Konzertiert statt punktuell – für eine souveräne Hochschulinfrastruktur

Konzertiert statt punktuell – für eine souveräne Hochschulinfrastruktur

23.07.25

Christian Friedrich und Cornelis Kater kommentieren in diesem Beitrag zentrale Fragen digital souveräner Infrastrukturen im Hochschulbereich. Ihr Fazit: Digitale Infrastruktur darf kein Projekt bleiben, wenn Lehre und Forschung zukunftsfähig und selbstbestimmt bleiben sollen.

Infrastruktur ist kein Vorhaben auf Zeit

Wenn wir an den Zustand der digitalen Infrastruktur an Hochschulen denken, haben wir oft das Bild baufälliger Brücken vor Augen. Bilder wie der Einsturz in Genua oder die jahrelang gesperrte Talbrücke Rahmede drängen sich auf. Brücken, die jahrelang vernachlässigt wurden, weil man dachte, sie hielten schon. Bis sie es eben nicht mehr taten.

Genauso verhält es sich mit unserer digitalen Infrastruktur: Lernmanagementsysteme, Videoplattformen, Campusmanagement – alles tragende Konstruktionen der Hochschullehre. Und trotzdem fehlen ihnen oft Wartung, Weiterentwicklung und Pflege – weil sie ‚einfach da sind. Oder weil sich niemand zuständig fühlt. 

Oft wird übersehen, dass viele Hochschulen in Deutschland bereits heute digital souverän und selbstbestimmt mit eigener Infrastruktur für die Lehre arbeiten – und das schon lange bevor KI zum Trendthema wurde. Lernmanagementsysteme wie Stud.IP, ILIAS oder Moodle, ebenso wie Videoplattformen oder OER-Infrastruktur, werden an vielen Standorten als Open Source betrieben – gemeinsam entwickelt, unabhängig von großen Konzernen und mit voller Datenkontrolle.

Doch diese Erfolge drohen zu verblassen. Denn während KI neue Anforderungen stellt, sind viele bestehende Systeme nicht dauerhaft abgesichert. Wenn wir also über digitale Souveränität im Kontext von KI sprechen, müssen wir fragen: Wie stabil ist das Fundament, auf dem wir aufbauen wollen?

KI braucht Kontext und eine souveräne Infrastruktur

Die aktuelle Diskussion um KI-Anwendungen in der Hochschullehre tendiert dazu, einen entscheidenden Punkt zu übersehen: KI-Tools benötigen eine tragfähige, kontextsensitive digitale Infrastruktur. Trainingsdaten für Large Language Models (LLMs) bilden die Basis, die mit spezifischen Inhalten der Hochschulen verknüpft werden muss. Die von uns genutzten Plattformen sind für den Zugriff auf diese Trainingsdaten – Lernmaterialien oder Informationen über Studienverläufe – essentiell.

Die in der Studie „KI in Studium und Lehre“ aufgeführten Use Cases werden erst dann sinnvoll, wenn sie auf curriculare Inhalte, Studienverlauf, Lehrmaterialien und Nutzungsdaten zugreifen können. Und genau diese Informationen liegen bereits in den Systemen, die Hochschulen nutzen und häufig selbst betreiben. KI-Integration ist also kein isoliertes Projekt, sondern braucht kontextuelle Einbettung. Sprachmodelle, Tutorensysteme oder Assistenzfunktionen funktionieren nur, wenn wir unsere Systeme entsprechend gestalten: on premise oder vertrauenswürdig gehostet, interoperabel, datenschutzkonform.

Die Abhängigkeitsfalle vermeiden

Während wir mit offener Infrastruktur bereits gut aufgestellt sind, steht uns eine wichtige Entscheidung bevor: Welche Komponenten, Plattformen oder Dienste betreiben wir selbst? Welche lassen wir in kommerzielle und / oder proprietäre Clouds auslagern? Wo nutzen oder bauen wir Open-Source-Alternativen?

Die Antwort ist nicht trivial, aber die Richtung klar: Die zunehmende Abhängigkeit von proprietären Anbietern wird uns auf Dauer weit mehr kosten – finanziell, strategisch und ethisch. Wer sensible Bildungsdaten in intransparente Systeme auslagert, gefährdet nicht nur Datenschutz und Fairness im Zugang, sondern verliert auch die Kontrolle über zentrale Bildungsprozesse. Gerade im Kontext von KI ist diese Kontrolle entscheidend: Nur wer die eigenen Daten verantwortungsvoll nutzt, kann KI sinnvoll und selbstbestimmt einsetzen.

Warum wir Ressourcen-Kooperation nicht länger aufschieben können

Besonders den Bereich von Studium und Lehre gilt es zu priorisieren: Historisch wurden die nötigen Infrastrukturen überwiegend aus Projektmitteln entwickelt – so als hätten sie ein Ablaufdatum. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: 

Infrastruktur soll andauernd verlässlich zur Verfügung stehen. Sie zu entwickeln und ihren Fortbestand zu sichern, ist genauso wenig ein Projekt wie die Instandhaltung von Gebäuden und Brücken, die Wartung einer Gebäudeheizung oder der Erhalt eines Trinkwassersystems. Wenn Hochschulen es mit der digitalen Lehre ernst meinen, ist ihre Software für die Lehre nichts anderes als Infrastruktur, die sie pflegen, weiterentwickeln und stetig prüfen müssen.

„Wenn Hochschulen es mit der digitalen Lehre ernst meinen, ist ihre Software für die Lehre nichts anderes als Infrastruktur, die sie pflegen, weiterentwickeln und stetig prüfen müssen.“
Christian Friedrich und Cornelis Kater

Man baut keine Brücke, um sie nach drei Jahren abzureißen. Auch keine Heizung, die nach Projektende kalt bleibt. Genauso darf auch Software nicht im Projekt verschwinden: Wenn wir digitale Lehre ernst nehmen, müssen wir ihre Infrastruktur wie ein Versorgungsnetz behandeln.

Hochschulen benötigen daher dringend Strukturen, in denen die konsequente Förderung aller für das Bildungssystem relevanten offenen Softwareprodukte rechtssicher organisiert und planbar mit Mitteln hinterlegt ist. Diese Förderung muss sich sowohl auf klassische Infrastruktur wie auch auf KI- und Cloud-Lösungen beziehen. Eine planbare und zukunftsorientierte Weiterentwicklung von Open-Source-Software ist nur möglich, wenn die Förder- und Entwicklungs-Strukturen die gleiche Professionalität und Kontinuität aufweisen, die bei der Finanzierung von Software-Produkten durch Lizenzeinnahmen und Software-Mietmodelle ganz selbstverständlich scheinen.

Das OSDN als strukturierte Antwort

Mit dem Open Source Development Network (OSDN) fördert die Dachinitiative Hochschule.digital Niedersachsen (HdN) einen vielversprechenden Ansatz. Das OSDN verfolgt das Ziel, Open-Source-Infrastruktur für die Hochschullehre langfristig tragfähig, sicher und innovativ zu machen. Es professionalisiert und koordiniert die Anforderungserhebung an Software, schafft übergreifende Schnittstellen zwischen Plattformen und Akteur:innen und fördert die Entwicklung der Open-Source-Software für die Hochschullehre gemeinsam mit den bereits involvierten Communities und Dienstleistern – darunter ILIAS, Stud.IP, Moodle, OpenCast und OERSI.

OSDN zeigt, wie Hochschulen Selbstbestimmung, digitale Souveränität und Entwicklungskraft bündeln können, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Damit liefert das Projekt eine erste Blaupause für strukturelle Förderung digitaler Souveränität an Hochschulen.

Was Bund und Länder jetzt tun müssen

Software macht nicht an föderalen oder nationalen Grenzen halt. Mit der Verbreitung diverser KI-Tools wachsen auch die Ansprüche an bestehende Technologien und Infrastrukturen. Die aktuelle Entwicklung überwiegend US-amerikanischer KI-Tools macht nochmal deutlich, dass leicht zu bedienende, innovative, gar disruptive Technologien rasant Verbreitung finden. 

Gleichzeitig zeigt ihre schnelle Akzeptanz, dass sich die massive, strukturierte und koordinierte Investition in die Entwicklung neuer Tools sowie die Weiterentwicklung vorhandener Technologien im europäischen Raum lohnen kann. Digitale Infrastruktur muss deshalb nicht nur länder-, sondern auch EU-weit strategisch gedacht werden. Denn der Aufbau souveräner Systeme erfordert abgestimmte Lösungen über institutionelle und staatliche Grenzen hinweg.  Konkret brauchen wir:

  1. Eine Koordinierungsstelle für Open-Source in der Bildung, die länderübergreifende Kooperationen fördert und Doppelentwicklungen vermeidet.

  2. Die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund sowie die Einbindung der EU für die Schaffung von Rahmenbedingungen, die Entwicklung, Betrieb und Innovation im Hochschulkontext absichern.

  3. Ein langfristiges, strukturelles Förderprogramm für digitale Infrastruktur, das explizit die kontinuierliche Weiterentwicklung bestehender Open-Source-Lösungen unterstützt und damit nicht nur auf Innovation und Leuchtturmprojekte setzt.

  4. Strukturen und Rahmenbedingungen für Hochschulen und Software-Entwickelnde, die es ermöglichen, dauerhaft, aktiv und zielgerichtet zu innovieren.

Raus aus dem Projektmodus

Wir haben die Technik, wir haben die Communities, wir haben Use Cases. Aber uns fehlen Verbindlichkeit, Ressourcen und Strukturen. Die digitale Transformation unserer Hochschulen und der Hochschullehre kann nur gelingen, wenn wir über einzelne Softwareprojekte hinausdenken.

„Wenn wir nicht wollen, dass unsere digitale Infrastruktur bröckelt wie eine vernachlässigte Brücke, müssen wir sie jetzt stabilisieren. Nicht als Einzelinitiative, sondern als koordinierte, echte Daueraufgabe.“
Christian Friedrich und Cornelis Kater

Wir brauchen einen kulturellen Wandel – weg von kurzfristigen Projekten, hin zu nachhaltigen Infrastrukturen. Die technischen Grundlagen sind vorhanden, jetzt benötigen wir den gesellschaftlichen und politischen Willen, digitale Hochschulinfrastruktur als dauerhaften Wert zu begreifen, nicht als vorübergehendes Projekt mit Verfallsdatum.

Wenn wir nicht wollen, dass unsere digitale Infrastruktur bröckelt wie eine vernachlässigte Brücke, müssen wir sie jetzt stabilisieren. Nicht als Einzelinitiative, sondern als koordinierte, echte Daueraufgabe. Das OSDN zeigt, wie das gehen kann. Entscheidend ist der politische Wille, diesen Weg nachhaltig und auf breiter Basis zu gehen.

Denkbar wäre es, zu diesem Zweck gemeinsame Einheiten zu etablieren, um Arbeitsstränge, Ziele und Aufgaben übergreifend zu organisieren. Eine absehbar strukturierte und mit klaren Zielen arbeitende Organisation unterstützt bei der Gewinnung von Fachkräften, baut Entwicklungs-, Test- und Qualitätsmanagement-Know-how auf und ermöglicht es, dieses gezielt zu ergänzen.

Die Zeit drängt. KI-Anwendungen werden den Hochschulalltag verändern – die Frage ist nur, ob wir diese Veränderung aktiv gestalten oder reaktiv darauf antworten. Eine digital souveräne Infrastruktur, die gemeinschaftlich entwickelt und gepflegt wird, ist der Schlüssel zu einer selbstbestimmten digitalen Zukunft unserer Hochschulen.

Autoren

Porträt von Christian Friedrich

Christian Friedrich arbeitet als freier Berater für Strategie und Organisationsentwicklung in Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Moderator und Podcaster. Christian ist freiberuflicher Sprecher und strategischer Berater des Projekts Open Source Development Network OSDN, das kritische Software für Hochschullehre weiterentwickelt und zukunftssicher macht.

Porträt Cornelis Kater

Cornelis Kater ist Leiter des Teams ZQS/E-Learning Service an der Leibniz Universität Hannover, Vorstand von Stud.IP e.V. und Vertreter der Initiative Open Source LMS.

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