Eine studentische Perspektive auf den Monitor Digitalisierung 360°: Wie wird digitale Lehre gedacht?

Eine studentische Perspektive auf den Monitor Digitalisierung 360°: Wie wird digitale Lehre gedacht?

16.07.25

Grafik von Studierenden, die digital lernen und de Text: Blog. Eine studentische Perspektive auf den Monitor Digitalisierung 360°: Wie wird digitale Lehre gedacht? Ein Blogbeitrag von Carolin Then Bergh

Mit dem Monitor Digitalisierung 360° analysiert das HFD alle zwei Jahre den Stand der Digitalisierung in Studium und Lehre. Die neuste Befragung zeigte, dass in den letzten Jahren bei der Digitalisierung an deutschen Hochschulen große Fortschritte gemacht wurden: Nahezu alle Hochschulen hatten eine Strategie zur Digitalisierung in Studium und Lehre. In diesem Blogbeitrag beleuchtet Carolin Then Bergh, studentische Mitarbeiterin beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung, das Thema aus ihrer persönlichen Perspektive als Studentin und berichtet von ihren praktischen Erfahrungen, die sie mit digitaler Hochschullehre gemacht hat.

Ende des Jahres 2024 erschien der Monitor Digitalisierung 360° (WiSe 2023/2024). Er bildet einen umfassenden Überblick über den Stand aktueller Digitalisierungsmaßnahmen ab, gleichzeitig sammeln wir Student:innen ganz individuelle Erfahrungen. In diesem Beitrag möchte ich meine studentische Perspektive zu den Ergebnissen des Monitors einbringen und mit Erfahrungen zu Inverted Classroom und dem Einsatz von digitalen Medien greifbar machen. Dabei treibt mich die Frage um, welche Digitalisierungsmaßnahmen eigentlich Auswirkungen auf meinen Lernerfolg hat.

Mehr als nur technischer Fortschritt: Digitalisierung als Erinnerung an Lernerfolge

Der Monitor Digitalisierung 360° (WiSe 2023/2024) zeigt, dass in den letzten Jahren Fortschritte in der Digitalisierung an deutschen Hochschulen gemacht wurden. Er wirft einen Blick auf die Strategiebildung, die Ausstattung von Lernräumen, Lehrformate, Kompetenzen für die digitale Welt und künstliche Intelligenz. Im Monitor haben über 2.000 Personen teilgenommen, davon 1.084 Studierende.

Nach einem ersten Blick in den Monitor stellte ich mir als Studentin die Frage: Was verbinde ich mit dem Schlagwort „Digitalisierung“? Die erste Assoziation dazu war ein Seminar im Inverted Classroom Style, das auf digitale Lernmaterialien zum Erarbeiten der Inhalte setzte. Daneben folgten die Gedanken, dass es in meinem Alltag selbstverständlich ist, remote mit Kommiliton:innen zusammenzuarbeiten, Foliensätze digital zu erhalten und Abgaben via Mail, Lernplattform oder Cloud zu tätigen. Ein Teil der Selbstverständlichkeit liegt womöglich in meinen Fachdisziplinen (Absolventin Media- und Intraction-Design, B.A. und Studentin Medienwissenschaften, M.A), denn Digitalisierung ist in beiden Disziplinen ein zentrales Thema. Digitalisierung bedeutet für mich mehr als nur technischer Fortschritt,  auch keine automatische Innovation und Verbesserung von Lernqualität. Erst wenn Formate, Medien und eingesetzte Technik geschickt ineinander greifen, hat Digitalisierung meinen Lernerfolg beflügelt. Dabei tragen nicht einzelne innovative Komponenten, sondern das Zusammenspiel zu einem stimmigen Lernkonzept bei.

Inverted Classroom im Schatten der Präsenzlehre

Im Konkreten bin ich bei meiner ersten Assoziation, dem Seminar im Inverted Classroom Style: Wir haben ein ausführliches Skript als PDF zur Verfügung gestellt bekommen, die Inhalte waren aber auch als Video verfügbar, im Stil einer Vorlesung. Für die Seminartermine sollten die Inhalte kapitelweise eigenständig erarbeitet werden. Die Termine in Präsenz selbst wurden für Vertiefung  und Übungen genutzt.

Wie so häufig im Studium konnte ich selbst über Ort und Zeitpunkt meiner Lernphasen bestimmen. Um inhaltlich in die Tiefe zu gehen, war für mich ein stiller Platz in der Bibliothek passend. Zum einen der konzentrieren Atmosphäre halber, zum anderen war die Bibliothek so schnell zu erreichen, dass ich nicht viel Zeit verlor, um zu der nächsten Lehrveranstaltung zu kommen. Für mich war das digitale PDF genau richtig, denn es ermöglichte mir, Markierungen und Notizen immer wieder zu überarbeiten, ohne im Chaos aus Rückständen vorheriger Bearbeitungen zu münden, wie zum Beispiel bei durchgestrichenen Anmerkungen auf Papier. Die Option, den Inhalt durch die Videos im Vorlesungsstil zu lernen, nutzte ich meist nicht – keine Möglichkeit zur Annotation und auch das Springen und kleinschrittige Wiederholen von Inhalten ist schwieriger. Wenn sich in manchen Wochen unerwartet Termine überschlugen, griff ich dann doch  zu den Videos. Der Modus in diesen Situation: neben dem Kochen, Aufräumen oder Ähnlichem. Zwar war dann zu wenig Aufmerksamkeit vorhanden, um die Inhalte in die Tiefe zu durchdringen, aber es war genug, um im dazugehörigen Präsenztermin mitzuhalten. Wenn ich im Vergleich eine konventionelle Präsenzveranstaltung verpasse, fehlen mir inhaltliche Erklärungen nahezu komplett. Inverted Classroom bietet mir also die Flexibilität, das Lernen effektiv an mich anzupassen oder Engpässe in meinen Kapazitäten abzumildern. Gleichzeitig kommt es mir zugute, dass ich für Vertiefung und Übung gerne im Austausch bin. Da das der Kern der Präsenztermine war, ersparte ich es mir, Lerngruppen zu organisieren.

Im Vergleich zu den Daten aus dem Monitor scheinen nur wenige Studierende die Erfahrungen eines Inverted Classroom Formats machen zu können: 4,8 % der Studierenden gaben an, dass ein Seminar im Flipped/Inverted-Learning-Format stattfand. Auch Vorlesungen, Übungen und Kleingruppenunterricht lagen bei unter 10 %. Hingegen liegt Präsenzlehre mit 53,1 % und Kleingruppenunterricht bis 74,6 % bei Vorlesungen ganz vorne. Angereicherte Präsenzlehre mit digitalen Medien ist bei Vorlesungen noch häufig vertreten mit 60,6 %, die anderen Formate erreichen hier aber nur noch bis zu 35 %.

Im strategischen Diskurs um Lehrformate bevorzugen Hochschulleitungen und Support Blended Learning (Oberkategorie zu Inverted Classroom) gegenüber hybrider synchroner, Präsenz- und reiner Online-Lehre. Außerdem stimmen über die Hälfte der teilnehmenden Hochschulleitungen und etwas mehr als drei Viertel der Beschäftigten im Support zu, dass Blended Learning breit verankert bzw. möglich ist. Zudem geben mehr als drei Viertel der Lehrenden an, dass sie Meetingtools, Lernplattformen und PDF-Dokumente nutzen. Daher wünsche ich mir, dass sich der strategische Fokus auf Blended Learning auch in der gelebten Praxis niederschlägt und mehr Studierende von Formaten wie Inverted Classroom profitieren können.

Mit gezieltem Einsatz von gängigen Mitteln zur innovativen Lehre

An meinem Beispiel zeigt sich: die Umsetzung von einem Lehrformat geht mit der Auswahl von (digitalen) Medien einher, in diesem Fall PDFs und Videos. Während ich für Vor- und Nachbereitung  sowie in den Lehrveranstaltungen mein Notebook nutze, liegen nach Daten des Monitors Smartphone und Tablet vor dem Einsatz von Notebooks. Während das Tablet insgesamt Spitzenreiter ist, werden Notebook und Smartphone mehr zur Vor- und Nachbereitung als in den Lehrveranstaltungen eingesetzt. Warum fiel bei mir die Wahl auf ein Notebook? Ich besaß das Gerät schon vor Beginn des Studiums. Gegen einen Hauch von Neid auf die Tablets der Kommiliton:innen war ich nicht immun, wenn sie Notizen zur Veranstaltungen um Skizzen mit ihrem Tablet-Stift erweiterten. Die Vorteile der digitalen und analogen Welt zu verbinden, ging mit meinem Notebook nicht so einfach.

Für mein Beispiel hat das allerdings keinen großen Unterschied gemacht, denn die eingesetzten Medien für den Selbstlern-Anteil, PDF und Video, waren ziemlich unabhängig von den jeweiligen Endgeräten zu nutzen. Darüber hinaus: Jede:r wusste, wie die Medien zu benutzen sind, nahezu alle hatten sogar eine gewisse Routine im Umgang, sodass es im Handumdrehen möglich war, das eigene annotierte Dokument mit Kommiliton:innen zu teilen und zu diskutieren. So könnte ich die Vor- und Nachteile, die sich aus Kombinationen von Technik und Medien ergeben, an verschiedenen Beispielen durchdenken. Dahinter liegt aber meine Einstellung: Wenn es um die Vermittlung von fachspezifischen Inhalten geht, machen es mir gängige Mittel einfach, da ich mich so voll auf die Komplexität des eigentlichen Inhalts konzentrieren kann.

Gleichzeitig soll das kein Plädoyer für werden, nur noch PDFs und Videos herauszugeben, sondern ich will mehr den Blick dahin verschieben, wie das didaktische Zusammenspiel von einzelnen Elementen zu einer guten Lernerfahrung beitragen kann. Während in meinem Beispiel vor allem Fakten und theoretisches Wissen vermittelt wurden, haben im selben Semester andere Lehrveranstaltungen mein anwendungsbezogenes Wissen und Können gefördert. Aber auch innerhalb des Seminars waren weitere didaktische Elemente gegeben, die mich zum Beispiel dazu befähigten, meinen Lernerfolg zu verbessern. Meiner Erfahrung nach ist die Verzahnung digitaler Medien und didaktischen Konzepts entscheidend für den Erfolg der Digitalisierung. Mit dem Monitor Digitalisierung 360° im Blick: Basierend auf den Ergebnissen zur strategischen Ausrichtung, zum Fortbildungsbedarf zu digitalen Elementen und zu den Digitalisierungsvorhaben der Lehrenden selbst (klassische Präsenzlehre mit digitalen Lehrinhalten und Lehrformaten zu ergänzen, sowie der Wunsch nach mehr Blended Learning), sehe ich großes Potenzial für mehr Individualisierung und Flexibilität durch die Digitalisierung. Nicht nur, dass Studierende passende Orte und Zeiten für den eigenen Lernerfolg finden können, sondern auch, dass es Lehrenden erleichtert wird, Inhalte an eine (fast) beliebige Anzahl an Studierende weiterzugeben. Es bleibt aber die Frage für weitere Evaluationen von eingesetzten Medien und Technik: Was passt denn didaktisch zu den Lerninhalten?

Nicht die Wahl der eingesetzten Medien und Technik oder ein Lehrformat prägt per se, ob meine Lernerfahrung gut oder schlecht wird, sondern ihre Anwendung in Lehrveranstaltungen. Innovativ kann in diesem Fall auch bedeuten, vorhandene, gewohnte und erprobte digitale Technik und Medien in einer neuen Art und Weise didaktisch so einzusetzen, dass sie passgenau auf die Lehrinhalte passen.

Last but not least: Eine Erfahrung von vielen Studierende in die Weiterentwicklung einbinden

So wie sich meine Erfahrung in den Daten des Monitors widerspiegeln und die Daten auch illustrieren, lassen sich wohl viele Erfahrungen von Studierenden mit dem Monitor abgleichen. Ich könnte auch noch weiter ausholen und auf den räumlichen sowie fachlichen Kontext  mehr eingehen und wie sich meine Ansprüche durch die Nutzung von KI-Tools verändert haben.

Im Monitor wird festgestellt, dass es bei der Partizipation von Studierenden beim Strategieprozess Rückschritt zu geben scheint. Mit meinen Einblicken möchte ich Sie aber dazu ermuntern, verschiedene Studierendengruppen zur Partizipation einzuladen, nach Erfahrungen zu erfragen, aber vor allem Forderungen nach guter, zusammenpassender Lehre zu stellen! Fragen Sie bei den Studierenden konkret nach digitalen Elementen, treten Sie in Kontakt mit den Studierendenvertretungen. Auch regelmäßige Austausch-Runden können ein Weg sein, ganz konkrete Bedarfe an Ihrer Hochschule in Erfahrung zu bringen.

Autorin

Carolin Then Bergh ist seit Oktober 2024 als Werkstudentin Teil des Hochschulforum Digitalisierung im CHE-Team. Sie studiert interdisziplinäre Medienwissenschaften im Master an der Universität Bielefeld und hat einen B.A. in Media & Interaction Design an der Hochschule Osnabrück absolviert.

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