Kooperative Curriculumentwicklung: Studiengänge, die ein großes Ganzes bilden

Kooperative Curriculumentwicklung: Studiengänge, die ein großes Ganzes bilden

13.03.25

In unserer Kolumne fragen wir wechselnde Persönlichkeiten aus dem Bildungssektor nach ihrer Meinung zum Themen­schwerpunkt des Magazins. Dieses Mal richtet Prof. Dr. Ulrike Tippe, Präsidentin der TH Wildau, mit uns den Blick auf (Kooperative) Curriculumentwicklung – und stellt die Frage, welche Rolle klassische Studiengänge angesichts flexibler Lernwege und Microcredentials noch spielen. Warum es trotzdem durchdachte Curricula braucht, verdeutlicht sie mit einem ebenso einprägsamen wie alltagsnahen Vergleich. 

Individuelle Lernwege und neue Anforderungen an Curricula

Wir leben in einer sehr bewegten und bewegenden Zeit. Vieles, von dem wir meinten, es gut zu kennen, wird zunehmend in Frage gestellt. Ob es die großen geopolitischen und gesellschaftlichen Veränderungen, der Klimawandel oder die Digitalisierung inklusive der Auswirkungen von KI-Anwendungen sind: Um die dort drängenden Fragen zu beantworten, braucht es aufgeschlossene, gut ausgebildete, teamfähige und über Grenzen hinausdenkende Menschen. Und schon sind wir beim Thema (Hochschul)bildung und der Frage, wie denn in Zukunft die jeweils individuellen Lernwege vorbereitet und unterstützt werden können?

Die hohe Dynamik in allen Lebens- und Arbeitsbereichen und die damit immer kürzer werdende „Halbwertzeit des Wissens“ fordern uns sehr. Hochschulen sollen „lebenslange Lernbegleiterinnen“ werden und neben den klassischen Studiengängen auch wissenschaftsbasierte Zertifikate/Microcredentials anbieten. Was bedeutet das aber für die Entwicklung von Curricula insbesondere von traditionellen Studiengängen? Und in Anbetracht der aktuellen Diskussion um Micro­credentials, die über einen sehr individuellen Zeitraum gesammelt zu einem kumulativen Hochschulabschluss führen sollen: Wozu dann noch Arbeit in die Curriculumentwicklung stecken, wenn es am Ende möglicherweise nur darum geht, einen geeigneten „Rahmen“ zu haben, der mittels entsprechender Anrechnungs- und Anerkennungsverfahren von Leistungen aus verschiedenen, auch nicht-hochschulischen Quellen „gefüllt“ wird und so zu einem Hochschulabschluss führt?

Warum durchdachte Curricula wichtig bleiben

Trotz meiner großen Sympathie für flexibles, lebenslanges Lernen und trotz meiner Überzeugung, dass wir Hochschulen starke und konkurrenzfähige „kürzere“ Qualifizierungsangebote schaffen müssen, bin ich auch der Meinung, dass in Zukunft traditionelle Studiengänge mit durchdachten Curricula und aufeinander abgestimmten Modulen weiterhin wichtig für die fachliche und überfachliche Persönlichkeitsentwicklung sind. Fragt man mich zu den Gründen für diese Einschätzung, bringe ich immer gern meinen Lieblingsbäcker ins Spiel. Er verzierte eine Zeit lang seine Brötchentüten mit dem Statement: „Eine Summe von Krümeln macht noch kein Brötchen.“

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es liegt mir fern, einen wissenschaftlichen Studiengang mit einer – zugegebenermaßen sehr köstlichen – Berliner Schrippe gleichzusetzen. Es ist vielmehr dieses einfache und gleichsam einprägsame das Bild, das mir gut gefällt und zu meiner Lebenswirklichkeit an einer Hochschule passt: Ein gutes (!) Ergebnis in Form einer leckeren Schrippe erzielt der Bäckermeister oder die Bäckermeisterin gerade nicht durch ein „schnelles, beinahe mechanisches Zusammenfügen von Einzelteilen“, sondern durch qualitativ hochwertige Zutaten, optimale Rahmenbedingungen sowie eine individuelle Verarbeitung durch zahlreiche Hände (das alles braucht Zeit!) mit viel Erfahrung und Kompetenz und zum Schluss abgerundet durch einen optimalen Backvorgang.

„Keine der großen Herausforderungen dieser Welt kann von einer Fachdisziplin allein gelöst werden – also müssen wir alle aus unseren ‚Fachbubbles‘ heraus und Curricula gemeinsam erarbeiten.”
Prof. Dr. Ulrike Tippe

Studiengänge mit Modulen, die inhaltlich und methodisch ein „großes Ganzes“ bilden und den Studierenden hinreichend Zeit und Raum (analog und digital) geben, sich über Fachgrenzen hinaus auszutauschen, in Teams zusammenzuarbeiten usw. werden somit weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Doch müssen wir bei deren Entwicklung verstärkt darauf achten, die nach wie vor verbreitete fachliche „Versäulung“ zu überwinden. Wir müssen unsere Studierenden darauf vorbereiten, dass sie in ihrem Berufsleben in Teams arbeiten werden, deren Mitglieder aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen.

Fachgrenzen überwinden und gemeinsam gestalten

Diese „interkulturelle“ Kompetenz, die sich nicht allein auf den Bereich der Internationalisierung bezieht, sondern ebenso darauf, andere Fach- und Unternehmenskulturen kennenzulernen, zu verstehen und mit ihnen umgehen zu können, erzielen wir nur, wenn wir die Basis dafür bereits bei der Entwicklung von Studiengängen legen. Keine der großen Herausforderungen dieser Welt kann von einer Fachdisziplin allein gelöst werden – also müssen wir alle aus unseren „Fachbubbles“ heraus und Curricula gemeinsam erarbeiten. Jene tragen dann idealerweise den Gedanken der Kooperation in sich, greifen ihn systematisch auf und verankern ihn strukturell. Innovationen entstehen bekanntlich vor allem dort, wo Unterschiede aufeinandertreffen.

Um solcherart Begegnungen zu fördern und für Zusammenarbeit zu motivieren, brauchen wir einerseits geeignete Anreize, wobei die Nutzung passender digitaler Instrumente und Methoden dabei essentiell ist. Gleichzeitig sind zweckmäßige Hochschulstrukturen erforderlich, um Fach(bereichs)grenzen zu überwinden. Es gibt interessante Beispiele für Organisationsmodelle von Hochschulen, die ein fachübergreifendes Zusammenarbeiten erleichtern. Auch wir haben uns an unserer Hochschule aufgemacht, „unseren Weg“ zu finden, um unseren Studierenden das vorzuleben und mit ihnen leben und erleben zu können, was sie überall im Leben erwartet: Gemeinsam über (Fach)Grenzen hinweg zusammen zu arbeiten ist tägliches Erfordernis und verspricht ein Mehr an Erfolg. Zusammen gelingt vieles besser als allein – wagen wir also mehr kooperative Entwicklung unserer auf Kooperation ausgerichteten Curricula!

Autorin:

Prof. Dr. Ulrike Tippe ist Mathematikerin, seit 2004 Professorin im Studiengang Wirtschaftsinformatik und seit 2017 Präsidentin der TH ­Wildau mit einem aktuellen Schwerpunkt auf der strategischen Weiterentwicklung der Hochschule. Dabei spielen Kooperation und Inter- und Transdisziplinarität sowie deren strukturelle ­Verankerung eine wichtige Rolle. Seit 2021 ist sie zudem Vizepräsidentin für Digitalisierung und Wissenschaftliche Weiterbildung der HRK.

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