Barrierefreiheit in der Lehre – das ist doch viel zu kompliziert, oder?!
Barrierefreiheit in der Lehre – das ist doch viel zu kompliziert, oder?!
13.10.25
In diesem Blogbeitrag berichten Judith Kuhlmann, Kim Althoff und Hakan Ali Çetin von einem Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, die digitale, barrierefreie Lehre an deutschen Hochschulen zu stärken. Mithilfe von Umfragen haben sie nämlich festgestellt, dass Lehrende ihr Lehrmaterial gerne barrierearm gestalten möchten – viele wissen nur nicht wie. Hier setzen die Selbstlernkurse des Projekts an. Diese enthalten Informationsmaterialien zur barrierefreien Lehre sowie Checklisten, mit denen Lehrende ihre eigenen Materialien überprüfen können. Denn eins ist klar: Digitale Barrierefreiheit ist nicht nur eine gesetzliche Vorgabe, sondern ein Ausdruck von Haltung und Qualitätsanspruch in der Lehre.
Im Projekt SHUFFLE haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, auf struktureller, technischer und didaktischer Ebene Maßnahmen zu entwickeln, um die digitale Barrierefreiheit an Hochschulen zu verbessern. Eine zu Beginn des Projekts durchgeführte Lehrendenbefragung machte deutlich, dass digitale Barrierefreiheit ein Thema ist, welches Lehrenden am Herzen liegt – aber zugleich auch Unsicherheiten auslöst. Aus der Auswertung der Ergebnisse ging für uns ein klarer Auftrag hervor: Es braucht Unterstützung, Orientierung und konkrete Werkzeuge, um barrierefreie Lehre möglich zu machen.
Das Projekt SHUFFLE
Das Verbundprojekt „SHUFFLE – Hochschulinitiative Digitale Barrierefreiheit für Alle“ wird seit 2021 von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre gefördert. Ziel des Projekts ist es, digitale barrierefreie Lehre an deutschen Hochschulen auf technischer, didaktischer und strategischer Ebene nachhaltig zu stärken. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, haben wir von Anfang an ein partizipatives Vorgehen gewählt, bei dem Lehrende und Studierende aktiv in die Entwicklung der Materialien einbezogen wurden.
In diesem Beitrag möchten wir zentrale Projektergebnisse vorstellen – insbesondere jene, die auf die in unseren Erhebungen formulierten Bedarfe der Lehrenden eingehen und praxisnahe Unterstützung für eine digital barrierefreie Hochschullehre bieten.
Was Lehrende brauchen – und was wir daraus gemacht haben
Unsere Befragungen und Interviews mit Lehrenden haben gezeigt, dass es weniger an Bereitschaft fehlt, sondern vielmehr an konkretem Wissen und einfach umsetzbaren Maßnahmen. Der Wunsch nach klaren Leitlinien, einfachen Tools und praktischen Checklisten ist deutlich geworden. Wir wollten eine Lösung finden, die einen niedrigschwelligen Zugang bietet und eine orts- und zeitunabhängige Nutzung garantiert. Daher haben wir uns für die gebündelte Bereitstellung von Unterstützungsmaterialien in den beiden Lernmanagementsystemen entschieden, die an deutschen Hochschulen am häufigsten verwendet werden. In mehreren Moodle- und ILIAS-Kursen haben wir Unterstützungsmaterialien für Lehrende zu verschiedenen Themenschwerpunkten zur Umsetzung von digitaler Barrierefreiheit in der Lehre zusammengestellt.
Bei der Entwicklung dieser Materialien diente uns das Universal Design for Learning (UDL) als roter Faden. Das UDL-Prinzip beschreibt, dass bereits kleine Anpassungen einer großen und heterogenen Zielgruppe zugutekommen können und verfolgt das Ziel, Lernmaterialien und -umgebungen von vornherein so zu gestalten, dass sie möglichst vielen Lernenden gerecht werden – einschließlich Studierenden mit Behinderungen. Die Integration von UDL-Konzepten in die Hochschullehre trägt somit wesentlich zur Schaffung einer inklusiven, barrierefreien Lernumgebung bei, die individuelle Lernbedürfnisse berücksichtigt. Digitale Barrierefreiheit spielt dabei eine zentrale Rolle, da Lernprozesse zunehmend digital unterstützt werden.
Moodle-Kurs: Materialpaket barrierefreie Lehre
Das „Materialpaket barrierefreie Lehre“ auf Moodle ist eine Sammlung verschiedener Inhalte und Hinweise zur barrierefreien Gestaltung von Lehrveranstaltungen. Kernstück des Materialpakets sind übersichtliche Checklisten für die Erstellung möglichst barrierefreier Dokumente und Lehrsituationen. Darüber hinaus enthält das Materialpaket eine Wissensdatenbank mit Good-Practice-Beispielen, rechtlichen Informationen und konkreten Handlungsempfehlungen.
Für die Erstellung barrierefreier Dokumente stehen Checklisten mit Umsetzungshilfen für Word, PowerPoint, Excel und PDF zur Verfügung. Diese Checklisten basieren in erster Linie auf der europäischen Norm für digitale Barrierefreiheit (EN 301 549). Wir haben uns bewusst dazu entschieden, einige der Kriterien, die in der Praxis selten verwendet werden, nicht mit in die Listen aufzunehmen, um die Checklisten möglichst niedrigschwellig zu gestalten. Durch die Reduzierung der Checklisten auf die für die Hochschul-Praxis relevanten Kriterien und das Hinzufügen didaktisch relevanter Checkpunkte wurden Checklisten erstellt, die speziell auf den Hochschulalltag und die Bedürfnisse von Lehrenden zugeschnitten sind. Um die vollumfängliche Barrierefreiheit nach EU-Norm zu gewährleisten, stellen wir zusätzlich erweiterte Checklisten im Kursraum bereit.
Wenn bei der Umsetzung einzelner Aspekte Hilfe benötigt wird, können Nutzende über einen Link an jedem Checkpunkt direkt zu den Umsetzungshilfen gelangen, die ihnen weitere Informationen liefern. Dort wird nicht nur der jeweiligen Checkpunkt ausführlich erläutert, sondern auch detaillierte Anweisungen zur Umsetzung oder Überprüfung gegeben. Es wird außerdem beschrieben, welche Barrieren mit dem jeweiligen Aspekt beseitigt werden und für welche Personengruppen dies wesentlich ist. Die Umsetzungshilfen bieten somit nicht nur konkrete Unterstützung bei der Umsetzung barrierefreier Lehre, sondern schärfen auch das Bewusstsein für unterschiedliche Bedürfnisse und machen die Bedeutung barrierefreier Gestaltung greifbar.
Die Checklisten zur Gestaltung barrierefreier Lehrsettings sind vielfältig – von Tipps zur Gestaltung von Lehrvideos bis hin zur Planung inklusiver digitaler Lehre. Da Lehrvideos inzwischen fester Bestandteil der digitalen Hochschullehre sind, enthält das Materialpaket eine eigene Checkliste zur barrierefreien Gestaltung von Videos. Weitere Checklisten unterstützen die Lehrenden bei der Semester- und Seminarplanung barrierefreier Lehrformate. Enthalten sind Tipps zu strukturellen, didaktischen und zwischenmenschlichen Aspekten, beispielsweise Hinweise zu geeigneten Gruppengröße oder zur diversitätssensiblen Kommunikation. Die einzelnen Prüfpunkte sind als leicht verständliche und direkt umsetzbare Handlungsempfehlungen formuliert, die eine einfache Integration in den Lehralltag ermöglichen. Auch diese Checklisten enthalten ergänzende Hinweise dazu, für welche Studierendengruppen die jeweiligen Maßnahmen besonders hilfreich sind.
In der Wissensdatenbank haben wir weitere für Lehrkräfte relevante Informationen zur barrierefreien digitalen Lehre gesammelt. Neben Empfehlungen zum Einsatz von Methoden und Sozialformen werden auch Informationen zu barrierefreier (Fach-)Literatur, zugänglicher Sprache und zum Nachteilsausgleich bereitgestellt. An vielen Stellen ergänzen Beispiele für bewährte Praktiken die Wissensdatenbank, um die Übertragung auf die eigene Lehre zu erleichtern.
Um eine flexible Nutzung zu ermöglichen, sind die Inhalte in verschiedenen Formaten verfügbar. Alle Checklisten sind als Fortschrittslisten im Moodle-Kurs angelegt. Diese Fortschrittslisten zeigen die Entwicklung der Barrierefreiheit und erleichtern das digitale Abhaken. Die Checklisten und Umsetzungshilfen stehen zusätzlich als barrierefreie Word-Dokumente zum Download bereit. Zur Unterstützung der Umsetzung bietet das Materialpaket neben theoretischem Wissen auch praxisnahe Beispiele und bewährte Verfahren, die als Orientierung und Motivation für die eigene Lehre dienen können.
Werfen Sie gerne direkt einen Blick in den Moodle-Kurs Materialpaket barrierefreie Lehre!

Moodle-Kurs: Moodle-Kurse barrierefrei gestalten
Neben Materialien zur Lehre allgemein haben wir uns intensiv mit digitalen Lernplattformen beschäftigt. Dazu haben wir einen Moodle-Kurs erstellt, der sich konkret mit der barrierefreien Umsetzung ebendieser beschäftigt und wichtige Tipps und Informationen sowie eine Checkliste und Umsetzungshilfe beinhaltet. Da Moodle als eines der meistgenutzten Lernmanagementsysteme in Deutschland verwendet wird, ist die barrierefreie Gestaltung zwingend notwendig. Nur so kann die Zugänglichkeit zu Informationen und Inhalten auf der Plattform für alle Nutzenden gewährleistet werden.
Basierend auf der Testung von Moodle 3.11 haben wir uns mit den typischen Fehlerquellen und Problemen von Nutzenden beschäftigt. Studierende kritisieren die unübersichtliche Navigation, die fehlende Struktur innerhalb von Kursen und Reizüberflutung durch zu viele Inhalte. Diese Schwierigkeiten von Studierenden mit Moodle zeigen, wie wichtig ein konsistenter Aufbau ist.
Diese Darstellungsfehler können beim Anlegen von Überschriften in einem Moodle-Kurs entstehen. Durch eine fehlerhafte Verwendung der Überschriftenhierarchien werden diese den falschen Ebenen zugeordnet, sodass diese in einer falschen Reihenfolge dargestellt werden und auch von Screenreadern nicht korrekt erfasst werden können. Auch bei dem Erstellen von Listen kann es zu Komplikationen kommen, zum Beispiel wenn sie ohne Formatvorlagen des Texteditors erstellt wurden. Beim Erstellen von Absätzen und Spalten kann es zu Fehlern kommen, etwa wenn statt der integrierten Absatzformatierung mehrere Leerzeilen mit der Enter-Taste eingefügt werden. Insgesamt ist es in Moodle notwendig, stets auf die richtigen Formatierungen zu achten. Durch das Kopieren und Einfügen von Texten können falsche Formatierungen entstehen. Bei der Nutzung von Moodle mit einem Screenreader kann es dazu kommen, dass Bilder nicht richtig ausgelesen werden. Deswegen ist es zwingend erforderlich, einen Alternativtext hinzuzufügen oder das Bild als dekorativ zu kennzeichnen.
Um Lehrende bei der Gestaltung von barrierefreien Moodle-Kursen zu unterstützen, stellen wir auch hier eine Checkliste mit Fortschrittsliste zur Verfügung. Diese beinhaltet konkrete Anweisungen zur Erstellung von Texten, Überschriften, Links, Grafiken, Tabellen sowie zur Einbindung von Video-, Audio- und anderen Materialien. Die Nutzung der Checkliste erfolgt wie bereits im Materialpaket beschrieben: Die einzelnen Checkpunkte können direkt im Moodle-Kurs abgehakt werden. Zu jedem Checkpunkt ist die passende Umsetzungshilfe mit detaillierten Anleitungen und Zusatzinformationen verlinkt. Darüber hinaus sind sowohl die Checkliste als auch die Umsetzungshilfe im Kurs als Download verfügbar.
Das Abhaken der Checkpunkte in der Fortschrittsliste genügt grundsätzlich als Nachweis für die Barrierefreiheitsprüfung eines Moodle-Kurses. Ergänzend stellen wir jedoch weiterführende Informationen zur Testung der Barrierefreiheit zur Verfügung – sowohl zur Nutzung des „Brickfield Tools”, das als Plugin in Moodle an der jeweiligen Hochschule installiert und freigeschaltet werden muss, als auch zur manuellen Testung.
Werfen Sie gerne direkt einen Blick in den Moodle-Kurs Moodle-Kurse barrierefrei gestalten!

ILIAS-Lernraum: Lernraum für (digitale) Barrierefreiheit in der Lehre
ILIAS zählt neben Moodle zu den meistgenutzten Lernmanagementsystemen in Deutschland. Es wird nicht nur an Hochschulen, sondern auch in zahlreichen anderen Einrichtungen eingesetzt. Bei der Überprüfung der Barrierefreiheit zu Projektbeginn zeigte sich, dass rund 40 % der festgestellten Probleme auf ILIAS auf User Generated Content zurückzuführen sind. Parallel zur Behebung von Plattformfehlern in Kooperation mit der Entwickler:innen-Community haben wir den Fokus auf Fehler bei der Inhaltserstellung gelegt und einen ILIAS-Lernraum entwickelt, mit dem Barrierefreiheit selbstständig erlernt und umgesetzt werden kann.
Der Lernraum gliedert sich in drei Themenblöcke: „Bewusstsein für Barrierefreiheit“, „Barrierearme Lernumgebung“ und „Barrierearme Materialien“. Abgerundet wird das Angebot durch eine Ressourcensammlung mit weiterführenden Quellen.
Viele Lehrende haben in den Befragungen angegeben, über wenig Vorwissen zu Beeinträchtigungen und Barrierefreiheit zu verfügen (s. o.). Deswegen haben wir den technischen Modulen das Einstiegsmodul „Bewusstsein für Barrierefreiheit“ vorangestellt. Darauf folgen die technischen Module „Barrierearme Lernumgebung“ und „Barrierearme Materialien“. Der Block „Lernumgebung“ enthält zwei ILIAS-spezifische Module. Sie behandeln sowohl die barrierearme Gestaltung und Verwaltung von Kursräumen als auch typische Hürden bei bestimmten Aufgabentypen in E-Prüfungen. Ergänzend veranschaulichen Beispielkursräume (Positiv- wie Negativbeispiele) die Umsetzung der ILIAS-Barrierefreiheit. Im Block „Materialien“ führen Schritt-für-Schritt-Anleitungen durch die barrierearme Erstellung von PDFs und von Dokumenten in den gängigen MS-Office-Programmen. Jedes Modul lässt sich in 30–45 Minuten absolvieren.
Werfen Sie gerne direkt einen Blick in den ILIAS-Lernraum Lernraum für (digitale) Barrierefreiheit in der Lehre!

Barrierefreiheit als Haltung – nicht nur als Pflicht
Für uns im Projektteam ist eines besonders wichtig: Digitale Barrierefreiheit ist nicht nur eine gesetzliche Vorgabe, sondern ein Ausdruck von Haltung und Qualitätsanspruch in der Lehre. Es geht um Chancengerechtigkeit, um Sichtbarkeit und Teilhabe – denn gute Lehre sollte alle mitnehmen. Die drei entwickelten Kurse verstehen sich als niedrigschwellige erste Anlaufstelle für alle Statusgruppen – mit besonderem Fokus auf Lehrende. Sie bündeln zentrale Informationen, stellen diese in kompakter Form bereit und verbinden technische und didaktische Perspektiven. So bieten sie Lehrenden einen praktischen Einstieg mit vielen Beispielen und fungieren als „didaktischer Doppeldecker“, da sie selbst barrierefrei gestaltet sind. Wir verstehen unsere Arbeit als Einladung an alle Lehrenden: Wer barrierefrei gestaltet, gestaltet für alle.
Mitmachen, weiterdenken, teilen
Diese drei Kurse sowie alle weiteren Projektergebnisse stehen als Open Educational Resources (OER) zur Verfügung. Sie tragen dazu bei, Hochschullehre barrierefrei und für alle zugänglich zu gestalten. Sie sind frei zugänglich und dürfen unter Beachtung der Lizenz CC BY 4.0 und korrekter Namensnennung frei verbreitet und angepasst werden. Diese offene Lizenzierung ist besonders wertvoll, da sie eine umfassende Weiterverbreitung ermöglicht. Hochschulen, Lehrende und andere Bildungsakteur:innen können die Materialien nicht nur direkt verwenden, sondern auch an ihre jeweiligen Kontexte anpassen, weiterentwickeln oder mit eigenen Inhalten ergänzen.
Wir freuen uns über Feedback, Kooperationen und den gemeinsamen Austausch. Mehr Informationen, Materialien und Kontakte gibt es auf unserer Website.
Autor:innen

Judith Kuhlmann ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld tätig. In dem Forschungsprojekt „SHUFFLE – Hochschulinitiative digitale Barrierefreiheit für Alle“ erarbeitet sie didaktische Empfehlungen und strategische Maßnahmen, die zur Verbesserung von digitaler Barrierefreiheit an Hochschulen beitragen.

Kim Althoff hat in Bielefeld das Bachelor- und Masterstudium im Fach Erziehungswissenschaft absolviert. Seit 2023 arbeitet sie in dem Forschungsprojekt „SHUFFLE – Hochschulinitiative digitale Barrierefreiheit für Alle“ an der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt die digitale Barrierefreiheit in der Hochschullehre zu verbessern und eine chancengerechte digitale Teilhabe für alle Studierenden zu gewährleisten.

Seit seinem Lehramtsabschluss an der Universität Freiburg engagiert sich Hakan Ali Cetin für einen chancengerechten Zugang zu Bildung. An der Pädagogischen Hochschule Freiburg koordiniert er den Projektstandort des Projekts „SHUFFLE“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre und macht dabei Barrierefreiheit Schritt für Schritt zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Hochschulalltags.