Kollegialer Austausch an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena: gemeinsam Lösungen finden

Kollegialer Austausch an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena: gemeinsam Lösungen finden

21.05.24

In der Kollegialen Beratung können sich Lehrende in einem strukturierten Gespräch mit Kolleg:innen über ihre Herausforderungen und Schwierigkeiten auf Augenhöhe und fachbereichsübergreifend austauschen. In diesem Blogbeitrag berichten Sandra Dietzel und Karolin Freund aus dem Projekt INSPIRE, wie die Methode Kollegiale Beratung an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena umgesetzt wird. Im Vorfeld des Blogbeitrags haben sie eine anonyme Umfrage unter den Teilnehmenden durchgeführt, um auch deren Stimmen in den Beitrag mit einfließen lassen zu können. 

Im Kollegium Lösungen auf Augenhöhe finden

Die Methode Kollegiale Beratung basiert darauf, dass Herausforderungen und Schwierigkeiten im beruflichen Alltag mit Kolleg:innen gemeinsam gelöst werden können. Sie läuft in einem strukturierten Gespräch ab, wobei sich die Beteiligten offen, wohlwollend und lösungsorientiert begegnen. Ein:e Fallgeber:in bringt eine Schlüsselfrage zu einer Herausforderung aus dem Lehralltag in das Beratungsgespräch ein. Die Lösungsarbeit übernehmen indes die Berater:innen. Ihre vielfältigen Perspektiven, Erfahrungen und Ideen bilden einen wertvollen Fundus, welcher der fallgebenden Person mitgegeben wird. 

In der Regel dauert ein Beratungsgespräch 60 Minuten. Es trägt dazu bei, Belastungen zu vermindern und beruflich erfolgreicher zu handeln. 

„Die z.T. umfangreichen (Lehr-)Erfahrungen der anderen Teilnehmer sind bereichernd. Sehr nützlich sind daher die Impulse und Ideen, die außerhalb des eigenen Fokus bzw. der eigenen „Betriebsblindheit“ entstehen, gemeinsam weiterentwickelt werden und zu einer guten und konkreten Lösung führen.“
Antwort auf eine Freitextfrage aus der Teilnehmendenbefragung (01/2024)

Vom Workshop zur Implementierung der Methode/des Formats

Im Jahr 2022 haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Methode Kollegiale Beratung an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena fachbereichsübergreifend 2x pro Semester anzubieten und als Austauschformat für Lehrende zu etablieren. Für eine erfolgreiche Implementierung haben wir im Zuge des Train-the-Trainer-Programms ein Veranstaltungskonzept entwickelt. Unsere ersten Erfahrungen und Learnings konnten wir bereits als Alumni im zweiten Train-the-Trainer Durchgang 2023 für andere Hochschulen vorstellen. 

Um mögliche Hemmungen bei der Einführung der Kollegialen Beratung an unserer Hochschule zu verringern, stellten wir die Methode zunächst in einem Pilotworkshop mit dem Thema „Schwierige Situationen in der Lehre“ vor. Mit den Workshopteilnehmenden konnten wir erste Multiplikator:innen und einen Teilnehmendenkreis für weitere Beratungsrunden gewinnen. 

Nicht zu unterschätzen ist die Akquise einer fallgebenden Person. Wir haben uns dafür entschieden, bereits vor dem Pilotworkshop gezielt Lehrende anzusprechen und zu ermutigen ihre Herausforderungen in die Kollegiale Beratung einzubringen. Dafür haben wir unsere Kontakte aus der individuellen Lehrenden-Beratung, die ein Schwerpunkt in unserem Projekt INSPIRE ist, genutzt.  

Website von INSPIRE EAH Jena

Auch wenn wir die Kollegiale Beratung bewusst in Präsenz durchführen, haben wir für den Pilot-Workshop im September 2022 zusätzlich eine asynchrone Lerneinheit entwickelt. Hier etwas mehr Zeit zu investieren, war äußerst gewinnbringend, da die entwickelten Materialien (Erklärvideo/Legetechnikvideo, Schaubild zum Ablauf, Accordion zu Fragetechniken) für jede neue Beratungsrunde wiederverwendet werden können. Sei es, um neue Teilnehmende mit der Methode vertraut zu machen oder auch kurz den Ablauf zu Beginn der Beratung in Erinnerung zu rufen. Die Materialien befinden sich ebenso leicht zugänglich auf unserer Projekt-Website

Die Kombination aus Pilot-Workshop und anschließenden Beratungsrunden hat sich als erfolgreich herausgestellt. Nach dem Workshop konnten bis zum Wintersemester 2023/24 drei weitere Beratungsrunden stattfinden. Hier agierten wir bisher nicht mit einer festen Gruppe, sondern arbeiteten in einer wechselnden Besetzung mit ca. 4 Teilnehmenden pro Beratung. Die Fallgeber:innen fanden die Lösungsansätze in dieser Konstellation durchweg bereichernd und waren zufrieden. 

„Der Blick mit den Kollegen hilft gut, über den Tellerrand zu schauen und modifizierte oder gar neue, bisher nicht gedachte Vorgehensweisen im eigenen Lehrkonzept umzusetzen.“
Antwort auf eine Freitextfrage aus der Teilnehmendenbefragung (01/2024)

Umsetzung der Kollegialen Beratung

Es hat sich etabliert, die Rollenverteilung vorab zu steuern, d. h. wir sprechen gezielt Lehrende an, ob sie Anregungen für eine aktuelle Herausforderung aus dem Lehralltag in der Kollegialen Beratung erhalten möchten. Erst, wenn wir den Fall grob umrissen haben, laden wir weitere Lehrende ein, da das Thema dann greifbarer ist und eine Teilnahme als beratende Person wahrscheinlicher macht. Zusätzlich wird das Format durchgängig auf der Website des ServiceZentrum Hochschuldidaktik und Lehrsupport der EAH Jena beworben und dazu aufgerufen, uns bei Beratungsbedarfen zu kontaktieren.  

Ebenso hat es sich bewährt, dass die Moderation in unserer Hand bleibt, auch um die feste Struktur der Methode einzuhalten. Wenn krankheitsbedingt zu wenige Beratende teilnehmen können, übernimmt eine der lehrerfahrenen Personen unseres Teams diese Rolle. So mussten bisher keine Fallberatungen ausfallen und wir konnten spontan umplanen. 

 

Mit Beziehungsarbeit zum Erfolg

Die Etablierung eines neuen Formats an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften, an der jede Lehrperson ein sehr hohes Lehrdeputat hat, ist uns vor allem aufgrund der Beziehungsarbeit gelungen. Fast alle Teilnehmenden der Kollegialen Beratung kennen wir bereits aus anderen Workshops oder Beratungen. Nicht zu unterschätzen ist weiterhin die Rolle der persönlichen Empfehlung. Es kommen zwar nicht alle Teilnehmenden mehrfach (meist aufgrund von Zeitmangel), berichten aber in ihrem Fachbereich und empfehlen das Format an Kolleg:innen weiter. So hat sich ein stets wachsender Interessenten-Pool gebildet. 

Das hohe Lehrdeputat und die vielen administrativen Aufgaben der Lehrenden machen die Terminfindung zu einer eigenen größeren Aufgabe. Um möglichst für alle einen Termin realisieren zu können, gehen wir deshalb wie folgt vor: Nachdem wir eine fallgebende Person gefunden haben, sichten wir die lehrveranstaltungsfreien Zeiten von allen bisher Teilnehmenden und Interessierten und schlagen möglichst viele Termine vor, in denen keine Lehrveranstaltungen liegen. Wenn wir einen Termin gefunden haben, an dem 4-5 Personen teilnehmen können, bewerben wir das Format im Newsletter, um die Teilnahme für weitere Lehrende zu ermöglichen, und führen die Beratung zum geplanten Termin durch. 

Die entwickelten Info-Materialien aus dem Pilotworkshop haben wir auf unsere Homepage gestellt. So können Interessierte sich unkompliziert einen kurzen anschaulichen Einblick zur Methode verschaffen und auch wir können schnell auf die Materialien verlinken und verweisen. 

„Es wurden klare Vorschläge unterbreitet, die mit Beispielen aus der eigenen Praxis untermauert wurden. Vor- und Nachteile reflektiert und gemeinsam sinnvolle Kombinationen der Vorschläge diskutiert.“
Antwort auf eine Freitextfrage aus der Teilnehmendenbefragung (01/2024)

Aus Stolpersteinen lernen

Natürlich läuft nicht immer alles wie geplant. Trotz des aufwendigen Terminfindungsprozesses kann es immer wieder passieren, dass Lehrende kurzfristig absagen müssen. Hier ist es ein großer Vorteil, dass wir zu zweit die Kollegiale Beratung durchführen und im Notfall einspringen und eine beratende Person ersetzen können. So konnten wir bisher jede Beratungsrunde erfolgreich mit 3-4 Berater:innen durchführen.

Im Pilotworkshop haben wir die Methode und die feste Struktur mit den Teilnehmenden reflektiert und auf die Bedürfnisse der Lehrenden insofern angepasst, als dass es eine zusätzliche Möglichkeit für die fallgebende Person gibt, eine kurze Rückmeldung zur Lösungsarbeit zu geben.

Unsere Annahme, dass das Formt auch von homogenen Gruppen recht schnell angenommen wird (z.B. in einem Fachbereich), wurde bisher nicht bestätigt. Wir planen im Sommersemester 2024 aus der homogenen Gruppe der neuberufenen Professor:innen oder Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbAs) an der EAH Jena eine weitere Beratungsgruppe zu initiieren. Es soll ein Angebot sein, um den Einstieg in die Lehre zu begleiten.

Alle Teilnehmenden nehmen es als durchweg positiv wahr, sich fachbereichsübergreifend auf Augenhöhe zu begegnen und in Austausch treten zu können. Nicht nur, weil die Lehrenden ihren Blick inhaltlich erweitern, sondern auch neue Kontakte über die Beratung entstehen.

„Die unterschiedliche Sichtweise verschiedener Fachkulturen führt zu vielfältigeren Lösungsmöglichkeiten. Zudem fördert sie als Nebeneffekt die interne Kommunikation.“
Antwort auf eine Freitextfrage aus der Teilnehmendenbefragung (01/2024)

Unser Fazit

Die Etablierung und Implementierung eines neuen Formats für eine komplette Hochschule braucht Zeit und Ausdauer. Es lohnt sich, mit einem Workshop eine erste Interessensgruppe aufzubauen, anschließend die Kontakte beständig zu pflegen und diese Gruppe fortlaufend zu erweitern.  

Die Lehrenden profitieren ungemein von dem fachbereichsübergreifenden Austausch. Sie bekommen neue Lösungsoptionen, erweitern ihre Kontakte und stellen fest, dass sie mit ihren Herausforderungen oftmals nicht allein sind. Besonders effektiv ist, dass die persönliche Entwicklung aller durch die Beteiligung an der Kollegialen Beratung gefördert wird. Gerade weil der Austausch von Wissen und Ideen neue Lernmöglichkeiten eröffnet, Synergien schafft und kreative Lösungen entwickelt, die ansonsten leicht übersehen worden wären. 

Autorinnen

Karolin Freund

Dr. Karolin Freund (EAH Jena), M.A., hat Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaft in Leipzig studiert und wurde in Basel promoviert. Gemeinsam mit Sandra Dietzel ist sie im Projekt INSPIRE im Handlungsfeld Hochschuldidaktik für Blended Learning als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Ihr besonderes Interesse gilt dem Identifizieren von guten und innovativen Lehrveranstaltungsformaten und dem Aufbereiten als Best Practice Beispiel sowie dem Initiieren von Austauschmöglichkeiten für Lehrende über Fachbereichsgrenzen hinaus.

Sandra Dietzel

Sandra Dietzel (EAH Jena), M.A., hat Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie und später berufsbegleitend Pädagogische Organisationsberatung in Jena studiert. Sie arbeitet seit 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Hochschuldidaktik im Projekt INSPIRE (INStitutionelle Verankerung und Praktische Umsetzung dIgital beReicherter LEhre) an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Vor dem Hintergrund Ihrer Berufspraxis in der Erwachsenenbildung im Aufgabenfeld Beratung/Coaching, Aus- und Weiterbildung unterstützt sie Lehrende durch individuelle Beratung, Workshops und Austauschformate bei der Weiterentwicklung ihrer Lehre. Dabei liegt der Fokus auf der gewinnbringenden Verknüpfung von digitaler Lehre und Präsenzlehre.

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