Gute Lösungen finden und teilen mit Entwurfsmustern
Gute Lösungen finden und teilen mit Entwurfsmustern
14.09.17Entwurfsmuster sind wiederverwendbare Vorlagen zu Lösung von Problemen, die vor allem in der Architektur und in der Softwareentwicklung genutzt werden. Christian Kohls von der FH Köln beschreibt, wie Entwurfsmuster auch im E-Learning hilfreich sein können.
Die Digitalisierung verändert die Bildungsangebote auf vielfältige Weise. Der Zugang zu Bildungsressourcen wird flexibler, offener und vielseitiger. Gleichzeitig findet das Lernen dank mobiler Endgeräte an unterschiedlichsten Orten zu verschiedensten Zeiten statt. Die dauerhafte Verbindung zum Internet ermöglicht neue Szenarien der Zusammenarbeit, z.B. indem Studierende ihre Beobachtungen fotografieren und dann in der Gruppe teilen. Es entstehen viele neue Ideen, wie sich digitale Medien und Materialien zum Lernen einsetzen lassen – und zwar nicht nur online. Doch nicht alle Maßnahmen sind erfolgreich. Umso wichtiger ist es, die guten Praktiken zu dokumentieren und unter Kollegen zu teilen. Genau hier setzt das Entwurfsmuster-Prinzip an.
Entwurfsmuster für E-Learning
Entwurfsmuster beschreiben und erklären wiederkehrende Lösungen leicht verständlich, so dass andere diese Erfahrungen bei der Gestaltung ihrer eigenen Lehre oder Lernumgebung nutzen können. Beispiele im Bereich E-Learning sind z.B. Online-Trainings, E-Prüfungen oder Peer-Assessment. Diese und weitere Muster sind bei e-teaching.org beschrieben. Inzwischen kann man bei diesen Beispielen schon von etablierten Lösungen sprechen. Doch als das Beschreibungsformat bei e-teaching.org eingeführt wurde, waren diese Lösungen zwar von Pionieren erprobt, aber längst nicht allen Akteuren bekannt (Kohls & Wedekind, 2008). Darin liegt der Charme von Entwurfsmustern: einerseits neue, innovative Ideen aufzufassen, anderseits auf bereits bewährte Lösungen zurückzugreifen.
Viele didaktische Entwurfsmuster haben einen engen Bezug zu digitalen Lehrformaten. Sie stammten anfangs noch häufig aus der Informatik, da Entwurfsmuster gerade in der Softwareindustrie sehr erfolgreich sind (z.B. Gamma et. al, 1995). Längst arbeiten Pädagogen und Informatiker jedoch gemeinsam an guten Lösungen. Ein aktuelles Beispiel für das Auffinden von neuen Entwurfsmustern mit Bezug zu digitalen Medien sind die „Hybrid Pedagogical Patterns“, die auf einem EduPLoP Workshop gesammelt worden sind. „Hybride Pädagogik“ versucht häufig in der Lehre anzutreffende Dichotomien aufzulösen, z.B. die Unterscheidung zwischen online und offline, digitalen und analogen Werkzeugen, formalen und informellen Settings, akademischer und nicht-akademische Ausbildung (Rorabaugh & Stommel, 2012). Vielmehr verschmelzen die verschiedenen Sichtweisen, wenn Online-Medien in der Präsenzlehre eingesetzt werden, Lernen durch Lehren stattfindet, reale Objekte augenblicklich digitalisiert und umgekehrt digitale Konzepte sich durch Projektionen, 3D-Drucke oder die Steuerung von Geräten im realen Raum manifestieren. Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, die jedoch nicht alle im Bildungskontext sinnvoll sind. Hier helfen Entwurfsmuster dabei, gute Lösungen zu identifizieren und über neue Ansätze zu reflektieren. Beispiele sind das Ermöglichen alternativer Lernpfade durch Medien, das schnelle Sammeln von Ideen und Vorschlägen auf einer digitalen Arbeitsfläche, das Etablieren von Lernorten jenseits des Campus oder das Dokumentieren von Entwicklungsprozessen mithilfe von Smartphones.
Entwurfsmuster in der Hochschuldidaktik
Eine ganze Reihe von Projekten und Forschungsarbeiten haben angefangen, pädagogische oder didaktische Muster zu sammeln, als erstes im Pedagogical Patterns Project. Auch die Universität Hamburg vermittelt hochschuldidaktisches Wissen zum Thema E-Learning mit Entwurfsmustern und hat mit PP2T zudem ein Werkzeug entwickelt, mit dem Anwender ihre eigenen Muster schreiben können. Bauer und Baumgartner (2012) haben gleich eine ganze Entwurfsmustersprache für E-Portfolios entwickelt. Mustersprachen bestehen aus mehreren, miteinander verknüpften Mustern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Designer eine Sprache bzw. ein Vokabular an die Hand bekommen, mit dem sie komplexe Lösungsansätze ausdrücken können. Baumgartner (2011) sieht in Entwurfsmustern daher auch einen wichtigen Beitrag zur Taxonomiebildung bei Unterrichtsmethoden. Muster beziehen sich aber nicht nur auf Methoden und Szenarien, sondern können auch die Gestaltung von Werkzeugen, Medien, Materialien und Lernräumen umfassen. An der TH Köln wird derzeit z.B. eine Mustersprache für Blended Innovation Spaces entwickelt (innovative Lernräume für Design Thinking), in denen reale und digitale Welt verschmelzen.
Damit schließt sich der Kreis, denn ursprünglich stammt der Ansatz aus der Architektur. Der Architekturtheoretiker Christopher Alexander entwickelte die Mustertheorie, um systematisch gute und lebendige Strukturen für Regionen, Städte und Gebäude zu sammeln (Alexander et al., 1977).
Warum sind Entwurfsmuster mehr als nur Good Practices?
Entwurfsmuster beschreiben nicht nur die Lösungsformen sondern bieten einen vollständigen Analyserahmen, der einzelne Lösungen miteinander verknüpft und den Einsatzkontext, das Problemfeld mit seinen Wirkkräften und Einflussfaktoren, die Umsetzung und die erzielten Mehrwerte einer Lösungsform explizit aufgreift. Doch fangen wir zunächst mit der Lösungsbeschreibung an. Ein gutes Entwurfsmuster ist konkret genug, um Designentscheidungen und Umsetzungsschritte aufzuzeigen. Gleichzeitig darf die Lösung nicht zu spezifisch oder exemplarisch sein. Denn es handelt sich keineswegs um Rezepte, die sich einfach kopieren lassen. Vielmehr zeigen sie Handlungsspielräume auf und sind flexibel genug, um mit eigenen Ideen angereichert zu werden. Entwurfsmuster lassen sich miteinander und mit eigenen Ansätzen kombinieren, um neuartige Lehrszenarien individuell zu kreieren. Diese kombinatorischen Eigenschaften werden häufig unterstützt, indem gekürzte Fassungen der Muster als Spielkarten eingesetzt werden.
Problembewusstsein stärken
Wenn man von Lösungen spricht, dann sollte es auch ein Problem geben. Die Beschreibung des Problems ist aus meiner Sicht fast noch wichtiger als die Lösung selbst. Denn häufig sind es ja nicht nur die fehlenden Lösungen, sondern es ist das fehlende Problembewusstsein, das dazu führt, dass viele Potentiale ungenutzt bleiben. Entwurfsmuster haben also nicht nur die Funktion, gute Lösungen zu sammeln und zu teilen, sondern auch Probleme überhaupt erst aufzuzeigen. Durch die Offenlegung des Problems erhalten wir auch gleichzeitig eine Begründung für neue Lernformen. Der Flipped Classroom z.B. ist nicht nur ein Experiment sondern adressiert reale Probleme, nämlich die Aufmerksamkeitsspanne während der Vorlesung, heterogenes Vorwissen der Studierenden und fehlende Betreuung beim Selbstlernen. Es geht also nicht nur darum zu sagen, was ein Flipped Classroom ist, sondern zu erklären, warum man ihn überhaupt einsetzen sollte. Das Entwurfsmuster Inverted Classroom bei e-teaching.org leistet genau dies.
Reflexion mit Entwurfsmustern
Das Beschreiben des Problems ist daher gleichzeitig ein Reflexionsprozess. Denn nicht immer liegt auf der Hand, warum etwas gut funktioniert und warum eine Lösung genau diese Struktur haben soll. Gerade beim Experimentieren mit neuen Methoden und digitalen Medien werden manchmal zufällig gute Ansätze entdeckt, die dann nachträglich erklärt werden können.
Im Entwurfsmusteransatz werden die einzelnen Designentscheidungen mit Wirkkräften, Rahmenbedingungen oder durch die Darlegung eines Spannungsfelds begründet. Die Beschreibung hilft dabei, die Kausalität und den Zusammenhang zwischen Problem und Lösung zu verstehen und empirisch zu überprüfen. Dies ist Voraussetzung dafür, Lösungen nicht als starre Schablonen zu verwenden, sondern kritisch zu hinterfragen und an eigene Bedürfnisse anzupassen.
Ob eine Lösung wirklich passt, hängt auch von der jeweiligen Situation und ihrem Umfeld ab. Daher beschreiben Entwurfsmuster auch immer explizit den Kontext, also wann man die Lösung einsetzen sollte und wann eher nicht. Wenn man nicht mit den Konsequenzen der Lösung leben kann – z.B. zu hoher Zeitaufwand, zu viele Stolpersteine oder zu teures Equipment – dann sollte man nach einer Alternative suchen. Vielleicht sind hierfür die Erörterung von Kontext, Problem, Wirkkräften und Konsequenzen sogar wichtiger als die Lösungsbeschreibung selbst. Eine gute Lösung ist meist sehr einfach und lässt sich daher intuitiv verstehen. Gerade das macht sie gut. Der Weg zu dieser Lösung und die Erkenntnis der verzwickten Probleme dahinter sind jedoch meist die eigentlichen Herausforderungen.
Wie finde ich Entwurfsmuster?
Das Auffinden von Entwurfsmustern nennt man Pattern Mining. Man sucht nach den „Nuggets of Wisdom“ und muss diese noch feinschleifen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Muster zu finden. Bewährt haben sich das Aufschreiben von Erfolgsgeschichten auf kleinen Kärtchen und das anschließende Clustern zu Entwurfsmustern. Man beginnt also mit der Generalisierung von existierenden Lösungen und startet dann mit einem Reflexionsprozess. Dabei helfen folgende Fragen:
- Was ist die allgemeine Lösungsform? Was sind die relevanten Designentscheidungen?
- Wie lässt sich die Lösung umsetzen? Gibt es Hilfsmittel? Welche Stolpersteine gibt es?
- Warum brauche ich überhaupt diese Lösung? Was ist das Problem?
- Was ist der Grund für die Lösungsform? Welche Einflussfaktoren oder treibenden Kräfte gibt es?
- Was sind die Rahmenbedingungen? Zu welchem Kontext passt die Lösung? Wann ist sie ungeeignet?
- Was sind die Konsequenzen? Welche Vor- und Nachteile habe ich? Schaffe ich neue Probleme?
Nicht jeder Praktiker findet Gefallen daran, seine Erfolgsgeschichten als Muster aufzuschreiben. Denn der Schreibprozess ist mühsam und kostet Zeit. Zudem kann das strenge Beschreibungsformat frustrieren: „Wenn etwas doch funktioniert, warum muss ich es dann jetzt auch noch begründen?“ ist dann die Reaktion. Gute Lehrende wollen vor allem eins: gute Lehre betreiben. Die Reflexion über den eigenen Lösungsansatz kann aber neue Einsichten gewähren und das Teilen der eigenen Lösungsansätze hilft vielen anderen. Das gemeinsame Schreiben von Entwurfsmustern in Rahmen von Workshops oder Peer-Sitzungen ist ein guter Weg, um mehr Entwurfsmuster zu dokumentieren. Im Dialog lassen sich viele der Fragen besser beantworten. Die Beschreibungen müssen dabei nicht immer publikationsreif sein. Auch innerhalb einer Organisation und eines Projekts gibt es spezifisches Erfahrungswissen, das sich über Entwurfsmuster intern gut teilen lässt. Studierende können in den Schreibprozess miteinbezogen werden. Dies ist besonders interessant, weil hier die Probleme (und Lösungsansätze) aus Studierendensicht aufgegriffen werden. Lehrende erhalten so manchmal überraschende Einblicke, wie heute mit digitalen Medien jenseits der etablieren Lernplattformen gelernt wird.
Fazit
Welche neuen Lösungsformen sich im Zuge der Digitalisierung etablieren und durchsetzen werden ist noch längst nicht absehbar. Wer besonders lebendige Lehr- und Lernformen entdeckt, sollte diese teilen und gemeinsam mit anderen darüber diskutieren. So lassen sich die Erfahrungen nutzen, um anderorts Fehler nicht zu wiederholen und stattdessen auf erfolgreiche Lösungen aufzubauen. Entwurfsmuster sind ein geeignetes Format, da sie Lösungen erklären und genügend Freiräume bieten, eigene Ansätze zu entwickeln.
Referenzen
Alexander, C., Ishikawa, S., Silverstein, M., Jacobson, M., Fiksdahl-King, I., & Angel, S. (1977). A pattern language. New York, USA: Oxford University Press.
Bauer, R., & Baumgartner, P. (2012). Schaufenster des Lernens – Eine Sammlung von Mustern zur Arbeit mit E-Portfolios. Münster: Waxmann.
Baumgartner, P. (2011). Taxonomie von Unterrichtsmethoden: Ein Plädoyer für didaktische Vielfalt. Münster: Waxmann.
Gamma, E., Helm, R., Johnson, R., & Vlissides, J. (1995). Design Patterns: Elements of Reusable Object-Oriented Software. Reading: Addison-Wesley.
Kohls, C., & Wedekind, J. (2008). Die Dokumentation erfolgreicher E-Learning-Lehr-/Lernarrangements mit didaktischen Patterns. In S. Zauchner, P. Baumgartner, E. Blaschitz, & A. Weissenbäck (Eds.), Offener Bildungsraum Hochschule: Freiheiten und Notwendigkeiten. pp. 217-227. Münster: Waxmann Verlag.
Rorabaugh, P., & Stommel, J. (2012). Hybridity: What does hybrid pedagogy do?