Ein Pionier im Neuland: Jürgen Handke
Ein Pionier im Neuland: Jürgen Handke
03.02.16Pioniere bewegen sich auf Neuland und da läuft längst nicht alles nach Plan. Jürgen Handke kennt das gut. Er ist eine der wenigen Lehrkräfte Deutschlands, die in akribischer Kleinarbeit und mit phänomenaler Ausdauer ein ganzes Studienfach digitalisiert haben.
Während sich zwischen Flensburg und Bodensee auch heute noch das Gros der Hochschulgestalter und Lehrkräfte gegen einen derart konsequenten Einsatz digitaler Lehr- und Lernformate sträubt, schafft Professor Handke seit den 2000er Jahren an der Philipps-Universität in Marburg Semester für Semester neue Erfahrungswerte, wie die Linguistik im Studiengang Anglistik noch besser und effektiver gelehrt werden kann.
Labor für gute Lehre
Dabei geht es im Hintergrund immer auch darum, welche Methoden und Formate überhaupt funktionieren. Handke weiß längst, auf was die Studierenden anspringen, an was sie erst noch herangeführt werden müssen oder wann sie reihenweise streiken. Was beim Inverted-Classroom-Modell – dem umgekehrten Klassenzimmer – beispielsweise nicht funktioniere: zusätzlichen Lehrstoff in das Fach packen, um freiwerdende Zeitintervalle in den Präsenzzeiten auszufüllen. „Anfangs dachten wir, das wäre doch ein schöner Mehrwert, wenn wir mehr Lernstoff anbieten, als in der klassischen Lehre üblich, aber dieses Konzept haben uns die Studierenden sofort zerpflückt“, sagt Handke.
Das Digitalisieren der Lehrinhalte sei die größte Hürde für Lehrkräfte, glaubt der 60-Jährige, dessen Büro mit Kamera, Stativen und Lampen vollsteht und wie ein kleines Studio aussieht. Über die Jahre veröffentlichten Handke und sein Team auf der eigens geschaffenen Plattform linguistics-online.com 250 Kurse mit Hunderten 2- bis 15-minütigen E-Lectures, Tests, Muttersprachler-Hörproben und digitalen Workbooks, mit denen sich die Studierenden das Semester hindurch auf die Präsenzzeiten an der Uni vorbereiten. Alle digitalen Lernangebote würden immer wieder überarbeitet, auch das koste Zeit, so Handke.
Kreatives Gewusel im Hörsaal
Entlohnt werde all das dann im Hörsaal, wenn in den Präsenzzeiten das kreative Gewusel entstehe, wie ein Student die Arbeitsatmosphäre einmal so schön beschrieben habe, erzählt der Professor: „In meinen klassischen Vorlesungen hat sich damals eine Handvoll Studierende zu Wort gemeldet, heute spreche ich mit 60 Prozent der Anwesenden und aus all den Gesprächen und Diskussionen entstehen gerade in großer Runde viele spannende und produktive Ideen.“
Die Kehrseite sei, dass diese Lehrmethode, das permanente Erklären, bei dem er durch die Reihen und oft auch in die Knie gehe, um mit den Studierenden auf Augenhöhe zu sprechen, ziemlich schlauche. Diese Nähe sei neu, als Lehrkraft verschwinde man nicht mehr zur Hälfte hinterm Pult, sondern präsentiere sich sozusagen in voller Länge, auch mit vielleicht schlecht sitzender Hose oder ungeputzten Schuhen. Aber wieder zur klassischen Form zurückkehren? Dieser Gedanke sei so fad wie eine Welt ohne Internet.
Jürgen Handke, der Pionier, hat nicht nur sein Tun im Blick. Mit Vorliebe gibt er weiter, was ihn selbst so erfüllt: die guten und herausfordernden Erfahrungen mit digitaler Lehre. Er glaubt an die Kraft intensiver Gespräche, wie im Hörsaal, von Auge zu Auge: „Coachings sind ehrlicher und effektiver als Vorträge.“
Wer ihn kontaktieren möchte:
handke@staff.uni-marburg.de
http://www.facebook.com/juergen.handke.33