Disruption im Feedback-Prozess – Erkenntnisse eines Hochschulprojekts
Disruption im Feedback-Prozess – Erkenntnisse eines Hochschulprojekts
07.07.25
Was passiert, wenn Lehramtsstudierende nicht nur von Menschen, sondern auch von KI Rückmeldung erhalten? Lucas Jacobsen und Neele Tiedemann zeigen, wie große Sprachmodelle Feedbackprozesse in der Lehrkräftebildung verändern – und welche Chancen sich daraus für Reflexion und Professionalisierung ergeben. Ausgehend von einem Seminar zur Erprobung zentraler Lehrpraktiken entwickeln sie digitale Reflexionsräume, in denen Studierende ihr professionelles Handeln analysieren und weiterentwickeln. Im Zentrum steht die Frage, wie KI-Feedback gestaltet sein muss, um wirksam zu sein – und was das für die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine im Bildungsprozess bedeutet.
Digitale Reflexionsräume für zentrale Lehrpraktiken
Zu Beginn unserer Projektidee standen Befunde der Expertiseforschung. Sie zeigen, dass Fakten- und Konzeptwissen allein nicht ausreichen, um professionell in Lehr- und Beratungssituationen handeln zu können. Um unter Druck sicher zu handeln, sind neben Fachwissen auch strukturiertes und authentisches Üben unerlässlich. Doch gerade daran mangelt es in der Lehrkräftebildung. Studierende können ihr professionelles Handeln nur selten in einem geschützten Rahmen erproben und reflektieren.
Deshalb entwickelten wir im Rahmen des StIL-geförderten Projektes „Digital Transformation Lab for Teaching and Learning“ in unserem Teilprojekt ein Seminarkonzept zur Erprobung sogenannter Kernpraktiken – wiederkehrender, erlernbarer Tätigkeiten, die empirisch belegt zur Verbesserung von Unterrichtsqualität und Schüler:innenleistung beitragen (Grossman et al., 2009; Forzani, 2014). Im Fokus stand dabei die Gesprächsführungskompetenz. Diese sollten die Studierenden in sogenannten Microteachings gezielt trainieren: Sie planten eine berufstypische Situation, führten sie durch und zeichneten sie per Video auf (Karlström et al., 2019).
Mit dem Tool „Interactive Video Suite“ schufen wir dafür digitale Räume, in denen Studierende ihre eigenen Microteachings in authentischen, begleiteten Simulationsszenarien analysieren und reflektieren können. Zentrale Elemente sind dabei Feedback-Schleifen anhand von Videoannotation und die Auseinandersetzung mit dem eigenen professionellen Handeln.
Schnell wurde deutlich, dass qualitativ hochwertiges Feedback entscheidend für die Professionalisierung angehender Lehrkräfte ist – unabhängig davon, ob es in Präsenz oder digital erfolgt. Doch gerade daran fehlt es oft. Dozierende haben wenig Zeit und Peer-Feedback bleibt häufig begrenzt wirksam (Cavalcanti et al., 2021; Demszky et al., 2023; Henderson et al., 2019). Auch wir arbeiteten in unseren Lehrveranstaltungen bisher überwiegend mit Peer-Feedback.
KI im Feedbackprozess: Potenziale und neue Anforderungen
Als im November 2022 OpenAI das öffentlich zugängliche Sprachmodell ChatGPT veröffentlichte – war klar: Wir müssen unsere bisherigen Konzepte von Lehren und Lernen grundlegend überdenken. Im größeren Kontext stehen Lern- und Bildungsprozesse vor tiefgreifenden Veränderungen. Dabei wirkt KI wie ein Brennglas und wirft Licht auf bildungswissenschaftliche und -praktische Fragen, die seit vielen Jahren diskutiert werden. Neu zu sein scheint jedoch der Imperativ zur Veränderung angesichts einer disruptiven Technologie, die ein ‚Weiter so‘ nicht mehr zulässt. Zentrale Herausforderungen sind dabei die Reflexion bestehender Lehr- und Lernmethoden, die Weiterentwicklung von Aufgabenformaten und Prüfungspraktiken, der Erwerb neuer Kompetenzen, sowie die bewusste Integration KI-basierter Tools in Lehr- und Lernprozesse.
Im konkreten Bezugsrahmen des Projekts bedeutet dies, dass wir vollständig neu über Feedback-Prozesse an der Hochschule nachdenken können und müssen. Wenn gelungene Feedback-Prozesse eine der Hauptkomponenten erfolgreicher Professionalisierung sind, könnten große Sprachmodelle eine neuartige Chance bieten, um allen Studierenden personalisierte und zeitnahe Rückmeldung zu gewährleisten? Und wenn ja, inwiefern beeinflusst dieser neue Akteur – das Large Language Modell (LMM) – den Feedbackrozess? Wie lässt sich die Interaktion mit einem LLM für den Feedback-Prozess konzeptualisieren? Wie nehmen die angehenden Lehrkräfte KI-Feedback wahr? Welche Qualität hat dieses Feedback und können die Studierenden die Rückmeldungen auch umsetzen?
Wie so häufig vor dem Beginn von etwas Neuem standen wir vor mehr Fragen als Antworten. Unser übergeordnetes Projektziel, die Lehr- und Beratungskompetenzen von Studierenden systematisch zu fördern und sie damit bereits im Studium zu professionalisieren, blieb bestehen. Es bekam jedoch eine völlig neue Dimension: generative KI. Ins nächste Semester starteten wir deshalb mit einer Interventionsstudie mit sieben Seminaren. Unser Ziel war und ist es, die Auswirkungen von Experten- und KI-Feedback auf die Performanz angehender Lehrkräfte im Kontext der Kernpraktik „Beziehungsförderliche Gesprächsgestaltung“ zu untersuchen. Die Intervention lief über ein Jahr und wird momentan ausgewertet.
Während dieser Zeit gelang es uns, einige weiterführende Untersuchungen durchzuführen. Wir waren in der Lage objektive Qualitätskriterien für einen gelungenen Prompt empirisch herauszuarbeiten (Jacobsen & Weber, 2025). Interessanterweise decken sich unsere Befunde mit Ergebnissen anderer Fachbereiche. Prompt Engineering lässt sich demzufolge als erlernbare Kompetenz verstehen. Angesichts der zunehmenden Verbreitung KI-gestützter Systeme in der beruflichen Praxis wird deutlich, dass Lehramtsstudierende – ebenso wie Lehrende – im Umgang mit LLMs geschult werden müssen (Jacobsen et al., 2025).
Im Rahmen der Untersuchungen zum Prompt Engineering entwickelten wir ein heuristisches Modell zu Ursache und Wirkung von KI-Feedback und konnten zeigen, dass dieses sogar Expert:innen-Feedback hinsichtlich seiner Qualität übersteigen kann – vorausgesetzt, man nutzt einen hochqualitativen Prompt (Jacobsen & Weber, 2025).

Abbildung 1: Heuristisches Arbeitsmodell, angepasst nach Narciss (2008) und Pekrun et al. (2023).
Wie Azaria et al. (2023) treffend formulierten: „ChatGPT is a remarkable tool – for experts.“ Entscheidend ist nicht allein die Technologie, sondern die Art ihrer Anwendung. LLMs entfalten ihr Potenzial erst durch präzise gestaltete Prompts und gezielte menschliche Steuerung. Unsere Forschung zeigt: Durch die Kombination aus hochwertigem Prompting und professioneller Steuerung lassen sich bestehende Herausforderungen von Feedback in der Hochschulbildung adressieren (Jacobsen et al., 2025).
Neben den beiden bereits beschriebenen Lehrveranstaltungen entwickelten wir aus dem Projekt heraus noch ein weiteres Seminar zum Thema der Bildung im Kontext Künstlicher Intelligenz. Hier werden aktuelle KI-bezogene Entwicklungen in die Lehrkräfteausbildung integriert und gemeinsam mit den Studierenden erarbeitet. In der Lehrveranstaltung erlangen die Studierenden ein Verständnis der technischen Grundlagen von KI und beschäftigen sich mit praktischen, beruflichen, gesellschaftlichen und ethischen Implikationen.
Um dieses Wissen nicht nur an Studierende weiterzugeben, sondern einer breiteren Masse zur Verfügung zu stellen, haben wir Fortbildungen für Dozierende und Lehrkräfte entwickelt. Die Fortbildungen werden mittlerweile regelmäßig angeboten.
Darüber hinaus konnten wir bereits in zwei großen Modulen der bildungswissenschaftlichen Studiengänge Studierenden die Möglichkeit bieten, KI-Feedback zu erhalten. Als Zwischenfazit können wir hier festhalten, dass die Umstellung, die wir im Projekt durchzogen haben, eine der größten Herausforderungen war – gleichzeitig aber auch eine riesige Chance.
Unsere bisherigen Maßnahmen zielten darauf, die Potenziale generativer KI anhand konkreter Anwendungsfälle im Hochschulkontext zu erproben und erste Ansätze in die Praxis zu überführen. Doch schnell wurde klar, dass die Fragen, die wir uns im Projektverlauf stellten, nicht nur einzelne Seminare oder Studiengänge betreffen. Sie berühren Grundfragen von Bildung im digitalen Zeitalter.
Bildung im Wandel: Was es für echte Professionalisierung braucht
Ein Bildungssystem im Wandel braucht mehr als digitale Tools – es braucht ein neues Mindset. Ein Mindset, das Unsicherheit zulässt, Reflexion fördert und alle Beteiligten als Lernende begreift. Dieses neue Mindset umfasst auch ein vertieftes Verständnis für die Zusammenarbeit mit KI-Systemen: Weg von der Idee reiner Werkzeugnutzung – hin zur aktiven Gestaltung kooperativer (Lern-)Prozesse.
Wie Buck und Weßels (2025) argumentieren, geht es nicht mehr nur um Koaktivität, sondern um echte Kollaboration zwischen Mensch und Maschine – um ein gemeinsames, reflektiertes Handeln. Dies verlangt von Lehrenden und Lernenden neue Führungskompetenzen – AI Literacy als strategische Kompetenz, AI Leadership als handlungsleitendes Prinzip. Die digitale Transformation ist kein Zusatzmodul, sondern ein zentraler Baustein einer holistischen Hochschulentwicklung.
Für uns bedeutet das: Lehrkräftebildung muss Räume eröffnen, in denen Studierende technologiegestützt und evidenzbasiert lernen – aber auch ethisch und kritisch reflektieren. Lehrende wiederum benötigen Möglichkeiten, KI sinnvoll zu integrieren, ohne ihre Rolle als pädagogische Begleiter:innen zu verlieren. Unser Projekt zeigt, dass wir Reflexions- und Professionalisierungsprozesse besser gestalten können, wenn wir Feedback neu denken.
Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern um Haltung – und letztlich um die Frage, wie wir Bildung in einer digitalen Welt gemeinsam verantwortungsvoll gestalten wollen.
Azaria, A., Azoulay, R., & Reches, S. (2023). ChatGPT is a remarkable tool–For experts. https://doi.org/10.48550/arXiv.2306.03102
Buck, I., & Weßels, D. (2025). Gut geführt = gut geschrieben? AI Leadership als relevante Kompetenz in der Kollaboration mit KI-Tools. In G. Brägger & H.-G. Rolff (Hrsg.), Handbuch Lernen mit digitalen Medien: Wege der Transformation (3. Aufl., S. 863–880). Beltz Verlag.
Cavalcanti, A. P., Barbosa, A., Carvalho, R., Freitas, F., Tsai, Y.-S., Gašević, D., & Mello, R. F. (2021). Automatic feedback in online learning environments: A systematic literature review. Computers and Education: Artificial Intelligence, 2, 100027. https://doi.org/10.1016/j.caeai.2021.100027
Demszky, D., Liu, J., Hill, H. C., Jurafsky, D., & Piech, C. (2023). Can automated feedback improve teachers’ uptake of student ideas? Evidence from a randomized controlled trial in a large-scale online course. Educational Evaluation and Policy Analysis. https://doi.org/10.3102/01623737231169270
Forzani, F. M. (2014). Understanding “core practices” and “practice-based” teacher education. Journal of Teacher Education, 65(4), 357–368. https://doi.org/10.1177/0022487114533800
Grossman, P., Hammerness, K., & McDonald, M. (2009). Redefining teaching, re‐imagining teacher education. Teachers and Teaching, 15(2), 273–289. https://doi.org/10.1080/13540600902875340
Jacobsen, L. J., Rohlmann, J., & Weber, K. E. (2025). AI feedback in education: The impact of prompt design and human expertise on large language model performance (Version 2) [Preprint]. OSF Preprints. https://doi.org/10.31219/osf.io/fx5qz
Jacobsen, L. J., & Weber, K. E. (2025). The promises and pitfalls of large language models as feedback providers: A study of prompt engineering and the quality of AI-driven feedback. AI, 6(2), 35. https://doi.org/10.3390/ai6020035
Karlström, M., & Hamza, K. (2019). Preservice science teachers’ opportunities for learning through reflection when planning a microteaching unit. Journal of Science Teacher Education, 30(1), 44–62. https://doi.org/10.1080/1046560X.2018.1531345
Henderson, M., Ajjawi, R., Boud, D., & Molloy, E. (Eds.). (2019). The impact of feedback in higher education: Improving assessment outcomes for learners. Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-25112-3
Autor:innen
Lucas Jacobsen ist Wissenschaftler und Doktorand an der Universität Hamburg, sowie freiberuflicher Trainer zum Thema KI in der Bildung. Seine Forschungsinteressen sind die Professionalisierung von angehenden Lehrern, digitale Bildungstechnologien, digitale Transformation, insbesondere die Rolle von künstlicher Intelligenz, Feedback und Lehrvideos in der Lehrerbildung.
Neele Tiedemann hat in Lüneburg Mathematik und Deutsch auf Haupt- und Realschullehramt studiert. Seit 2025 arbeitet sie im DigiTaL-Projekt an der Leuphana Universität Lüneburg, mit dem Schwerpunkt digitale Reflexionsräume und Feedback. Arbeits- und Interessensgebiete: Künstliche Intelligenz, Kernpraktiken, Gamification, Serious Games.
Über das Projekt
Das „Digital Transformation Lab for Teaching and Learning“ (DigiTaL) ist ein durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) gefördertes Projekt an der Leuphana Univerität Lüneburg. In 11 Teilprojekten arbeiten alle drei Schools, sowie zentrale Einrichtungen der Universität daran, digitale Lehr- und Lerninnovationen zu entwickeln, zu evaluieren und im Curriculum zu verstetigen.
Mehr Infos: www.leuphana.de/digital