Generative KI in der medizinischen Ausbildung: Revolution oder Routine?

Generative KI in der medizinischen Ausbildung: Revolution oder Routine?

29.08.24

In der Medizin- und Gesundheitsausbildung gewinnt Künstliche Intelligenz (KI) auch zusehends an Bedeutung. Besonders generative KI-Modelle wie ChatGPT eröffnen innovative Möglichkeiten zur Unterstützung und Verbesserung des Lehr- und Lernprozesses. Dieser Blogbeitrag beleuchtet die Auswirkungen generativer KI auf die medizinische Ausbildung und Didaktik sowie praktische Empfehlungen zur Nutzung von KI-Tools in der Lehre.

Bedeutung der generativen KI für die Medizin:

Eine Studie von 2023 zeigte, dass Patienten mittlerweile die Kommunikation mit einem KI-basierten Chatbot gegenüber einer Ärztin vorziehen, da die Antworten als empathischer und fachlich besser wahrgenommen wurden (Ayers et al. 2023). Generative KI hat das Potenzial, die Medizin grundlegend zu verändern. KI-gestützte Anwendungen können bei der Diagnoseunterstützung, bei der Bildgebung, Therapieplanung und Patientenedukation helfen (Lucas et al. 2024, Rao et al. 2023).  Besonders beachtenswert war die Nachricht, dass ChatGPT das Medical Exam in den USA (Kung et al. 2023) und später auch in Deutschland erfolgreich bestanden hat. ChatGPT erzielte dabei eine höhere Trefferquote bei der Beantwortung klinischer Fragen im Vergleich zu Medizinstudierenden (Strong et al. 2023).

Bedeutung der generativen KI für die medizinische Ausbildung:

Trotz dieser Errungenschaften von KI in der Medizin findet generative KI in der medizinischen Ausbildung bisher wenig Beachtung. Dies liegt an den starren Vorgaben durch die Approbationsordnung und den Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog (NKLM), die wenig Spielraum für neue Inhalte und Gestaltungsmöglichkeiten lassen. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass Medizinstudierende während ihres Studiums keine Hausarbeiten schreiben müssen, da der Fokus auf Multiple-Choice-Fragen und der Überprüfung praktischer Fertigkeiten (OSCEs) liegt. Erst im Rahmen der Erstellung der Promotionsarbeit werden längere Texte verfasst.

Für Dozierende bietet generative KI jedoch zahlreiche Möglichkeiten zur Unterstützung der Lehre (Arbeitsgruppe DiF-Medizin 2023). Erste Studien außerhalb der medizinischen Ausbildung zeigen, dass der Einsatz großer Sprachmodelle (LLMs) die Qualität der Lehre verbessern und die Studienzeit verkürzen kann. Eine randomisierte Studie an einer Law School zeigte beispielsweise, dass der Einsatz von LLMs die Studienzeit um bis zu 27% reduzieren kann. Insbesondere der Einsatz von KI-gestützten Chatbots als Lernbegleiter und Study-Coach hat bisher zu guten Erfolgen geführt (Möller et al 2024). 

Praktische Anwendungen für Dozierende:

Dozierende können generative KI in verschiedenen Bereichen nutzen:

  • Erstellen von Multiple-Choice-Fragen: KI kann als Hilfsmittel zur Generierung und Bewertung von Prüfungsfragen dienen. Studien haben die Effektivität von ChatGPT nachgewiesen (Artsi et al. 2024, Stadler et al. 2024). Es gibt bereits eine speziell trainierte KI zur Generierung von MC-Fragen: https://chatgpt.com/g/g-vuyyH0jUp-case-based-mcq-generator
  • Bewertung von Prüfungen: ChatGPT bietet eine hohe Interrater-Reliabilität bei der Bewertung von Texten (ICC-Werte von 0,94 bis 0,99), was bedeutet, dass die KI zuverlässige und konsistente Bewertungen liefern kann (Hackl et al. 2023).
  • Curriculumsentwicklung: Unterstützung bei der Entwicklung von Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien.
  • Patientenfall-Simulationen: Erstellung realistischer Patientenfälle zur praktischen Übung. Die Fälle können zudem interessanter gestaltet werden, indem man Storyelemente wie die klassische Heldenreise integriert und somit die Attachment erhöht. Dadurch können Patientenfälle nicht nur Vitalzeichen und Daten vermitteln, sondern auch die Lebenswelten besser darstellen.
  • Lehrfilme: Unterstützung bei Drehbuch und Regie von Lehrfilmen. Generative KI kann komplette Drehbücher schreiben, die im Detailgrad den klassischen Skripten von Lehrfilmen überlegen sind.

Neben ChatGPT gibt es weitere nützliche Tools, die die Arbeit der Dozierenden und das Lernen der Studierenden verbessern können:

  • Perplexity: Diese KI-unterstützte Suchmaschine erstellt Texte ähnlich wie ChatGPT, belegt diese aber mit Quellen.
  • Elicit: Mit Elicit können ganze Forschungsbereiche beschrieben werden, inklusive Literaturhinweisen, die in kurzen Abstracts zusammengefasst werden.
  • Research Rabbit: Dieses Tool visualisiert Verbindungen von Papern und Autoren in einem Netzdiagramm, was besonders hilfreich ist, um einen Überblick über ein neues Forschungsfeld zu erhalten.
  • SciSpace: In diesem Tool können Fachartikel hochgeladen und anschließend „gechattet“ werden. Es ermöglicht gezielte Fragen an das Paper zu stellen, ähnlich wie in einer Diskussion mit den Autoren selbst.

Der Ausschuss Digitalisierung der Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA) hat eine kuratierte Linkliste zum Thema Generative KI in der medizinischen Ausbildung erstellt, die laufend aktualisiert wird: https://padlet.com/danieltolks1/linksammlung-didaktik-und-chatgpt-ausschusss-digitalisierung-ihupnj9wb3y0foz3

Kompetenzentwicklung im digitalen Zeitalter:

Die Frage bleibt, welche Kompetenzen den Studierenden und auch den bereits approbierten Ärzt:innen vermittelt werden müssen. Christian Spannagel betont, dass das Lernen evolutionär angepasst werden muss. KI-Systeme können grundlegende kognitive Prozesse übernehmen, was bedeutet, dass Lernende sich auf komplexere und kreativere Aufgaben konzentrieren können. Dennoch ist es entscheidend, dass die Studierenden die grundlegenden Kompetenzen erwerben, auch wenn diese von der KI ausgeführt werden könnten. Aktuell ist das Thema Prompting als Mensch-Maschine Interface essentiell, dies könnte sich jedoch auf längere Sicht als nicht mehr notwendig erweisen, wenn sich die Eingabemöglichkeiten der kommenden KI-Systeme verändern.

Die aktuelle Lage an den medizinischen Fakultäten ist noch nicht sehr vielversprechend. Ein Großteil der Medizinstudierenden ist unzufrieden mit der KI-Kompetenzvermittlung an ihren Universitäten (47% sehr schlecht, 28% schlecht), wie eine aktuelle Studie des CHE herausgefunden hat. Zudem schätzen Medizinstudierende ihre KI-Kompetenzen als gering im Vergleich zu anderen Kompetenzen wie kritisches Denken ein. Allerdings konnte auch nachgewiesen werden, dass Studierende mit einer höheren KI-Literacy eine positivere Einstellung zu KI-Tools haben (Laupichler et al. 2024).

Angesichts der starren Lehrangebote stellt sich die Frage, wo kurzfristig der Umgang mit KI-Tools gelehrt werden kann; Kurse zum wissenschaftlichen Arbeiten und zur klinischen Forschung bieten sich an. In Zukunft ist es jedoch unvermeidlich, die Nutzung von KI-Tools direkt in die erste Hälfte des Studiums (Physikum) der medizinischen Lehre zu integrieren. Es wird zu spät sein, auf eine Änderung der Approbationsordnung zu warten, die in der aktuellen Form wahrscheinlich nicht mehr kommen wird. Mit der strukturierten Vermittlung dieser zukunftsrelevanten Kompetenzen muss jetzt begonnen werden.

Die Kompetenzvermittlung sollte möglichst agil gestaltet werden, um zeitnah auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Dies bedingt eine Transformation des Bildungssystems, neue Wege zu gehen, um für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein und diesen adäquat begegnen zu können.

Fazit und Ausblick:

Die Integration von ChatGPT und anderen generativen KI-Tools in die Ausbildung von Gesundheitsfachberufen bietet enormes Potential zur Verbesserung der Lehr- und Lernprozesse sowie der didaktischen Methoden. Dozierende sollten die Möglichkeiten dieser Technologien erkunden und gezielt einsetzen, um einen effizienten Lernerfolg der Studierenden zu unterstützen. Eine Besonderheit in der medizinischen Ausbildung sollte hier Beachtung finden: durch die starren Vorgaben des Medizinstudiums wird der Einsatz von Chatbots als Studybuddies das Medizinstudium wahrscheinlich in seiner Dauer nicht verkürzen können. Zudem bleiben noch viele offene Fragen, beispielweise, wer die Haftung bei Behandlungsfehlern durch die Nutzung von generativer KI übernimmt, welchen Einfluss gKI auf Diversity oder Equity hat, wie „biased“ die Trainingsdaten sind (Moritz et al. 2023).

Den Blick auf die Zukunft mit KI möchte ich abschließend mit einem Zitat von Jürgen Schmidhuber beschreiben. Auf die Frage, ob KI in Zukunft die Menschheit übernehmen wird, lautete seine Antwort sinngemäß, dass eine KI schnell das Interesse an den Menschen verlieren wird, da wir ihr kognitiv doch unterlegen sind.

Autor:innen:

Dr. Daniel Tolks 

Professor für Medical and Health Education, Zentrum für angewandte Gesundheitswissenschaften, Leuphana Universität Lüneburg, Schwerpunkt Digitale Lehre und Games in der Medizin und Gesundheitswissenschaften

Mitglied der AG DiF-Medizin

Janette Keller

Frau Janette Keller verfügt über langjährige Erfahrung in der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten, insbesondere in der Entwicklung von digitalen Produkten und Services für Unternehmen und Start-ups aus verschiedenen Branchen, wie z.B. der T&A-Branche und dem Lebensmittelhandel. Aktuell ist sie als freiberufliche Produktmanagerin mit der Entwicklung eines Matrix-basierten B2B Messengers betraut.

LinkedIn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert