‐basierten Plattform ist das durch entsprechende Plug‐ins (Abstimmung, Feedback, Glossar und Umfrage) möglich. Der Support zum Kurs kann dadurch vertraulicher gestaltet werden. Fragen an die Studierenden sind dann auch:
- Was ist Ihnen wichtig im Rahmen des „Online‐Setting“ um gut lernen zu können?
- Was würden Sie machen, wenn Sie sich in der Lehrveranstaltung deutlich überfordert fühlen? Was machen Sie, bevor es so weit ist?
- Welche Menschen fragen Sie meistens bei (inhaltlichen) Schwierigkeiten in Lehrveranstaltungen? Wen bitten Sie um Hilfe?
Diese und weitere Fragen ermöglichen ein an den Bedürfnissen der Studierenden orientiertes On-Boarding. Mit On‐Boarding ist gemeint, dass der Beginn des Semesters dafür genutzt wird um Organisatorisches abzusprechen und Bedürfnisse und Fragen von Studierenden an das Lernsetting zu klären. Das macht auch deswegen Sinn, weil wie durch das erste Coronasemester deutlich wurde, Studierende wie Dozent*innen wenig digitale Kompetenzen mitbringen können. Weitere Ideen im Rahmen der Beziehungsdimension werden in Abbildung 2 aufgezeigt:
Das Thema Anonymität ist im Rahmen digitaler Lehre „zweischneidig“ und auch schon mehrfach in diesem Blog sowie den anderen Beiträgen besprochen. Zoom‐Sitzungen, in denen alle Videos abgeschaltet und die Namen nicht mit denen auf den Anmeldelisten übereinstimmen, sind eine Unmöglichkeit bei der Gestaltung von Interaktion. Lehrveranstaltungen mit einer hohen Anzahl an Studierenden, machen ein persönliches Kennenlernen und Lernen schwer. Die andere, positive Seite der Anonymität: Sie bietet die Möglichkeit, die Schwelle zwischen Student*in und Dozent*in bei Problemen zu verringern. So wird ein Zugang zu den Bedarfen der Studierenden geschaffen. Es ist z.B. möglich, in Videokonferenzen via Telefoneinwahl als anonyme Person Beiträge zu bringen und Fragen zu stellen. Andere Tools bieten auch ohne Klarnamenpflicht die Option Fragen zu stellen und auf Herausforderungen hinzuweisen, z.B. Mentimeter, Ideaboardz, frag.jetzt.de.
Die eigene Haltung klären oder „Ist Dropout nicht auch okay?“
Durch die kollegiale Fallberatung wurde deutlich, dass die eigene Haltung gegenüber dem wahrgenommenen Problem des Dropouts auch thematisiert werden kann. Die Diskussion dazu war hilfreich und deckte Aspekte auf, wie Lehrerfahrung, Intention der eigenen Berufswahl und zugeschriebene Eigenschaften aufgrund des Lehrgebietes. Ich kann ein Dropout als normal ansehen, denn Studierende können an der Universität auch im laufenden Semester aufgrund der Arbeitsbelastung und Themenwahl Lehrveranstaltungen abwählen und so dem eigenen Erfolg im Studium zuarbeiten.
Hier eröffnet sich ein spannendes Themenfeld, das sich für mich als Frühpädagoge in der Diskussion um die Kindbilder spiegelt. Es entstehen Fragen wie: Wie sehe ich Studierende? Wieviel Unterstützung möchte/kann ich anbieten? Was ist der Anteil des selbstständigen Lernens von Seiten der Studierenden? Gibt es Grenzen der Unterstützung? Diese Fragen führen weiter zum Selbstverständnis der Universität als Bildungsinstanz, die darauf aufbaut, dass Studierende Kompetenzen mitbringen und aktiv an der eigenen Bildungsbiographie arbeiten. Eine Diskussion, die sich in meinen Augen nicht abschließen lässt. Bringt doch Heterogenität von Studierenden eine hohe Vielfalt an Bedürfnissen und Ausgangslagen mit sich. Eine Vielfalt, die ich mich als wissenschaftlicher Mitarbeiter herausfordert, den Blick auf die Studierenden zu legen. Aber auch eine Vielfalt, die ich pflegen und stärken möchte. Unter dem Blickwinkel, dass Universitäten einen Auftrag zur Verminderung von Ungleichheiten und den Ausbau der Teilhabe übernehmen, auch ein bildungspolitisches Ziel.
Abschluss
Die kollegiale Fallberatung hat neue Energie und Ideen für das kommende Semester gebracht. Insbesondere die Erfahrung der Kolleg*innen in der Beratung war hier hilfreich und unterstützend. Der Austausch war wertschätzend und freundlich.
Die Vorbereitung des eingebrachten Falls machte ich im Zusammenhang zu meiner eigenen hochschuldidaktischen Weiterbildung. An der Universität Paderborn wird das NRW‐weite Zertifikatsprogramm „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule“ angeboten. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten aber auch der kollegiale Austausch sind immer wieder eine Bereicherung für mich, um Herausforderungen konstruktiv zu begegnen. Hier entstand die Motivation, meine Frage(n) mit weitere Kolleg*innen zu besprechen. Das Ziel hierbei: Die Entwicklung meiner die Lehre betreffenden Kompetenzen.
Für mich als beruflicher Anfänger im Bereich der Lehre an Hochschulen, ist die HFD Summer School eine wichtige Hilfestellung. Zum einem zur Klärung von eigenen Problemlagen, zum anderen zur Gestaltung von Austausch und dem Aufbau von Netzwerken. Vielen Dank dafür an die verantwortlichen Personen für diese Möglichkeit und natürlich an mein Team.
(1) Siehe hierzu: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/Hochschule‐und‐ Universit%C3%A4t/Aktuelles/corona/corona_online‐befragung_studierende.html, http://www.lehre.uni‐ freiburg.de/notizblog‐lehre/corona‐befragung‐der‐studierenden‐der‐schnelle‐umstieg‐auf‐ein & https://uni‐ bielefeld.de/themen/qm‐studium‐lehre/befragungen‐ monitoring/studierendenbefragung/sommersemester2020/
(2) Siehe hierzu unter dem Stichwort „Kommunikative Didaktik“ von Borsum, Posern & Schittko, 1982.