Hybride Lehrveranstaltungen oder das Beste aus zwei Welten: Ergebnisse einer studentischen Befragung
Hybride Lehrveranstaltungen oder das Beste aus zwei Welten: Ergebnisse einer studentischen Befragung
17.06.24Inhaltsverzeichnis
Hybride Lehrveranstaltungen sind ein wesentlicher Bestanteil der Digitalisierung im Hochschulkontext. Als praktische Kombination physischer und digitaler Lehre bieten sie die Möglichkeit, Lehre zu modernisieren und flexibilisieren. Wie nehmen Studierende dieses Angebot wahr? Prof. Dr. Thomas Heun, Soziologe an der Hochschule Rhein-Waal und Didaktikcoach, gibt wertvolle Einblicke in die Evaluation hybrider Lehrveranstaltungen und erläutert anschaulich ihre Chancen und Herausforderungen.
Im Zuge der zunehmenden Verbreitung von digitalen Technologien (Glasfaser, Künstliche Intelligenz etc.) und neuen Lehrkonzepten (Flipped Classroom, Selbstreguliertes Lernen), stellt sich die Frage, welchen Stellenwert hybride Lehrsettings in Zukunft einnehmen. In Anlehnung an Reinmann (2021, S.4) wird hybride Lehre in dem folgenden Beitrag als synchrone Kombination von physischer und digitaler Präsenz verstanden. Gum und Hobuß betonen den höheren didaktischen Gestaltungsspielraum hybrider Lehre seitens der Lehrenden (2021). Zudem fällt es Studierenden in hybriden Lehr-Lern-Settings nach ihren Erkenntnissen leichter, Termine zu Gruppenarbeiten wahrzunehmen. Mit Blick auf die Studienlage stellen sie allerdings fest, dass hybride Lehre im Sinne einer Synchronität von Präsenz- und Onlinelehre eher selten thematisiert wurde und, dass entsprechende Fallstudien und Erkenntnisse rar sind (2021, S. 4).
Wahrnehmung hybrider Lehrveranstaltung aus Sicht von Studierenden
Zwecks Bewertung hybrider Lehrveranstaltungen aus der Perspektive von Studierenden wurde eine Evaluation von entsprechenden Lehrveranstaltungen an der internationalen Hochschule Rhein-Waal durchgeführt. Der Autor befragte 58 Studierende, die im Wintersemester 2023/24 an einer von drei synchron-hybriden Lehrveranstaltungen teilgenommen haben. Die Befragung setzte sich aus 23 Statements und zwei offenen Fragen („Muddiest Point“) zusammen.
Die hybriden Lehrveranstaltungen wurden mithilfe der Conferencing-Plattform „Webex“ und einem Wurfmikrofon im Hörsaal („Catchbox“) durchgeführt, und mit dem aktivierenden Lehrkonzept „Concept-based Inquiry“ (Erickson, Lanning & French 2014) umgesetzt. Um das klassische Problem der Passivität der Online-Teilnehmenden zu überwinden, wurden die Studierenden online angehalten, die Kamera an ihrem digitalen Endgerät zu aktivieren. Darüber hinaus wurde von den Studierenden vorgeschlagen, dass ein „Roomer“ (ein:e Student:in in Präsenz) sich aus dem Hörsaal per Webex auch online zuschaltet, um erstens den Chat im Blick zu haben und zweitens den Dozenten mittels „rosa Karte“ auf Wortmeldungen aus dem Webex-Raum hinzuweisen.
Positive Grundwahrnehmung von hybriden Lehrveranstaltungen
Der Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass die hybriden Lehrveranstaltungen von den Studierenden generell eher positiv wahrgenommen und als Lehrangebote geschätzt werden. Die Auswertung der beiden offenen Fragen nach drei positiven und drei negativen Aspekten hybrider Lehre zeigt einen deutlichen Überhang an positiven Nennungen (98 oder 72%) gegenüber negativen Anmerkungen (39 oder 28%; s. Abb. 1).
Vorteile hybrider Lehre: Hybride Lehrveranstaltungen bieten Flexibilität und ermöglichen Teilhabe
Ein Blick auf die Detailbewertung anhand der vorformulierten Statements zeigt, dass hybride Lehrveranstaltungen als besonders modern, besser vereinbar mit dem Privatleben und mit einem positiven Effekt auf die Frequenz der Teilnahme verbunden werden (s. Abb. 2). Darüber hinaus wird positiv hervorgehoben, dass hybride Lehrveranstaltungen die Kosten des Studiums senken und zu besseren Lernergebnisse führen, als reine Onlinelehre.
Die Ergebnisse der offenen Frage zeigen, dass die Studierenden das Angebot als einen Ausdruck von Respekt ihnen gegenüber wahrnehmen (s. Abb. 3). Aussagen wie „everybody feels heard“, „attention is paid to everyone” oder “inclusion of online-participants” können als Indikatoren für eine empfundene Wertschätzung gegenüber den Studierenden verstanden werden. Darüber hinaus werden das höhere Maß an Freiheit und Aspekte der Kommunikation, wie z. B. die gute Sichtbarkeit der Online-Studierenden, positiv hervorgehoben.
Herausforderungen hybrider Lehrveranstaltungen:
Auch wenn Bedenken in Sachen Datenschutz kaum thematisiert wurden, fühlen sich die Studierenden wohler in einer Präsenzsituation. Mit der Teilnahme an hybriden Lehrveranstaltungen steigt das Unwohlsein mit Blick auf die Übertragung eines persönlichen Bildes in den Hörsaal. Darüber hinaus wird bestätigt, dass die Chance der Ablenkung von den Lehrinhalten und -praktiken in hybriden Lehrveranstaltungen größer ist als im Rahmen von reinen Präsenzterminen. Die auftretenden technischen Probleme sorgen dafür, dass hybrid verglichen mit Präsenzveranstaltungen als langsamer wahrgenommen wird (s. Abb. 4). Auch sinnliche Beeinträchtigungen wurden von den Befragten thematisiert. Neben z. T. störenden Geräuschen, die durch die online-teilnehmenden „Zoomies“ (Studierende, die sich online zuschalten) verursacht wurden, bemängelten die Studierenden eine eingeschränkte Sichtbarkeit von Inhalten oder Lehrpraktiken der Präsenzveranstaltung (wie z. B. Tafelbilder).
Als weitere Ergänzungen zu den vorformulierten Statements nannten die Studierenden folgende Herausforderungen:
- eine erschwerte Gruppenarbeit im Rahmen eines Präsenztermins (Studierende einer Gruppe sind online und in Präsenz) und geringeres Ausmaß der Aktivität der Zoomies
- die Verpflichtung, die Kamera anzuschalten und anstrengendere Online-Kommunikation
- die Schwierigkeit spontan zu reagieren und sich zu konzentrieren
- ein Unwohlsein bzgl. des Wurfmikrofons
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass hybrid nicht ganz an die Qualität reiner Präsenzlehre herankommt, aber – im Vergleich – eine zeitgemäßere Form der Lehre darstellt. Sie setzt digitale Medien ein, um Studierenden Teilhabe zu ermöglichen und den vielfältigen Anforderungen des Studierendenlebens im 21. Jahrhundert gerecht zu werden. In Abgrenzung zur reinen Onlinelehre verleitet sie, wenn sie gut gemacht wird, weniger zur Ablenkung und kann damit als idealtypische Kombination der „Welten“ Präsenz- und Digitallehre verstanden werden.
Diskussion & Didaktische Implikationen
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Studierende synchron-hybride Lehrveranstaltungen grundsätzlich positiv bewerten. Hervorzuheben ist, dass synchron-hybride Lehrsettings, die als moderne Lehrform wahrgenommen werden, einen positiven Einfluss auf die Pünktlichkeit der Teilnahme haben, die Kosten des Studiums senken und zu besseren Lernergebnisse gegenüber reiner Online-Lehre führen.
Im Rahmen dieser Befragung wurden zudem die Ergebnisse von Breitenbach (2021) bestätigt, dass Studierende die größeren Freiheitsgrade bei der Alltagsplanung schätzen. Bestätigt werden zudem der Aspekt der Teilhabe, das Ausmaß der Studierendenorientierung und der Respekt gegenüber besonderen Lebenssituationen, die ein regelmäßiges Erscheinen im Hörsaal erschweren.
Zur Erklärung der positiven Grundwahrnehmung synchron-hybrider Lehrveranstaltungen, lassen sich drei zentrale didaktische „Stellschrauben“ anführen, die einen positiven Einfluss auf das Lehr-Lernerlebnis und die Integration der Zoomies in das Lehrkonzept hatten:
- Das Lehrkonzept „Concept-based Inquiry” (Erickson, Lanning & French, 2014; Heun 2022) reduziert das Ausmaß an Passivität aller Studierenden, da es bezogen auf Lehrinhalte konsequent an einer didaktischen Reduktion orientiert ist und die intellektuelle Aktivierung von Studierenden zum Prinzip erhebt.
- Die Aktivierung der Kamera der Zoomies führte dazu, dass diese stärker involviert waren und die Gefahr der Ablenkung abnahm.
- Die Einbeziehung von Studierenden im Sinne eines Online-Community-Managements führte zu einer verbesserten Wahrnehmung von Aktivitäten der Zoomies im Webex-Chat und im Falle von Handmeldungen.
Die Evaluierung der hybriden Lehrveranstaltungen an der Hochschule-Rhein Waal im WS 2023/24 mündete in der Entwicklung drei weiterer Maßnahmen, um die Qualität synchron-hybrider Lehrveranstaltungen fortlaufend zu heben.
- Schulung von Studierenden im Gebrauch der Videoconferencing-Anwendungen, um störende Geräusche durch die Online-Teilnahme zu reduzieren.
- Bessere Ausstattung der Lehrräume an den Hochschulen mit Medientechnik (z. B. durch Tischmikrofone und weitere Kameras), um Reibungsverluste bei der Installation und Bedienung der Medientechnik zu minimieren und Ängsten zu begegnen.
- Umsetzung von „Lernarchitekturen“ im Sinne eines „Flexible Learning Environments“ (Ninnemann, 2023). Dadurch soll ein leichteres Umschalten von instruierenden Lehrformen (z. B. Vortrag oder Vorlesung) in Formen der studentischen Gruppenarbeiten auch in hybriden Settings ermöglicht werden.
Literaturverzeichnis
Breitenbach, A. (2021). Digitale Lehre in Zeiten von Covid-19: Risiken und Chancen. Marburg. URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-212740.
Erickson, H. L., Lanning, L. A. & French, R. (2014). Concept-based curriculum and instruction
for the thinking classroom. Thousand Oaks: Corwin.
Gum, D. und Hobuß, S. (2021). Hybride Lehre – eine Taxonomie zur Verständigung. Impact Free 38. Hamburg.
Heun, T. (2022). Lehrkonzepte. Bern: HEP.
Ninnemann, K. (2023). Zur Relevanz der DORT-Perspektive. Eine ganzheitliche Betrachtung zur Entwicklung studierendenzentrierter und hybrider Lernumgebungen. In: Strategie Digital, Ausgabe 4, S. 20-27.
Reinmann, G. (2021). Hybride Lehre – ein Begriff und seine Zukunft für Forschung und Praxis. Impact Free 35. Hamburg. Verfügbar unter: https://gabi-reinmann.de/wp-content/uplo-ads/2021/06/Impact_Free_37.pdf.