New Study – New Work: Neues Studieren für eine neue Work-Life-Balance

New Study – New Work: Neues Studieren für eine neue Work-Life-Balance

20.09.23

NEW STUDY – NEW WORK:  Neues Studieren für eine neue work-life-balance

Weiterbildende und duale Studiengänge erfordern ein besonderes Zeitmanagement. Darüber hinaus haben Studierende unterschiedliche Bedürfnisse und Verpflichtungen im Alltag. An der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) wurde im April 2023 der erste vollständig in Distanzlehre stattfindende Informatik-Studiengang an einer staatlichen Hochschule akkreditiert. Die zuständige Leiterin Prof. Kay Berkling sieht darin eine große Chance der zunehmenden Diversität der Studierendenschaft (und dem Fachkräftemangel) mit größtmöglicher Flexibilität zu begegnen.

NEW STUDY – NEW WORK: Neues Studieren für eine neue work-life-balance

“Is your daughter a problem for you?”

In the mornings the streets were full of them. Men in black rushing to work, which is usually the bank and insurance industry in Zurich. My buggy was carefully chosen to weigh 5 kg, so I could lift it into the tram on my own, three steps with a handrail in the middle, not made for big buggies or twins. Not that I had twins. Of course black suits were unable to help because the suits wouldn’t want to get dirty, and they asked why I wasn’t taking the tram an hour later when they were off at work instead of choosing rush-hour to carry my buggy around while wearing a black suit myself.

My daughter was born in 2000, a real millennial baby. And she was not a problem for me. I told this to the HR person who interviewed me for the job. I had outed my daughter’s existence because I had decided that this company was not where I wanted to work, and experience has taught me, this topic was the fastest way of ending the interview process. Without fail, the next day, I received notification that the position had been filled. The HR interviews usually serves as the final wrap-up to sign the contract. I got out just in time.

So liest sich ein Abschnitt aus meiner Autobiografie. Kurz nach diesem Ereignis zogen wir nach Puerto Rico, wo ich den Titel eines Full Professors für Informatik erlangte. Meine Tochter wuchs in der Universität auf. Bis heute erinnern sich die Studierenden von damals an sie und fragen, wie es ihr geht. Zusammen mit anderen Kindern, die mit zur Arbeit kamen, spielte sie und machte ihre Hausaufgaben. Es war für uns selbstverständlich, dass unter meinem Schreibtisch eine „Kinderhöhle“ war und ein Bett im Vorlesungssaal stand. Dies war notwendig, da die Vorlesungen von 18 bis 22 Uhr abgehalten wurden. Die Studierenden an der Uni arbeiteten tagsüber, um ihr Studium zu finanzieren. Das war vor gut zwanzig Jahren und ein kleiner Auszug aus meiner Geschichte als Mutter und Frau, bemüht darum, berufstätig zu bleiben und mich entfalten zu können. Es war nie einfach, kein gerader Weg und nichts war jemals selbstverständlich.

Im Jahr 2023 findet an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) der erste Online-Englisch-Informatik-Bachelor statt. Wir nennen ihn „New Study“ in Anlehnung an den Begriff „New Work“, da wir auch hier neue Wege beschreiten, um ein flexibleres Studium zu ermöglichen, das eine Work-Study-Life-Balance für die nächste Generation möglich macht. Ein Studium an einer öffentlichen Hochschule online zu absolvieren, ist etwas Besonderes. Die Pandemie hat gezeigt, dass es möglich ist. „New Study“ beweist, dass es auch ohne Zwang ein gefragtes Modell ist. Die Akkreditierung für das Pilotprojekt dauerte zwei Jahre und erforderte den Durchlauf von 15 Gremien. Mit einheitlicher Zustimmung und großer Unterstützung wurde der Studiengang durch den Senat und den Aufsichtsrat im April 2023 akkreditiert.

Gegenstimmen zu einem Online-Studiengang, die ich oft höre, lassen sich leicht zusammenfassen: Warum sollte jemand bei uns online studieren und freiwillig auf das abendliche Bier mit Freunden verzichten? Warum die aufregenden Erfahrungen missen, die mit dem Studium einhergehen? Das Genießen der ersten Selbstständigkeit, das Erleben einer spannenden Wohngemeinschaft, das Knüpfen von Freundschaften fürs Leben durch nächtliches Lernen, die wilden Partys? Die Kommilitonen in den Vorlesungen, die einen antreiben und motivieren, nicht aufzugeben?

Natürlich ist ein solcher Studiengang nicht die erste Wahl für jeden. Keine Frage. Im Gegensatz zur Pandemie sind unsere Lehrenden und Studierenden jedoch nicht gezwungen, online zu studieren, sondern freiwillig bei uns. Das nimmt die Angst vor der Online-Komponente. Im Gegenteil, wenn die Technologie richtig eingesetzt wird, kann sie das Lernen erleichtern und die Zeit- und Geldersparnisse können genutzt werden.

Unsere Bewerber:innen kommen aus der ganzen Welt, leben aus verschiedenen Gründen in Deutschland und überraschten mich mit ihren Anfragen. Häufig befinden sie sich im Zweitstudium, mit Familie oder alleine, finanziell sind sie auf das duale Studium angewiesen. Sie sind aus unterschiedlichsten Gründen hier und bevorzugen ein Online-Studium auf Englisch. In unserem virtuellen Raum sitzen Studierende mit internationalen Lebensgeschichten aus Deutschland, Südafrika, Singapur, Pakistan, dem Iran, Ägypten, Moldawien, Polen, Russland und den Niederlanden. Wir haben Bewerbungen beispielsweise aus Kamerun, Ghana, Polen, Litauen, der Ukraine oder Namibia erhalten. Die Hälfte unserer Studierenden sind Frauen, eine ungewöhnliche Verteilung im deutschsprachigen Raum. Gerade im Bereich der Informatik hat heute jede:r die Möglichkeit, sich auf Plattformen wie Harvard, MIT oder Coursera weiterzubilden, wo Professor:innen der angesehensten Hochschulen der Welt kostenlos lehren oder Zertifikate gegen Bezahlung ausstellen. Unsere Studierenden bringen zum Teil dieses selbst erarbeitete Vorwissen mit, sind hoch motiviert und decken eine Altersspanne von 17 bis 30 Jahren ab.

Tatsächlich gibt es Studierende, die ihre Freizeit lieber mit Sport und einem gesunden Lebensstil anstatt mit täglichen Anreisen verbringen möchten. Andere möchten ihre Abende ihrer Familie widmen, sei es aus persönlichem Wunsch oder aus Notwendigkeit aufgrund von Pflegeverpflichtungen. Ein Umzug an den Hochschulort ist für viele finanziell nicht machbar, insbesondere wenn er sich nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes befindet. Ein duales Studium für Eltern würde durch häufiges Wechseln von Kindergarten oder Schule alle drei Monate verhindert werden. Ein Universitätsstudium als Alternative muss erst einmal finanzierbar sein.

Sowohl Hochleistungssportler als auch Mütter, die unsicher sind, wie sie Teile des Studiums vorziehen oder asynchron teilnehmen können, erweitern das traditionelle Modell. Modelle für ein Teilzeitstudium sind gefragt. Die Möglichkeit, sich spontan zur Prüfung anzumelden, weil man erst kurz vorher sicher ist, „bereit“ zu sein – schließlich gibt es Babys, die viel schreien, und solche, die viel schlafen und das Leben unplanbar machen –, muss in den Prozessen berücksichtigt werden. Ebenso werden Modelle gefragt sein, die nicht zwangsläufig zu einem Abschluss führen, sondern es erlauben, Kurse oder Vorlesungen über mehrere Jahre hinweg im eigenen Tempo zu absolvieren. Neue Konzepte für lebenslanges Lernen sind in der Wirtschaft und der Gesellschaft gefragt und gerade die öffentlichen Hochschulen sollten sich danach ausrichten. Dazu gehört zum Beispiel das Konzept der Microcredentials, die international akzeptierte Abschlüsse und Kompetenznachweise ermöglichen. Teilzeit sowie lebenslanges Studieren mit digital gesammelten Nachweisen ermöglichen der Wirtschaft nach Skill-Profilen statt Job-Profilen ihre Mitarbeiter:innen zu finden.

Ein traditionelles Vollzeitstudium in Präsenz, dual oder nicht, ist in vielerlei Hinsicht nur für eine Elite möglich. Es erfordert Zeit, Geld und die Freiheit von sozialen Bindungen. In Zeiten des Fachkräftemangels, aber auch aus dem Grund, dass wir einer breiteren Bevölkerung die Möglichkeit bieten möchten, ihr Potenzial zu entfalten, sollten wir auf diese Bedürfnisse eingehen. Mit „New Study“  haben wir unvorhergesehen eine vielfältige Gruppe von Studierenden erreicht, die sonst keine Chance zu einem Studium gehabt hätten. Dennoch stoßen wir immer noch auf Barrieren im Studienangebot, die wir weiter durchbrechen müssen, um noch flexibler zu werden.

In all dem, was wir hier erleben dürfen – und ich schätze mich außerordentlich glücklich, diese Geschichten zu erleben und zu hören – spielen unsere dualen Partner eine essenzielle Rolle. Die DHBW wurde durch den Zusammenschluss der Industrie ins Leben gerufen, um deren Anforderungen an die Ausbildung ihrer Mitarbeiter:innen gerecht zu werden. In gleicher Weise wurde auch der Schritt zu „New Study“ von Anfang an durch unsere dualen Partner unterstützt. Ein breites Spektrum an großen multinationalen Unternehmen, mittelständischen Firmen, Start-ups und Vertretern aus ländlichen Gebieten zeigt, dass dieses Thema für alle relevant ist. Der Mut dieser Unternehmen, gemeinsam den ersten Kurs zu füllen, bildet die Grundlage für Innovation. Kombiniert mit einzelnen internen Personen, die uns durchweg gestärkt haben, und dem Mut der DHBW konnten Dirk Saller (Studiengangsleitung Mosbach), Carmen Winter (Studiengangsleitung Stuttgart) und ich (Studiengangsleitung New Study) dieses Pilotprojekt ermöglichen.

Ein neues Angebot wie dieses bringt Hochschulen, Industrie und Studierende zusammen und schafft neues Potenzial. Doch auch Ministerien und die Gesetze spielen eine Rolle. Das Landeshochschulgesetz sowie unsere Akkreditierungsverfahren regeln das Studium. Wenn wir auf demografische Veränderungen reagieren möchten, ist es notwendig, neu zu denken und agil zu handeln, um die Bedürfnisse zu erfüllen, ohne die Qualität zu gefährden. Netzwerke aus diesen vier Interessensgruppen, auch auf europäischer Ebene, sind erforderlich, um die Zukunft bereits heute aktiv mitzugestalten. Indem wir auf die Anzeichen eingehen, die wir täglich sehen und erleben, öffnen wir uns für Neues …

Wer schließt sich uns bei der Gestaltung der nahen Zukunft an und hilft dabei, Barrieren zu identifizieren, damit wir gemeinsam schnell und agil klären, wie wir eine Hochschule gestalten können, die für alle Chancen bietet?

 

Dieser Blogbeitrag ist in Kooperation mit dem HFD-Thinktank „Chancengerechtigkeit” unter Leitung von Tina Basner entstanden. Teilen Sie gerne über die Kommentarfunktion mit uns und der HFD-Community Ihre Ideen oder kontaktieren Sie uns per E-Mail unter Kay.Berkling@mosbach.dhbw.de oder tina.basner@che.de.

 

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